Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Kater Martinchen
(Ernst Moritz Arndt)

Das Silberglöckchen

<p>Ein Schäferjunge zu Patzig&comma; eine halbe Meile von Bergen&comma; wo es in den Hügeln auch viele Unterirdische hat&comma; fand eines Morgens ein silbernes Glöckchen auf der grünen Heide zwischen den Hünengräbern und steckte es zu sich&period; Es war aber das Glöckchen von einer Mütze eines kleinen Braunen&comma; der es da im Tanze verloren und nicht sogleich bemerkt hatte&comma; daß es an dem Mützchen nicht mehr klingelte&period; Er war nun ohne das Glöckchen heruntergekommen und war sehr traurig über diesen Verlust&period; Denn das Schlimmste&comma; was den Unterirdischen begegnen kann&comma; ist&comma; wenn sie die Mütze verlieren&comma; dann die Schuhe&period; Aber auch das Glöckchen an der Mütze und das Spänglein am Gürtel ist nichts Geringes&period; Wer das Glöckchen verloren hat&comma; der kann nicht schlafen&comma; bis er es wiedergewinnt&comma; und das ist doch etwas recht Betrübtes&period; Der kleine Unterirdische in dieser großen Not spähete und spürte umher&semi; aber wie sollte er erfahren&comma; wer das Glöcklein hatte&quest; Denn nur wenige Tage im Jahr dürfen sie an das Tageslicht hinaus&comma; und dann durften sie auch nicht in ihrer wahren Gestalt erscheinen&period; Er hatte sich schon oft verwandelt in allerlei Gestalten&comma; in Vögel und Tiere&comma; auch in Menschen&comma; und hatte von seinem Glöckchen gesungen und geklungen und gestöhnt und gebrüllt und geklagt und gesprochen&semi; aber keine kleinste Kunde oder nur Spur von einer Kunde war ihm bis jetzt zugekommen&period; Denn das war das Schlimmste&comma; daß der Schäferjunge gerade den Tag&comma; nachdem er das Glöckchen gefunden&comma; von Patzig weggezogen war und jetzt zu Unrow bei Gingst die Schafe hütete&period; Da begab es sich erst nach manchem Tag durch ein Ungefähr&comma; daß der arme kleine Unterirdische wieder zu seinem Glöckchen und zu seiner Ruhe kommen sollte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Er war nämlich auf den Einfall gekommen&comma; ob auch ein Rabe oder Dohle oder Krähe oder Uglaster das Glöckchen gefunden und etwa bei seiner diebischen Natur&comma; die sich in das Blanke vergafft&comma; in sein Nest getragen habe&period; Und er hatte sich in einen angenehmen&comma; kleinen bunten Vogel verwandelt und alle Nester auf der ganzen Insel durchflogen und den Vögeln allerlei vorgesungen&comma; ob sie ihm verraten möchten&comma; daß sie den Fund getan hätten&comma; und er so wieder zu seinem Schlaf käme&period; Aber die Vögel hatten sich nichts merken lassen&period; Als er nun des Abends flog über das Wasser von Ralow her über das Unrower Feld hin&comma; weidete der Schäferjunge&comma; welcher Fritz Schlagenteuffel hieß&comma; dort eben seine Schafe&period; Mehrere der Schafe trugen Glocken um den Hals und klingelten&comma; wenn der Junge sie durch seinen Hund in den Trab brachte&period; Das Vögelein&comma; das über sie hinflog&comma; dachte an sein Glöcklein und sang in seinem traurigen Mut&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>Glöckelein&comma; Glöckelein&period;<br&sol;>Böckelein&comma; Böckelein&comma;<br&sol;>Schäflein auch du&comma;<br&sol;>Trägst du mein Klingeli&comma;<br&sol;>Bist du das reichste Vieh&comma;<br&sol;>Trägst meine Ruh&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Junge horchte nach oben auf diesen seltsamen Gesang&comma; der aus den Lüften klang&comma; und sah den bunten Vogel&comma; der ihm noch viel seltsamer vorkam&period; Er sprach bei sich&colon; "Potztausend&comma; wer den Vogel hätte&excl; Der singt ja&comma; wie unsereiner kaum sprechen kann&period; Was mag er mit dem wunderlichen Gesange meinen&quest; Am Ende ist es ein bunter Hexenmeister&period; Meine Böcke haben nur tonbackene Glocken&comma; und er nennt sie reiches Vieh&comma; aber ich habe ein silbernes Glöckchen&comma; und von mir singt er nichts&excl;" Und mit den Worten fing er an&comma; in der Tasche zu fummeln&comma; holte sein Glöckchen heraus und ließ es klingen&period; Der Vogel in der Luft sah sogleich&comma; was es war&comma; und freute sich über die Maßen&semi; er verschwand aber in der Sekunde&comma; flog hinter den nächsten Busch&comma; setze sich&comma; zog sein buntes Federkleid aus und verwandelte sich in ein altes Weib&comma; das mit kümmerlichen Kleidern angetan war&period; Die alte Frau&comma; mit einem ganzen Sack voll Seufzer und Ächzer versehen&comma; stümperte sich quer über das Feld zu dem Schäferbuben hin&comma; der noch mit seinem Glöcklein klingelte und sich wunderte&comma; wo der schöne Vogel geblieben war&comma; räusperte sich und tat einige Huster aus hohler Brust und bot ihm dann einen freundlichen guten Abend und fragte nach der Straße zu der Stadt Bergen&period; Dann tat sie&comma; als ob sie das Glöcklein jetzt erst erblickte&comma; und rief&colon; "Herre je&comma; welch ein niedliches&comma; kleines