Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen und Sagen
(Ernst Moritz Arndt)

Der große Jochen

<p>Der Bauer Hans Diebenkorn&comma; ich weiß nicht mehr&comma; in welchem Dorfe er wohnte&comma; hatte einen Sohn&comma; der hieß Jochen&comma; das war ein schlimmer ungeschlachter Junge voll Wildheit und Schalkstreiche&comma; den keiner bändigen konnte&period; Sein Vater war ein stiller ordentlicher Mann und ermahnte und züchtigte ihn oft und viel&comma; Priester und Schulmeister hobelten und meißelten an ihm mit dem Ernst der Vermahnung und mit der Strenge der Strafe&colon; der Knabe ward mit der Asche und Lauge der Reue und Buße und mit der ungebrannten Asche der Erinnerung&comma; die auf grünen Bäumen als ein recht dunkel blühendes Vergißmeinnichtchen wächst&comma; genug eingerieben und gewaschen—es konnte ihn das alles nicht weich und geschmeidig machen&comma; Jochen blieb Jochen&comma; er blieb der freche und ungehorsame Gesell&comma; der er gewesen war&comma; und wo er einen Schalkstreich konnte laufen lassen&comma; war es seine Freude&period; Das war daher noch das Schlimmste und machte seinem Vater die meiste Sorge&comma; daß Jochen auch an Kräften unbändig war und in seinem fünfzehnten Jahre sich schon mit jedem lustigsten Knechte im Dorfe im Ringen und Balgen messen konnte&period; Der üppige und übermüthige Leib war der Zucht zu früh entwachsen&period; Dazu kam&comma; daß Jochen ein sehr schöner und schlanker Junge war&comma; der das Maul so gut gebrauchen und so angenehm thun konnte&comma; daß kein Mensch unter dieser Kappe den Schelm vermuthete&period; Desto besser konnte er seine Späße und Schalkstreiche mit andern ausführen&semi; denn er konnte so leidig seyn&comma; daß auch die gescheidtesten und klügsten Leute von ihm angeführt wurden&period; Der Vater&comma; der seinen Vogel kannte&comma; hielt ihn nun freilich sehr zur Arbeit an&semi; aber so wie er nur einen Augenblick hatte&comma; war auch der Schelm da und sogleich auf allen Gassen Geschrei über ihn&period; Indessen sagt ein altes Sprichwort&colon; Der Krug geht so lange zu Wasser&comma; bis er bricht&comma; und das geschah auch bei Jochen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Er hatte sein besonderes Vergnügen&comma; alte Leute&comma; die auf dem Wege vorbeigingen&comma; und Arme&comma; die ihr Brod vor den Thüren mitleidiger Menschen suchten&comma; zu necken&comma; und that es immer wieder&comma; wie oft sein Vater ihn darüber auch hart gezüchtigt und erinnert hatte&comma; es sey keine größere Sünde&comma; als diejenigen verspotten&comma; welche elend sind&comma; denn ihr Elend komme von Gott und Gott habe sie deswegen unter seinem besondern Schutz&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun begab es sich&comma; daß einmal eine arme alte Bettelfrau gegangen kam mit einem Korbe auf dem Kopfe und einem Sack auf dem Rücken&period; Sie ging gar stümperlich und jämmerlich&comma; stand alle drei Schritt still und ächzete und hustete sehr&period; Jochen sah sie kommen und machte sich an sie und bot ihr einen freundlichen guten Tag&period; Sie ward zutraulich und fragte ihn&comma; wie sie über einen tiefen Bach&comma; der vor ihr floß&comma; ins Dorf kommen sollte&period; O hier&comma; Mutter&excl; komm nur mit&excl; sprach Jochen&comma; hier ist ein Steg&comma; den will ich dir zeigen&period; Und er ging und sie folgte ihm&comma; und er führte sie auf ein ziemlich schmales und schwankendes Brett&comma; das über den Bach gelegt war&period; Als die alte Frau aber mitten auf dem Brette war&comma; da fing Jochen an mit dem einen Ende desselben aus allen Kräften zu wippen—er gebehrdete sich aber als taumele er—und wippte so arg&comma; daß das Brett umschlug und die alte Frau mit Korb und Sack in den Bach fiel&comma; so lang sie war&period; Er sprang nun zu und half ihr wieder aus dem Wasser und stellte sich&comma; als sey er unschuldig an der Sache&comma; greinte und grieflachte&ast; aber