Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen für Kinder
(Hans Christian Andersen, empfohlenes Alter: 8 - 14 Jahre)

Die Stopfnadel

<p>Es war einmal eine Stopfnadel&comma; die so fein und spitz war&comma; daß sie sich einbildete&comma; eine Nähnadel zu sein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Seht jetzt nur darauf&comma; daß ihr mich ordentlich festhaltet&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte die Stopfnadel zu den Fingern&comma; welche sie hervorholten&period; „Laßt mich nicht los&excl; Falle ich auf den Boden&comma; wird es kaum möglich sein&comma; mich wieder zu finden&comma; so fein bin ich&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Nun&comma; nun&excl; Nur nicht zu viel des Eigenlobes&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagten die Finger und faßten sie dann fest um den Leib&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Seht ihr&comma; ich komme mit Gefolge&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; rief die Stopfnadel und zog einen langen Faden hinter sich her&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Finger lenkten die Stopfnadel gerade gegen den Pantoffel der Köchin&comma; dessen Oberleder einen Riß bekommen hatte und jetzt zusammengenäht werden sollte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Das ist eine niedrige Arbeit&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte die Stopfnadel&comma; „ich komme nie hindurch&comma; ich zerbreche&comma; ich zerbreche&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; — und da zerbrach sie&period; „Habe ich nicht oft genug wiederholt&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; jammerte sie&comma; „daß ich zu fein bin&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Nun taugt sie zu nichts mehr&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; meinten die Finger&comma; mußten sie aber doch festhalten&comma; die Köchin machte ihr einen Kopf aus Siegellack und steckte sie dann vorn in ihr Tuch&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Sieh&comma; jetzt bin ich eine Busennadel&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte die Stopfnadel&semi; „ich wußte wohl&comma; daß ich zu Ehren kommen würde&semi; aus Was wird Was&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; und dabei lachte sie innerlich&comma; denn äußerlich kann man es einer Stopfnadel nie ansehen&comma; daß sie lacht&period; Da saß sie nun so stolz&comma; als führe sie in einer Kutsche und blickte nach allen Seiten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Darf ich mir wohl erlauben&comma; Sie zu fragen&comma; ob Sie von Gold sind&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte sie die Stecknadel&comma; welche ihre Nachbarin war&period; „Sie haben ein vortreffliches Äußere und Ihren eigenen Kopf&comma; wenn derselbe auch nur klein ist&period; Sie müssen dafür Sorge tragen&comma; daß sich derselbe auswächst&comma; denn man kann nicht allen das Ende mit Siegellack versehen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Dabei richtete sich die Stopfnadel so stolz in die Höhe&comma; daß sie sich aus dem Tuche löste und in die Gosse fiel&comma; gerade als die Köchin das Spülicht ausgoß&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Nun gehen wir auf Reisen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte die Stopfnadel&semi; doch da saß sie fest in der Gosse&period; „Mein gutes Bewußtsein ist mir geblieben&semi;&OpenCurlyDoubleQuote; damit tröstete sie sich und hielt sich stramm und aufrecht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Allerlei segelte über sie dahin&comma; Holzstückchen&comma; Stroh und Zeitungspapier&period; „Sieh&comma; wie sie dahinsegeln&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte die Stopfnadel&period; „Sie wissen nicht&comma; was unter ihnen steckt&excl; Ich stecke und sitze hier&period; Sieh&comma; da treibt jetzt ein Holzpflock&comma; der denkt an nichts in der Welt als an Pflöcke und Klötze und er ist selbst einer&period; Dort schwimmt ein Strohhalm&semi; sieh&comma; wie er sich schwenkt&comma; wie er sich dreht&excl; Ich sitze geduldig und still&semi; ich weiß&comma; was ich bin und das bleibe ich&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Eines Tages gewahrte sie dicht an ihrer Seite einen glänzenden Gegenstand&comma; deswegen die Stopfnadel vermutete&comma; daß es ein Diamant wäre&semi; aber es war nur ein gewöhnlicher Glasscherben&period; Da derselbe flimmerte&comma; redete ihn die Stopfnadel an und gab sich ihm als Busennadel zu erkennen&period; „Sie sind wohl ein Diamant&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; — „Ja&comma; ich bin etwas dergleichen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Und so hielten sie sich denn gegenseitig für sehr kostbare Gegenstände und sprachen über den jetzigen Hochmut der Welt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ich habe meine Wohnung in einer sehr feinen&comma; bunten