Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen für Kinder
(Hans Christian Andersen, empfohlenes Alter: 8 - 14 Jahre)

Die roten Schuhe

<p>Einst lebte ein kleines Mädchen&comma; welches gar fein und niedlich war&comma; doch seiner großen Armut wegen im Sommer stets barfuß und im Winter mit großen Holzschuhen gehen mußte&comma; wovon der Spann seiner Füßchen ganz rot und wund wurde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die alte Mutter Schusterin&comma; welche mitten im Dorfe wohnte&comma; nähte für die Kleine&comma; welche Karen hieß&comma; aus alten roten Tuchlappen ein Paar Schühchen&comma; welche das Kind am Begräbnistage seiner Mutter erhielt und sie da zum erstenmal trug&period; Zum Trauern waren sie freilich nicht recht geeignet&comma; aber sie hatte ja keine andern&comma; und darum zog sie dieselben über ihre nackten Füßchen und schritt so hinter dem ärmlichen Sarge her&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da kam auf einmal ein großer altmodischer Wagen angefahren&comma; in welchem eine alte Frau saß&period; Sie betrachtete das kleine Mädchen und fühlte Mitleid mit demselben&period; Deshalb sagte sie zu dem Geistlichen&colon; „Hört&comma; würdiger Herr&comma; gebt mir das kleine Mädchen&comma; dann will ich getreulich für dasselbe sorgen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Karen bildete sich ein&comma; sie hätte das alles nur den roten Schuhen zu verdanken&comma; aber die alte Frau sagte&comma; sie wären abscheulich und ließ sie verbrennen&period; Karen selbst wurde rein und kleidsam angezogen&semi; sie mußte den Unterricht besuchen und nähen lernen&comma; und die Leute sagten&comma; sie wäre niedlich&comma; aber der Spiegel sagte&colon; „Du bist mehr als niedlich&comma; du bist schön&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; —<&sol;p>&NewLine;<p>Da reiste einmal die Königin durch das Land und hatte ihre kleine Tochter&comma; die eine Prinzessin war&comma; bei sich&period; Die Leute strömten vor das Schloß und auch Karen fand sich da ein&period; Die kleine Prinzessin stand weißgekleidet an einer Balkonthür und ließ sich bewundern&semi; Schleppe oder Goldkrone hatte sie nicht&comma; aber herrliche rote Saffianschuhe&comma; die freilich weit zierlicher waren als die&comma; welche Mutter Schusterin der kleinen Karen genäht hatte&period; Ja&comma; was könnte es Schöneres in der Welt geben als rote Schuhe&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt war Karen so alt&comma; daß sie eingesegnet werden sollte&semi; sie erhielt neue Kleider und neue Schuhe sollte sie auch haben&period; Der beste Schuhmacher in der Stadt nahm zu ihrem kleinen Fuße Maß&period; Mitten unter den Schuhen&comma; im großen Glasschranke&comma; standen ein Paar rote&comma; genau wie sie die Prinzessin getragen hatte&semi; wie schön waren die&excl; Der Schuhmacher sagte auch&comma; sie wären für ein Grafenkind gearbeitet&comma; hätten aber nicht gepaßt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Das ist wohl Glanzleder&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte die alte&comma; kurzsichtige Frau&comma; „sie glänzen so schön&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; sie glänzen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte Karen&semi; und sie paßten und wurden gekauft&semi; aber die alte Frau&comma; welche ja so schlecht sah&comma; wußte nicht&comma; daß sie rot waren&comma; denn nie würde sie sonst Karen erlaubt haben&comma; mit roten Schuhen zur Einsegnung zu gehen&comma; aber so that sie es&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Alle Menschen sahen ihr nach den Füßen&comma; und als sie über die Kirchschwelle zur Chorthüre hineintrat&comma; kam es ihr vor&comma; als ob selbst die alten Bilder in der Kirche die Augen auf ihre roten Schuhe hefteten&semi; und nur an diese dachte sie auch&comma; als ihr der Prediger die Hand auf das Haupt legte und von der heiligen Taufe redete&comma; vom Bunde mit Gott und daß sie sich nun wie eine erwachsene Christin aufführen sollte&period; Die Orgel spielte so