Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen für Kinder
(Hans Christian Andersen, empfohlenes Alter: 8 - 14 Jahre)

Fliedermütterchen

<p>Bebend vor Fieberfrost lag ein kleiner Knabe im Bett&comma; weil er sich erkältet hatte&period; Er war mit nassen Füßen nach Hause gekommen&comma; doch niemand konnte begreifen&comma; wie das geschehen war&comma; da es nicht geregnet hatte&period; Seine Mutter ließ die Theemaschine hereinbringen&comma; um ihm eine gute Tasse Fliederthee zu kochen&comma; denn der wärmt&period; Zu gleicher Zeit trat auch der alte&comma; muntere Mann zur Thüre herein&comma; der ganz oben im Hause wohnte und völlig für sich allein lebte&comma; denn er hatte weder Weib noch Kind&comma; hatte aber die Kinder gar lieb und wußte so viele Märchen und Geschichten zu erzählen&comma; daß es eine Lust war&comma; ihm zuzuhören&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Jetzt trinke deinen Thee&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte die Mutter&comma; „dann erzählt dir der Onkel vielleicht auch ein Märchen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; wenn man nur immer gleich ein neues wüßte&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; versetzte der alte Mann und nickte gutmütig&period; „Aber wo hat denn der Kleine die nassen Füße herbekommen&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte er dann&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; wo er sie her hat&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; entgegnete die Mutter&comma; „ist eben das Unbegreifliche&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Erzählen Sie mir ein Märchen&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte der Knabe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; wenn du mir genau angeben kannst&comma; denn das muß ich zuerst wissen&comma; wie tief der Rinnstein da drüben in der Gasse ist&comma; in der deine Schule liegt&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Gerade bis mitten an die Schäfte&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Knabe&comma; „aber dann muß ich schon in das tiefe Loch treten&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>92 „Sieh&comma; sieh&excl; also da stammen die nassen Füße her&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der alte Mann&period; „Nun müßte ich freilich ein Märchen erzählen&comma; aber ich weiß keines mehr&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Die Mutter warf Fliederthee in die Kanne und goß siedendes Wasser darüber&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Erzählen Sie&comma; erzählen Sie&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; bat der Knabe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; wenn ein Märchen von selbst kommen wollte&comma; aber solch echtes ist gar vornehm&comma; das kommt nur&comma; wenn es Lust dazu hat — —&excl; Doch halt&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte er plötzlich&period; „Da haben wir eins&excl; Gieb acht&comma; jetzt ist eins dort in der Theekanne&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Der kleine Knabe blickte nach der Theekanne hinüber&comma; der Deckel hob sich mehr und mehr und die Fliederblumen kamen frisch und weiß heraus&comma; trieben große lange Zweige&comma; sogar aus der Tülle breiteten sie sich nach allen Seiten aus und wurden größer und größer&period; Es war der prächtigste Fliederbusch&comma; ein ganzer Baum&comma; der bis in das Bett hineinragte und die Vorhänge zur Seite schob&period; Wie das blühte und duftete&excl; Mitten im Baume saß eine alte freundliche Frau in einem seltsamen Gewande&comma; welches grün wie die Blätter des Fliederbaumes war und einen Besatz von großen weißen Fliederblüten hatte&period; Man konnte nicht sogleich unterscheiden&comma; ob es Zeug oder lebendiges Grün und Blumen waren&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Wie heißt die Frau&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte der Knabe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Die Römer und Griechen&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; entgegnete der alte Mann&comma; „nannten sie eine Dryade&comma; aber das verstehen wir nicht&period; Draußen in den neuen Anlagen haben wir einen bessern Namen für sie&comma; dort heißt sie „Fliedermütterchen&OpenCurlyDoubleQuote;&period; Von ihr will ich dir nun erzählen&period; Höre zu&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ein ebenso großer&comma; blühender Baum stand draußen in den neuen Anlagen und zwar in der Ecke eines kleinen Hofes&comma; welcher zu einem kleinen Häuschen gehörte&period; Unter diesem Baume saßen eines Nachmittags im herrlichsten Sonnenschein zwei alte Leute&period; Es war ein alter&comma; alter Seemann und sie seine alte&comma; alte Frau&period; Sie waren Urgroßeltern und sollten bald ihre goldene Hochzeit feiern&comma; konnten sich aber nicht genau des Datums erinnern&period; Fliedermütterchen saß in dem Baume und sah ebenso vergnügt aus wie hier&period; „„Ich weiß wohl&comma; wann eure goldene Hochzeit ist&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte sie&comma; doch hörten jene es nicht&comma; sie sprachen von alten Tagen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Erinnerst du dich dessen wohl noch&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der