Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen für Kinder
(Hans Christian Andersen, empfohlenes Alter: 8 - 14 Jahre)

Es ist ein Unterschied

<p>Der Mai war gekommen&period; „Der Frühling ist da&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; predigten Büsche und Bäume&comma; Felder und Wiesen&period; Es wimmelte von Blüten und vor allem oben an der Hecke&period; Da stand ein Apfelbäumchen&comma; welches nur einen einzigen&comma; von rosenroten Knospen überladenen Zweig getrieben hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das Bäumchen wußte wohl selbst&comma; wie schön es war&comma; denn das liegt im Blatte gerade so wie im Blute&period; Deshalb war es auch durchaus nicht überrascht&comma; als plötzlich auf dem Wege dicht vor ihm ein herrschaftlicher Wagen anhielt und die junge Gräfin in demselben sagte&comma; der Apfelbaum wäre das Lieblichste&comma; was man sehen könnte&comma; er wäre der Frühling selbst in seiner herrlichsten Offenbarung&period; Der Zweig wurde abgebrochen und sie hielt ihn in ihrer feinen Hand und beschattete ihn mit ihrem seidenen Sonnenschirme&period; Darauf fuhren sie nach dem Schlosse&comma; wo sie hohe Säle und prächtige Zimmer aufnahmen&period; Klare&comma; weiße Vorhänge flatterten an den offenen Fenstern und prächtige Blumen standen in glänzenden&comma; durchsichtigen Vasen&comma; und in eine derselben&comma; die schimmerte&comma; als ob sie aus frischgefallenem Schnee ausgeschnitten wäre&comma; wurde der Apfelzweig zwischen frische&comma; lichte Buchenzweige gesetzt&semi; es war eine Lust ihn anzusehen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da wurde der Zweig stolz&comma; und das war ja ganz begreiflich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Viele Leute von mancherlei Gattung kamen durch die Zimmer&comma; und je nach dem Ansehen&comma; in welchem sie standen&comma; durften sie ihre Bewunderung aussprechen&period; Einige sagten durchaus nichts und Andere sagten zu viel&comma; und der Apfelzweig merkte&comma; daß zwischen den Menschen ebenso gut ein Unterschied wäre&comma; wie zwischen den Gewächsen&comma; und da er gerade in das offene Fenster gesetzt war&comma; von wo aus er sowohl in den Garten als auf das Feld hinabblicken konnte&comma; so hatte er genug Blumen und Pflanzen zur Betrachtung und Überlegung&period; Da standen reiche und arme&comma; selbst einige allzu arme&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Arme&comma; verworfene Kräuter&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Apfelzweig&comma; „da ist wahrlich ein Unterschied gemacht&period; Wie unglücklich mögen sie sich fühlen&comma; falls derlei Art überhaupt fühlen kann&comma; wie ich und meinesgleichen zu fühlen vermögen&period; Da ist wahrlich ein Unterschied gemacht&comma; aber er muß gemacht werden&comma; sonst wären ja alle einerlei&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Apfelzweig sah mit einem gewissen Mitleid besonders auf eine Art Blumen&comma; die sich in großen Mengen auf Feldern und an Gräben vorfanden&period; Niemand band sie in einen Strauß&comma; sie waren viel zu gewöhnlich dazu&comma; ja man konnte sie sogar zwischen den Pflastersteinen finden&comma; sie schossen überall wie das ärgste Unkraut empor und hatten zum Überfluß noch den häßlichen Namen „des Teufels Butterblumen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Armes&comma; verachtetes Gewächs&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Apfelzweig&comma; „du kannst nichts dafür&comma; daß du wurdest&comma; was du wurdest&comma; daß du so gewöhnlich bist&period; Aber es ist mit den Gewächsen wie mit den Menschen&comma; es müssen Unterschiede sein&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Unterschiede&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Sonnenstrahl und küßte den blühenden Apfelzweig&comma; küßte aber auch des Teufels gelbe Butterblumen draußen auf dem Felde&comma; alle Brüder des Sonnenstrahls küßten sie&comma; die armen Blumen&comma; wie die reichen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Apfelzweig hatte nie über des lieben Gottes unendliche Liebe gegen alles&comma; was in ihm lebt und webt&comma; nachgedacht&semi; der Strahl des Lichtes wußte es besser&colon; „Du siehst nicht weit&excl; Du siehst nicht klar&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; — sagte er&period; „Welches ist das verworfene Kraut&comma; das du besonders beklagst&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Des Teufels Butterblumen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; rief der Apfelzweig&period; „Nie werden sie in einen Strauß gebunden&comma; sie werden mit Füßen getreten&comma; es giebt zu viele von ihnen&comma; und