Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Die Familie Pfäffling
(Agnes Sapper, 1907, empfohlenes Alter: 6 - 12 Jahre)

Wir schließen Bekanntschaft

<p>Ihr wollt die Familie Pfäffling kennen lernen&quest; Da muß ich euch weit hinausführen bis ans Ende einer größeren süddeutschen Stadt&comma; hinaus in die äußere Frühlingsstraße&period; Wir kommen ganz nahe an die Infanteriekaserne&comma; sehen den umzäunten Kasernenhof und Exerzierplatz&period; Aber vor diesem&comma; etwas zurück von der Straße&comma; steht noch ein letztes Haus und dieses geht uns an&period; Es gehört dem Schreiner Hartwig&comma; bei dem der Musiklehrer Pfäffling mit seiner großen Familie in Miete wohnt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Um das Haus herum&comma; bis an den Kasernenhof&comma; erstreckt sich ein Lagerplatz für Balken und Bretter&comma; auf denen Knaben und Mädchen fröhlich herumklettern&comma; turnen und schaukeln&period; Meistens sind es junge Pfäfflinge&comma; die da ihr Wesen treiben&comma; manchmal sind es auch ihre Kameraden&comma; aber der eine Kleine&comma; den man täglich auf den obersten Brettern sitzen und dabei die Ziehharmonika spielen sieht&comma; das ist sicher kein anderer als Frieder Pfäffling&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Um die Zeit&comma; da unsere Geschichte beginnt&comma; ist übrigens der Hof verlassen und niemand auf dem weiten Platz zu sehen&period; Heute ist&comma; nach den langen Sommerferien&comma; wieder der erste Schultag&period; Der Musiklehrer Pfäffling&comma; der schlanke Mann&comma; der noch immer ganz jugendlich aussieht&comma; war schon frühzeitig mit langen Schritten den gewohnten Weg nach der Musikschule gegangen&comma; um dort Unterricht zu geben&period; Sechs von seinen sieben Kindern hatten zum erstenmal wieder ihre Bücher und Hefte zusammengesucht und sich auf den Schulweg gemacht&period; Die lange Frühlingsstraße mußten sie alle hinunterwandern&comma; aber dann trennten sich die Wege&semi; die drei ältesten suchten weit drinnen in der Stadt das alte Gymnasiumsgebäude auf&comma; die zwei Schwestern hatten schon etwas näher in die Töchterschule und Frieder&comma; der noch in die Volksschule ging&comma; hätte sein Ziel am schnellsten erreichen können&comma; aber das kleine runde Kerlchen pflegte in Gedanken verloren dahinzugehen und sich mehr Zeit zu lassen als die andern&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Im Hause Pfäffling war nach dem lauten Abgang der sieben Familienmitglieder eine ungewohnte Stille eingetreten&period; Es blieb nur noch die Mutter zurück&comma; und Elschen&comma; das jüngste niedliche Töchterchen&comma; sowie die treue Walburg&comma; die in der Küche wirtschaftete&period; Frau Pfäffling atmete auf&comma; die Stille tat ihr wohl&period; Was war das für ein Sturm gewesen&comma; bis der letzte die Türe hinter sich zugemacht hatte&comma; und was für eine Unruhe all die Ferienwochen hindurch&excl; Während sie ordnend und räumend von einem Zimmer ins andere ging&comma; war ihr ganz festtäglich zu Mute&period; Sie war von Natur eine stille&comma; nachdenkliche Frau und gern in Gedanken versunken&comma; aber das Leben hatte sie als Mittelpunkt in einen großen Familienkreis gestellt&comma; und es drehten sich lauter lebhafte&comma; plaudernde&comma; fragende&comma; musizierende Menschen um sie herum&period; Während nun die Mutter sich der Ruhe freute&comma; wußte Elschen gar nicht&comma; wo es ihr fehlte&period; Allein zu spielen hatte sie ganz verlernt&period; So ging sie hinunter in den Hof&comma; wo die großen Balken lagen&period; Oft hatte sie sich in den letzten Wochen geärgert&comma; wenn sie ängstlich auf den glatten Balken kleine Schrittchen machte&comma; daß die Brüder das so flink konnten und sie ihnen immer Platz machen sollte&period; Jetzt