Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Die Familie Pfäffling
(Agnes Sapper, 1907, empfohlenes Alter: 6 - 12 Jahre)

Wir nehmen Abschied

<p>Frau Pfäfflings Bruder wurde noch vor Beginn der Osterferien erwartet&comma; und das leere Zimmer war für ihn als Gastzimmer gerichtet&period; Keines der Kinder ahnte etwas davon&comma; daß der Onkel bei seinem Besuch sie kennen lernen und darnach beschließen wolle&comma; welches von ihnen er heimwärts mit sich nehmen würde&period; Sie wußten nur&comma; daß die Mutter ihren einzigen&comma; innig geliebten Bruder erwartete&comma; und freuten sich alle auf den seltenen Gast&period; Die drei Großen hatten auch noch aus ihrer frühesten Kindheit eine schöne Erinnerung daran&comma; wie Onkel und Tante gekommen waren und durch schöne Geschenke ihre Herzen gewonnen hatten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Herr Pfäffling billigte den Plan&comma; der am achtzigsten Geburtstag gefaßt worden war&period; Er kannte die Verwandten seiner Frau und schätzte sie hoch&comma; auch war es ihm klar&comma; daß in dem Haushalt seines Schwagers dem einzelnen Kind mehr Aufmerksamkeit zuteil werden konnte als in der eigenen Familie&period; Doch wollte er den Aufenthalt nur für ein oder höchstens zwei Jahre festsetzen&comma; damit keines der Kinder dem Geist des Elternhauses entfremdet würde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Einstweilen war das Wintersemester zu Ende gegangen&comma; und was während desselben geleistet worden&comma; sollte sich heute in den Osterzeugnissen zeigen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>In einem der großen Gänge des Gymnasiums wartete Karl auf seinen Bruder Wilhelm&comma; dessen Zeugnis war ihm diesmal so wichtig wie sein eigenes&period; Doch nur für die Mathematiknote interessierte er sich&period; Wenn diese nicht besser ausfiel als das letzte Mal&comma; dann stund es schlimm um Wilhelm&comma; schlimm auch um die Ferienfreude&period; Nachhilfestunden zu geben war nicht Karls Liebhaberei&comma; der junge Lehrer und der Schüler hätten sie gleich gerne los gehabt&period; Darum strebten die Brüder gleich aufeinander zu&comma; als die Klassentüre sich auftat und die Schüler herausdrängten&period; Über der andern Köpfe weg reichte Wilhelm schon von der Ferne Karl sein Zeugnis hin und dieser las&colon; Mathematik III&period; Über diese Note&comma; die wohl schon manchem Schuler Kummer bereitet hat&comma; waren unsere beiden hochbefriedigt und beschlossen&comma; rasch nach der Musikschule zu rennen&comma; um den Vater noch zu erreichen und mit ihm heimzugehen&period; Das gelang ihnen auch&period; Als er die Jungen mit den bekannten blauen Heftchen auf sich zuspringen sah&comma; wußte er schon&comma; daß es Gutes bedeute&period; "Diesmal ist wohl keine Durchschnittsnote nötig&quest;" fragte er und überblickte das Zeugnis&comma; und war zufrieden&period; Aber eben nur zufrieden&period; Die Brüder waren enttäuscht&comma; nach ihrer Meinung hätte der Vater viel vergnügter sein müssen&period; "Hast du noch etwas Besseres erwartet&comma; Vater&quest;" fragten sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Nein&comma; aber ich traue noch nicht recht&period; Nach drei kommt vier&comma; da sind wir noch in gefährlicher Nachbarschaft&period; Ich weiß wohl&comma; warum ihr so vergnügt seid&comma; ihr meint&comma; die Nachhilfstunden seien nun überflüssig&comma; aber ganz kann ich euch noch nicht davon entbinden&comma; Wilhelm könnte sonst gleich wieder rückfällig werden&period; Sagen wir einmal statt zweimal in der Woche&period;" Sie machten lange Gesichter&period; "Und in den Osterferien gar keine&comma; zum Lohn für den Erfolg&comma;" fügte der Vater hinzu&period; Da heiterten sich die Gesichter auf&period; Wenn man nur wenigstens in den Ferien frei war&comma; im Schuljahr