Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Das kleine Dummerle und andere Erzählungen
(Agnes Sapper, 1904, empfohlenes Alter: 7 - 14 Jahre)

Hoch droben

<p>In Berlin war an einem heißen Juninachmittag ein Dachdecker auf dem Dache eines vierstöckigen Hauses beschäftigt&period; Am Rand des Daches saß er und setzte neue Schieferplatten ein&comma; wo die alten schadhaft geworden waren&period; Manchmal sah einer der Vorübergehenden von der Straße herauf nach dem jungen Mann in der schwindelnden Höhe&period; Der Dachdecker aber blickte nicht hinunter&comma; er sah nur auf das Dach mit seinen vielen Plättchen&comma; die glühend heiß wurden in der Sonne&comma; und langsam ging ihm heute die Arbeit von der Hand&period; Die Hitze wurde immer drückender&comma; die Sonne stach durch die Wolken&semi; jetzt hielt er mit seiner Arbeit inne&period; Eine lange Reihe Plättchen hatte er eingesetzt&comma; nun kam die nächste Reihe&period; Er legte sein Werkzeug aus der Hand&comma; wischte sich den Schweiß von der Stirne und ruhte einen Augenblick&period; Da fiel sein Blick auf die Straße&comma; wo die Wagen fuhren und die Menschen wandelten&period; Er war heute nicht schwindelfrei wie sonst&comma; wo er ruhig in die Tiefe blicken konnte&comma; er schloß die Augen und ruhte&period; Die Sonne verbarg sich hinter schweren Wolken&comma; ein tiefer Schatten fiel aufs Dach und der junge Arbeiter schlief ein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Dachdecker&comma; hüte dich&comma; deine Arbeit ist gefährlich&comma; deine Ruhe ist’s noch mehr&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Drunten in der Straße wogten die Menschen hin und her&comma; bis ein Mann plötzlich stehen blieb&period; Er hatte nach der dunkeln Wolke geschaut&comma; die sich am Himmel zusammenballte&comma; und da hatte er die Gestalt auf dem Dache wahrgenommen&period; Andere Vorübergehende folgten unwillkürlich seinem Blick und blieben ebenso an den Platz gebannt stehen wie der erste&period; Was war dem Mann&quest; Er lag da wie tot&period; Nein&comma; jetzt rührte er sich ein wenig&semi; der Arm&comma; den er am Kopf gehalten hatte&comma; sank langsam herunter über das Dach&period; Das Gesicht war halb verdeckt von der Mütze&period; Schlief er oder war er vom Hitzschlag getroffen&quest; Von Mund zu Mund gingen diese Fragen in der immer mehr anwachsenden Menge&comma; die mit Grauen in die Höhe blickte zu dem in Todesgefahr schwebenden Mann&period; Schutzleute kamen hinzu&period; »Der Mann muß gerettet werden&comma; aber wie&quest; Durch die Dachkammer kommt man schwer bei&comma; von unten wird’s besser gehen&comma; mit der Leiter&comma; mit der großen Feuerwehrleiter&semi; man muß die Feuerwehr benachrichtigen&comma; aber schnell&comma; schnell&semi; wenn der Mann eine Bewegung macht&comma; so stürzt er herunter in die Tiefe&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Einige eilten davon&comma; die Feuerwehr zu holen&period; Inzwischen füllt sich die ganze Straße&comma; Kopf an Kopf steht die Menge&comma; Wagen halten&comma; sie können nicht durch das Gedränge kommen&period; Aber trotzdem ist alles still und von Mund zu Mund geht die Losung&colon; »Nur leise&comma; daß der Mann nicht unruhig wird&comma; sonst ist er verloren&period;« Ergreifend ist die Stille und die Spannung&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Plötzlich entsteht eine Bewegung in der Menge&colon; »Macht Platz&comma; eine Frau ist ohnmächtig geworden&period; Es ist seine Mutter&comma;« sagen die Leute&comma; »macht Platz für die Mutter&period;« Sie ist’s ja nicht&comma; sie ist ein ehrsames altes Jüngferlein&comma; aber die Leute meinen es und machen willig und teilnahmsvoll Platz&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Kommt denn die Feuerwehr immer noch