Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Das kleine Dummerle und andere Erzählungen
(Agnes Sapper, 1904, empfohlenes Alter: 7 - 14 Jahre)

Regine Lenz

<p>Regine Lenz kam aus der Konfirmandenstunde heim&period; Wer es nicht wußte&comma; hätte nicht gedacht&comma; daß sie schon zu den Konfirmanden gehörte&semi; sie war wohl die kleinste von allen&comma; dabei schmal und schmächtig&semi; ein Persönchen&comma; das wenig Platz einnahm in der Welt und leicht zu übersehen war&period; Es achtete auch niemand viel auf sie&comma; als sie nun in die kleine Wohnung eintrat&comma; in der die Familie wohnte&period; Der Vater war um diese Nachmittagsstunde meist nicht zu Hause&comma; sondern irgendwo als Wegmacher an der Arbeit&semi; auch die zwei größeren Geschwister pflegten um diese Zeit nicht daheim zu sein&period; Deshalb wunderte sich Regine&comma; ihren Vater&comma; die älteste Schwester Marie und ihren Bruder Thomas zu treffen&comma; hingegen von der Mutter und dem jüngsten Brüderchen nichts zu sehen&period; Alle schienen mit ihren Gedanken beschäftigt&comma; und zwar mit unerfreulichen&comma; nach ihren düsteren Mienen zu schließen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Regine scheute sich zu fragen&comma; was vorgefallen sei&semi; denn sie galt im Haus noch als ein Kind&comma; das sich in die Angelegenheiten der Großen nicht einzumischen habe&period; Ihr Bruder Thomas griff jetzt nach seiner Mütze und ging ohne Gruß davon&comma; worauf Marie nach einem hoch aufgeputzten Hut langte&comma; ihn sich vor einem kleinen&comma; zersprungenen Spiegel zurechtsetzte und sich an Regine wandte&colon; »Ich muß jetzt fort&semi; sorg du für den Kleinen&period; Ich weiß nicht&comma; wo der hingelaufen ist&comma; du mußt ihn suchen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie ging und ließ Regine allein zurück mit dem Vater&comma; der in Gedanken versunken am Tisch saß&period; Es war alles so ganz anders als sonst&period; »Wo ist denn die Mutter&quest;« fragte nun doch Regine in dem unheimlichen Gefühl&comma; daß irgend etwas vorgefallen war&period; Der Vater blickte auf&period; »Weißt du’s nicht&quest; Du brauchst es auch nicht zu wissen&period; Sie kommt aber nicht so schnell wieder&comma; die Mutter&period; Daß du mir ordentlich aufs Feuer achtest und daheim bleibst&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Er erhob sich schwerfällig&comma; nahm seine Mütze und ging langsam mit gesenktem Kopf davon&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Wo war die Mutter hingegangen&quest; Regine konnte es nicht begreifen&semi; es wurde ihr bang und immer bänger zumute in der verlassenen Stube&period; Es wunderte sie&comma; daß sie nach dem Kleinen sehen sollte&semi; er war also nicht bei der Mutter&comma; während er sonst immer an ihrem Rocke hing und der Mutter Liebling war&period; Wo mochte er jetzt sein&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie ging in den Hof und dann hinaus auf die Straße&comma; wo ein kalter Wind blies und die Dämmerung sich schon herniedersenkte&period; Sie suchte nach dem Kleinen und fand ihn endlich ganz erfroren an der nächsten Straßenecke stehen&period; Ein schmächtiges Bübchen war der kleine Hansel&comma; aber ein feines Gesichtchen hatte er&comma; und seine blonden Locken waren der Mutter Stolz&period; Er stand an der Ecke und sah die Straße hinauf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Hansel&comma;« rief ihn die Schwester an&comma; »komm heim&period; Hast ja ganz kalte Hände&semi; was tust du denn da&quest;« – »Ich wart auf die Mutter&comma; schon so lang&comma;« sagte er kläglich&period; Ob der Kleine etwa wußte&comma; wo die Mutter war&quest; Regine fragte das Kind&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Dorthin ist sie&comma;« sagte er&comma; die Straße hinauf deutend&period; »Der Mann hat sie geholt&comma; der&comma; mit den großen goldenen Knöpfen&period; Sie hat doch gar nicht mit ihm gewollt und hat geweint&period; Warum hat sie denn gestohlen&quest; Was heißt das ›gestohlen‹&quest; Wohin führt sie jetzt der Mann&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Regine konnte die Fragen nicht beantworten&semi; sie war zu sehr bestürzt über die Schuld der Mutter&comma; die das unschuldige Kind ihr verriet&period; Jetzt begriff sie alles&semi; die Mutter war in das Gefängnis geführt worden&excl; Mit Mühe konnte sie das Kind überreden&comma; mit ihr heimzugehen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Unter der Haustüre stand die Hausfrau mit einer Nachbarin und Regine hörte sie sagen&colon; »Pelzwerk hat sie gestohlen und beim Trödler verkauft&period;« Nun schwiegen die Frauen&semi; sie sahen die zwei Geschwister kommen und hörten den Kleinen rufen&colon; »Ich will aber auf die Mutter warten&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Hansel&comma; da kannst du lang warten&comma;« sagte die Hausfrau und sah das kleine Bübchen mitleidig an&period; Regine&comma; die beschämt und mit gesenkten Augen an den beiden Frauen vorbei das Brüderchen in das Haus zog&comma; hörte sie noch sagen&colon; »Die ganze Familie ist nichts nutz&semi; die große Tochter treibt es auch schon wie die Mutter&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nun ging Regine in das Zimmer und zog die Türe hinter sich zu&semi; sie mochte nichts weiter hören&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Was war das für ein langer und trauriger Abend&excl; Der Kleine ließ sich endlich zu Bett bringen und weinte sich in Schlaf&period; Regine saß allein an dem großen Tisch&comma; dachte an die Mutter&semi; wo sie wohl wäre&comma; und ob sie Heimweh hätte nach ihrem Liebling&period; Sie hätte gerne gewußt&comma; wie man den Diebstahl entdeckt hatte&period; Schon manchmal hatte die Mutter&comma; wenn sie da und dort in die Häuser ging&comma; etwas mitgenommen&comma; und Regine hatte den Vater warnen hören&colon; »Man wird dich schon einmal erwischen&period;« Aber er nahm doch auch gerne an&comma; was die Mutter »gefunden« hatte&comma; wie sie das nannte&period; Marie&comma; die große Tochter&comma; hatte auf diese Weise manches Schmuckstück bekommen&comma; die Mutter putzte so gerne ihre schöne Tochter&period; Sie versorgte auch Thomas mit seiner Wäsche&comma; und dem kleinen Hans steckte sie oft gute Sachen zu&period; Nur sie selbst&comma; Regine&comma; wurde selten bedacht&period; Die Mutter hatte an ihr nicht das Wohlgefallen&comma; wie an den Großen&comma; und nicht den Spaß&comma; wie an dem Kleinen&period; Regine wußte das und es kam ihr natürlich vor&period; War sie doch nicht schön wie Marie&comma; nicht gescheit wie Thomas&comma; nicht lustig wie der Kleine&semi; nein&comma; sie war auch in ihren eigenen Augen unter allen die geringste&period; Aber das hatte sie nie bedrückt&semi; sie war in der Schule immer so leidlich mitgekommen&comma; ohne Lob und Tadel&comma; ohne Freundschaft und Feindschaft&comma; und war guten Mutes ihren Weg