feierlich&comma; die lieblichen Kinderstimmen sangen und der alte Kantor sang&comma; aber Karen dachte nur an die roten Schuhe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Am Nachmittage erfuhr dann die alte Frau von allen Seiten&comma; daß Karens Schuhe rot gewesen wären und sie sagte&comma; das schickte sich nicht und in Zukunft sollte Karen&comma; so oft sie zur Kirche ginge&comma; stets schwarze Schuhe anziehen&comma; selbst wenn sie alt wären&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Am folgenden Sonntage war die erste Abendmahlfeier der Konfirmanden&semi; Karen sah erst die schwarzen Schuhe an&comma; dann die roten — und dann noch einmal die roten und zog sie an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Es war herrlicher Sonnenschein&semi; Karen und die alte Frau schlugen einen Fußsteig durch das Kornfeld ein&comma; auf dem es etwas stäubte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>An der Kirchthüre stand ein alter Soldat mit einem Krückstock und mit einem merkwürdig langen Barte&comma; der mehr rot als weiß war&semi; ja&comma; rot war er sicher&period; Er verneigte sich bis zur Erde und fragte die alte Frau&comma; ob er ihr vielleicht die Schuhe abstäuben sollte&period; Karen streckte gleichfalls ihren Fuß vor&period; „Sieh&comma; welch’ prächtige Tanzschuhe&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Soldat&period; „Sitzt fest&comma; wenn ihr tanzt&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; und dann schlug er mit der Hand gegen die Sohlen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die alte Frau reichte dem Soldaten ein Geldstück und trat darauf mit Karen in die Kirche ein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Alle Menschen drinnen sahen nach Karens roten Schuhen und alle Bilder sahen nach ihnen&comma; und als Karen vor dem Altare niederkniete und den goldenen Kelch an die Lippen setzte&comma; dachte sie nur an die roten Schuhe&period; Es war&comma; als ob sie vor ihr im Kelche schwämmen&semi; und sie vergaß das Lied mitzusingen&comma; sie vergaß ihr Vaterunser zu beten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Alle Leute verließen jetzt die Kirche und die alte Frau stieg in ihren Wagen&period; Schon erhob Karen den Fuß&comma; um hinter ihr einzusteigen&comma; als der alte Soldat&comma; welcher dicht dabeistand&comma; sagte&colon; „Sieh&comma; welch’ prächtige Tanzschuhe&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; — Karen konnte sich nicht enthalten&comma; einige Tanzschritte zu thun&comma; sowie sie aber begann&comma; tanzten die Beine unaufhaltsam fort&period; Es war&comma; als hätten die Schuhe Macht über sie erhalten&period; Sie tanzte um die Kirchenecke&comma; denn sie vermochte nicht inne zu halten&period; Der Kutscher mußte hinterher laufen und sie greifen&semi; er hob sie in den Wagen&comma; aber auch jetzt setzten die Füße ihren Tanz rastlos fort&comma; so daß sie die alte gute Frau empfindlich trat&period; Erst als sie die Schuhe auszog&comma; erhielten die Beine Ruhe&period; Daheim wurden die Schuhe in einen Schrank gestellt&comma; aber Karen wurde nicht müde&comma; sie immer wieder zu betrachten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun erkrankte die alte Frau lebensgefährlich und Karen&comma; die ihr am nächsten stand&comma; sollte sie warten und pflegen&period; Aber in der Stadt war ein großer Ball&comma; zu dem Karen eingeladen war&period; Sie sah die alte Frau an&comma; die ja doch rettungslos verloren war&comma; sie sah die roten Schuhe an&comma; und es kam ihr vor&comma; als ob keine Sünde dabei wäre&period; — Sie zog die roten Schuhe an&comma; und das konnte sie ja auch wohl&comma; aber dann ging sie auf den Ball und begann zu tanzen&period; Das war gewiß nicht recht von ihr&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als sie aber nach rechts tanzen wollte&comma; tanzten die Schuhe nach links&comma; und als sie den Saal hinauf wollte&comma; tanzten die Schuhe den Saal hinunter&comma; die Treppe hinab&comma; durch die Straße und zum Stadtthore hinaus&period; Tanzen