wurde doch immer gelernt&comma; da ging das mehr in einem hin&period; Und übermorgen war ja der erste Ferientag&excl; Sie waren schon wieder vergnügt und kamen in glücklicher Ferienstimmung nach Hause&comma; wo die Schwestern begierig auf die Zeugnisse warteten und diesmal mit Lust sämtliche Heftchen auf des Vaters Tisch ausbreiteten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Was wohl unsere Kleine einmal heim bringt&quest;" sagte Karl&comma; als ersah&comma; wie Elschen ernsthaft die Zeugnisse betrachtete und sich bemühte&comma; die geheimnisvollen Ziffern zu deuten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich bringe lauter Einser&comma;" antwortete sie zuversichtlich&period; Aber diesen Übermut hatte sie zu bereuen&period; "So&quest;" rief Otto&comma; "so sage einmal&comma; was a plus b ist&quest; Das weißt du nicht einmal&quest; Da bekommst du unbedingt einen Vierer&period;" Von allen Seiten kamen nun solch verfängliche Fragen und es wurden ihr lauter Vierer prophezeit&comma; bis ihr angst und bang wurde&comma; sie sich zu Frieder flüchtete und sagte&colon; "Du gibst mir dann jeden Tag Mathematikstunden&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Die Noten der Schwestern waren gut ausgefallen&period; Drei Wochen lang hatten sie eine richtige Hauslehrerin gehabt&comma; dadurch waren sie in guten Zug gekommen&period; Sie schrieben an Fräulein Bergmann eine schöne Karte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Herr Pfäffling unterschrieb die Zeugnisse&comma; und als er das von Frieder in Händen hatte und sah&comma; daß es besser war als die früheren&comma; trat ihm wieder das Bild vor die Seele&comma; wie der Kleine ihm die verhüllte Violine mit dem Ausdruck tiefsten Schmerzes übergeben hatte&period; Er war seitdem ein gewissenhafter und geschickter Klavierspieler geworden&comma; aber die Liebe&comma; die er zu seiner Violine und auch zu der Harmonika gehabt hatte&comma; die brachte er dem Klavier nicht entgegen&comma; mit dem Herzen war er nicht dabei&period; Mit keinem Wort hatte das Kind je wieder die Violine erwähnt&period; Ob sie ihm wohl noch immer ein schmerzliches Entbehren war&quest; Der Vater hätte es gerne gewußt&comma; und als am Abend&comma; nach der Klavierstunde&comma; der kleine Spieler seine Musikhefte beiseite räumte&comma; redete er ihn darauf an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Frieder&comma; macht dir das Klavierspielen jetzt auch Freude&quest; Tut es dir nicht mehr so leid&comma; daß du deine Geige nimmer hast&quest;" Ein tiefernstes Gesicht machte das Kind&comma; als diese Wunde berührt wurde&comma; dann antwortete er leise&colon; "Ich möchte sie gar nicht mehr haben&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Warum nicht&comma; Frieder&quest; Komm&comma; sage du mir das&excl;" "Weil ich nicht aufhören kann&comma; wenn ich angefangen habe&comma; zu spielen&period;" "Du kannst nicht&comma; Frieder&quest; Du willst nur nicht&comma; weil es dir schwer fällt&semi; aber siehst du nicht&comma; daß wir alle aufhören&comma; wenn wir müssen&quest; Meinst du&comma; ich möchte nicht lieber selbst weiter spielen&comma; als Fräulein Vernagelding Stunde geben&comma; wenn sie jetzt kommt&quest; Meinst du&comma; die Mutter möchte&comma; wenn sie nach Tisch in ihren schönen Büchern liest&comma; nicht lieber weiterlesen als schon nach einer halben Stunde wieder das Buch aus der Hand legen und die Strümpfe stopfen&quest; Und die großen Brüder möchten nicht lieber auf den Balken turnen als ihre Aufgaben machen&quest; Und die Schwalben unter unserem Dach möchten nicht lieber für sich selbst Futter auspicken als ausfliegen und ihre Jungen füttern&comma; wie es der liebe Gott angeordnet hat&quest; Und der Frieder Pfäffling will allein dastehen auf der Welt und sagen&colon; 'Ich kann nicht