gegangen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber nach dem&comma; was jetzt vorgefallen&comma; war ihre Seelenruhe dahin&period; Als sie sich am nächsten Morgen auf den Schulweg machte&comma; war es ihr&comma; als müßten alle Kinder ihr die Schande des Hauses ansehen&period; Die Worte der Nachbarin&colon; »Die ganze Familie ist nichts nutz&comma;« klangen ihr noch im Ohr&semi; sie gehörte doch auch zur Familie&comma; sie war also »nichts nutz«&period; Die Mitschülerinnen sahen sie aber doch nicht mit anderen Augen an als sonst&comma; und die Schulstunden gingen vorüber wie jeden Tag&period; Nach der Schule kam aber der Konfirmanden-Unterricht&period; Wenn hier nun die Schande des Hauses bekannt würde&comma; wenn gar der Pfarrer selbst davon gehört hätte&quest; Wie schrecklich mußte ihm dies vorkommen&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Es saßen wohl siebzig Mädchen im Konfirmanden-Unterricht beisammen&period; Dem Pfarrer waren nicht all diese Kinder und ihre Familien persönlich bekannt&semi; auch von der Familie Lenz kannte er nur Regine und diese nicht näher&period; Sie steckte so mitten unter den Vielen&comma; und ihre kleine Gestalt verschwand hinter den vor ihr Sitzenden&period; Heute war ihr das lieb&semi; sie hätte sich gerne noch dünner gemacht&comma; so dünn&comma; daß alle Menschen sie übersehen hätten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber sie hatte sich unnötig geängstigt&semi; die Stunde verlief wie alle vorhergehenden&comma; und als ihr auch die nächsten Tage kein Zeichen brachten&comma; daß jemand von dem Vorgefallenen wisse&comma; beruhigte sie sich allmählich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Auch daheim war nicht oft davon die Rede&comma; bis eines Tages der Vater mitteilte&colon; »Heute war die Verhandlung vor Gericht&period; Am nächsten Montag kommt die Mutter fort in die Strafanstalt nach S&period; Vier Monate muß sie sitzen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»So lang&excl;« rief Marie&comma; die Älteste&comma; betroffen&comma; und darauf fing der Kleine laut an zu schluchzen&period; Reginens erster Gedanke war&comma; daß die Mutter dann nicht bis zu ihrer Konfirmation zurück sein würde&period; Man brauchte so manches für diesen Tag&comma; wer würde ihr das Nötige verschaffen&quest; »Vater&comma;« sagte sie bekümmert&comma; »das geht doch gar nicht&semi; die Mutter wäre ja dann nicht hier&comma; wenn ich eingesegnet werde&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wenn sonst nichts wäre&comma;« entgegnete der Vater&semi; »so wichtig wird das nicht sein&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber Regine erschien das sehr wichtig&period; Sorgenvoll ging sie heute in den Unterricht&semi; saß stiller als sonst an ihrem Platz und hob nur selten die Hand auf als Zeichen&comma; daß sie gerne eine Frage des Geistlichen beantwortet hätte&semi; und als nun gar diese Fragen von der Unehrlichkeit handelten&comma; von dem dunklen Punkt in der Familie Lenz&comma; da rührte sie sich nicht mehr und rückte hinter den breiten Rücken der vor ihr Sitzenden&comma; um dem Pfarrer ganz aus dem Gesicht zu kommen&period; Es war aber&comma; als ob dieser es bemerkte&semi; denn plötzlich rief er sie bei Namen und richtete eine Frage an sie&period; Regine erhob sich&semi; sie wußte die Antwort und öffnete schon den Mund&comma; um zu sprechen&period; – Da stockte sie plötzlich und kehrte sich um nach dem Mädchen&comma; das hinter ihr saß&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun&comma; Regine&comma;« mahnte der Pfarrer&period; Da wandte sie ihm wieder ihr Gesicht zu&comma; aber das war wie verwandelt&comma; von Röte ganz übergossen&period; Sie machte doch noch einen Versuch zu antworten&comma; aber Tränen erstickten ihre Stimme&period; In großer Not bedeckte sie das Gesicht mit ihrem Arm und schwieg&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Hinter ihr flüsterten und kicherten die Mädchen&comma; bis der Pfarrer dicht an die Bank herantrat und fragte&comma; was es gäbe&period; Regine antwortete nicht&semi; aber die neben ihr Sitzende sprach&colon; »Ich hörte Emilie Forbes sagen&colon; Regine Lenz muß ja wissen&comma; was unehrlich heißt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sogleich erhob sich Emilie Forbes und sagte lebhaft&colon; »Nun ja&comma; es ist gestern in der Zeitung gestanden&comma; daß ihre Mutter wegen Diebstahls zu vier Monaten Gefängnis verurteilt wurde&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Still&excl;« rief der Pfarrer so laut und streng&comma; daß all seine Schülerinnen an dem ungewohnten Ton erschraken und lautlos nach Regine sahen&comma; die sich gesetzt hatte und das Gesicht mit den Händen bedeckte&comma; da sie aller Augen auf sich gerichtet fühlte&comma; als ob sie selbst die Diebin wäre&period; Aber nicht gegen sie wandte sich nun der Pfarrer&semi; an Emilie Forbes richtete er verweisende Worte&colon; »Ob deine Anschuldigung wahr ist&comma; weiß ich nicht&comma;« sagte er&semi; »aber das weiß ich&comma; daß es lieblos und ganz unverzeihlich von dir ist&comma; solche Worte zu sagen&period; Fühlst du nicht&comma; daß du Regine damit wehe tust&quest; Und kann sie etwas dafür&comma; wenn ihre Mutter ein Unrecht begangen hat&quest; Nein&comma; sie selbst kann so ehrlich sein wie jede von euch und dabei nicht so herzlos wie du&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Tiefe Stille herrschte in dem Saal&comma; und als der Pfarrer wieder den unterbrochenen Unterricht fortsetzte&comma; war ihm wohl anzumerken&comma; daß ihn das Vorgefallene noch bewegte&period; Er fühlte&comma; daß in dieser Stunde seine kleine Konfirmandin etwas erlebt hatte&comma; was sie nie im Leben wieder vergessen würde&comma; ja&comma; was ihr auch schaden mußte&period; Man hatte ihre Ehre angetastet&semi; das hätte er gerne wieder gut gemacht&comma; gleich in derselben Stunde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Regine Lenz hielt die Blicke gesenkt und sah nicht mehr um sich während des Unterrichts&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Dieser ging zu Ende&semi; die Bücher waren geschlossen&comma; ein Liedervers sollte noch gesungen werden&period; Die Kinder sahen gespannt auf den Geistlichen&period; Warum stimmte er nicht an&quest; Sie ahnten&comma; daß er noch etwas sprechen würde über das Vorgefallene&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Regine Lenz&comma;« rief er nun&comma; »komm zu mir&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Gesenkten Hauptes folgte das Mädchen dem Ruf&comma; und wiewohl sie nicht um sich sah&comma; spürte sie doch&comma; daß alle Blicke auf sie gerichtet waren&period; Der Pfarrer näherte sich ihr&comma; und in freundlichem Ton&comma; aber doch laut&comma; daß alle Kinder ihn hören mußten&comma; sprach er&colon; »Sieh&comma; weil ich weiß&comma; daß du ehrlich bist&comma; und damit alle deine Mitschülerinnen sehen&comma; daß ich