hatte sie alle die Baumstämme allein zu ihrer Verfügung&comma; aber nun machten sie ihr keine Freude&period; Sie ging weiter zu den Brettern&comma; die übereinander aufgestapelt lagen&period; Dort oben&comma; wo ein kleines dickes Brett querüberlag&comma; war Frieders Lieblingsplatz&comma; auf dem er immer mit der Ziehharmonika saß&period; Wenn er gar zu lang spielte und sie nicht beachtete&comma; war sie manchmal ungeduldig geworden und hatte sogar einmal gesagt&comma; die Harmonika sei eine alte Kröte&period; Aber jetzt&comma; wo es überall ganz still war&comma; hätte sie auch die Harmonika gern gehört&period; Sie setzte sich auf Frieders Platz und dachte an ihn&period; Es war so langweilig heute morgen—fast zum weinen&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Da tat sich oben im Haus ein Fenster auf und der Mutter Stimme rief&colon;&nbsp&semi;"Elschen&comma; flink&comma; Essig holen&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Einen Augenblick später wanderte auch Else die Frühlingsstraße hinunter&comma; zwar nicht mit den Büchern in die Schule&comma; aber mit dem Essigkrug zum nächsten Kaufmann&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Im untern Stock des Hauses wohnte der Schreiner Hartwig mit seiner Frau&period; Es waren schon ältere Leute und er hatte das Geschäft abgegeben&period; Sie war eine freundliche Hausfrau&comma; die aber auf Ordnung hielt und auf gute Erhaltung des Besitzes&period; Als diesen Morgen die Pfäfflinge nacheinander die Treppe hinunter gesprungen waren&comma; hatte sie zu ihrem Mann gesagt&colon; "Hast du schon bemerkt&comma; wie die Treppe abgenutzt ist&quest; Seit dem Jahr&comma; wo Pfäfflings bei uns wohnen&comma; sind die Stufen schon so abgetreten worden&comma; daß mir wirklich bang ist&comma; wie es nach einigen Jahren aussehen wird&period;" "Verwehr's ihnen&comma; daß sie so die Treppen herunterpoltern&comma;" sagte der Hausherr&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich will gar nicht behaupten&comma; daß sie poltern&comma; sie sind ja rücksichtsvoll&comma; aber hundertmal springen sie auf und ab und es pressiert ihnen allen so&comma; ein Gehen gibt's bei denen gar nicht&comma; sie müssen immer springen&period; Ich will sie aber gleich heute aufmerksam machen auf die abgetretenen Stellen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Tu's nur&comma; aber das Springen wirst du ihnen nicht abgewöhnen&comma; springt doch der Vater selbst noch wie ein Junger&period; Wir haben doch nicht gewußt&comma; was es um so eine neunköpfige Musikersfamilie ist&comma; wie wir ihnen voriges Jahr selbst unsere Wohnung angeboten haben in ihrer Wohnungsnot&period; Und jetzt haben wir sie&comma; und zu kündigen brächtest du doch nicht übers Herz&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Nein&comma; nie&excl; Aber du auch nicht&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Dann sprich nur beizeiten mit deinem Schwager&comma; daß er Bretter für neue&nbsp&semi;Böden bereit hält&comma;" sagte der Hausherr und die Frau ging hinaus&comma; stand&nbsp&semi;bedenklich und sinnend vor der Treppe&comma; wischte mit einem Tuch über die&nbsp&semi;Stufen&comma; aber sie blieben doch abgetreten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Vormittagsstunden waren endlich vorübergegangen&comma; die kleine vereinsamte Schwester stand am Fenster&comma; sah die Straße hinunter und erkannte schon von weitem den Vater&comma; der mit raschen Schritten auf das Haus zukam&period; Bald darauf tauchten zwei Mädchengestalten auf&comma; das waren die Zwillingsschwestern&comma; die el&fjlig;ährigen&comma; Marie und Anna&comma; die der Bequemlichkeit halber oft zusammen Marianne genannt wurden&period; So rief auch Else jetzt der Mutter zu&colon; "Der Vater ist schon im Haus und