aufhören'&quest; Nein&comma; der müßte sich ja schämen vor den Tierlein&comma; vor den Menschen&comma; vor dem lieben Gott müßte er sich schämen&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich kann auch aufhören&comma;" sagte Frieder&comma; "bei allem andern&comma; nur beim&nbsp&semi;Geigen nicht&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Da gibt es keine Ausnahmen&comma; Frieder&comma; wer einen festen Willen hat&comma; kann mitten im Geigenstrich aufhören und das mußt du auch lernen&period; Gib dir Mühe&comma; und wenn du dann fühlst&comma; daß du einen festen Willen hast&comma; so sage es mir&comma; dann will ich dir jeden Sonntag für eine Stunde deine Geige geben&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Da leuchtete es in Frieders Gesicht&comma; und nach dem großen Schrank deutend&comma; der in der Ecke des Musikzimmers stand&comma; sagte er mit zärtlichem Ton&colon; "Da innen ist sie&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ja&comma; da ist sie und wartet&comma; ob ihr kleiner Freund bald einen festen&nbsp&semi;Willen bekommt und sie erlöst aus der Einsamkeit&period; Aber nun geh&comma; Kind&semi;&nbsp&semi;Fräulein Vernagelding ist im Vorplatz&comma; ich höre sie schon lange plaudern&nbsp&semi;mit Marianne&comma; ich weiß nicht&comma; warum sie nicht herein kommt&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Unser Musiklehrer öffnete die Türe nach dem Vorplatz&comma; die drei plaudernden Mädchen fuhren auseinander&comma; Fräulein Vernagelding kam zur Stunde&period; Noch rosiger und lächelnder erschien sie als sonst&comma; und hatte solch eine wichtige Neuigkeit unter vielem Erröten mitzuteilen&excl; Die Karten waren ja schon in der Druckerei&comma; auf denen zu lesen stand&comma; daß Fräulein Vernagelding Braut war&excl; Solch einen schönen&comma; jungen&comma; reichen&comma; blonden Bankier hatte sie zum Bräutigam&excl; Aber unmusikalisch war er leider sehr&comma; denn obwohl sie ihm vorgespielt hatte&comma; war er doch der Meinung&comma; sie solle nicht mehr Klavier spielen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Grämen Sie sich darüber nicht&comma;" sagte Herr Pfäffling zu seiner&nbsp&semi;Schülerin&comma; "vielleicht ist er sogar sehr musikalisch&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Meinen Sie&quest;" fragte Fräulein Vernagelding&comma; "das wäre schön&excl; Und nicht wahr&comma; wenn ich auch nicht mehr zur Stunde komme&comma; bleiben wir doch gute Freunde und Ihre Fräulein Töchter müssen zu meiner Hochzeit kommen&period; Das gibt zwei süße Brautfräulein&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Meine Töchter&quest;" fragte Herr Pfäffling verwundert&period; "Sie meinen die&nbsp&semi;Marianne&quest; Das sind doch keine Brautfräulein&quest; Da müssen Sie mit meiner&nbsp&semi;Frau sprechen&period;"—<&sol;p>&NewLine;<p>Der Tag war gekommen&comma; an dem Frau Pfäfflings Bruder eintreffen sollte&period; Alle Hände hatten sich fleißig gerührt&comma; um für das Osterfest und zugleich für den Gast das Haus festlich zu bereiten&period; Die letzten Spuren des langen Winters waren mit den trüben Doppelfenstern&comma; mit Kohleneimern und Ofenruß aus den Zimmern verschwunden&comma; die Frühlingssonne durfte die hintersten Winkel bestrahlen&comma; Walburg brauchte die Prüfung nicht zu fürchten&comma; alles war blank und rein&period; Eine mühevolle Zeit war das gewesen&comma; aber nun war sie glücklich überstanden&comma; Feststimmung breitete sich schon über das Haus und heute sollte der Gast ankommen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Die Mutter sieht so aus wie am heiligen Abend vor der Bescherung&comma;" sagte Karl&comma; als die beiden Eltern miteinander zum Bahnhof gingen&period; Ja&comma; Frau Pfäffling freute sich innig&period; War das Zusammensein mit dem Bruder in der alten