dir ganz und gar vertraue&comma; deshalb gebe ich dir hier meine Geldbörse&semi; die sollst du in das Pfarrhaus tragen und meiner Frau bringen&period; Es ist viel Geld darin&comma; aber wieviel&comma; weiß ich nicht&semi; ich zähle es auch nicht&comma; weil du ehrlich bist und ich dir ganz und gar vertraue&period; Nun geh du voraus&comma; wir andern wollen noch singen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Regine ging wie im Traum durch das stille Schulgebäude und trat durch das weite Tor hinaus in die belebte Straße&period; Krampfhaft fest hielt sie die Börse in der Tasche ihres Kleides&comma; und während sie ihres Weges ging&comma; wiederholte sie sich immer wieder die Worte des Pfarrers&colon; »Weil ich weiß&comma; daß du ehrlich bist und ich dir ganz und gar vertraue&period;« Zweimal hatte er es ausgesprochen&comma; alle hatten das gehört und wußten nun&comma; daß sie ehrlich war&period; Und sie wußte es jetzt auch&comma; erst jetzt&semi; denn bisher hatte ihr doch niemand etwas anvertraut&semi; sie trauten sich alle einander nicht daheim in der Familie&period; Jedes nahm&comma; was es erwischen konnte&comma; und jedes versteckte&comma; was es behalten wollte&period; Und sie&comma; die sich bisher nicht besser gedünkt hatte als die andern&comma; sie hatte nun eine fremde&comma; volle Börse in der Tasche&semi; ungezähltes Geld&comma; von dem sie nehmen konnte ohne Gefahr der Entdeckung&period; Aber sie kam gar nicht in Versuchung&comma; natürlich nicht&semi; der Pfarrer hatte ja erklärt&comma; sie sei ehrlich&comma; und wenn sie es vorher vielleicht nicht war&comma; – in dieser Stunde hatte das Vertrauen des Pfarrers sie dazu gemacht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Immer die Hand fest in der Tasche und die Börse darin haltend&comma; ging Regine den Weg nach dem Pfarrhaus&comma; bis sie plötzlich aus ihren Gedanken geschreckt wurde durch den Ruf&colon; »Na&comma; wohin läufst denn du und siehst einen nicht&comma; wenn man dicht neben dir ist&quest;« Sie blickte auf&period; Ihr Bruder Thomas schlenderte die Straße herab&period; Er kam aus der Druckerei&comma; in der er für eine der schlechtesten Zeitungen der Stadt als Setzer arbeitete&period; Thomas war siebzehn Jahre alt&comma; einen guten Kopf größer als Regine&comma; ein aufgeweckter Bursche&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wo gehst du hin&comma;« fragte er noch einmal&comma; »und was hältst du in der Tasche&quest;« Regine erschrak&comma; denn im Augenblick wußte sie&colon; gegen den Bruder konnte sie nicht aufkommen&semi; nie&comma; er war immer der Stärkere&comma; immer der Klügere&period; Wohl zog sie die Hand leer aus der Tasche&semi; aber er hatte doch schon bemerkt&comma; daß sie einen Schatz darin hatte&period; Ach&comma; sie hätte diesen so gerne vor ihm verborgen&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Er sah ihre Verlegenheit und lachte&colon; »Mach lieber keine Umstände&comma;« rief er&comma; »es hilft dir doch nichts&period; Treibst du’s auch schon wie die Mutter&quest; Was versteckst du in der Tasche&quest;« – Da blickte sie auf zu ihm und sagte leise&colon; »Ich will dir’s erzählen&comma; Thomas&comma; aber es darf es niemand hören&semi; komm&comma; wir gehen weiter&period;« Und nun erzählte sie mit gedämpfter Stimme&colon; »Vorhin hat in der Konfirmandenstunde eine&comma; Emilie Forbes heißt sie&comma; dem Pfarrer erzählt&comma; daß die Mutter sitzt wegen Diebstahls&period; Ich bin schier vergangen vor Scham&period; Aber der Herr Pfarrer hat gar nichts gegen die Mutter gesagt&comma; bloß gegen die Forbes&period; Und zuletzt hat er mich vorgerufen&comma; und vor allen hat er laut gesagt&comma; daß ich ehrlich sei und daß er mir ganz und gar vertraue&period; Und damit das alle sähen&comma; gäbe er mir seine volle Geldbörse&comma; ungezählt&comma; die solle ich seiner Frau bringen&period; Und dann habe ich vor dem Singen gehen dürfen&comma; und jetzt muß ich die Börse ins Pfarrhaus bringen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Diese Handlung des Pfarrers kam dem jungen Burschen fast unglaublich vor&period; »Es wird nichts als Kupfergeld in der Börse sein&comma;« sagte er&comma; »oder sie hat einen Verschluß&comma; den du nicht aufbringst&semi; zeig sie her&excl; Mach keine Umstände&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Regine gehorchte&semi; sie wußte gar nicht anders&comma; als daß sie tun mußte&comma; was die Großen wollten&period; So zog sie die Börse aus der Tasche und sah mit Angst und Zittern&comma; wie der Bruder sie begierig ergriff&comma; öffnete und mit den Fingern hineinfuhr&period; Zunächst war nur Kleingeld zu sehen&comma; aber die Börse hatte ein Seitenfach und aus diesem blinkten den Geschwistern mehrere Goldstücke entgegen&period; »Respekt&excl;« rief der Bruder bei diesem Anblick&period; Dann sah er der Schwester&comma; die jeder seiner Bewegungen gespannt folgte&comma; scharf in das aufgeregte Gesicht&period; »Und du nimmst nichts heraus&quest;« fragte er sie&period; Sie schüttelte nur den Kopf&period; Da betrachtete er nachdenklich einige Augenblicke seine Schwester&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Respekt&excl;« wiederholte er noch einmal&semi; aber diesmal galt der Ausruf nicht dem Geld&comma; sondern Regine&period; Die kleine Schwester flößte dem großen Bruder Achtung ein&period; Noch einen Moment zauderte er&semi; dann schloß er sorgfältig wieder die Börse und gab sie der Schwester zurück&period; Diese&comma; erlöst von einer großen Angst&comma; sah voll Glück und Dank zu dem Bruder auf und sprach ganz im Ton des Pfarrers&comma; wie ihr die Worte im Ohr klangen&colon; »Du bist ehrlich&semi; dir vertraue ich ganz und gar&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ein paar Vorübergehende hörten diese feierlich gesprochenen Worte und sahen dem Paar erstaunt lächelnd nach&period; Aber Regine sah und hörte nichts von den Menschen um sie herum&semi; sie war ganz und gar von Freude und von mancherlei neuen Empfindungen bewegt&period; »Begleite mich noch bis zum Pfarrhaus&comma;« sagte sie zu dem Bruder&comma; und dieser folgte zum erstenmal der Schwester&period; Sie sah wieder vertrauensvoll zu ihm auf und sagte&colon; »Jetzt kann die Hausfrau nicht mehr sagen&comma; die ganze Familie sei nichts nutz&semi; wenn ich doch ehrlich bin und du auch&period; Wir zwei halten jetzt immer zusammen&comma; gelt&comma; Thomas&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Der Bruder sah verwundert auf sein schmächtiges Schwesterlein&period; »Wir zwei&comma;« sagte sie&comma; wie wenn sie seinesgleichen wäre&period; Eigentlich war es zum Lachen&comma; daß die Kleine ihn zum Bundesgenossen aufforderte&comma; ihn&comma; den kräftigen jungen Mann&period; Aber er fühlte&comma; hier war doch auch eine Kraft&comma; wenn auch keine körperliche&period; Der Wille zum Guten war es&comma; der heute in dieser jungen Seele lebendig geworden war und nun auch in ihm