Schachtel gehabt&comma; welche einer Köchin gehörte&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; begann die Stopfnadel ihre Erzählung&period; „Sie hatte an jeder Hand fünf Finger&semi; aber obgleich dieselben nur da waren&comma; um mich zu halten und aus der Schachtel zu nehmen&comma; so waren sie doch erschrecklich eingebildet&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Zeichneten sie sich denn durch Glanz aus&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte der Glasscherben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Durch Glanz&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; rief die Stecknadel aus&comma; „nein&comma; durch eitel Hochmut&excl; Es waren fünf Brüder&comma; alle geborne „Finger&OpenCurlyDoubleQuote;&semi; in aufrechter Haltung hielten sie sich stolz neben einander&comma; obwohl ihre Länge sehr verschieden war&period; Der Äußerste von ihnen&comma; der Däumerling&comma; war kurz und dick&semi; er stand nicht mit in Reih und Glied&comma; sondern vor demselben und dann hatte er nur ein Gelenk im Rücken&comma; er konnte sich nur in einer Richtung verbeugen&comma; der Topflecker fuhr in Süßes und Saures&comma; zeigte nach Sonne und Mond und drückte auf die Feder&comma; wenn sie schrieben&semi; der Langemann überragte die andern um Haupteslänge&semi; der Ringhalter ging mit goldenen Reifen um den Leib einher und der kleine Peter Spielmann that gar nichts und war darauf noch stolz&period; Prahlerei war es und Prahlerei blieb es&comma; und darum warf ich mich in die Gosse&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Und nun sitzen wir beisammen und glänzen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Glasscherben&period; Plötzlich strömte mehr Wasser in den Rinnstein&comma; welches nun über den Rand trat und den Glasscherben mit sich riß&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Sieh&comma; nun wurde der befördert&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte die Stopfnadel&period; „Ich bleibe sitzen&comma; ich bin zu fein&comma; aber das ist mein Stolz und der ist achtungswert&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; So saß sie in aufrechter Haltung da und machte sich viele Gedanken&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ich möchte fast annehmen&comma; daß ich von einem Sonnenstrahl geboren bin&comma; so fein bin ich&period; Mich dünkt sogar&comma; daß mich die Sonne fortwährend unter dem Wasser sucht&period; Ach&comma; ich bin so fein&comma; daß mich die eigene Mutter nicht finden kann&period; Hätte ich mein altes Auge noch&comma; welches abbrach&comma; ich glaube&comma; ich könnte Thränen vergießen&period; — Nein&comma; ich könnte es doch nicht thun&comma; weinen ist nicht fein&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Eines Tages lagerten sich einige Gassenbuben neben dem Rinnsteine und wühlten in demselben umher&comma; wo sie alte Nägel&comma; Kupferdreier und dergleichen fanden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Au&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; schrie der eine&comma; indem er sich an der Stopfnadel stach&period; „Das ist ja ein schlimmer Bursche&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ich bin kein Bursch&comma; ich bin ein Fräulein&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; erwiederte die Stopfnadel&comma; aber niemand hörte es&period; Der Siegellack hatte sich abgelöst und deshalb hielt sie sich für noch feiner als zuvor&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Da kommt eine Eierschale angesegelt&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagten die Knaben und steckten dann die Stopfnadel fest in die Schale&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Weiße Wände und selbst schwarz&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte die Stopfnadel&comma; „das kleidet gut&excl; Nun kann man mich doch sehen&excl; — Wenn ich nur nicht seekrank werde&comma; denn sonst breche ich noch mehr&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Aber sie wurde nicht seekrank und brach nicht weiter&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Es ist gegen die Seekrankheit doch gut&comma; wenn man einen stählernen Magen hat und dabei immer eingedenk bleibt&comma; daß man etwas mehr als ein Mensch ist&excl; Bei mir ist es nun vorüber&semi; je feiner man ist&comma; destomehr kann man aushalten&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; — „Krach&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; stöhnte die Eierschale&comma; während ein Lastwagen über sie hinging&period; — „Ach&comma; wie das drückt&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; seufzte die Stopfnadel&period; „Nun werde ich doch seekrank&semi; ich breche&comma; ich breche&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Aber sie brach nicht&comma; trotzdem sie von einem Lastwagen überfahren wurde&comma; sie lag der Länge nach da — und da mag sie liegen bleiben&period;<&sol;p>