that sie und tanzen mußte sie&comma; gerade hinaus in den finstren Wald&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da leuchtete es zwischen den Bäumen und sie glaubte&comma; es wäre der Mond&comma; denn es war ein Gesicht&comma; aber es war der alte Soldat mit dem roten Barte&semi; er saß und nickte und sagte&colon; „Sieh&comma; welch’ prächtige Tanzschuhe&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Da erschrak sie und wollte die roten Schuhe abwerfen&comma; aber sie hingen fest&comma; wie angewachsen&comma; und tanzen mußte sie über Felder und Wiesen&comma; in Regen und Sonnenschein&comma; bei Tag und bei Nacht&comma; aber nachts war es am entsetzlichsten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie tanzte auf den einsamen Kirchhof hinauf&comma; aber die Toten&comma; die dort ruhten&comma; tanzten nicht&comma; sie hatten viel Besseres zu thun&comma; als zu tanzen&period; Sie wollte sich auf das Grab des Armen setzen&comma; wo das bittere Wurmkraut blühte&comma; aber für sie war weder Ruh noch Rast&comma; und als sie auf die offene Kirchthüre zutanzte&comma; erblickte sie neben derselben einen Engel in langen weißen Kleidern&comma; mit Flügeln&comma; welche von den Schultern bis auf die Erde hinabreichten&semi; sein Antlitz war streng und ernst und in der Hand hielt er ein breites leuchtendes Schwert&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Tanzen sollst du&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte er&comma; „tanzen mit deinen roten Schuhen&comma; bis du bleich und kalt wirst&excl; Tanzen sollst du von Thür zu Thür&comma; und wo stolze&comma; eitle Kinder wohnen&comma; sollst du anklopfen&comma; daß sie dich hören und sich vor dir fürchten&excl; Tanzen sollst du&comma; tanzen — — — —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Gnade&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; rief Karen&period; Aber sie vernahm nicht&comma; was der Engel antwortete&comma; denn die Schuhe trugen sie durch die Pforte auf das Feld hinaus&comma; über Weg und Steg&comma; und immer mußte sie tanzen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Eines Morgens tanzte sie vor einer Thür vorüber&comma; die ihr sehr wohl bekannt war&period; Drinnen tönte Choralgesang&comma; man trug einen blumenbekränzten Sarg hinaus&period; Da wußte sie&comma; daß die alte Frau gestorben war und es beschlich sie das Gefühl&comma; als ob sie von allen verlassen und von Gottes Engel verdammt wäre&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Tanzen that sie und tanzen mußte sie&comma; tanzen in der dunklen Nacht&period; Die Schuhe trugen sie über Dornen und Baumstümpfe&comma; und sie riß sich bis aufs Blut&semi; sie tanzte über die Haide nach einem kleinen&comma; einsamen Hause&period; Hier wohnte&comma; wie sie wußte&comma; der Scharfrichter&comma; und sie klopfte mit den Fingern an die Scheiben und sagte&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>„Kommt heraus&excl; Kommt heraus&excl; Ich kann nicht hineinkommen&comma; denn ich muß tanzen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ich bin der Scharfrichter&OpenCurlyDoubleQuote;&comma; entgegnete es von drinnen&comma; „ich höre&comma; daß meine Axt klirrt&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Schlagt mir meine Füße mit den roten Schuhen ab&OpenCurlyDoubleQuote;&comma; bat Karen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Scharfrichter kam aus dem Hause heraus und schlug ihr die Füße mit den roten Schuhen ab&comma; aber die Schuhe tanzten mit den kleinen Füßen über das Feld hin in den tiefen Wald hinein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Er verfertigte ihr Stelzfüße und Krücken&comma; lehrte sie ein Sterbelied&comma; welches die armen Sünder zu singen pflegen&comma; und sie schritt weiter über die Haide&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Nun habe ich genug um der roten Schuhe willen gelitten&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte sie&comma; „nun will ich in die Kirche gehen&comma; damit man mich sehen