das Beste wachrief&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie waren bis an das Pfarrhaus gekommen&period; »So&comma;« sagte Thomas&comma; »mach deine Sache geschickt&semi; gib das Geld niemand anderem als der Frau Pfarrer selbst&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Regine fragte nach der Pfarrfrau&comma; und das Dienstmädchen&comma; das es im Zimmer meldete&comma; fügte hinzu&colon; »Es wird ein Bettelmädchen sein&period;« Daher war auch die Pfarrfrau&comma; als sie herauskam&comma; doppelt erstaunt&comma; daß dieses Kind ihr die volle Börse ihres Mannes überreichte&period; Sie fragte wohl&comma; woher und wieso&comma; allein die Sache blieb ihr doch rätselhaft&semi; denn Regine war verlegen&comma; gab nicht viel Antwort&comma; sondern schlüpfte baldmöglichst wieder zur Türe hinaus&period; Erst mittags konnte der Pfarrer erklären&comma; was es für eine Bewandtnis mit dem Gelde hatte&period; »Vielleicht hat aber das Mädchen doch etwas genommen&comma;« meinte seine Frau&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich glaube es nicht&comma;« entgegnete der Pfarrer bestimmt&comma; »und wenn auch&comma; – durfte ich nicht ein Goldstück daran wagen&comma; um einem jungen Menschenkind einen ehrlichen Namen zu geben&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>In der nächsten Stunde suchte des Pfarrers Blick sofort diejenige&comma; um die er sich inzwischen gesorgt hatte&comma; denn hatte er sie nicht selbst in Versuchung geführt&quest; Da begegnete sein Blick dem ihrigen&comma; der voll Liebe und Vertrauen auf ihn gerichtet war&comma; und verscheuchte seinen letzten Zweifel&period; Er nickte ihr freundlich in stillem Einverständnis zu&period; Nicht ein einziges Mal verschwand in dieser Unterrichtsstunde Reginens Gestalt hinter den Mitschülerinnen&semi; immer war sie zwischendurch zu sehen&comma; als ob sie gewachsen wäre&comma; die Kleine&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Daheim hatte sie nichts erzählt von dem Erlebten&semi; aber am nächsten Sonntag sollte es doch zur Sprache kommen&period; Denn als sie zusammen zu Mittag gegessen hatten&comma; redete Thomas plötzlich seine Schwester Marie an&colon; »Wenn die Mutter nicht da ist&comma; dann mußt du eben sorgen&comma; daß die Regine zur Konfirmation ihre Kleider bekommt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Marie sah ihn erstaunt an und lachte&period; »Seit wann sorgst du für Regine&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Sie muß doch haben&comma; was sich gehört&comma;« entgegnete der Bruder ärgerlich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wenn der Vater Geld hergibt&comma;« sagte Marie&comma; »dann schon&semi; aber ich kann nicht alles hergeben für die Kleine&period; Sie könnte auch selbst manchmal etwas heimbringen&comma; in ihrem Alter war ich längst nicht mehr so dumm&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Dafür ist sie ehrlich&comma;« sagte Thomas&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wer ist ehrlich&quest;« fragte der Vater&period; Er hatte bisher nur mit halbem Ohr zugehört&semi; aber das hätte er doch gerne gewußt&comma; wer in seiner Familie ehrlich sei&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Die da&comma; die Konfirmandin&period; Der Pfarrer hat es ja vor allen gesagt&semi; und sie hat seine Börse voll Gold und Silber&comma; ungezählt&comma; ins Pfarrhaus tragen müssen und hat keinen Pfennig heraus genommen&period; Ich aber auch nicht&semi; Regine hat mir auf die Finger gesehen&period; Ich glaube&comma; sie hätte mir einen abgebissen&semi; ist’s nicht wahr&comma; du&quest;« Die beiden Verbündeten sahen sich vergnügt an&comma; worüber Marie große Augen machte&comma; denn sie konnte die Geschwister nicht begreifen&period; Der Vater sah nachdenklich auf Regine&period; »Ehrlich ist sie&quest;« wiederholte er wie verwundert&comma; und nach einer Weile&colon; »Ein anständiges Gewand soll sie bekommen zu ihrer Einsegnung&semi; daran darf’s nicht fehlen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die Wochen vergingen&semi; schon war ein Monat verflossen&comma; seitdem die Mutter das Haus verlassen hatte&period; Ein einziges Mal waren Nachrichten aus dem Gefängnis gekommen&semi; einen Brief voll Heimweh hatte sie geschrieben&comma; voll Sehnsucht nach dem Kleinen vor allem&period; Und dieser entbehrte auch am meisten die Mutter&period; Wenn die Großen morgens alle das Haus verließen&comma; legten sie wohl mancherlei zu essen hin&comma; oder sie brachten ihn zu einer mitleidigen Nachbarin&colon; aber doch trieb sich der Kleine viele Stunden auf der Straße herum&semi; sehnsüchtig ausschauend&comma; ob nicht die Mutter endlich wieder die Straße herunterkäme&comma; in der sie vor seinen Augen verschwunden war&period; Sie trösteten das Kind manchmal&comma; Regine komme jetzt bald ganz aus der Schule und bleibe dann immer bei ihm wie früher die Mutter&period; Nur noch vier Wochen mußte sie die Schule besuchen&comma; das war nicht mehr lang&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nein&comma; nicht lang&comma; und doch zu lang für das mutterlose Kind&period; Einmal fand Regine es ganz durchkältet&comma; die Schuhe und Strümpfe vollständig durchnäßt&comma; die Füße eiskalt von dem geschmolzenen Schneewasser&comma; in dem es herumgestiegen war&period; Weinend saß der Kleine auf der steinernen Hausstaffel und zitterte am ganzen Körper&period; Nun wurde er freilich zu Bette gebracht&comma; und als er nachts fieberte&comma; holten sie den Arzt zu ihm&period; Marie blieb nun von der Fabrik daheim und pflegte mit Liebe den kleinen Bruder&semi; aber die Fürsorge kam doch zu spät&comma; und ehe sie nur recht gewußt hatten&comma; daß das Kind in Lebensgefahr schwebte&comma; war es schon einer Lungenentzündung erlegen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>In großer Bestürzung standen sie alle an dem Bett des Kleinen&comma; und ein Gedanke beherrschte die ganze Familie&colon; der Gedanke an die Mutter&period; Wie würde sie die Nachricht ertragen&excl; Was mußte das einst für ein Heimkommen sein&comma; wenn sie ihren Liebling nicht mehr fände&excl; Und welche Vorwürfe würde sie ihnen machen&excl; Hätte man das Kind nicht unter Tags in Kost geben können&comma; oder in eine Kinderschule schicken&quest; Aber all diese Gedanken kamen zu spät&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die kleine Leiche war schon zur Erde bestattet&comma; und noch hatte niemand sich entschließen können&comma; der Mutter die Trauerbotschaft zu schreiben&period; Der Vater tat es endlich mit wenigen kurzen Worten&comma; das Briefschreiben war ihm ungewohnt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Es kam darauf keine Antwort von der Mutter&period; Durfte sie nicht schreiben&comma; oder war sie krank geworden vor Kummer&quest; Zürnte sie ihnen&comma; daß sie das Kind nicht besser behütet hatten&quest; Sie hörten nichts von