in sich&period; Die alte Frau dankte ihm noch und ließ sich nichts merken&comma; zog ihre nassen Kleider aus und hing sie an Sträuchen auf&comma; daß sie an der Sonne trockneten&comma; und fing dann an&comma; damit sie sich die Langeweile vertriebe&comma; mit beweglicher und kläglicher Stimme einige Lieder zu singen&period; Jochen&comma; der weggelaufen war&comma; kam bald wieder und lauschte&semi; die Lieder gefielen ihm und er setzte sich zu ihr und sagte lachend&colon; Höre&comma; Mutter&comma; singe mir auch einen Vers&excl; Das will ich thun&comma; mein Sohn&comma; sprach die Alte&comma; aber du mußt auch Acht geben und deinen Vers behalten&period; Und sie sang&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>—————————————<br&sol;>&ast; Wird ausgesprochen an einigen Orten grifflachen&comma; an anderen grieflachen&comma; das letzte offenbar richtiger&period; Wir haben kein Wort in unserer Sprache&comma; diesem gleich&comma; ein boshaftes Lachen&comma; was sich unter Bart und Lippen verstecken mögte und doch die geheime Freude über fremden Unfall nicht bergen kann&comma; auszudrücken&comma; als dieses sassische Wort&period; Es drückt die Gebehrde aus&comma; die zwischen Weinen und Hohnlachen in der Mitte um den Mund schwebt&period; Die erste Sylbe ist in der englischen Sprache übrig&comma; wo es Kummer Traurigkeit bedeutet&period; Wie Traurigkeit und Bosheit in der Bedeutung der Worte zusammenfallen&comma; davon zeugt jede Sprache&comma; z&period; B&period; das italienische tristizia tristezza und das englische mischief&comma; das gothische hemsk &lpar;verschlossen hinterlistig&comma; traurig erschrocken&rpar; und das sassische inheimsch&period;<br&sol;>—————————————<&sol;p>&NewLine;<p>Dukatenkrut hinner'm Tuune&comma;<br&sol;>Leew in dem Pagellune<br&sol;>Un in dem Sparling Treu&comma;<br&sol;>Verstand im lütten Finger—<br&sol;>Dat sünt so sell'ne Dinger&comma;<br&sol;>As Rosen unner't Heu&period;<br&sol;>Hür nipp nu to&comma; min Jüngken&comma;<br&sol;>Du makst so menning Sprüngken&comma;<br&sol;>Dat Gott vergewen mag&excl;<br&sol;>Veel Müse freten den Kater—<br&sol;>Du denkst ens an dit Water&comma;<br&sol;>Un din juchhe watt Ach&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Jochen lachte unbändig auf&comma; als sie gesungen hatte&comma; und rief&colon; das ist ja ein dummes närrisches Lied&comma; Alte&comma; ohne Sinn und Verstand&period; Höre&excl; ich singe dir auch eines vor&period; Und er sang mit heller geschwinder und scherzender Stimme&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>De Kukuk up dem Tuune satt&comma;<br&sol;>Dat wutt regnen&comma; un he wutt natt&comma;<br&sol;>De Kukuk un de wutt natt&period;<br&sol;>Doon schreed he&colon; Ach&excl; min buntes Gatt&excl;<br&sol;>Wo natt&excl; wo natt&excl; wo natt&excl; wo natt&excl;<br&sol;>Min Gatt wat büst du natt&excl;<br&sol;>Kukuk&excl; Kukuk&excl;<br&sol;>De Kukuk flog na Hus—<&sol;p>&NewLine;<p>und darauf lief er davon&comma; that aber vorher ihrem Korbe und ihren Schuhen noch einen Schabernack an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So machte Jochen es oft und konnte seinen unbändigen Muthwillen gar nicht halten&period; Eines Tages kam er aus dem Walde und sprang mit Trallalla und Juchheida über das Feld daher&semi; denn lustig war er fast immer&period; Es war ein kalter Wintertag und schneiete und fror sehr&period; Als er so tralleiend und juchheiend einen Hohlweg hinablief&comma; stand ein kleiner schneeweißer Mann da&comma; der sehr alt und jämmerlich aussah&comma; und stönte und ächzete bei einem großen Korbe&comma; den er sich auf den Rücken heben wollte und nicht konnte&period; Als er nun Jochen kommen sah&comma; ward er froh und bat den Burschen freundlich&colon; Lieber Sohn bedenke&comma; daß du auch einmal alt und schwach werden kannst&comma; und hilf mir diesen Korb hier auf den Rücken&period; Von Herzen gern&comma; sprach Jochen&comma; sprang hinzu hob den Korb