wenn sie in Samen schießen&comma; fliegt er in Wollenflocken dahin und hängt sich den Leuten an die Kleider&period; Unkraut ist es&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Über das Feld kam plötzlich eine ganze Schaar Kinder daher&semi; das jüngste derselben war noch so klein&comma; daß es von den anderen getragen wurde&period; Als es in das Gras zwischen die gelben Blumen niedergesetzt wurde&comma; lachte es laut vor Freude&comma; zappelte mit den Beinchen&comma; wälzte sich umher&comma; pflückte nur die gelben Blumen und küßte sie in süßer Unschuld&period; Die etwas größeren Kinder brachen die Blumen von den Stielen und bildeten Ringe aus denselben&comma; bis endlich&comma; Glied an Glied&comma; eine ganze Kette daraus wurde&comma; mit welcher sie sich schmückten&period; Aber die größeren Kinder pflückten vorsichtig die Stengel&comma; die die flockenartig zusammengesetzte Samenkrone trugen&comma; die lose&comma; luftige&comma; wollige Blume&comma; welche wie ein kleines Kunstwerk aus den feinsten Federn&comma; Flocken oder Daunen gebildet dasteht&period; Sie hielten sie an den Mund&comma; um sie mit einem Hauch wegzublasen&period; Wer es fertig brächte&comma; bekäme neue Kleider&comma; ehe das Jahr um wäre&comma; hatte Großmutter gesagt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die verachtete Blume war bei dieser Gelegenheit ein anerkannter Prophet&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Siehst du&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Sonnenstrahl&comma; „siehst du die Schönheit&comma; siehst du die Macht derselben&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; für Kinder&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; versetzte der Apfelzweig&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da kam ein altes Mütterchen auf das Feld hinaus und grub mit ihrem stumpfen grifflosen Messer unten um die Wurzel der Blumen und zog sie heraus&semi; einige der Wurzeln wollte sie als Zusatz zum Kaffee benutzen&comma; andere wollte sie dem Apotheker als Arzneimittel verkaufen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Schönheit ist doch etwas Höheres&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Apfelzweig&period; „Nur die Auserwählten kommen in das Reich des Schönen&excl; Es giebt einen Unterschied zwischen den Gewächsen&comma; wie es einen Unterschied zwischen den Menschen giebt&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Sonnenstrahl sprach von Gottes unendlicher Liebe gegen alles Erschaffene und zu allem&comma; was Leben hat&comma; und daß er in Zeit und Ewigkeit alles gleichmäßig verteilt hätte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; das ist nur Ihre Ansicht&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Apfelblütenzweig&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Und nun traten Leute in das Zimmer&comma; und die junge Gräfin kam&comma; sie&comma; die den Apfelzweig so hübsch in die durchsichtige Vase gestellt hatte&comma; wo das Sonnenlicht ihn bestrahlen konnte&period; Sie brachte eine Blume&comma; oder was es sonst war&comma; die zwischen drei oder vier Blättern&comma; die dütenähnlich um sie gehalten wurden&comma; versteckt war&comma; damit sie kein Zug oder Windhauch verletzen könnte&period; Dabei wurde sie mit einer solchen Sorgfalt und Vorsicht getragen&comma; wie sie nicht einmal dem feinen Apfelzweig zu Teil geworden war&period; Ganz behutsam wurden nun die großen Blätter fortgenommen&comma; und was kam zum Vorschein&quest; Die kleine flockige Samenkrone der gelben verachteten Butterblume&excl; Sie war es&comma; die sie so sorgfältig gepflückt hatte und so sorgsam trug&comma; damit nicht einer der feinen Federpfeile&comma; die gleichsam ihre Nebelkappe bilden und so lose sitzen&comma; abgeblasen würde&period; Unversehrt und herrlich hatte sie nun dieselbe&semi; sie bewunderte ihre schöne Gestalt&comma; ihre luftige Klarheit&comma; ihre ganze eigentümliche Zusammensetzung&comma; ihre Schönheit&comma; wenn die Samenkrone vom Winde fortgeblasen würde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Sieh doch&comma; wie wunderbar schön sie der liebe Gott geschaffen hat&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte die Gräfin&period; „Ich will sie mit dem Apfelzweige malen&semi; wohl ist dieser unendlich schön&comma; aber in anderer Weise hat auch diese arme Blume vom lieben Gott gar viele Schönheiten erhalten&period; Wie verschieden sie auch sind&comma; dennoch sind sie beide Kinder im Reiche der Schönheit&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Und der Sonnenstrahl küßte die arme Blume und küßte den blühenden Apfelzweig&comma; dessen Blätter dabei zu erröten schienen&period;<&sol;p>