Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen für Kinder
(Hans Christian Andersen, empfohlenes Alter: 8 - 14 Jahre)

Der standhafte Zinnsoldat

<p>Es waren einmal fünfundzwanzig Zinnsoldaten&comma; die alle Brüder waren&comma; da man sie aus einem und demselben alten Zinnlöffel gegossen hatte&period; Das Gewehr hielten sie im Arm&comma; das Gesicht vorwärts gegen den Feind gerichtet&semi; rot und blau&comma; kurzum herrlich war die Uniform&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das Allererste&comma; was sie in dieser Welt hörten&comma; nachdem der Deckel von der Schachtel&comma; in welcher sie lagen&comma; abgenommen wurde&comma; war das Wort&colon; „Zinnsoldaten&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Das rief ein kleiner Knabe und klatschte vor Wonne in die Hände&period; Er hatte sie zu seinem Geburtstage bekommen und stellte sie nun auf dem Tisch in Schlachtordnung auf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der eine Soldat glich dem andern auf das Genaueste&comma; nur ein einziger war etwas verschieden&colon; er hatte nur ein Bein&comma; denn da er zuletzt gegossen worden&comma; hatte das Zinn nicht mehr ausgereicht&semi; doch stand er auf seinem einen Beine eben so fest wie die andern auf ihren beiden&comma; und gerade er sollte sich durch sein denkwürdiges Schicksal besonders auszeichnen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Auf dem Tische&comma; wo sie aufgestellt wurden&comma; befand sich noch vieles andere Spielzeug&semi; aber dasjenige&comma; welches am meisten die Aufmerksamkeit auf sich zog&comma; war ein hübsches Schloß von Papier&period; Durch die kleinen Fenster konnte man inwendig in die Säle hineinschauen&period; Vor demselben standen kleine Bäume&comma; rings um ein Stück Spiegelglas&comma; welches einen See vorstellen sollte&period; Das war wohl alles niedlich&comma; aber das Niedlichste blieb doch ein kleines Mädchen&comma; welches vor dem offenen Schloßportale stand&period; Es war ebenfalls aus Papier ausgeschnitten&comma; hatte aber ein seidenes Kleid an und ein kleines&comma; schmales&comma; blaues Band über den Schultern&semi; mitten auf diesem saß ein funkelnder Stern&comma; so groß wie ihr ganzes Gesicht&period; Das kleine Mädchen streckte ihre beiden Arme anmutig in die Höhe&comma; denn sie war eine Tänzerin&comma; und dann erhob sie das eine Bein so hoch&comma; daß es der Zinnsoldat gar nicht entdecken konnte und dachte&comma; daß sie&comma; wie er&comma; nur Ein Bein hätte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Die paßte für mich als Frau&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; dachte er&comma; „aber sie ist zu vornehm für mich&comma; sie wohnt in einem Schlosse&comma; und ich habe nur eine Schachtel&comma; die ich mit vierundzwanzig teilen muß&comma; das ist keine Wohnung für sie&period; Doch will ich zusehen&comma; ob ich ihre Bekanntschaft machen kann&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Dann legte er sich der Länge nach hinter eine Schnupftabaksdose&comma; die auf dem Tische stand&period; Von hier konnte er die kleine feine Dame&comma; die nicht müde wurde&comma; auf einem Bein zu stehen&comma; ohne das Gleichgewicht zu verlieren&comma; genau beobachten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als es Abend wurde&comma; legte man die übrigen Zinnsoldaten in ihre Schachtel und die Leute im Hause gingen zu Bette&period; Nun begann das Spielzeug zu spielen&comma; der Nußknacker schlug Purzelbäume und der Griffel fuhr lustig über die Tafel hin&period; Es entstand ein Lärm&comma; daß der Kanarienvogel aufwachte und seinen Gesang mit hineinschmetterte&period; Die beiden Einzigen&comma; welche sich nicht von der Stelle bewegten&comma; waren der Zinnsoldat und die kleine Tänzerin&period; Sie stand kerzengerade auf der Zehenspitze und hatte beide Arme erhoben&semi; er war auf seinem Einen Bein ebenso standhaft&comma; nicht einen Augenblick wandte er seine Augen von ihr ab&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt schlug es Mitternacht und klatsch&excl; sprang der Deckel von der Schnupftabaksdose&comma; aber nicht etwa Schnupftabak war darin&comma; nein&comma; sondern ein kleiner schwarzer Kobold&semi; das war ein Kunststück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Zinnsoldat&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Kobold&comma; „du wirst dir noch die Augen aussehen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; — Aber der Zinnsoldat that&comma; als ob er nichts gehört hätte&period; — „Ja&comma; warte nur bis morgen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; rief ihm dann der Kobold noch zu&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als es nun Morgen ward und die Kinder aufstanden&comma; wurde der Zinnsoldat in das offene Fenster gestellt&comma; und war es nun der Kobold oder ein Zugwind&comma; gleichviel&comma; plötzlich flog das Fenster auf und der Soldat fiel aus dem dritten Stockwerke häuptlings hinunter&period; Das war ein schrecklicher Sturz&period; Er streckte sein Eines Bein gerade in die Luft und blieb auf dem Helme&comma; das Bajonett nach unten&comma; zwischen den Pflastersteinen stecken&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Dienstmagd und der kleine Knabe liefen sogleich hinunter&comma; um ihn zu suchen&semi; aber obgleich sie beinahe auf ihn getreten hätten&comma; konnten sie ihn doch nicht erblicken&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun begann es zu regnen&semi; Tropfen folgte auf Tropfen&comma; bis es ein tüchtiger Platzregen wurde&semi; als er vorüber war&comma; kamen zwei Straßenjungen dorthin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Sieh&comma; sieh&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der eine&comma; „da liegt ein Zinnsoldat&comma; der muß hinaus und segeln&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun machten sie ein Boot aus Zeitungspapier&comma; setzten den Zinnsoldaten mitten hinein und ließen ihn den Rinnstein hinunter segeln&period; Beide Knaben liefen nebenher und klatschten in die Hände&period; Hilf Himmel&comma; was für Wellen erhoben sich in dem Rinnstein und welch reißender Strom war da&excl; Ja&comma; es mußte ein wahrer Platzregen heruntergekommen sein&period; Das Papierboot schwankte auf und nieder und bisweilen drehte es sich im Kreise&comma; daß den Zinnsoldaten ein Schauer überlief&period; Trotzdem blieb er standhaft&comma; verfärbte sich nicht&comma; sah geradeaus und behielt das Gewehr im Arm&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Plötzlich trieb das Boot unter eine lange Rinnsteinbrücke&semi; hier war es so dunkel wie in seiner Schachtel&period; „Wo mag ich jetzt nur hinkommen&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; dachte er&period; „Ja&comma; ja&comma; das ist des Kobolds Schuld&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>In diesem Augenblicke erschien eine Wasserratte&comma; welche unter der Rinnsteinbrücke wohnte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Hast du einen Paß&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte die Ratte&period; „Her mit dem Passe&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber der Zinnsoldat schwieg still und hielt sein Gewehr nur noch fester&period; Das Boot fuhr weiter und die Ratte hinterher&period; Hu&excl; wie sie mit den Zähnen knirschte und den Spänen und dem Stroh zurief&colon; „Haltet ihn auf&excl; Er hat keinen Zoll bezahlt&comma; er hat keinen Paß vorgezeigt&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber die Strömung wurde stärker und stärker&semi; der Zinnsoldat konnte&comma; schon ehe er das Ende des Brettes erreichte&comma; den hellen Tag erblicken&comma; aber er hörte zugleich einen brausenden Ton&comma; der auch eines tapferen Mannes Herzen erschrecken konnte&period; Denkt euch&comma; der Rinnstein stürzte am Ende der Brücke gerade in einen großen&comma; breiten Kanal hinab&comma; was ihm gleiche Gefahr bringen mußte als uns&comma; wollten wir Menschen einen