Marianne sehe ich auch&comma; aber sie stehen bei andern Mädchen und machen gar nicht voran&period; Aber jetzt kommt der Frieder und dahinter die drei Großen&comma; jetzt muß ich entgegen laufen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Die Schwestern hatten sich den Brüdern zugesellt und so kamen sie alle zugleich ins Haus herein&comma; wo ihnen die Kleine laut lachend vor Vergnügen entgegenrief&colon; "Alle sechs auf einmal&excl;" Sie wollte zu Frieder&comma; der zu hinterst war&comma; aber die Schwestern hatten sie schon an beiden Händen gefaßt und alle drängten der Treppe zu&comma; als die Türe der untern Wohnung aufging und Frau Hartwig herbeikam&period; Flugs zogen die Brüder ihre Mützen&comma; denn die Rücksicht auf die Hausleute war ihnen zur heiligen Pflicht gemacht&comma; und die ganze Schar stand seit dem letzten Umzug in dem Bewußtsein&comma; durchaus keine begehrenswerte Mietspartei zu sein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So blieben sie auch alle stehen&comma; als Frau Hartwig ihnen zurief&colon; "Wartet ein wenig&comma; Kinder&comma; ich muß euch etwas zeigen&period; Schaut einmal die Treppe an&comma; seht ihr&comma; wie die Stufen in der Mitte abgetreten sind&quest; Voriges Jahr war davon noch keine Spur&comma; wer hat das wohl getan&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Eine peinliche Stille&comma; lauter gesenkte Köpfe&period; "Das habt ihr getan&comma;" fuhr die Hausfrau fort&comma; "weil ihr mit euern genagelten Stiefeln hundertmal auf und ab gesprungen seid&period; Wenn ihr nicht Acht gebt&comma; dann richtet ihr mir in einem Jahr meine Treppe ganz zugrunde&period;" Sie standen alle betreten da&comma; die Blicke auf die Treppe gerichtet&period; So schlimm kam ihnen diese wohl nicht vor&comma; aber die Hausfrau mußte es ja wissen&excl; In diesem kritischen Moment kam Karl&comma; dem großen&comma; der Mutter Hauptregel ins Gedächtnis&colon; nur immer gleich um Entschuldigung bitten&excl; "Es ist mir leid&comma;" sagte er&comma; und alle Geschwister wiederholten das erlösende Wort&colon; "Es ist mir leid"&comma; und darauf fing Karl&comma; der große&comma; an&comma; langsam und behutsam die Treppe hinaufzugehen&comma; ihm folgte Wilhelm&comma; der zweite und Otto&comma; der dritte&period; Ihnen nach schlichen unhörbar Marie und Anna mit Elschen&period; Nur Frieder&comma; der vorhin zuhinterst gestanden war und deshalb den Schaden an der Treppe noch nicht hatte sehen können&comma; der verweilte noch und betrachtete nachdenklich die Stufen&period; Dann sagte er zutraulich zu der Hausfrau&colon; "Nur in der Mitte sieht man etwas&comma; warum denn nicht an den Seiten&quest;" "Kleines Dummerle&comma;" sagte Frau Hartwig&comma; "kannst du dir das nicht denken&quest; In der Mitte geht man wohl am öftesten&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"So deshalb&quest;" sagte der Kleine&comma; "dann gehe ich lieber an der Seite&comma;" und indem er dicht am Geländer hinaufstieg&comma; rief er noch freundlich herunter&colon; "Gelt&comma; so wird deine Treppe schön geschont&quest;" "Ja&comma; so ist's recht&comma;" sagte die Hausfrau und indem sie wieder in ihre Wohnung zurückkehrte&comma; sprach sie so für sich hin&colon; den guten Willen haben sie&comma; was kann man mehr verlangen&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>Oben an der Treppe hatte Elschen schon auf Frieder gewartet&comma; sie zog ihn ins Zimmer und rief vergnügt&colon; "Jetzt sind sie alle wieder da&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Den Eßtisch hatte Frau Pfäffling gedeckt&comma; ihr Mann war dabei lebhaft hin und hergelaufen und hatte ihr erzählt&comma; was Neues von der Musikschule zu berichten war&period; Je mehr aber Kinder hereinkamen&comma; um so öfter lief ihm eines in den