Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Das kleine Dummerle und andere Erzählungen
(Agnes Sapper, 1904, empfohlenes Alter: 7 - 14 Jahre)

Die Feuerschau

<p>Die schönste Straße im Städtchen ist die Ringstraße&comma; das schönste Haus in der Ringstraße ist das Eckhaus mit der Altane&semi; und das schönste Stockwerk im Eckhaus ist der erste Stock&period; In diesem ist alles neu hergerichtet&comma; frisch tapeziert und gestrichen&comma; alle Möbel in den Zimmern sind nagelneu&comma; alles Geschirr in der Küche blinkt und glänzt&period; Auch die junge Frau&comma; die an dem feinen Nähtischchen sitzt und strickt&comma; ist noch ein Neuling&period; Seit acht Tagen erst ist sie Hausfrau&comma; eine recht jugendliche Hausfrau&semi; und noch ein paar Jahre jünger als sie ist das Evchen&comma; das kleine Dienstmädchen&comma; das in frischer&comma; weißer Schürze am Herd steht&comma; ein Liedchen singt und zusieht&comma; wie das Fleisch kocht&comma; das sie und ihre junge Frau miteinander zugesetzt haben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die kleine Magd am Herd wurde mitten in ihrem Gesang unterbrochen&period; Sie hörte ihren Namen rufen durch das offene Küchenfenster&period; Vom Hof herauf kam der Ruf&period; Sie sprang ans Fenster&period; Unten stand das Dienstmädchen der Hausfrau&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was gibt’s&quest;« fragte das Evchen hinunter&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Die Feuerschau ist bei uns&comma; sie kommt gleich zu euch hinauf&comma; du sollst es deiner Frau ansagen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Das Evchen ging eiligst zu ihrer jungen Frau&comma; den wichtigen Auftrag auszurichten&period; »Frau Assessor&comma; die Feuerschau wird gleich zu uns kommen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Die Feuerschau&quest; Was will die wohl&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Das Evchen wußte es nicht&comma; denn in Weilerdinkelbach&comma; wo sie her war&comma; gab es keine Feuerschau&period; Die Frau Assessor hatte auch noch nie damit zu tun gehabt&semi; aber es zeigte sich doch&comma; daß sie drei Jahre älter war als ihr Dienstmädchen&comma; denn sie sagte&colon; »Ich kann mir schon denken&comma; warum die Feuerschau kommt&comma; sie wird den neuen Ofen im Besuchzimmer ansehen wollen&comma; oder vielleicht muß sie alle Öfen nachsehen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Es währte auch gar nicht lange&comma; da klingelte es draußen und als das Evchen öffnete&comma; standen zwei Herren vor ihr&period; Die Feuerschau war es nun freilich nicht&comma; sondern zwei Freunde des Herrn Assessor&comma; die ihn besuchen und seine junge Frau kennen lernen wollten&period; Das konnte aber das Evchen nicht wissen&semi; sie dachte&comma; sie habe die Feuerschau vor sich&period; »Der Herr Assessor ist nicht zu Hause&comma;« sagte sie auf die Frage des Herrn&comma; »aber kommen Sie nur in das Besuchzimmer&period;« Nachdem sie die beiden Herren hineingeführt hatte&comma; eilte sie zu ihrer jungen Frau und meldete&colon; »Die Feuerschau ist schon im Besuchzimmer&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Als die Frau Assessor eintrat&comma; standen zwei fremde Herren vor ihr&comma; und stellten sich vor&colon; der eine nannte sich Ingenieur Maier&comma; von dem andern&comma; dem Archivar Rau&comma; verstand sie nur etwas wie Wau wau&semi; es war ihr auch nicht so wichtig&comma; wie die Herren von der vermeintlichen Feuerschau hießen&period; Diese aber freuten sich&comma; das hübsche junge Frauchen ihres Freundes kennen zu lernen&comma; sprachen es auch aus und fragten&comma; ob sie sich schon ein wenig heimisch fühle im Städtchen&quest; Die Frau Assessor antwortete darauf sehr freundlich&period; Sie fand es nett und auch ganz natürlich&comma; daß sogar die Feuerschau teilnahm an ihrem jungen Eheglück&comma; und es wurden einige verbindliche Worte gewechselt&period; Freilich&comma; zum Sitzen wurden die Herren nicht aufgefordert&comma; dagegen