Heimat schön gewesen&comma; so mußte es doch noch viel beglückender sein&comma; ihn im eigenen Familienkreis zu haben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Kinder daheim berieten&comma; wie sie den Onkel empfangen&comma; ob sie ihm alle miteinander entgegenkommen sollten&quest; Sie entschieden sich aber dagegen&comma; er war nicht an so viele Kinder gewöhnt&comma; sie wollten sich verteilen und nur allmählich erscheinen&comma; damit es keinen Lärm und kein Gedränge gäbe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als es Zeit war&comma; standen sie alle an den Fenstern des Wohnzimmers und sahen begierig die Straße hinunter&period; Da tauchten schon die drei Gestalten auf&comma; und jetzt waren sie deutlich zu erkennen&period; Der Onkel&comma; fast einen Kopf kleiner als der Vater&comma; ganz ähnlich der Mutter&comma; nur nicht so schmal&period; Fein sah er aus im eleganten Reiseanzug und daß er eine voll gepackte Ledertasche in der Hand hatte&comma; wurde von Elschen besonders hervorgehoben&period; Nun mußten auch die Kinder bemerkt worden sein&comma; denn der Onkel winkte mit der Hand herauf&comma; ja er schwenkte sogar den Hut als Gruß&period; Das machte einen gewinnenden Eindruck&period; "Wir springen doch entgegen&comma; der ist gar nicht so&excl;" sagte Wilhelm&period; "Nein&comma; der ist nicht so&comma;" entschied der ganze Chor&period; Die sieben Kinderköpfe verschwanden vom Fenster&comma; und vierzehn Füße trabten die Treppe hinunter&period; "Die Treppe ist frisch geölt&comma;" rief Marie&comma; "geht an der Seite&comma; daß sie in der Mitte schön bleibt&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Nun kam die Begrüßung&period; Man war sich unbekannt und doch nicht fremd&period; Die Kinder berührte es merkwürdig&comma; daß der Onkel der Mutter so ähnlich war&comma; in den Zügen&comma; in der Stimme und der Aussprache&period; Zutraulich begrüßten sie ihn&comma; und auch er fand in ihnen lauter verwandte Gesichter&comma; die einen seiner Schwester&comma; die andern seinem Schwager ähnlich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Nun gebt die Treppe frei&comma; Kinder&comma;" drängte Herr Pfäffling&comma; "wir wollen&nbsp&semi;den Onkel doch auch hinauf lassen&period;" Sie machten Platz&comma; und ließen den&nbsp&semi;Gast voran gehen&period; Auf halber Treppe sah er zurück nach dem jungen&nbsp&semi;Gefolge&period; "Wie komisch sie alle an der Seite gehen&comma;" bemerkte er zu der&nbsp&semi;Mutter&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Damit die Treppe in der Mitte geschont wird&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ah so&excl;" sagte der Professor und sah sichtlich belustigt zurück&period;&nbsp&semi;"Cäcilie&comma; nun kenne ich deine Kinder schon&period; Die heißt du ungehobelt&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Droben&comma; im Wohnzimmer&comma; war der Mittagstisch gedeckt&period; "Was für eine stattliche Tafel&excl;" rief der Gast&comma; und dann sah er erstaunt auf die ungewöhnlich große Gestalt Walburgs&comma; die stumm die Suppe auftrug&period; "Ihr habt euch wohl eine besonders kräftige Magd ausgesucht für eure großen Schüsseln&quest;" sagte er spassend zu den Kindern&comma; "ist das die treue&comma; stumme Dienerin&quest; Wie schade um das Mädchen&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Es wird aber nicht mehr schlimmer bei ihr&comma; Onkel&comma;" versicherte Marie&comma; "ich war mit ihr beim Arzt&comma; er sagt&comma; es kann sogar eher ein wenig besser werden&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Sie sammelten sich um den Tisch&period; "Mutter&comma;" bat Wilhelm&comma; "du hast einmal ein Tischgebet gewußt&comma; das müßte heute gut passen und dem Onkel gefallen&comma; es kommt etwas vom vielverheißenden Tisch vor&comma; weißt du