Weg&comma; so gab er das Wandeln auf und klatschte mit seinen großen Händen&comma; was immer das Zeichen war&comma; zu Tisch zu gehen&period; Da gab es schnell ein Schieben und Stuhlrücken und einen Augenblick lautloser Stille&comma; während die Mutter das Tischgebet sprach&period; Es war nicht alle Tage dasselbe&comma; sie wußte viele&period; Sie fragte manchmal den Vater&comma; manchmal die Kinder&comma; welches sie gerne hörten und richtete sich darnach&period; Heute sprach sie den einfachen Vers&colon; "Du schickst uns die Arbeit&comma; du gönnst uns die Ruh&comma; Herr gib uns zu beidem den Segen dazu&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Das Essen&comma; das die große Walburg aufgetischt hatte&comma; schmeckte allen&comma; aber das Tischgespräch wollte heute den Eltern gar nicht gefallen&period; Sie kannten es schon&comma; es war immer das gleiche beim Beginn des Wintersemesters&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Wir müssen jetzt ein Physikbuch haben&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Die alte Ausgabe von der Grammatik&comma; die ich von Karl noch habe&comma; darf ich nimmer mitbringen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Zum Nähtuch brauchen wir ein Stück feine neue Leinwand&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Bis Donnerstag müssen wir richtige Turnanzüge haben&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"In diesem Jahr kann ich mich nicht wieder ohne Atlas durchschwindeln&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Mein Reißzeug sei ganz ungenügend&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>So ging das eine Weile durcheinander und als das Essen vorbei war&comma; umdrängten die Plaggeister den Vater und die Mutter&semi; nur Frieder&comma; der kleine Volksschüler&comma; hatte keine derartigen Wünsche&comma; er nahm seine Ziehharmonika und verzog sich&semi; Elschen folgte ihm hinunter auf den Balkenplatz&comma; wo eine freundliche Herbstsonne die Kinder umfing&comma; die sich noch sorgenlos in ihren Strahlen sonnen konnten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Herr Pfäffling suchte sich dem Drängen seiner Großen zu entziehen&comma; indem er hinüberflüchtete in das Eckzimmer&comma; das sein Musik- und Stundenzimmer war&period; Dort wartete ein Stoß neuer Musikalien auf ihn&comma; die er prüfen sollte&period; Aber es währte nicht lang&comma; so folgten ihm seine drei Lateinschüler nach&comma; und ein jeder brachte wiederholt sein Anliegen vor und suchte zu beweisen&comma; daß es dringend sei&period; "Ich glaube es ja&comma;" sagte der Vater&comma; "aber alles auf einmal können wir nicht anschaffen&comma; ihr müßt eben warten&comma; bis sich wieder Geld angesammelt hat&period; Woher sollte denn so viel da sein eben jetzt&comma; nach den langen Ferien&quest; Wenn sich nun wieder Stundenschüler einfinden und Geld ins Haus bringen&comma; dann sollt ihr Atlas&comma; Reißzeug und die neuesten Ausgaben der Schulbücher bekommen&comma; aber jetzt reicht es nur für das dringendste&period;" Herr Pfäffling zog eine kleine Schublade seines Schreibtisches auf&comma; in der Geld verwahrt war&comma; "Schaut selbst herein und rechnet&comma; wie weit es langt&comma;" sagte er&period; Es war nicht viel in der Schublade&period; Jetzt fingen die Jungen an zu rechnen und miteinander zu beraten&comma; was das Unentbehrlichste sei&period; "Für Marianne muß auch noch etwas übrig bleiben&comma;" bemerkte der eine der Brüder&comma; "bei ihr gibt es sonst gleich wieder Tränen&period; Leinwand zu einem Nähtuch wollen sie&comma; ob das wohl recht viel kostet&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>So unterhandelten sie miteinander&comma; gaben von ihren Forderungen etwas ab und waren froh&comma; daß das Geld wenigstens zum Allernotwendigsten