Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen und Sagen
(Ernst Moritz Arndt)

Halt den Mittelweg!

<p>Ihr habt wohl zuweilen von dem Wode gehört&comma; dem wilden Jäger&comma; der des Nachts durch Wald und Feld streunt und ruft Hallo&excl; Hoho&excl; Halt den Mittelweg&excl; halt den Mittelweg&excl; Dieser war vormals vor langen langen Zeiten ein großer Fürst im Sachsenlande&comma; der viele Burgen und Schlösser und Dörfer und Forsten hatte&period; Er liebte von allen Dingen in der Welt am meisten die Jagd und lebte mehr in den wilden Wäldern&comma; als auf seinen Schlössern und war überhaupt eines jähen und wüthigen Gemüthes und ein rechter Zwingherr&period; Dieser Fürst hat&comma; als er noch lebte&comma; das begangen&comma; was einem keiner glauben will und was jeder für eine Fabel erklärt aus der allerältesten und allergrausendsten Heidenzeit&period; Ein Hirtenknabe hatte in seinem Walde einen jungen Baum abgeschält und sich aus der abgeschälten Rinde eine Schalmei gemacht&period; Diesem armen unschuldigen Knaben hat der Unhold den Leib aufgeschnitten und das Ende des Gedärms um einen Baum gebunden&comma; und nun hat er den Knaben solange um den Baum treiben lassen&comma; bis das Gedärm aus dem Leibe gewunden und der Knabe todt hingefallen war&comma; und dazu hat er gerufen&colon; Das ist die Schalmei&comma; worauf du blasen sollst&semi; das hast du für dein Pfeifen&period; Einen Bauer&comma; der auf einen Hirsch schoß&comma; der ihm sein Korn abweidete&comma; hat er ohne alle Barmherzigkeit lebendig auf den Hirsch festschmieden und das wilde Thier so mit ihm in den Wald laufen lassen&period; Da ist das geängstete Thier mit dem armen Mann so lange gelaufen und hat ihm Leib und Haupt und Schenkel an den Bäumen und Sträuchen so lange jämmerlich zerquetscht und zerrissen&comma; bis zuerst der Bauer todt war&comma; dann auch der Hirsch hinstürzte&period; Für solch greuliche Thaten hat der ungeheure Mann endlich auch seinen verdienten Lohn bekommen&period; Er hat sich auf der Jagd mit seinem Pferde den Hals gebrochen&comma; welches durchgegangen und so gewaltig gegen eine Buche gerannt ist&comma; daß es den Augenblick todt hinfiel&comma; dem Reiter aber an dem Baum das Gehirn in tausend Stücke zerstob&period; Und das ist nun seine Strafe nach dem Tode&comma; daß er auch noch im Grabe keine Ruhe hat sondern die ganze Nacht umherschweifen und wie ein wildes Ungeheuer jagen muß&period; Dies geschieht jede Nacht Winter und Sommer von Mitternacht bis eine Stunde vor Sonnenaufgang&comma; und dann hören die Leute ihn oft Wod&excl; Wod&excl; Hoho&excl; Hallo&excl; Hallo&excl; schreien&semi; sein gewöhnlicher Ruf ist aber Wod&excl; Wod&excl; und davon wird er selbst an manchen Orten der Wode genannt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Wode sieht fürchterlich aus und fürchterlich ist auch sein Aufzug und sein Gefolg&period; Sein Pferd ist ein schneeweißer Schimmel oder ein feuerflammiges Roß&comma; aus dessen brausenden Nüstern Funken sprühen&period; Darauf sitzt er&comma; ein langer hagerer Mann in eiserner Rüstung&comma; Zorn und Grimm funkeln seine Augen und Feuer fliegt aus seinem Angesicht&semi; sein Leib ist vorübergebeugt&comma; weil es immer im hallenden sausenden Galopp geht&semi; seine Rechte schwingt eine lange Peitsche&comma; mit welcher er knallt und sein Wild au&fjlig;agt oder auch auf das verfolgte hauet&period; Wüthende Hunde ohne Zahl umschwärmen ihn und machen ein fürchterliches Getose und Geheul&semi; er aber ruft von Zeit zu Zeit drein Wod&excl; Wod&excl; Hallo&excl; Hallo&excl; Halt den Mittelweg&excl; Halt den Mittelweg&excl; Seine Fahrt geht meistens durch wilde Wälder und öde Haiden und in der Mitte der ordentlichen Straßen und Wege darf er nicht reiten&period; Trifft er zufällig auf einen Kreuzweg&comma; so stürzt er mit Pferd und Mann und Maus fürchterlich über Kopf und rafft sich weit jenseits erst wieder auf&semi; doch auch die&comma; welche er jagt&comma; dürfen diesem Kreuzwege nicht zu nah kommen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Und was für Wildpret jagt er&quest; Unter den Thieren alles diebische und räuberische Gesindel&comma; welches zur Nachtzeit auf Mord und Beute schleicht&comma; Wölfe&comma; Füchse&comma; Lüchse&comma; Katzen&comma; Marder&comma; Iltisse&comma; Ratten&comma; Mäuse und von den Menschen Mörder&comma; Diebe&comma; Räuber&comma; Hexen und Hexenmeister und alles&comma; was von dunklen und nächtlichen Künsten lebt&period; So muß dieser Bösewicht&comma; der im Leben so viel Unglück anrichtete&comma; es gewissermaaßen im Tode wieder gutmachen&period; Er hält&comma; was die Leute sagen&comma; die Straße rein&semi; denn wehe dem&comma; welchen er bei nächtlicher Weile auf verbotenen Schleichwegen oder im Felde und Walde antrifft&comma; und der nicht ein gutes Gewissen hat&excl; Wie mancher muß wohl zittern&comma; wenn er sein Hoho&excl; Hallo&excl; Halt den Mittelweg&excl; Halt den Mittelweg&excl; hört&excl; Denn gewöhnlich jagt er&comma; was er vor seine Peitsche kriegt&comma; so lange&comma; bis es die Zunge aus dem Halse streckt und todt hinfällt&period; Am strengsten ist der wilde Jäger gegen die Hexen und Hexenmeister&semi; diesen ist der Tod das gewisseste&comma; wenn er sie einmal in seiner Jagd hat&comma; wenn sie nicht etwa eine Alfranke oder eine Hexenschlinge finden&comma; wo sie durchschlüpfen mögen&comma; denn dann sind sie für das Mal frei&period; Alfranke ist ein kleiner Strauch&comma; der im Walde steht und im ersten Frühlinge grünt und sich gern um andere Bäume schlingt und rankt und dabei oft eine Schlinge mit einer Öffnung macht&comma; wodurch etwas schlüpfen kann&period; Eben so wachsen einzelne Zweige von Bäumen oft so wundersam zusammen&comma; daß sie ein rundes Loch einer Schlinge gleich bilden&comma; oft weit genug&comma; daß ein Ochs durchschlüpfen könnte&semi; wie viel leichter ein Mensch&excl; Das nennt man eine Hexenschlinge oder einen Hexenschlupf&semi; denn wann sie in der Noth ein solches treffen und dadurch wischen&comma; darf niemand sie anrühren&period;<&sol;p>