ihr&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Pfarrer&comma; Reginens Pfarrer&comma; hatte das Kind beerdigt und bei diesem Anlaß Einblick in die Familie getan&semi; auch war ihm so manches über sie bekannt geworden&comma; was ihn für seine Konfirmandin besorgt machte&period; Er hatte das Gute&comma; das in ihr schlummerte&comma; geweckt&period; Es lebte jetzt in ihr&comma; aber es mußte gepflegt werden&period; So hätte er dies Mädchen gern in andere Verhältnisse versetzt&comma; wo es unter ehrlichen Menschen sich in der Ehrlichkeit befestigen konnte&period; So manches Mal beriet er mit seiner Frau darüber&semi; aber wo sollte man ein so kleines Mädchen unterbringen&comma; von dem man nicht einmal rühmen konnte&colon; es ist aus gutem Haus&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Endlich fand sich doch Rat&comma; und eines Tages wurde Regine wieder von dem Pfarrer aufgefordert&comma; nach der Stunde in das Pfarrhaus zu gehen&period; Dort wurde sie freundlich empfangen von der Pfarrfrau&comma; die eine lebhafte&comma; eifrige Frau war&period; Man merkte ihr wohl an&comma; wie sie sich freute&comma; daß sie für Regine ein gutes Plätzchen gefunden hatte&period; »Es ist bei meiner Schwester&comma;« erzählte sie ihr&comma; »bei einer Pfarrfrau auf dem Lande&period; Sie hat kleine Kinder&comma; herzig nette Kinderchen&semi; und ein ehrliches treues Dienstmädchen&comma; das aber nicht mehr allein mit der Arbeit fertig wird&period; Dort kannst du helfen&comma; wirst immer unter guten Menschen sein und selbst ein solcher werden&comma; und das möchtest du doch gewiß&quest;« Regine bejahte aus aufrichtigem Herzen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Und ein Taschengeld sollst du auch bekommen&comma;« fuhr die Pfarrfrau fort&comma; »fünf Mark im Monat&comma; und nach einem Jahr&comma; wenn du dich bewährst&comma; erhältst du das Doppelte&period; Bis dahin wirst du in der frischen Landluft und bei der guten Kost groß und stark geworden sein&period; Nun geh nur heim und erzähle es deinem Vater&semi; der wird sich freuen&comma; und deine Schwester bittest du&comma; daß sie dir die nötige Wäsche und Kleider richtet&period; Gleich nach der Konfirmation müßtest du abreisen&comma; denn meine Schwester möchte am liebsten schon heute eine Hilfe&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Regine eilte&comma; ganz erfüllt von diesem Lebensplan&comma; nach Hause&period; Sie fühlte sich so stolz und glücklich&comma; wie wenn sie sich schon als treue Pfarrmagd bewährt hätte&period; Wie würden sie sich daheim alle wundern über das Vertrauen&comma; »Respekt&excl;« würde Thomas wieder sagen&period; Und sie träumte sich hinein unter die guten&comma; feinen Menschen&comma; zu den herzigen Kindern&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Zu Hause saßen der Vater und Marie schon am Mittagstisch&comma; Thomas fehlte noch&period; Sie wollte mit ihrer Erzählung warten&comma; bis er käme&semi; aber als es eine Weile gedauert hatte&comma; konnte sie nicht mehr zurückhalten&comma; was ihr ganzes Herz erfüllte&period; »Die Frau Pfarrer weiß mir ein gutes Plätzchen&comma;« begann sie und wiederholte alles&comma; was sie darüber gehört hatte&period; Und nun erlebte sie eine schmerzliche Enttäuschung&period; Mit Hohn und Geringschätzung wurde von diesem »Plätzchen« gesprochen und dieses so heruntergemacht&comma; daß nichts&comma; aber auch gar nichts Gutes mehr daran blieb&period; Als Kummer und Scham ihr eben Tränen in die Augen trieben&comma; kam Thomas heim&comma; und beim Anblick dieses ihres Verbündeten faßte Regine wieder Mut&period; Ehe sie aber ein Wort an ihn richten konnte&comma; rief ihm schon Marie entgegen&colon; »Du&comma; als Magd will die Regine fortgehen&comma; aufs Land&comma; und fünf Mark Monatslohn bekommt sie&semi; was sagst du dazu&quest;« Und sie lachte laut&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Unsinn&comma;« entgegnete Thomas und schien gar nichts weiter wissen zu wollen&comma; sondern machte sich daran&comma; seine Suppe zu essen&period; Und die andern sprachen auch nichts mehr darüber&period; Regine verstand sie alle nicht&period; Warum wollten sie ihr denn das schöne Plätzchen nicht gönnen&quest; Sie brachte kein Wort mehr heraus während des Essens&comma; so bitter und schmerzlich war ihr zumute&period; Als aber der Vater sich anschickte wegzugehen&comma; rief sie&comma; während ihr die Tränen aus den Augen stürzten&colon; »Was soll ich denn dann der Frau Pfarrer sagen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Da sah Thomas die kleine Schwester überrascht an&semi; er merkte erst jetzt&comma; daß es sich für sie um eine Lebensfrage handelte&period; »Was ist’s eigentlich&comma; was will sie denn&quest;« fragte er&comma; und nun gab es ein lebhaftes Hin- und Herreden&period; »Verdingen will sie sich&comma;« rief Marie&comma; »statt daß sie in die Fabrik geht&comma; wo sie viel mehr verdient&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»So viel mehr ist’s zwar auch nicht&comma;« entgegnete jetzt der Vater&comma; »du rechnest immer nicht&comma; wieviel die Kost ausmacht&period; Im Dienst hat sie alles frei&comma; Kost und Wäsche&comma; das macht ein paar hundert Mark im Jahr&semi; und dabei wird sie vielleicht nicht so liederlich&comma; wie eine andere&comma; die ich kenne&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Marie lachte&period; »So soll sie gehen&semi; aber die Mutter tät’s nicht leiden&comma; wenn sie da wäre&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; das ist’s&comma;« sagte der Vater&comma; »sie will immer hoch hinaus mit ihren Töchtern&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; die Mutter&comma; das ist wahr&comma;« meinte auch Thomas&comma; »wenn sie heimkommt – das eine Kind ist tot&comma; das andere fort&semi; – Regine&comma; sei gescheit&comma; höre auf zu weinen&period; Sag dem Pfarrer&comma; es lasse sich nicht machen&comma; weil die Mutter fort sei&semi; er weiß ja schon davon und wird’s verstehen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Er sagte das freundlich&semi; aber Regine war doch nicht zufrieden mit ihrem Bundesgenossen&period; Er hatte nicht zu ihr gehalten&comma; und nun war es aus und vorbei mit ihrem schönen Plan&period; Der Vater und Marie gingen weg&semi; nur Thomas blieb an dem Tisch sitzen und las den Tagesanzeiger&period; Regine holte ihren Katechismus und setzte sich an das andere Ende des Tisches&comma; um zu lernen&period; Sie schlug das Buch auf&semi; da fiel ihr ein Blatt Papier entgegen&comma; groß und deutlich standen darauf von einer ihr unbekannten Handschrift geschrieben einige Worte&period; Unwillkürlich sagte sie laut&colon; »Wie kommt denn das in mein Buch&quest;« Thomas blickte von seiner Zeitung auf&period; »Was steht denn darauf&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nur ein Sprichwort&semi; ich weiß nicht&comma; wie das Papier in mein Buch kommt&period;« Gleichgültig schob sie es