reichte&period; Es blieb kein großer Rest mehr in der kleinen Schublade&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als kurze Zeit darauf die Lateinschüler und die Töchterschülerinnen sich wieder auf den Schulweg gemacht hatten&comma; kam Frau Pfäffling zu ihrem Mann in das Musikzimmer&comma; wo sie gerne nach Tisch ein Weilchen beisammen saßen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Sieh nur&comma; Cäcilie&comma;" sagte er zu ihr&comma; "die trostlos leere Kasse&period; Es ist höchste Zeit&comma; daß wieder mehr hineinkommt&excl; Wenn sich nur auch neue Schüler melden&comma; die besten vom Vorjahr sind abgegangen und es sind jetzt so viele Musiklehrer hier&semi; von der Musikschule allein könnten wir nicht leben&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Es werden gewiß welche kommen&comma;" sagte Frau Pfäffling&comma; aber sehr zuversichtlich klang es nicht und eines wußte von dem andern&comma; daß es sorgliche Gedanken im Herzen bewegte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>In die Stille des Eckzimmers drang vom Zimmermannsplatz herauf der wohlbekannte Klang der Harmonika&period; Frau Pfäffling trat ans offene Fenster und sah die beiden kleinen Geschwister auf den Brettern sitzend&period; "Es ist doch schon 2 Uhr vorbei&comma;" sagte sie&comma; "hat denn Frieder heute nachmittag keine Stunde&quest;" und sie rief dieselbe Frage dem kleinen Schulbuben hinunter&period; Die Harmonika verstummte&comma; die Kinder antworteten nicht&comma; sie sahen sich nur bestürzt an und die Eile&comma; mit der sie von den Brettern herunterkletterten und durch den Hof rannten&comma; dem Haus zu&comma; sagte genug&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Er hat wahrhaftig die Schulzeit vergessen&comma;" rief Herr Pfäffling&comma; "daran ist wieder nur das verwünschte Harmonikaspielen schuld&excl;" Als Frieder die Treppe heraufkam—ohne jegliche Rücksicht auf abgetretene Stufen—streckte der Vater ihm schon den Arm entgegen und nahm ihm die geliebte Harmonika aus der Hand mit den Worten&colon; "Damit ist's aus und vorbei&comma; wenn du sogar die Schulzeit darüber vergißt&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Frieder beachtete es kaum&comma; so sehr war er erschrocken&period; "Sind alle andern schon fort&quest; Ist's schon arg spät&quest;" fragte er&comma; während er ins Zimmer lief&comma; um seine Bücher zu holen&period; Elschen stand zitternd und strampelnd vor Aufregung dabei&comma; während er seine Hefte zusammenpackte&comma; rief immer verzweifelter&colon; "Schnell&comma; schnell&comma; schnell&excl;" und hielt ihm seine Mütze hin&comma; bis er endlich ohne Gruß davoneilte&period; Auf halber Treppe blieb er aber noch einmal stehen und rief kläglich herauf&colon; "Mutter&comma; was soll ich denn zum Lehrer sagen&quest;" "Sage nur gleich&colon; es tut mir leid&comma;" rief sie ihm nach&period; So rannte er die Frühlingsstraße hinunter und rief in seiner Angst immer laut vor sich hin&colon; "Es tut mir leid&period;" Die Vorübergehenden sahen ihm mitleidig lächelnd nach—es war leicht zu erraten&comma; was dem kleinen Schulbuben leid tat&comma; denn es schlug schon halb drei Uhr&comma; als er um die Ecke der Frühlingsstraße bog&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Herr Pfäffling nahm die Harmonika und besah sie genauer&comma; ehe er sie in seinen Schrank schloß&period; "Redlich abgenützt ist sie&comma;" sagte er sich&comma; "sie wird bald den Dienst versagen und den kleinen Spieler nimmer in Versuchung führen&period; Es hat wohl auch keinen Tag gegeben in den letzten zwei Jahren&comma; an dem er sie nicht benützt hat&period; Er ist ein kleiner Künstler auf dem Instrument&comma; aber er weiß es nicht und das ist gut und von den Geschwistern hört er auch keine Schmeicheleien&comma; sie