Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen für Kinder
(Hans Christian Andersen, empfohlenes Alter: 8 - 14 Jahre)

Der Engel

<p>Bei jedem guten Kinde&comma; wenn es stirbt&comma; steigt ein Engel Gottes auf die Erde nieder&comma; nimmt das tote Kind auf seine Arme&comma; breitet seine großen weißen Flügel aus&comma; fliegt über alle Stätten hin&comma; die das Kind lieb gehabt hatte&comma; und pflückt eine ganze Hand voll Blumen&comma; die er zu Gott hinaufbringt&comma; damit sie dort noch schöner als auf Erden blühen&period; Der liebe Gott drückt alle Blumen an sein Herz&comma; aber der Blume&comma; die ihm am liebsten ist&comma; gibt er einen Kuß und dadurch erhält sie Stimme und vermag in der großen Glückseligkeit mitzusingen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sieh&comma; dies alles erzählte ein Engel Gottes&comma; als er ein totes Kind zum Himmel trug und das Kind hörte es wie im Traume&period; Sie schwebten hin über die Stätten der Heimat&comma; wo das Kind gespielt hatte&comma; und kamen durch Gärten mit herrlichen Blumen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Welche wollen wir nun mitnehmen und in den Himmel pflanzen&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte der Engel&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da stand ein schlanker&comma; prächtiger Rosenstock&comma; aber eine böse Hand hatte den Stamm umgebrochen&comma; so daß alle Zweige voll großer&comma; halbaufgebrochener Knospen verwelkt herabhingen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Der arme Rosenstock&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte das Kind&period; „Ob er nur oben bei Gott zur Blüte gelangen kann&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Und der Engel nahm ihn&comma; küßte aber das Kind dafür und das Kleine öffnete seine Augen zur Hälfte&period; Sie pflückten von den reichen Prachtblumen&comma; nahmen jedoch auch die verachtete Goldblume und das wilde Stiefmütterchen mit&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Jetzt haben wir Blumen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; jubelte das Kind&comma; und der Engel nickte&period; Es war Nacht und überall herrschte Stille&period; Sie blieben in der großen Stadt und schwebten in einer der schmalsten Gassen&comma; wo allerhand Gerümpel umherlag&comma; denn es war Ziehtag gewesen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Engel zeigte auf die Scherben eines Blumentopfes hinunter und auf einen Klumpen Erde&comma; der herausgefallen war und durch die Wurzeln einer großen&comma; verwelkten&comma; und deshalb auf die Straße hinausgeworfenen Feldblume zusammengehalten wurde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Die nehmen wir mit&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Engel&period; „Ich will dir gleich erzählen&comma; weshalb&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Und nun flogen sie und der Engel erzählte&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>„Dort unten in der engen Straße&comma; in dem niedrigen Keller&comma; wohnte ein armer&comma; kranker Knabe&period; Von Kindesbeinen an war er immer bettlägerig gewesen&period; Wenn er sich am wohlsten fühlte&comma; konnte er die kleine Stube auf Krücken ein paarmal auf- und niedergehen&semi; das war das Höchste&period; Während weniger Sommertage fielen die Sonnenstrahlen ein halbes Stündchen in den Kellerflur hinein&period; Wenn dann der arme Junge dasaß und die warme Sonne auf sich herniederscheinen ließ&comma; und durch seine feinen Finger&comma; die er sich vor das Gesicht hielt&comma; das rote Blut hindurchschimmern sah&comma; dann hieß es&colon; „Heute ist er ausgewesen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Den Wald in seinem herrlichen Frühlingsgrün kannte er nur dadurch&comma; daß ihm des Nachbars Sohn den ersten Buchenzweig brachte&period; Den hielt er über den Kopf und träumte nun&comma; unter Buchen zu ruhen&comma; wo die Sonne schiene und die Vögel sängen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„An einem schönen Lenztage brachte ihm der Nachbarssohn mehrere Feldblumen&comma; worunter sich auch eine mit der Wurzel befand&period; Sie wurde in einen Topf gepflanzt und an das Fenster dicht neben seinem Bette gestellt&period; Die Blume war von einer glücklichen Hand gepflanzt&comma; sie wuchs&comma; trieb neue Schößlinge und trug jedes Jahr ihre Blumen&period; Sie ersetzte dem kranken Knaben den schönsten Garten&comma; war sein kleiner Schatz auf dieser Erde&period; Er begoß und wartete sie und sorgte dafür&comma; daß sie jeglichen Sonnenstrahl&comma; der durch das niedrige Fenster hereinglänzte&comma; bis auf den letzten erhielt&period; Die Blume wuchs selbst in seine Träume hinein&comma; denn für ihn allein wuchs sie&comma; verbreitete sie ihren Duft und erfreute sie das Auge&period; Ihr wandte er im Tode sein Antlitz zu&comma; als der Herr ihn rief&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ein ganzes Jahr ist er nun bei Gott gewesen&period; So lange hat die Blume vergessen im Fenster gestanden und ist verdorrt und deshalb auf die Straße hinausgeworfen worden&period; Und dies ist die arme verdorrte Blume&comma; die wir mit in unseren Strauß genommen haben&comma; denn diese schlichte Blume hat mehr Freude gebracht als die reichste Blume in dem Garten einer Königin&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Aber&comma; woher weißt du dies alles&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte das Kind&comma; welches der Engel zum Himmel emportrug&period; — „Ich weiß es&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Engel&comma; „ich war ja selbst der kleine kranke Knabe&period; Sollte ich meine Blumen nicht kennen&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; Und das Kind öffnete seine Augen nun ganz und schaute dem Engel in sein herrliches&comma; freundliches Antlitz&period;<&sol;p>&NewLine;<p>In demselben Augenblicke waren sie in Gottes schönem Himmel&comma; wo Freude und Glückseligkeit war&period; Und Gott drückte das tote Kind an sein Herz und da erhielt es Flügel wie der andere Engel und flog Hand in Hand mit ihm dahin&period; Gott drückte alle die Blumen an sein Herz&comma; aber die arme vertrocknete Feldblume küßte er und sie erhielt Stimme und sang mit all den Engeln&comma; die um Gott schwebten&comma; einige ganz nahe&comma; andere in großen Kreisen um diese herum&comma; immer weiter und weiter hinaus bis in die Unendlichkeit&comma; alle aber gleich glücklich&period; Alle sangen sie&comma; Klein und Groß&comma; das gute&comma; nun so gesegnete Kind&comma; wie die arme Feldblume&comma; die vertrocknet&comma; im Kehricht mit hinausgeworfen&comma; in der engen&comma; dunklen Straße dagelegen hatte&period;<&sol;p>