beiseite&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Zeig doch her&comma; was ist’s für ein Sprichwort&quest;« rief Thomas&comma; griff nach dem Blatt und las laut&colon; »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm&excl;« Er behielt das Papier in der Hand und starrte darauf&semi; während Regine wieder in ihren Katechismus sah und ganz erstaunt aufblickte&comma; als nach einiger Zeit ihr Bruder rief&colon; »Wer hat dir denn die Bosheit angetan&quest; Gewiß wieder die Emilie Forbes&excl; Weißt du nicht&comma; was das heißen soll&colon; Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm&quest;« Und als Regine ihn immer noch verständnislos ansah&comma; sagte er&colon; »Das heißt&comma; daß du auch nicht ehrlich bist&comma; weil es die Mutter nicht ist&period; Kannst das jetzt verstehen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ja&comma; jetzt begriff Regine&comma; was der Bruder meinte&semi; über und über errötete sie und sah das Blatt Papier an wie etwas Häßliches&comma; Feindseliges&period; »Aber das ist nicht die Schrift von Emilie Forbes&comma;« sagte sie nach einiger Zeit&period; – »Dann hat es jemand anders für sie geschrieben&semi; sie will natürlich nicht&comma; daß euer Pfarrer ihre Handschrift erkennt&comma; wenn du ihm das Blatt zeigst&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich zeige es ihm nicht&comma; sonst wird noch einmal vor allen davon gesprochen&period; O&comma; Thomas&comma; wenn doch die Mutter das nicht getan hätte&excl;« Sie stützte den Kopf in die Hände und weinte&period; Es war auch heute alles so traurig&semi; das gute Plätzchen durfte sie nicht annehmen&comma; und nun kam noch das dazu&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Bruder war erzürnt über Reginens Mitschülerin&period; »Ich schreibe dir auch einen Zettel&comma;« sagte er&comma; »den legst du in ihr Buch&comma; und an dem soll sie auch keine Freude haben&excl;« Nicht umsonst half er täglich als Setzer eine Zeitung drucken&comma; die voll Gift und Galle war&period; Eine scharfe Antwort kam ihm schnell in die Feder&comma; sie lautete nicht fein&period; Aber Regine wollte nichts davon wissen&comma; Thomas wurde ärgerlich&period; »So etwas läßt man sich doch nicht gefallen&excl;« sagte er&comma; »was hilft dein Weinen&quest; Wehren muß man sich&excl;« – Aber unter bitterem Schluchzen rief Regine&colon; »Es wird eben wahr sein&comma; Thomas&comma; was auf dem Zettel steht&semi; wir sind alle nicht ehrlich&comma; weil’s die Mutter nicht ist&period; Wenn das mit dem Apfel wahr ist&comma; so muß doch auch das mit uns wahr sein&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Thomas war betroffen von dieser Bemerkung und sah das Sprichwort auf dem Papier nachdenklich an&period; Aber bald sprach er tröstend zur Schwester&colon; »Nein&comma; nein&comma; es ist nicht wahr&period; Die Äpfel bleiben freilich liegen&comma; wo sie hinfallen&semi; aber wir Menschen können aufstehen&comma; und gehen&comma; wohin wir wollen&period; Und auf Diebeswegen gehen wir schon einmal nicht&comma; wir zwei&comma; gelt&comma; du&quest;« Da hob die Schwester vertrauensvoll den Kopf zu dem Bruder&comma; der jetzt wieder mit ihr im Bunde stand&period; Sie rückte näher zu ihm heran und sah ihm zu&comma; wie er nocheinmal ein Blättchen Papier beschrieb&period; »So&comma;« sagte er&comma; »das kannst du ruhig Emilie Forbes ins Buch schieben&semi; das ist jetzt ganz zahm&comma; und wenn es zufällig dein Pfarrer zu lesen bekäme&comma; so hätte er selbst nichts dagegen&period;« – Regine las&colon; »Ein Apfel bin ich nicht&comma; der nur so liegen bleibt&period; Ich bin ein Mensch und kann mich frei vom Platz bewegen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Zustimmend nickte sie&comma; so gefiel es auch ihr&period; »Das Blatt kannst du ihr frei in die Hand geben&comma; dann sieht sie gleich&comma; daß du dich nicht vor ihr fürchtest&period; Paß auf&comma; dann läßt sie ihre bösen Reden künftig bleiben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Als nach der nächsten Konfirmandenstunde Emilie Forbes eben ihre Bücher zusammenpackte&comma; wandte sich Regine nach ihr um&comma; schob ihr das Blatt Papier entgegen und sagte&colon; »Das gehört in dein Buch&period;« Betroffen sah das Mädchen auf die Worte&comma; die da standen&comma; und errötete beschämt&period; Aber sie geriet in noch größere Aufregung&comma; als sie bemerkte&comma; daß Regine vor allen andern Mädchen mit dem Pfarrer zugleich den Saal verließ&semi; gewiß in der Absicht&comma; mit ihm reden zu können&period; Darin hatte sie auch recht&comma; nur daß Regine nicht über das sprechen wollte&comma; was ihr Emilie Forbes angetan hatte&semi; nein&comma; sie mußte dem Pfarrer Bescheid geben wegen des schönen Plätzchens&comma; das sie nicht annehmen durfte&period; Zögernd brachte sie die ablehnende Antwort heraus&period; Dem Pfarrer war es sichtlich leid&comma; daß der Vorschlag seiner Frau nicht angenommen wurde&period; »Schade&comma; schade&excl;« sagte er&comma; »es wäre so gut für dich gewesen&period;« Gerne hätte er in dem Herzen des Mädchens gelesen&comma; ob die Abwesenheit der Mutter der wahre und einzige Grund der Ablehnung war&period; »Später&comma; wenn deine Mutter zurück ist&comma; dürftest du dann die Stelle annehmen&quest;« fragte er&period; Regine wußte nichts darauf zu antworten&period; Die Mutter war ja gerade diejenige&comma; die nichts vom Dienen wissen wollte&period; So blieb sie die Antwort auf diese Frage schuldig&period; Sie gingen noch eine Weile schweigend nebeneinander&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Zunächst ist da nichts zu machen&comma;« sprach jetzt der Pfarrer&comma; »vielleicht später&comma; wenn deine Mutter heimkommt&period; Das wird ein trauriges Wiedersehen geben&comma; Regine&comma; wenn die Mutter deinen kleinen Bruder nicht mehr findet&period; Du mußt sie dann recht lieb haben&comma; trotz dem was sie getan hat&period; Die Mutter lieben&comma; aber die Unehrlichkeit hassen&comma; so halte du es&comma; Regine&period; Und an deiner Konfirmation&comma; wenn du an den Altar trittst&comma; so denke daran&comma; was ich dir gesagt habe&semi; und wenn ich dir die Hand zum Segen aufs Haupt lege&comma; so werde ich auch daran denken&colon; das ist eine&comma; die hat einen schweren Kampf aufzunehmen&comma; die will die Mutter innig lieben&comma; aber die Unehrlichkeit grimmig hassen&semi; Gott gebe ihr die Kraft dazu&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Der letzte Sonntag vor der Konfirmation war gekommen&period; Regine saß am Nachmittag ganz allein zu Hause&semi; der Vater&comma; der Bruder&comma; die Schwester waren da- und dorthin gegangen&period; »Wenn du konfirmiert bist&comma; nehme ich dich auch einmal mit dahin&comma; wo’s lustig zugeht&comma;« hatte Marie versprochen&semi; obgleich sie selbst nicht mehr so lustig aussah wie früher&comma; sondern blaß und verstimmt war&period; Aber sie war doch gegangen&comma; und