ärgern sich ja nur über den kleinen Virtuosen&period; Ich wollte&comma; ich hätte auch nur einen Schüler&comma; der so begabt wäre wie Frieder&excl; Aber daß er seine Schule über der Musik versäumt oder ganz vergißt wie heute&comma; das ist doch ein starkes Stück am ersten Schultag&comma; das geht doch nicht an&comma;" und nun wurde die Harmonika eingeschlossen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>War Frieder als letzter in die Schule gekommen&comma; so kam er auch als letzter heraus&period; Die Geschwister daheim hörten von der kleinen Schwester&comma; was vorgefallen war&comma; und berieten&comma; wie es ihm in der Schule ergangen sein mochte&period; Sie hatten viel Erfahrungen bei allerlei Lehrern gesammelt&comma; und die Wahrscheinlichkeit sprach ihnen dafür&comma; daß es glimpflich abgehen würde&period; Aber Frieder hatte einen neuen Lehrer&comma; den kannte man noch nicht und die neuen waren oft scharf&period; Als nun endlich der Jüngste heimkam und ins Zimmer trat&comma; wo sie alle beisammen waren&comma; sahen sie ihn begierig&comma; zum Teil auch ein wenig spöttisch an&period; Aber das Spöttische verging ihnen bald beim Anblick des kleinen Mannes&period; Er sah so kläglich verweint aus&excl; Keine Frage&comma; der Lehrer war scharf gewesen&period; Zuerst wollte Frieder nicht recht herausrücken mit der Sprache&comma; denn der Vater war auch im Zimmer und das war in Erinnerung an sein zürnendes Gesicht und die weggenommene Harmonika nicht aufmunternd für Frieder&period; Aber Herr Pfäffling ging ans Fenster&comma; trommelte einen Marsch auf den Scheiben und achtete offenbar nicht auf die Kinder&period; Da hatte Marie bald alles aus dem kleinen Bruder herausgefragt&comma; denn sie hatte immer etwas Mütterliches gegen die Kleinen&comma; auch der Mutter Stimme&period; So erzählte denn Frieder&comma; daß der Lehrer ihm zuerst nur gewinkt hätte&comma; sich auf seinen Platz zu setzen&comma; aber nach der Schule hatte Frieder vorkommen müssen&comma; ja und dann—dann stockte der Bericht&period; Aber die Geschwister kannten sich aus&comma; sie nahmen seine Hände in Augenschein&comma; die waren auf der Innenseite rot und dick&period; "Wieviel&quest;" fragte Marie&period; "Zwei&period;" "Das geht noch an&comma;" meinte Karl&comma; der große&period; "Es kommt darauf an&comma; ob's gesalzene waren&comma;" und nun erzählte Wilhelm&comma; der zweite&colon; "Bei uns hat einer auch einmal die Schule vergessen&comma; dann hat er zum Lehrer gesagt&comma; er habe Nasenbluten bekommen und so ist er ohne alles durchgeschlupft&comma; der war schlau&excl;" Da hörte auf einmal das Trommeln an den Fensterscheiben auf&comma; der Vater wandte sich um und sagte&colon; "Der war ein Lügner und das ist der Frieder nicht&period; Geh her&comma; du kleines Dummerle du&comma; wenn dir der Lehrer selbst deinen Denkzettel gegeben hat&comma; dann brauchst du von mir keinen&comma; du bekommst deine Harmonika wieder&comma; aber—"<&sol;p>&NewLine;<p>Die gute Lehre&comma; die dem kleinen Schulknaben zugedacht war&comma; unterblieb&comma; denn in diesem Augenblick kam durchs Nebenzimmer Frau Pfäffling und sagte eilfertig&colon; "Kinder&comma; warum macht ihr nicht auf&quest; Ich habe hinten im Bügelzimmer das Klingeln gehört und ihr seid vornen und achtet nicht darauf&excl;" Schuldbewußt liefen die der Türe am nächsten Stehenden hinaus und riefen bald darauf den Vater ab&comma; in freudiger Erregung verkündend&colon; "Es handelt sich um Stunden&excl; Eine vornehme Dame mit einem Fräulein ist da&excl;" "Und ihr habt sie zweimal klingeln lassen&excl; Wenn sie nun fortgegangen wären&excl;" sagte die Mutter vorwurfsvoll&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Manchmal ist's recht unbequem&comma; daß Walburg taub ist&comma;" meinte Anne und Else