kann&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Schnell ging sie auf die Kirchthüre zu&comma; als sie sich ihr aber näherte&comma; tanzten die roten Schuhe vor ihr her und sie erschrak und kehrte um&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die ganze Woche hindurch war sie traurig und weinte viel heiße Thränen&comma; als aber der Sonntag kam&comma; sagte sie&colon; „Fürwahr&comma; nun habe ich genug gelitten und gestritten&excl; Jetzt möchte ich glauben&comma; daß ich eben so gut bin wie viele von denen&comma; welche in der Kirche sitzen und hochmütig auf die andern herabschauen&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Mutig trat sie den Weg an&semi; aber sie war erst bis zur Eingangsthüre zum Friedhofe gelangt&comma; als sie plötzlich die roten Schuhe vor sich hertanzen sah&period; Sie erschrak&comma; wandte um und bereute von ganzem Herzen ihre Sünde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie ging zur Pfarre und bot sich als Magd an&semi; sie versprach fleißig zu sein und alles zu thun&comma; was in ihren Kräften stände&semi; auf Lohn sähe sie nicht&comma; sie wünschte nur&comma; wieder ein Obdach zu erhalten und bei guten Menschen zu sein&period; Die Frau Pfarrerin fühlte Mitleid mit ihr und nahm sie in Dienst&period; Sie war stets fleißig und in sich gekehrt&period; Sie saß still da&comma; und lauschte aufmerksam zu&comma; wenn der Pfarrer aus der Bibel vorlas&period; Alle Kinder gewannen sie lieb&semi; sobald dieselben aber von Putz und Staat und davon sprachen&comma; wie schön es doch sein müßte&comma; eine Prinzessin zu sein&comma; schüttelte sie den Kopf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Am folgenden Sonntage gingen alle zur Kirche und fragten sie&comma; ob sie sie begleiten wollte&comma; aber traurig und mit Thränen in den Augen sah sie auf ihre Krücken&comma; und nun gingen die andern hin&comma; Gottes Wort zu hören&comma; sie aber ging allein in ihr kleines Kämmerlein&comma; welches nur so groß war&comma; um einem Bett und einem Stuhle Platz zu gewähren&period; Hier setzte sie sich mit ihrem Gesangbuche hin&comma; und während sie frommen Sinnes darin las&comma; trug der Wind die Orgeltöne von der Kirche zu ihr herüber und sie erhob ihr mit Thränen benetztes Antlitz und sagte&colon; „Gott sei mir Sünderin gnädig&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Da schien die Sonne hell und klar&comma; und dicht vor ihr stand der Engel Gottes in den weißen Kleidern&comma; derselbe&comma; welchen sie in jener verhängnisvollen Nacht an der Kirchthüre gesehen hatte&comma; aber er hielt nicht mehr das scharfe Schwert&comma; sondern einen herrlichen grünen Zweig voller Rosen&period; Er berührte mit demselben die Decke&comma; welche sich höher und höher dehnte und dort&comma; wo sie berührt war&comma; einen goldenen Stern hervorleuchten ließ&comma; und er berührte die Wände und sie erweiterten sich allmählich&comma; bis sie die Orgel erblickte&comma; welche gespielt wurde&comma; und die alten Bilder der früheren Pfarrer sah&period; Die Gemeinde saß in den festlich geschmückten Stühlen und sang aus dem Gesangbuche&period; So war die Kirche selbst zu der armen Magd in ihre kleine&comma; enge Kammer gekommen&semi; oder auch war sie dahingekommen&period; Sie saß in dem Kirchstuhle bei den übrigen Leuten des Pfarrers&comma; und als sie nach Beendigung des Chorals aufblickte&comma; nickten sie ihr zu und sagten&colon; „Das war recht&comma; daß du kamst&comma; Karen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; — „Das war Gnade&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; erwiderte sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Und die Orgel klang und der Chor der Kinderstimmen tönte mild und lieblich&period; Der klare Sonnenschein strömte warm durch das Fenster in den Kirchenstuhl&comma; in welchem Karen saß&period; Ihr Herz war so voller Sonnenschein&comma; Friede und Freude&comma; daß es brach&period; Auf den Sonnenstrahlen flog ihre Seele zu Gott und vor seinem Thron war niemand&comma; der nach den roten Schuhen fragte&period;<&sol;p>