Regine war allein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Alle ihre Gedanken beschäftigten sich mit dem nächsten Sonntag&period; Gestern Abend hatte die Näherin ihr das schwarze Kleid gebracht&semi; es sah wie neu aus&comma; obwohl es aus dem der Schwester gemacht war&period; Sie nahm es aus dem Schrank und freute sich daran&period; Dann dachte sie an ihre Mutter&period; Man hörte gar nichts mehr von ihr&comma; sie war wie verschollen&period; Ob sie wohl wußte&comma; daß am nächsten Sonntag ihre Konfirmation war&quest; Wie traurig zu denken&comma; daß die Mutter eingesperrt in ihrer Keuche sitzen würde&comma; wie der Vater das immer nannte&semi; während andere Mütter in die Kirche kamen&comma; um zu sehen&comma; wie ihre Kinder eingesegnet würden&period; Das zu denken&comma; tat ihr weh&period; Sie wollte ihr auch einmal schreiben&comma; heute noch&comma; gleich jetzt&period; Sie sollte ja die Mutter lieb haben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So setzte sich Regine an diesem einsamen Sonntag Nachmittag hin und schrieb der Mutter einen langen Brief&semi; erzählte ihr von der Konfirmation und kam auch auf das verstorbene Brüderchen zu sprechen&comma; wie es immer nach der Mutter verlangt habe&comma; und unter Tränen beschrieb sie die Krankheit und den Tod des Kindes&period; Am nächsten Morgen bat sie den Bruder&comma; daß er den Brief überschreibe und besorge&period; Er las ihn und meinte&comma; wenn die Mutter nicht krank sei&comma; würde sie ihn ganz gewiß beantworten&period; Darauf hoffte nun Regine&comma; und dachte es sich schön aus&comma; daß sie zur Konfirmation wenigstens einen Brief bekommen werde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Allein die Woche verging&semi; der Tag der Konfirmation brach an&comma; und es kam kein Lebenszeichen von der Mutter&period; Regine dachte freilich an diesem Morgen kaum mehr daran&period; Ihre Gedanken waren erfüllt von der Feier&period; Sie mußte auch nicht allein zur Kirche gehen&period; Der Vater&comma; der am Sonntag Morgen gerne lange schlief&comma; wollte freilich nicht mit ihr gehen&semi; und Marie entschuldigte sich damit&comma; daß sie heute etwas Gutes kochen wolle&period; Aber Thomas begleitete sie&comma; und der war ihr doch der liebste&period; So gingen Bruder und Schwester zusammen&comma; und sie vertraute ihm an&comma; was der Pfarrer zu ihr gesagt hatte&comma; und sie sagte nicht&colon; »ich« soll die Mutter lieben und die Unehrlichkeit hassen&comma; sondern sie sagte »wir« und zog ihren Bundesgenossen mit herein in die Lebensaufgabe&comma; die ihr gestellt war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Vor der Kirche trennten sich die Geschwister&comma; der Bruder stieg auf die Empore und sah von oben&comma; wie unter dem Geläute der Glocken die Konfirmanden in langem Zug durch das Schiff der Kirche bis zu den Bänken vor dem geschmückten Altar kamen&period; Die Feier&comma; die er seit der eigenen Konfirmation nicht mehr mitgemacht hatte&comma; bewegte dem jungen Burschen das Herz&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als Regine an den Altar trat&comma; mochte manches Glied der versammelten Gemeinde denken&colon; Welch ein kleines&comma; schmächtiges Mägdlein&comma; noch ein ganzes Kind&excl; Und doch war vielleicht keine von all den Konfirmandinnen mit solchem Ernst bei der Einsegnung&comma; wie eben diese Kleine&period; Hatte ihr doch auch der Pfarrer versprochen&comma; daß er an sie denken wollte&period; Sie erinnerte sich an seine Worte und trat&comma; nachdem er sie eingesegnet hatte&comma; mit fröhlicher Zuversicht aus der Kirche heraus&comma; um den Kampf des Lebens aufzunehmen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Zu Hause sah es nicht festlich aus&period; Der Vater&comma; eben erst aufgestanden&comma; war mürrischer Laune&semi; und die Schwester von eigenen Gedanken hingenommen&comma; die nicht erfreulich schienen&period; Doch hatte sie der Konfirmandin zu Ehren ein gutes Essen gekocht&comma; das nun in aller Stille verzehrt wurde&period; Seit dem Tod des Kleinen war es immer still beim Essen&period; Plötzlich ging die Türe leise auf&comma; und in ihrem Rahmen erschien eine blasse Frau mit abgehärmten Zügen und sah mit großen&comma; traurigen Augen auf die Anwesenden&period; Ein Ausruf des Erstaunens entfuhr allen&colon; »Die Mutter&excl;« Und da alle&comma; wie vor einem Gespenst erschreckend&comma; sie ansahen&comma; so blieb die Gestalt wie gebannt an der Türe stehen und rührte sich nicht&period; Einen Augenblick währte die Bestürzung&comma; dann erhob sich der Mann und ging auf seine Frau zu&period; »Wie kommst du heute hierher&quest;« fragte er&period; »Ich glaube gar&comma; du bist heimlich entwichen&period;« – »Nein&comma; nein&comma;« sagte die Frau und trat nun näher an den Tisch heran&semi; »ich habe meinen Entlaßschein&comma; ich bin frei&period; Die Hälfte der Zeit ist mir erlassen worden wegen guter Führung&comma; auch wegen meiner Kränklichkeit und aus Rücksicht auf die Kinder&period; Zum Konfirmationstag haben sie mich entlassen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nachdem sie dies gesagt hatte&comma; blickte sie nach der Stelle&comma; wo noch immer das leere Kinderbett stand&semi; wandte sich dorthin&comma; warf sich schluchzend über das Bettchen und rief in lautem Jammer&colon; »Mein Hansel&comma; mein gutes&comma; gutes Kind&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie standen alle erschüttert und mit schlechtem Gewissen diesem Kummer gegenüber&comma; und jeden Augenblick erwarteten sie&comma; daß die Mutter sich mit Vorwürfen an sie wenden würde&period; Aber sie schien nicht an sie zu denken&period; »O Kind&excl;« rief sie&comma; »ich bin schuld&comma; daß du gestorben bist&period; Deine Mutter hat dich verlassen&comma; und sie hat dich doch so lieb gehabt&excl; Hätte ich nur bei dir sein und dich noch ein einziges Mal sehen können&excl;« Allen&comma; die da standen&comma; kamen die Tränen&period; Wie sah auch die Frau so elend und abgehärmt aus&excl; Nicht mehr wieder zu erkennen war sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Hinter rauhen Worten suchte jetzt der Vater seine Rührung zu verbergen&period; »Laß jetzt das Jammern&comma;« sagte er barsch&period; »Setz dich her und iß etwas&comma; du siehst ja aus&comma; daß es Gott erbarmt&excl;« Da erhob sich die Frau&comma; setzte sich an den Tisch und aß ein wenig&comma; ohne vom Teller aufzusehen&period; Marie rückte ihr die Schüssel näher&period; »Du siehst so abgemagert aus&comma; Mutter&semi; warst du krank oder hast du Hunger leiden müssen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Hunger nicht&semi; man bekommt genug zu essen&period; Manche sagen auch&comma; es sei gut&comma; aber mir hat keinen Tag das Essen geschmeckt&comma;« sagte sie&period; »Schlaf habe ich auch nicht viel gefunden&period; Ich war doch an unsere Federbetten gewöhnt&semi; die gibt’s dort nicht&period; Mich hat es