nicht&comma; welches ich meine&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Frau Pfäffling wußte es wohl und sprach es&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">In größerem Kreise stehen wir heute<br&sol;> Am Gutes verheißenden festlichen Tisch&period;<br&sol;> Aber die richtige fröhliche Stimmung<br&sol;> Die mußt auch heute Du&comma; Herr&comma; uns geben&period;<br&sol;> Nahe dich freundlich jedem von uns&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Drei Tage blieb der Onkel im Haus und beobachtete oft im stillen seine Neffen und Nichten&period; Er hatte ihnen ein Spiel mitgebracht&comma; an dem sich alle beteiligen konnten&period; "Ich will es den Kindern lehren&comma;" sagte er&comma; "die meinigen haben es auch&comma; es ist ein Tischcroquet&comma; ein nettes Spiel&comma; bei dem es nur leider gar zu leicht Streit gibt unter den Spielern&period;" Sie machten sich mit Eifer daran und trieben es täglich fast mit Leidenschaft&period; Sie achteten dabei nicht auf den Onkel&comma; der&comma; hinter der Zeitung sitzend&comma; seine Beobachtungen machte&period; "Wir müssen die zwei Parteien so einteilen&comma; daß die guten und schlechten Spieler gleichmäßig verteilt sind&comma;" sagte Karl&period; "Nimm du Frieder auf deine Seite&comma; Wilhelm&comma; der ist am ungeschicktesten&comma; und ich will Anne auf meine Partei nehmen&comma; sonst können die nie gewinnen&period;" So war es allen recht und das Spiel auf seinem Höhepunkt&comma; als Frau Pfäffling hereinkam&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Kinder&comma;" sagte sie&comma; "Walburg hat wieder kein Holz&comma; laßt euch doch nicht immer mahnen&period;" Schuldbewußt legten zwei der Spieler ihre Schläger aus der Hand und gingen hinaus&period; Der Onkel sah aufmerksam hinter seiner Zeitung hervor&period; Das Wort&colon; "Laßt euch doch nicht mahnen" schien noch weiter zu wirken&period; "Hat jemand des Vaters Brief auf die Post getragen&quest;" fragte Marie&period; Niemand meldete sich&period; "Das könntest du besorgen&comma; Frieder&comma;" sagte die Schwester&comma; "Elschen geht mit dir&period;" So entfernten sich auch diese Beiden&period; Die andern spielten weiter&comma; Frau Pfäffling setzte sich ein wenig zu ihrem Bruder&period; Sie sprachen halblaut zusammen&period; "Es ist rührend&comma;" sagte der Bruder&comma; "wie sich diese Lateinschüler so selbstverständlich zum Holztragen verpflichtet fühlen und ohne Widerspruch das Spiel aufgeben&period; Das täte meiner nie&comma; wie hast du ihnen das beigebracht&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Das bringen die einfachen Verhältnisse ganz von selbst mit sich&period; Die Kinder sehen&comma; wie Walburg und ich uns plagen und doch nicht fertig werden&comma; so helfen sie mit&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Mir&comma; als dem Juristen&comma; ist wirklich euer kleiner Staat interessant und ich sehe ordentlich&comma; wie aus solcher Familie tüchtige Staatsbürger hervorgehen&period; Wie die Starken sich da um die Schwachen annehmen&comma; wie sie ihr eigenes Ich dem allgemeinen Ganzen unterordnen und welche Liebe und widerspruchslosen Gehorsam sie den Eltern als dem Staatsoberhaupt entgegenbringen&comma; wohl in dem Gefühl&comma; daß sonst das ganze System in Unordnung geriete&period; Dazu kommt auch noch&comma; daß dein Mann ein so leutseliger Herrscher ist und du bist sein verantwortlicher Minister&period; Das muß ich dir sagen&comma; wenn ich nun eines eurer Kinder zu mir nehme&comma; in ein so geordnetes Staatswesen kann ich es nicht versetzen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Die Kinder hatten nicht auf das leise geführte Gespräch gehorcht&semi; was kümmerte sie&comma; wenn vom Staat die Rede war&quest; Aber die letzte Bemerkung des Onkels&comma; die traf Maries