großen Wasserfall hinuntersegeln&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Er war jetzt schon so nahe dabei&comma; daß er nicht mehr anzuhalten vermochte&period; Das Boot fuhr hinab&comma; der arme Zinnsoldat hielt sich&comma; so gut es gehen wollte&comma; aufrecht&period; Niemand sollte ihm nachsagen können&comma; daß er auch nur mit den Augen geblinkt hätte&period; Das Boot drehte sich drei-&comma; viermal um sich selbst und füllte sich dabei bis zum Rande mit Wasser&comma; es mußte sinken&period; Der Zinnsoldat stand bis zum Halse im Wasser&comma; und tiefer und tiefer sank das Boot&period; Mehr und mehr löste sich das Papier auf&semi; jetzt ging das Wasser schon über des Soldaten Haupt&comma; — da dachte er an die kleine&comma; niedliche Tänzerin&comma; die er nie mehr erblicken sollte&semi; und es klang vor des Zinnsoldaten Ohren&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>„Morgenrot&comma; Morgenrot&comma;<br&sol;>Leuchtest mir zum frühen Tod&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun zerriß das Papier und der Zinnsoldat fiel hindurch&comma; wurde aber in demselben Augenblicke von einem großen Fische verschlungen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nein&comma; wie finster war es da drinnen&semi; da war es noch schlimmer als unter der Rinnsteinbrücke und vor allen Dingen so gar eng&period; Gleichwohl war der Zinnsoldat standhaft und lag&comma; so lang er war&comma; mit dem Gewehre im Arme&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Fisch fuhr umher und machte die entsetzlichsten Bewegungen&semi; endlich wurde es ganz still&comma; und wie ein Blitzstrahl fuhr es durch ihn hin&period; Dann drang ein heller Lichtglanz hinein und jemand rief laut&colon; „Ein Zinnsoldat&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Der Fisch war gefangen&comma; auf den Markt gebracht und verkauft worden und so in die Küche hinausgewandert&comma; wo ihn die Magd mit einem großen Messer aufschnitt&period; Sie faßte den Soldaten mitten um den Leib und trug ihn in die Stube hinein&comma; wo sämtliche den merkwürdigen Mann sehen wollten&comma; der im Magen eines Fisches umhergereist war&semi; der Zinnsoldat war jedoch darauf gar nicht stolz&period; Man stellte ihn auf den Tisch und da — nein&comma; wie wunderlich kann es doch in der Welt zugehen&comma; befand sich der Zinnsoldat in der nämlichen Stube&comma; in der er vorher gewesen war&comma; er sah die nämlichen Kinder und das nämliche Spielzeug stand auf dem Tische&colon; das herrliche Schloß mit der niedlichen kleinen Tänzerin&period; Sie hielt sich immer noch auf dem einen Beine und hatte das andere hoch in der Luft&comma; sie war ebenfalls standhaft&period; Das rührte den Zinnsoldaten so&comma; daß er beinahe Zinn geweint hätte&comma; aber das schickte sich nicht&period; Er sah sie und sie sah ihn an&comma; aber sie sagten einander nichts&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Plötzlich ergriff der eine der kleinen Knaben den Zinnsoldaten und warf ihn geradewegs in den Ofen hinein&comma; obgleich hierzu eigentlich gar kein Grund vorlag&semi; doch gewiß hatte es ihm der Kobold in der Dose eingegeben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Zinnsoldat stand mitten im Feuer und fühlte eine ganz entsetzliche Hitze&period; Die Farben waren von ihm abgegangen&comma; ob das von den Reisestrapazen herrührte oder vom Kummer&comma; wußte er nicht&period; Er sah das Dämchen an und fühlte&comma; wie er schmolz&semi; aber noch stand er aufrecht und hielt sein Gewehr im Arm&period; Da ging plötzlich eine Thür auf&comma; ein Windhauch erfaßte die Tänzerin und diese flog gleich einer Sylphe in den Ofen zum Zinnsoldaten&comma; loderte auf und war dahin&period; Da schmolz auch der Zinnsoldat zu einem Klumpen&comma; und als die Magd am nächsten Morgen die Asche aus dem Ofen nahm&comma; fand sie ihn gestaltet wie ein kleines Herz&period; Von der Tänzerin war nichts übrig als der Flitterstern&comma; der schwarz gebrannt war&period;<&sol;p>