immer gefroren&period; Krank war ich auch&comma; zwei Wochen haben sie mich in die Krankenstube gelegt&period; Da hat man’s besser&comma; und die Wärterin hat es wirklich gut mit einem gemeint und mit jeder gesprochen&period; Aber dann bin ich wieder in meine Keuche gekommen&period; Untertags habe ich gearbeitet&semi; aber die langen Abende&comma; wo man ohne Licht allein dasitzt&comma; die sind schrecklich&period; Dann kam die Nachricht&comma; daß das Kind gestorben sei&period; Von da an habe ich keinen Schlaf mehr finden können&semi; immer mußte ich darüber nachgrübeln&comma; daß ich’s hätte verhüten können&period; An diese Nächte werde ich denken mein Leben lang&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Sie waren alle ergriffen und hörten noch manches von der Mutter&semi; denn sie war noch mit all ihren Gedanken bei dem&comma; was hinter ihr lag&comma; und hatte noch keine einzige Frage an die andern gerichtet&period; Jetzt stand Regine auf&period; »Ich muß in die Kirche&comma;« sagte sie&period; Da schien die Mutter erst wieder in die Gegenwart zu kommen&period; Einen aufmerksamen Blick wandte sie der Konfirmandin zu&comma; die nun im schwarzen Kleid&comma; mit dem langen Kleiderrock vor ihr stand und ihr verändert vorkam&period; Daß das alles so geworden war trotz ihrer Abwesenheit&comma; erschien ihr merkwürdig&semi; und als nach Regine auch die andern fortgingen&comma; eines dahin&comma; eines dorthin&comma; wie sie es an den Sonntagnachmittagen gewohnt waren&comma; fand sich die Mutter ganz allein zu Hause&semi; wußte nicht recht&comma; wozu sie da war und warum sie sich heimgesehnt hatte&comma; da doch niemand ihrer bedurfte&period; Bald saß sie wieder trauernd am Bett des verstorbenen Kindes&comma; des einzigen&comma; das ihr zugejubelt hätte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So fand Regine die Mutter&comma; als sie aus dem Gottesdienst zurückkehrte&period; Mit einem Blick voll Liebe und Mitleid ging sie zu ihr hin&period; Die Mutter fühlte das&period; »Komm&comma; setze dich her und erzähle mir was von dir&comma;« sagte sie&comma; und dann fuhr sie selbst fort&colon; »Deinen Brief habe ich noch in der Krankenstube bekommen und habe ihn die Wärterin lesen lassen&comma; denn sie ist eine gute gescheite Person&period; Sie hat auch gleich mit mir gesprochen&comma; wie sie deinen Brief gelesen hat&period; ›Das Kind ist noch unverdorben&comma;‹ hat sie gemeint&comma; ›die dürfen Sie nicht mit der großen in die Fabrik schicken&period; Ich würde sie gleich aus dem Haus in eine gute Familie tun&period;‹« Regine horchte hoch auf&comma; eine leise Hoffnung erwachte in ihr&period; »Warum schaust du so&quest;« fragte die Mutter&period; – »Weil unser Herr Pfarrer auch so meint&comma;« entgegnete Regine und schilderte mit aller Wärme die Stelle&comma; die ihr angeboten war&comma; und die sie ausgeschlagen hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O&comma;« rief die Mutter&comma; »da hättet ihr zugreifen sollen&comma; wenn es gleich nur ein geringer Platz ist&period; Soviel habe ich jetzt gelernt&colon; wenn man zu hoch hinaus will&comma; dann kommt man erst recht tief hinunter&comma; bald genug wird das auch die Marie erleben&period;« »Ich will nicht hoch hinaus&comma; Mutter&comma; aber du willst ja nicht&comma; daß wir in Dienst gehen&period;« – »Ich habe es freilich nicht gewollt&comma; aber wenn man solche Nächte durchgemacht hat wie ich&comma; dann denkt man über manches anders als vorher&period; Ich rate dir&colon; danke deinem Gott&comma; wenn du fortkommst&comma; je eher je lieber&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Regine sah die Mutter freudig überrascht an&period; »Mutter&comma; wenn du so sagst&comma; dann gehe ich jetzt gleich ins Pfarrhaus und frage&comma; ob das gute Plätzchen noch zu haben ist&period;« Die Mutter wunderte sich über ihre Kleine&semi; die hatte sich verändert&period; »Geh nur gleich&comma;« sagte sie&comma; und eiligen Schritts ging die Konfirmandin dem Pfarrhaus zu&period; Wieder saß die Mutter allein im Zimmer&comma; aber ihre Gedanken waren nicht mehr bei dem verstorbenen Kind&period; Sie begleitete im Geist das Mädchen&comma; das voll Eifer ihr neues Leben beginnen wollte&semi; und sie sagte vor sich hin&comma; denn sie hatte sich in der einsamen Zelle angewöhnt&comma; ihre Gedanken laut werden zu lassen&colon; »Sie ist ganz anders als wir&semi; es muß etwas Gutes in sie hinein gekommen sein&comma; vielleicht durch den Konfirmandenunterricht&period; An der wenigstens kann man einmal Freude erleben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Inzwischen kam auch Thomas heim und hörte staunend von dem raschen Entschluß&period; Gespannt warteten Mutter und Sohn auf Reginens Heimkehr&period; Sie sahen ihr die Freude gleich am Gesicht an&period; »Ich bekomme mein gutes Plätzchen&comma;« rief das Mädchen in hellem Glück&period; »Aber nächste Woche soll ich fort&semi; da ist noch viel zu richten&excl; Ob das alles fertig wird&quest; Marie hilft nicht gerne dazu&period;« »Wir machen’s schon ohne sie&comma;« meinte die Mutter und stand rasch auf&comma; wie wenn sie gleich an die Arbeit gehen wollte&period; »Gut&comma; daß du wieder da bist&comma; Mutter&excl;« sagte Regine&period; Da verlor das traurige Gesicht der Frau den trostlosen Ausdruck&comma; den es bisher gehabt hatte&period; »Gut&comma; daß du wieder da bist&comma;« die Worte taten ihr wohl&semi; zeigten sie ihr doch&comma; daß sich jemand über ihre Rückkehr freute&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»So kommst du wirklich in eine Pfarrfamilie&quest;« sagte Thomas nachdenklich zu der Schwester&period; »Dann kann ich auch nicht mehr in der Druckerei bleiben und für eine Zeitung arbeiten&comma; in der nur gespottet wird über alles&comma; was geistlich ist&semi; du müßtest dich ja schämen&comma; wenn es bekannt würde&period;« – »Was fängst du dann aber an&comma; Thomas&quest;« fragte die Schwester betroffen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Es gibt noch mehr Druckereien&semi; ich will sehen&comma; daß ich bei einer anständigen Zeitung unterkomme&period; Ich habe das ewige Spotten und Schimpfen selber satt&comma; es kommt nichts Gescheites dabei heraus&period; Weißt du&comma; ich bin nur so zufällig hinuntergefallen in die schlechte Gesellschaft&comma; wie so ein Apfel vom Baum in den Graben fällt&semi; aber ich will nicht liegen bleiben&comma; verstehst du&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ja&comma; Regine verstand ihren Bundesgenossen&comma; und noch einmal sagte sie zu ihm die Worte&colon; »Ich vertraue dir ganz und gar&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und wir vertrauen allen beiden und können sie nun getrost verlassen&semi; sie meinen es ehrlich&comma; und es wird ihnen gelingen&period; Ja&comma; mit Gottes Hilfe wird Segen von ihnen über ihre ganze Familie kommen&period;<&sol;p>

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