sagte die Frau Assessor&colon; »Wollen Sie vielleicht unsern neuen Ofen betrachten&quest;« und mit einer Handbewegung machte sie auf den hohen weißen Kachelofen aufmerksam&period; Gehorsam wandten sich die Herrn diesem zu&period; »Es ist ein sehr hübscher Ofen&comma;« sagte der Ingenieur&period; »In der Tat sehr schön&comma;« wiederholte der Archivar&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Aber er ist so unbequem einzuheizen&comma;« sagte die Hausfrau&period; Das bedauerten die zwei Fremden von Herzen&period; »Vielleicht könnte man es ändern&quest;« fragte die junge Frau&period; »Das ließe sich schwer machen&comma;« antwortete der Ingenieur&period; Da die Hausfrau keine Miene machte&comma; sich von dem Ofen zu entfernen&comma; konnten die Herren auch nicht davon wegkommen&period; Sie wollten doch artig sein&comma; so mußten sie den Ofen eben noch weiter bewundern&period; »Die Kacheln sind sehr schön&comma;« sagte der Ingenieur&period; Der Archivar setzte seinen Zwicker auf und besichtigte die Kacheln&comma; aber er fand trotz des Zwickers nichts Besonderes an ihnen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als die Unterhaltung stockte&comma; entfernte sich die Hausfrau von dem Ofen&comma; machte die Türe zum Eßzimmer auf und sagte&colon; »Wollen Sie nicht den eisernen Ofen ansehen&comma; den habe ich viel lieber&comma;« und ohne die Antwort abzuwarten&comma; ging sie voran&period; Die beiden Freunde warfen sich heimlich verwunderte Blicke zu&comma; sie mußten aber wohl oder übel zu dem eisernen Ofen folgen&period; Da standen sie nun wieder alle drei wie gebannt um den Ofen herum&period; Der Ingenieur war noch gut daran&comma; er verstand wenigstens etwas davon und sprach nun ganz eingehend über die Bauart des Ofens&period; Der Archivar hingegen konnte nicht recht mittun&period; Unser Frauchen fing an im stillen über die Feuerschau zu zürnen&semi; sie fand es wunderlich&comma; daß die Herren gar nicht voran machten&comma; der Archivar besonders blieb immer in ehrerbietiger Entfernung vom Ofen stehen&comma; wie wenn er sich davor fürchtete&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ebenso fingen die Besucher an&comma; im stillen über die junge Frau zu zürnen&period; Sie war doch noch recht ungeschickt&comma; daß sie ihnen nicht einmal einen Platz anbot&excl; Die Frau Assessor dachte bei sich&colon; »Ich muß ihnen weiter helfen&comma;« und indem sie die Türe zum Nebenzimmer aufmachte&comma; sagte sie&colon; »Wollen Sie nicht auch den kleinen Ofen im Schlafzimmer ansehen&quest; Es ist ein tönerner&period;« Jetzt wurden ihre Besucher widerspenstig&period; »Ich danke&comma;« sagte der Ingenieur&comma; »wir wollen doch nicht überall eindringen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Bitte&comma; das stört gar nicht&comma;« sagte die Hausfrau und ging voran&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Mir geht wirklich das Verständnis für Öfen gänzlich ab&comma;« sagte der Archivar&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Das ist aber sehr traurig für Sie&comma;« entgegnete die junge Hausfrau&comma; denn sie dachte&colon; »Der Mann hat offenbar seinen Beruf verfehlt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Inzwischen hatten die Herren doch nicht anders gekonnt&comma; als der Hausfrau in das Schlafzimmer folgen&comma; und nun standen sie vor einem kleinen&comma; alten&comma; unscheinbaren Tonofen&comma; der ihnen so gar nichts sagte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Raucht der Ofen&quest;« fragte nun der Archivar und war nicht wenig stolz&comma; daß ihm noch eine so passende Frage einfiel&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma; er raucht nicht&comma; wir haben ihn auch noch gar nie angezündet&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Rauch soll nämlich sehr ungesund sein&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; für die Lunge&comma; nicht wahr&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Diese geistreiche Unterhaltung wurde