fügte altklug hinzu&colon; "Es gibt Dienstmädchen&comma; die hören ganz gut&comma; die hören sogar das Klingeln&comma; wenn wir so eine hätten&excl;" "Seid ihr ganz zufrieden&comma; daß wir unsere Walburg haben&comma;" entgegnete Frau Pfäffling&comma; "wenn sie nicht bei uns bleiben wollte&comma; könnten wir gar keine nehmen&comma; sie tut's um den halben Lohn&period; Und wieviel tut sie uns&excl; Es ist traurig&comma; zu denken&colon; weil sie ein solches Gebrechen hat&comma; muß sie sich mit halbem Lohn begnügen&period; Wenn ich könnte&comma; würde ich ihr den doppelten geben&period;" Unvermutet ging die Türe auf und die&comma; von der man gesprochen hatte&comma; trat ein&period; Unwillkürlich sahen alle Kinder sie aufmerksamer an als sonst&comma; sie bemerkte es aber nicht&comma; denn sie blickte auf das große Brett voll geputzter Bestecke und Tassen&comma; das sie aus der Küche hereintrug&period; Walburg war eine ungewöhnlich große&comma; kräftige Gestalt und ihr Gesicht hatte einen guten&comma; vertrauenerweckenden Ausdruck&period; Vor ein paar Jahren war sie aus einem Dienst entlassen worden wegen ihrer zunehmenden Schwerhörigkeit&comma; die nun fast Taubheit zu nennen war&period; Als niemand sie dingen wollte&comma; war sie froh&comma; bei kleinem Lohn in der Familie Pfäffling ein Unterkommen zu finden&period; Seitdem sie nicht mehr das Reden der Menschen hörte&comma; hatte sie selbst sich das Sprechen fast abgewöhnt&period; So tat sie stumm&comma; aber gewissenhaft ihre Arbeit&comma; und niemand wußte viel von dem&comma; was in ihr vorging und ob sie schwer trug an ihrem Gebrechen&period; Durch der Mutter Worte war aber die Teilnahme der jungen Pfäfflinge wach geworden und mit dem Wunsch&comma; freundlich gegen sie zu sein&comma; griff Marie nach den Bestecken&comma; um sie einzuräumen&semi; die andern bekamen auch Lust zu helfen&comma; und im Nu war das Brett leer und Walburg sehr erstaunt über die ungewohnte Hilfsbereitschaft&period; "Freundlichkeit ist auch ein Lohn&comma;" sagte Frau Pfäffling&comma; "wenn ihr den alle sieben an Walburg bezahlt&comma; dann—" "Dann wird sie kolossal reich&comma;" vollendete Karl&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Unser Musiklehrer kam vergnügt aus seinem Eckzimmer hervor&colon; "Ein guter Anfang des Schuljahrs&comma;" sagte er&period; "Die Dame hat mir ihre Tochter als Schülerin angetragen&period; Zwei Stunden wöchentlich in unserem Haus&period; Das Fräulein mag etwa 17 Jahre alt sein und kommt mir allerdings vor&comma; als sei es noch ein dummes Gänschen&comma; aber ein freundliches&comma; es lacht immer&comma; wenn nichts zu lachen ist&comma; und kam in Verlegenheit&comma; als die Frau Mama nach dem Preis fragte mit der Bemerkung&comma; sie zahle immer voraus&period; Sie zog auch gleich ein hochfeines Portemonnaie und zählte das Geld auf den Tisch&period; 'Wenn es auch nur eine Bagatelle ist&comma;' sagte die Dame&comma; 'so bringt man doch die Sache gerne gleich in Ordnung&period;' Darauf empfahl sie sich&comma; das Fräulein knixte und lachte und morgen wird die erste Stunde sein&period; Da ist das Geld&comma; wirst's nötig haben&comma;" schloß Herr Pfäffling seinen Bericht und reichte seiner Frau das Geld hin&period; Die Kinder drückten sich an die Fenster&comma; sahen hinunter und bewunderten die Dame&comma; die mit ihrem seidenen Kleid durch die Frühlingsstraße rauschte&comma; begleitet von der Tochter&comma; die mehr noch ein Kind als ein Fräulein zu sein schien&period; "Hat je eines von euch schon diesen Namen gehört&quest;" fragte Herr Pfäffling und hielt ihnen die Visitenkarte der Dame hin&period; Sie schüttelten alle verneinend&comma; der Name war ganz schwierig herauszubuchstabieren&comma; er lautete&colon; <em>Frau Privatiere Vernagelding<&sol;em>&period;<&sol;p>

«

»