Ohr&comma; die erfaßte sie&period; "Wenn ich eines eurer Kinder zu mir nehme&comma;" hatte er gesagt&period; Sie hätte es offenbar nicht hören sollen&comma; es war nur halblaut gesprochen&period; Zunächst ließ sie sich nichts anmerken&comma; aber lange konnte sie diese Neuigkeit nicht bei sich behalten&period; Nach Tisch fanden sich die Geschwister alle unten am Balkenplatz zusammen&period; Dort konnte man sich aussprechen und Marie vertraute ihnen an&comma; was sie gehört hatte&period; Das ganze Trüppchen stand dicht zusammengedrängt und besprach in lebhafter Erregung die Möglichkeit&comma; fortzukommen&period; Verlockend war das Neue&comma; lieb war das Alte&period; Wer ginge gern&comma; wer ungern&quest; Sie waren zweifelhaft&period; Wen würde der Onkel wählen&quest; Ein jedes meinte&colon; "Sicherlich nicht gerade mich&period;" Das war die Bescheidenheit&period; Aber einer&comma; der doch auch nicht unbescheiden war&comma; der Frieder&comma; sagte&colon; "Ganz gewiß will er mich mitnehmen&period;" Das war die Angst&comma; denn Frieder wollte nicht fort&comma; für ihn gab es da nichts Zweifelhaftes&comma; er wollte daheim bleiben&comma; er fürchtete die fremde Welt&period; Und da er so bestimmt aussprach&colon; mich will er mitnehmen&comma; so glaubten ihm die Geschwister&period; Schon einmal war er das fremde Kind gewesen&comma; vor die Türe gewiesen mit der Violine&period; Von jeher war er ein wenig allein gestanden&period; Nun schauten ihn alle darauf hin an&comma; daß er fort von ihnen sollte&period; Sie sahen das gute Gesichtchen&comma; die seelenvollen Augen&comma; die angsterfüllt von einem zum andern blickten&comma; und da wurden sich alle bewußt&comma; daß sie doch den Frieder nicht missen mochten&period; Karl war es&comma; der aussprach&comma; was alle empfanden&colon; "Unser Dummerle geben wir nicht her&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Oben&comma; am Fenster des Musikzimmers&comma; stand der Professor im Gespräch mit Herrn Pfäffling und seiner Frau&period; Nun trat er an das Fenster und sah hinunter&comma; "Dort steht ja das ganze Trüppchen beisammen&comma;" sagte er&comma; "eines dicht beim andern&comma; keinen Stecken könnte man dazwischen schieben&excl; Es ist köstlich anzusehen&excl; Und wie sie eifrig sprechen&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ja&comma;" sagte Frau Pfäffling&comma; "irgend etwas muß sie sehr beschäftigen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Das haben eure Kinder doch vor andern voraus&comma; daß jedes sechs treue Freunde mit fürs Leben bekommt&comma; denn die einmal so warm beieinander im Nest gesessen waren&comma; die fühlen sich für immer zusammengehörig&period; Daß ich nun aber die Hand ausstrecken soll und ein Vögelein aus diesem Nest herausnehmen&comma; dazu kann ich mich immer schwerer entschließen&period; Geben wir doch den Plan auf&excl; Lassen wir das fröhliche Völklein beisammen&comma; es kann nirgends besser gedeihen als daheim&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich glaube&comma; du siehst bei uns alles in zu günstigem Licht&comma; wir sind oft unbefriedigt und haben allen Grund dazu&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Das mag sein&comma; an Unvollkommenheiten fehlt es gewiß auch bei euch nicht&period; Aber den guten Grund fühle ich heraus&comma; auf dem alles im Haus aufgebaut ist&comma; die Wahrhaftigkeit&comma; die Religion&comma; die bei euch Herzenssache ist&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Das hast du doch kaum in so kurzer Zeit beobachten können&comma;" meinte Frau&nbsp&semi;Pfäffling&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Aber doch habe ich diesen Eindruck gewonnen&comma; so zum Beispiel von Wilhelm&period; Du kannst weit suchen&comma; bis du wieder einen solch lustigen Lateinschüler findest&comma; der