Glöckchen&excl; Hab' ich doch in meinem Leben nichts Feineres gesehen&excl; Höre&comma; mein Söhnchen&comma; willst du die Glocke verkaufen&quest; Und was soll sie kosten&quest; Ich habe ein kleines Enkelchen&comma; für den wäre sie mir eben ein bequemes Spielgerät&period;"—"Nein&comma; die Glocke wird nicht verkauft&excl;" antwortete der Schäferknabe kurz abgebissen&semi; "das ist eine Glocke&comma; so eine Glocke gibt's in der Welt nicht mehr&colon; wenn ich nur damit anklingele&comma; so laufen meine Schafe von selbst hin&comma; wohin ich sie haben will&semi; und welchen lieblichen Ton hat sie&excl; Hört mal&comma; Mutter"&comma; &lpar;und er klingelte&rpar; "ist eine Langeweile in der Welt&comma; die vor dieser Glocke aushalten kann&quest; Dann kann ich mir die längste Zeit wegklingeln&comma; daß sie in einem Hui fort ist&period;" Das alte Weib dachte&colon; "Wollen sehen&comma; ob er Blankes aushalten kann&quest;" und hielt ihm Silber hin&comma; wohl drei Taler&semi; er sprach&colon; "Ich verkaufe aber die Glocke nicht&period;" Sie hielt ihm fünf Dukaten hin&semi; er sprach&colon; "Das Glöckchen bleibt mein&period;" Sie hielt ihm die Hand voll Dukaten hin&semi; er sprach zum drittenmal&colon; "Gold ist Quark und gibt keinen Klang&period;" Da wandte die Alte sich und lenkte das Gespräch anderswohin und lockte ihn mit geheimen Künsten und Segenssprechungen&comma; wodurch sein Vieh Gedeihen bekommen könnte&comma; und erzählte ihm allerlei Wunder davon&period; Da ward er lüstern und horchte auf&period; Das Ende vom Liede war&comma; daß sie ihm sagte&colon; "Höre&comma; mein Kind&comma; gib mir die Glocke&semi; siehe&comma; hier ist ein weißer Stock" &lpar;und sie holte ein weißes Stäbchen hervor&comma; worauf Adam und Eva sehr künstlich geschnitten waren&comma; wie sie die paradiesischen Herden weideten&comma; und wie die feistesten Böcke und Lämmer vor ihnen hintanzten&semi; auch der Schäferknabe David&comma; wie er ausholt mit der Schleuder gegen den Riesen Goliath&rpar;&comma; "diesen Stock will ich dir geben für das Glöckchen&comma; und solange du das Vieh mit diesem Stäbchen treibst&comma; wird es Gedeihen haben&comma; und du wirst ein reicher Schäfer werden&semi; deine Hämmel werden immer vier Wochen früher fett werden als die Hämmel aller andern Schäfer&comma; und jedes deiner Schafe wird zwei Pfund Wolle mehr tragen&comma; ohne daß man ihnen den Segen ansehen kann&period;" Die alte Frau reichte ihm den Stock mit einer so geheimnisvollen Gebärde und lächelte so leidig und zauberisch dazu&comma; daß der Junge gleich in ihrer Gewalt war&period; Er griff gierig nach dem Stock und gab ihr die Hand und sagte&colon; "Topp&comma; schlag ein&excl; Die Glocke ist dein für den Stock&period;" Und sie schlug ein und nahm die Glocke und fuhr wie ein leichter Wind über das Feld und die Heide hin&period; Und er sah sie verschwinden&comma; und sie deuchte ihm wie ein Nebel hinzufließen und sanft fortzulaufen&comma; und alle seine Haare richteten sich zu Berge&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Unterirdische&comma; der ihm die Glocke in der Verkleidung einer alten Frau abgeschwatzt&comma; hatte ihn nicht betrogen&period; Denn die Unterirdischen dürfen nicht lügen&comma; sondern das Wort&comma; das sie von sich geben oder geloben&comma; müssen sie halten&semi; denn wenn sie lügen&comma; werden sie stracks in die garstigsten Tiere verwandelt&comma; in Kröten&comma; Schlangen&comma; Mistkäfer&comma; Wölfe und Lüchse und Affen&comma; und müssen wohl Jahrtausende in Abscheu und Schmach herumkriechen und herumstreichen&comma; ehe sie erlöst werden&period; Darum haben sie ein Grauen davor&period; Fritz Schlagenteuffel gab genau acht und versuchte seinen neuen Schäferstab&comma; und er fand bald&comma; daß das alte Weib ihm die Wahrheit gesagt hatte&comma; denn seine Herde und all sein Werk und seiner Hände Arbeit geriet ihm wohl und hatte ein wunderbares Glück&comma; so daß alle Schafherren und Oberschäfermeister diesen Jungen begehrten&period; Er blieb aber nicht lange Junge&comma; sondern schaffte sich&comma; ehe er noch achtzehn Jahre alt war&comma; seine eigene Schäferei und ward in wenigen Jahren der reichste Schäfer auf ganz Rügen&comma; so daß er sich endlich ein Rittergut hat kaufen können&colon; und das ist Grabitz gewesen hier bei Rambin&comma; was jetzt den Herren vom Sunde gehört&period; Da hat mein Vater ihn noch gekannt&comma; wie aus dem Schäferjungen ein Edelmann geworden war&comma; und hat er sich auch da als ein rechter&comma; kluger und frommer Mann aufgeführt&comma; der bei allen Leuten ein gutes Lob hatte&comma; und der hat seine Söhne wie Junker erziehen lassen und seine Töchter wie Fräulein&comma; und es leben noch davon und dünken sich jetzt vornehme Leute&period; Und wenn man solche Geschichten hört&comma; möchte man wünschen&comma; daß man auch mal so etwas erlebte und ein silbernes Glöcklein fände&comma; das die Unterirdischen verloren haben&period;<&sol;p>