unterbrochen&comma; es klingelte und Evchen machte die Türe auf&period; Diesmal kam die wirkliche Feuerschau&comma; ein älterer Mann in Begleitung eines jüngeren&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wir sind die Feuerschau&comma;« sagte der ältere und ohne sich um das verblüfft darein sehende Mädchen zu kümmern&comma; klopfte er an der nächsten Türe an&period; Das war eben die&comma; die in das Schlafzimmer führte&comma; in dem nun schon drei Leute um den Ofen standen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Entschuldigen Sie&comma;« sagte der ältere der beiden Männer&comma; »wir wollen nicht lange stören&comma; wir sind die Feuerschau&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Noch eine Feuerschau&excl;« dachte die kleine Hausfrau mit Entsetzen&period; Ohne Umstände gingen die Männer auf den Ofen zu&period; »Da ist auch noch so eine verbotene Ofenklappe&comma;« sagte der ältere zu dem jüngeren&comma; »schreiben Sie es auf&period;« Darauf empfahlen sich die Beiden und gingen weiter&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie waren kaum eine Minute geblieben&comma; aber doch lange genug&comma; daß die junge Frau erkannte&colon; das war die richtige Feuerschau&period; Die andere war offenbar keine&period; Sie kannte sich gar nicht mehr aus in dieser Welt&comma; und sah ihre beiden Besucher ganz ratlos an&comma; wer waren sie denn&quest; »Sie sind gar nicht die Feuerschau&comma;« sagte sie nun vorwurfsvoll&comma; »Sie haben sich bloß so gestellt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber auch den Herren war jetzt die Ahnung gekommen&comma; daß hier eine Verwechslung vorlag&period; »Nein&comma; die Feuerschau sind wir nicht&comma;« sagte der Ingenieur&comma; »aber bitte&comma; gnädige Frau&comma; wir haben uns doch nicht so gestellt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie haben doch die ganze Zeit nur die Öfen angesehen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Leider ja&comma;« sagte der Archivar&comma; »wir wollten das eigentlich gar nicht&comma; aber wir konnten nicht anders&comma; wir mußten Ihnen doch folgen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun dürfen wir uns vielleicht noch einmal vorstellen als Freunde des Herrn Assessors&colon; Ingenieur Maier&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Archivar Rau&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma;« sagte die Frau Assessor halb lächelnd&comma; halb beschämt&comma; »was müssen Sie von mir gedacht haben&comma; und was wird mein Mann sagen&comma; wenn er hört&comma; wie ich seine Freunde empfangen habe&excl; Jetzt höre ich ihn kommen&comma; o bitte&comma; wollen wir doch wieder hinüber in das Besuchzimmer&period;« Sie waren kaum darin&comma; so erschien der Herr des Hauses und freute sich&comma; seine Freunde zu treffen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Diese waren viel zu artig&comma; um die kleine Frau zu verraten&comma; und nahmen gerne Platz&comma; wie wenn nichts gewesen wäre&comma; sie waren ja lange genug herumgestanden&period; Nur sahen sie so ungewöhnlich heiter aus&comma; sie hatten Mühe&comma; ihr Lachen zu verbergen&period; »Eine hübsche Wohnung&comma; nicht wahr&quest;« sagte der Hausherr&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; und wie es scheint&comma; gute Öfen&comma;« bemerkte der Ingenieur&period; Da war die Verstellungskunst der jungen Frau schon zu Ende&period; Sie mußte lachen und die Herren lachten mit&period; Der Hausherr machte ein sehr erstauntes Gesicht&comma; bis ihm seine Frau alles selbst erzählte&period; Ein wenig ängstlich sah sie trotz ihrer Heiterkeit auf ihren Mann&semi; wie er ihr Ungeschick wohl aufnehmen&comma; ob er sie tadeln würde vor den Herren&period; Bewahre&comma; das tat er nicht&period; Auch er lachte und sagte zu den Freunden&colon; »So habt ihr der kleinen Frau überall hin folgen müssen&quest; Was wollt ihr&comma; mir geht es ja auch nicht besser&excl;«<&sol;p>

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