um ein bestimmtes Tischgebet bittet&comma; wie er neulich tat bei unserem ersten Mittagessen&period; Ich wollte&comma; es wäre bei meinen Kindern auch etwas von diesem Geist zu spüren&excl; Kehren wir doch die Sache um&excl; Ich schicke euch lieber meinen Jungen einmal&period; In euren einfachen Verhältnissen würde er ganz von selbst seine Ansprüche fallen lassen&comma; er wäre zufrieden und glücklich mit euren Kindern&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Es blieb bei dieser Verabredung&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Draußen im Freien hatte sich inzwischen alles verändert&period; Die Sonne war von schweren Wolken verdeckt worden&comma; in echter Aprillaune wirbelten plötzlich Schneeflocken herunter und die jungen Pfäfflinge flüchteten herauf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Da kommen sie ja wieder alle miteinander&comma;" sagte der Onkel&comma; "wißt ihr auch&comma; Kinder&comma; mit was für Gedanken ich hieher gekommen bin&quest; Eines von euch wollte ich mir rauben&comma; weil bei mir noch so schön Platz wäre für ein viertes&comma; und eure Eltern hätten es dann leichter gehabt&period; Aber ich tue es nicht&period; Wollt ihr hören warum&quest; Weil ihr es so schön und so gut habt&comma; daß ihr es nirgends auf der ganzen Welt besser haben könnet&period; Ihr lacht&quest; Es ist mein Ernst&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Nun glaubten sie es ihm&period; Der Onkel&comma; der weitgereiste&comma; mußte es ja wissen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Elschen drückte sich schmeichelnd an den Onkel&period; "Wen von uns hättest du denn mitgenommen&quest;" fragte sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Mußt du das wissen&comma; kleine Neugier&quest; Vielleicht den da&comma;" sagte er und deutete auf Frieder&period; Der nickte zustimmend&period; Er hatte es ja gewußt&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Einige Tage später war Frau Pfäfflings Bruder wieder abgereist&period; Sie stand mit wehmütigem Gefühl im Gastzimmer und war beschäftigt&comma; es wieder für eine fremde Mieterin zu richten&comma; nach der man sich nun bald umsehen mußte&period; In ihren Gedanken verloren&comma; hörte sie doch mit halbem Ohr einen Mann die Treppe heraufkommen&comma; hörte klingeln&comma; öffnen&comma; wieder schließen&comma; hörte Marie zum Vater hinübergehen&period; An all dem war nichts besonderes&comma; es brachte sie nicht aus ihrem Gedankengang&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber jetzt&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie horchte&period; "Cäcilie&comma; Cäcilie&excl;" tönte es durch die ganze Wohnung&period; Sie wollte dem Ruf folgen&comma; aber da kam schon ihr Mann zu ihr herein&comma; da stand er vor ihr mit glückstrahlendem Angesicht und rief frohlockend&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>"Cäcilie&comma; ich bin Musikdirektor in Marstadt&excl;" und als sie es nicht fassen und glauben wollte&comma; da reichte er ihr einen Brief&comma; und sie las es selbst schwarz auf weiß&comma; daß die Marstadter vorläufig in einem gemieteten Lokal die Musikschule eröffnen wollten und den Musiklehrer Pfäffling zum Direktor ernannt hätten&period; Es fehlte nichts mehr als seine Einwilligung&comma; und auf diese brauchten die Marstadter nicht lange zu warten&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Der jubelnde Ruf&colon; "Cäcilie&excl;" hatte die Kinder aus allen Zimmern herbeigelockt&period; Zu verschweigen war da nichts mehr&period; Vom Vater hörten sie die gute Kunde&comma; sie sahen&comma; wie die Mutter bewegt am Vater lehnte und immer wieder sagte&colon; "Wie mag ich dir das gönnen&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Und das Glück war immer größer&comma; weil es von so vielen Gesichtern