nicht&quest; Sie ist doch sonst so schnell zur Stelle&period; In Wahrheit sind erst ein paar Minuten verstrichen&comma; seit man sie benachrichtigt hatte&comma; aber sie erschienen wie eine Ewigkeit&period; Und jetzt saust sie daher mit Blitzesgeschwindigkeit&comma; die Helme der Männer glänzen in der Sonne&period; Vor dem Haus wird die Leiter aufgestellt&comma; das große Rad gedreht&comma; bis die Leiter sich höher und immer höher aufrichtet und die obersten Sprossen endlich ganz nahe der Stelle am Dach kommen&comma; wo der Mann liegt&period; Ein Feuerwehrmann steigt hinauf&period; Hunderte von Blicken folgen ihm&comma; in atemloser Spannung sehen alle&comma; wie der geübte Steiger in die schwindelnde Höhe kommt&comma; wie er sich seinem Ziele nähert und nun&comma; am Dach angelangt&comma; von der Leiter aus sich rasch und fest gegen den Daliegenden stemmt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Berührung weckte den Schläfer&comma; er schlug die Augen auf und sah mit Staunen einen Feuerwehrmann auf der Leiter vor sich&period; Der aber rief in demselben Augenblick&colon; »Vorsicht&comma; oder Sie fallen&excl;« und fest drückte er die Hände gegen den Arbeiter&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Keine Angst&comma;« sagte der Dachdecker&comma; »lassen Sie mich nur aufstehen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Schon recht&comma; wenn Sie können&excl; Wo fehlt’s denn&comma; warum liegen Sie da&quest; Ich glaube wahrhaftig&comma; Sie sind da oben eingeschlafen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und ein wenig beschämt sagte der junge Mann&colon; »Es muß schon so sein&comma; es war so heiß&comma; ich wollte nur ein wenig ruhen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Das hätte Ihnen das Leben kosten können&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Der Dachdecker richtete sich auf und staunend sah er drunten in der Straße die Volksmenge&comma; die&comma; als der Arbeiter sich erhob&comma; in Bewegung geriet und laut ihrer Freude Ausdruck gab&period; Den jungen Mann überkam eine mächtige Bewegung&comma; als er sah&comma; wie um seiner armen Person willen ein solcher Auflauf war&period; Furchtlos trat er vor an den äußersten Rand&comma; zog seine Mütze vom Kopf&comma; schwang sie in die Luft und rief laut hinunter&colon; »Hurra&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und fröhlich klang es aus vielen Kehlen wieder&colon; »Hurra&comma; Hurra&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Jetzt nur vorsichtig die Leiter herunter&comma;« sagte der Feuerwehrmann&comma; »daß nicht zuletzt doch noch ein Unglück geschieht&comma;« aber der Dachdecker deutete auf die Schieferplättchen&colon; »Ich kann noch nicht Feierabend machen&comma;« sagte er&comma; »ich muß an die Arbeit gehen und mein Weg führt durch die Dachluke&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Also gut&comma;« sagte der Feuerwehrmann&comma; »schlafen Sie nicht noch einmal ein auf dem Dache&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Mein Lebtag nimmer&comma;« sagte der Dachdecker&comma; »ich mach’ meinen Dank für die Lebensrettung&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Schon recht&period;« Der Feuerwehrmann stieg hinab&period; Die Menge drunten verlief sich&comma; die große Leiter wurde weggefahren&comma; bald hatte die Straße wieder ihr gewöhnliches Aussehen&comma; und droben auf dem Dach arbeitete der junge Dachdecker&period; Jetzt ging ihm die Arbeit flink aus der Hand&comma; er war nicht mehr müde&comma; hatte er doch ein gutes Schläfchen gemacht&semi; auch kamen ihm allerlei Gedanken über die Gefahr&comma; in der er geschwebt hatte&comma; über die hilfreichen Menschen und über Gott den Herrn&excl;<&sol;p>

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