auf und hing dem alten Mann die Hänkel desselben um die Schultern&comma; darauf riß er ihn mit dem Korbe um und ließ ihn im Schnee liegen&comma; und lachte und rief im Weglaufen&colon; Piep&excl; Vagel&excl; piep&excl; Der alte Mann wühlte sich wieder aus dem Schnee auf und sammelte was herausgefallen wieder in den Korb&comma; und schrie mit zorniger Stimme hinter dem auslachenden Jochen her&colon; Ja piep&excl; Vagel&excl; piep&excl; Gott wird dich piepen lehren&comma; du gottloser Bube&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Und Gott hat den Vogel pfeifen gelehrt&period; Denn als Jochen den andern Morgen wieder mit der Axt auf dem Nacken in den Wald gehen sollte&comma; daß er Holz fällete&comma; mußte er wieder durch diesen Hohlweg gehen&period; Doch wie er näher kam&comma; ward ihm ganz wunderlich zu Muthe&comma; so wunderlich&comma; als ihm in seinem Leben nicht ums Herz gewesen war&period; Und obgleich es heller lichter Tag war und die Wintersonne eben feuerroth aufging&comma; war ihm doch graulich&comma; als wäre es Mitternacht gewesen&comma; aber das war sein böses Gewissen&comma; und es däuchte ihm immer&comma; als komme der alte Mann jeden Augenblick aus dem Hohlwege auf ihn zu und schreie ihn mit Piep&excl; Vagel&excl; piep&excl; an&semi; und er wäre gern einen andern Weg in den Wald gegangen&period; Indessen wagte er es doch und ging in den schauerlichen Hohlweg hinein&period; Aber kaum hat Jochen seinen Fuß auf die Stelle gesetzt&comma; wo er gestern Abend den alten Mann mit dem Korbe in den Schnee gestürzt hatte&comma; so hat es ihn gefaßt und geschüttelt&comma; und in einem Augenblicke ist er weg gewesen und ist auch nie wieder gekommen&comma; und kein Mensch hat gehört&comma; wo er gestoben und geflogen ist&period; Die Leute haben aber geglaubt&comma; daß der böse Feind ihn geholt habe wegen der vielen verruchten und gottlosen Streiche&comma; die der übermüthige Junge immer verübte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das ist es aber nicht gewesen&comma; sondern des alten Mannes mit dem Korbe Piep&excl; Vagel&excl; piep&excl; den er in dem Hohlwege so schändlich umgestoßen und dann noch schadenfroh ausgelacht hatte&period; Jochen hat pfeifen lernen müssen&comma; er ist in einen Piepvogel verwandelt und der allerkleinste Vogel geworden&comma; der auf Erden lebt&period; Das ist nun seine Strafe&comma; daß er im strengsten Winter durch die Sträuche und Hecken fliegen und um die Häuser und Fenster der Menschen flattern&comma; meist aber bei armen Leuten rundfliegen und hungern und frieren und piepen muß&period; Er hat ein graues Röckchen an gleich dem grauen Kittel&comma; den er trug&comma; als er verwandelt worden&comma; und muß bis diesen Tag aus schelmischen und spitzbübisch kleinen Augen lachen&comma; auch wenn ihm weinerlich zu Muth ist&period; Er heißt der Zaunkönig&comma; die Leute aber nennen ihn aus Spott den großen Jochen oder den kurzen Jan&semi; auch wird er Nesselkönig genannt&comma; weil der arme Schelm durch Nesseln und Disteln und kleine stachlichte Sträuche schlüpfen und fliegen muß und meistens in Nesselbüschen sein Nestchen baut&period; Da hat er nun Zeit seine Sünden zu bedenken&comma; wann der Wind pfeift und der Schnee stöbert und er in kahlen Hecken und Zäunen sitzen und piepen muß&period; Da hören die Kinder ihn oft mit seiner feinen Stimme singen und denken an die alte Geschichte von Jochen Diebenkorn&period; Er singt aber also sein Piep&excl; Vagel&excl; piep&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Piep&excl; Piep&excl;<br&sol;>De Äppel sünt riep&comma;<br&sol;>De Beren sünt gel&comma;<br&sol;>Dat Speck in de Tweel&comma;<br&sol;>De Stuw is warm&comma;<br&sol;>Hans slöpt Grethen im Arm&period;<br&sol;>Piep&excl; piep&excl;<br&sol;>Wo koold is de Riep&excl;<br&sol;>Wo dünn is min Kleed&excl;<br&sol;>Wo undicht min Bedd&excl;<br&sol;>Wo lang is de Nacht&excl;<br&sol;>Wer hedd dat woll dacht&quest;<&sol;p>