widerstrahlte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nur einer war davon ausgeschlossen&comma; einer hatte alles überhört&comma; weil er mit seinen eigenen Gedanken vollauf beschäftigt war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Wo ist denn der Frieder&quest;" fragte Elschen&comma; "dem muß man es doch auch sagen&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Man suchte nach ihm und fand ihn ganz allein im Musikzimmer&comma; vor dem&nbsp&semi;Schrank stehend&comma; in dem seine Violine aufbewahrt war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Was tust du denn da&quest;" fragte Herr Pfäffling&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich warte auf dich&comma; Vater&comma; schon so lange&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Dabei drängte er sich dicht an den Vater und fragte schüchtern&colon; "Gibst du mir am Sonntag meine Geige auf eine Stunde&quest; Ich kann jetzt mitten darin aufhören&comma; ich habe es probiert&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Wie hast du das probiert&comma; Frieder&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Beim Essen&period; Dreimal&period; Aufgehört im ärgsten Hunger&comma; auch bei den&nbsp&semi;Pfannenkuchen&period; Die andern wissen es&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ja&comma; es ist wahr&comma;" betätigten ihm die Geschwister&comma; die als seine Tischnachbarn Vorteil aus diesen Proben gezogen hatten&period; Herr Pfäffling schloß den Schrank auf&period; "Wenn es so steht&comma; Frieder&comma;" rief er fröhlich&comma; "dann warten wir gar nicht bis zum Sonntag&comma; denn heute ist ohnedies Festtag bei uns&comma; du weißt wohl noch gar nichts davon&quest; Da hast du deine Violine&comma; kleiner Direktorssohn&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Ja&comma; das war ein seliger Tag&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Frau Pfäffling suchte Walburg auf&semi; diese hatte von den Kindern schon die Neuigkeit gehört&comma; und da sie dem Leben nicht viel Gutes zutraute&comma; so fürchtete sie auch diese Veränderung&period; Aber da kam auch ihre Frau selbst&comma; sah sie mit herzlicher Freundlichkeit an und rief ihr ins Ohr&colon; "Der Herr Direktor will auch deinen Lohn erhöhen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Nun war Walburg getrost&comma; ihr Bleiben war besiegelt&comma; und als sie wieder allein in ihrer Küche stand&comma; da legte sie einen Augenblick die fleißigen Hände ineinander und sagte&colon; "Lobe den Herrn&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Frau Pfäffling ging hinunter zur Hausfrau&period; Diese sollte nicht durch Fremde die Nachricht erfahren&period; Lange sprachen die beiden Frauen zusammen&comma; und während sie sprachen&comma; tönte von oben Klavier und Gesang herunter und Frau Pfäffling erkannte die frohlockende Melodie&colon; ihr Mann übte mit den Kindern den Chor mit dem Endreim&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>"Drum rufen wir mit frohem Sinn&colon;&nbsp&semi;Es lebe die Direktorin&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Als Frau Hartwig wieder allein war&comma; mußte ihr Mann sie trösten&colon; "Leicht bekommen wir eine bessere Mietspartei&comma; sie haben doch recht viel Unruhe im Haus gemacht und bedenke nur die Abnützung der Treppe&excl;" Dabei suchte er eine kleine Tafel hervor und gab sie seiner Frau&period; Sie ging hinaus und befestigte an der Haustüre die Aufschrift&colon;<&sol;p>&NewLine;<p><em>Wohnung zu vermieten&period;<&sol;em><&sol;p>&NewLine;<p>Und als sie die Türe wieder hinter sich schloß&comma; fiel ihr eine Träne auf die Hand und sie sagte vor sich hin&colon; "Das weiß gar niemand&comma; wie lieb mir die Familie Pfäffling war&excl;"<&sol;p>

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