alte Seemann&comma; „wie wir ganz klein waren und umherliefen und spielten&quest; Es war gerade in diesem nämlichen Hofe&comma; wo wir jetzt sitzen&period; Wir pflanzten kleine Stöckchen in die Erde und machten uns einen Garten&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; erwiderte die alte Frau&comma; „dessen erinnere ich mich sehr wohl&comma; und wir begossen die Stöckchen&comma; und eines derselben&comma; ein Fliederzweig&comma; schlug Wurzeln&comma; trieb grüne Schößlinge und ist nun zu dem großen Baume herangewachsen&comma; unter welchem wir alten Leute jetzt hier sitzen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„So ist’s&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte er&comma; „und dort in jener Ecke stand eine Wasserkufe&semi; dort schwamm mein Kahn&comma; ich hatte ihn mir selbst geschnitzt&period; Wie er segeln konnte&excl; Ich sollte freilich das Segeln bald in andrer Weise erlernen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; aber erst gingen wir in die Schule und lernten etwas&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte sie&comma; „und dann wurden wir eingesegnet&period; Wir weinten alle beide&semi; des Nachmittags erstiegen wir Hand in Hand den runden Turm und schauten über Kopenhagen und den Meeresspiegel hin&period; Dann gingen wir nach Friedrichsberg hinaus&comma; wo der König und die Königin in ihrer prächtigen Gondel auf den Kanälen umherfuhren&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Aber mir war es freilich bald beschieden&comma; in andrer Weise umherzusegeln&comma; und das so manches Jahr hindurch&comma; weit hinaus auf langen&comma; beschwerlichen Reisen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; ich weinte oft deinetwegen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; unterbrach sie ihn&comma; „denn ich glaubte&comma; du lägest tot in der Tiefe des Wassers&excl; Manche&comma; manche Nacht stand ich auf und sah nach&comma; ob die Wetterfahne sich drehte&period; Sie drehte sich wohl&comma; doch du kamst nicht&period; Ich entsinne mich noch deutlich&comma; wie eines Tages ein heftiger Platzregen herniederrauschte&comma; der Kehrichtkärrner machte vor der Thüre meiner Dienstherrschaft Halt&comma; ich ging mit dem Kehrichtfasse hinunter und blieb an der Thüre stehen&period; Gerade wie ich so dastand&comma; kam plötzlich der Postbote auf mich zu und gab mir einen Brief&period; Er war von dir&period; O&comma; wie der umhergereist war&excl; Ich brach ihn in Hast auf und las ihn&period; Ich lachte und weinte&comma; ich war so froh&excl; Da stand&comma; daß du in den warmen Ländern wärest&comma; wo die Kaffeebohnen wachsen&period; Was für ein glückliches&comma; gesegnetes Land muß das sein&excl; Du erzähltest so viel und ich sah es alles im Geiste&comma; während der Regen fort und fort herniederplätscherte und ich noch immer mit dem Kehrichtfasse dastand&period; Plötzlich tauchte jemand neben mir auf&comma; der mich um den Leib faßte — — —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Und dem du zur Belohnung eine klatschende Ohrfeige versetztest&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Wußte ich doch nicht&comma; daß du es warst&excl; Du warst mit deinem Briefe zugleich angekommen&semi; und du warst so schön — —&comma; doch das bist du noch&period; Du machtest mit einem langen gelbseidenen Taschentuche Staat und trugest einen weißen&comma; funkelnagelneuen Hut&period; Du warst so fein&period; Gott&comma; was war es doch für ein Wetter&comma; und wie sah die Straße aus&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Dann heirateten wir uns&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; fuhr er fort&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; und wie unsere Kinder nun sämtlich herangewachsen und brave Menschen geworden sind&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Und auch ihre Kinder haben schon wieder Kinder&comma; das sind Kindeskinder&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; fiel der alte Matrose ein&period; „Wie mich dünkt&comma; haben wir gerade in dieser Zeit unsere Hochzeit gefeiert&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; setzte er hinzu&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; just heute ist der goldene Hochzeitstag&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte Fliedermütterchen und steckte den Kopf gerade zwischen die beiden Alten&semi; diese aber hielten sie für die Nachbarin&comma; die ihnen zunickte&period; Sie schauten sich einander an und hielten die Hände verschlungen&period; Bald darauf erschienen die Kinder und Kindeskinder&comma; die sehr wohl wußten&comma; daß es der goldene Hochzeitstag war und auch schon am Morgen gratuliert hatten&semi; aber während sich die Alten der Ereignisse aus längst vergangenen Jahren so gut erinnerten&comma; war ihnen dies wieder entfallen&period; Der Fliederbaum duftete stark&comma; und die Sonne&comma; welche sich ihrem Untergange zuneigte&comma; schien dem greisen Ehepaare gerade ins Antlitz&period; Beide sahen rotwangig aus&comma; und das kleinste der Kindeskinder tanzte um sie herum und rief voller Glückseligkeit&comma; daß es heute abend hoch hergehen sollte&comma; sie würden warme Kartoffeln bekommen&period; Fliedermütterchen nickte in ihrem Baume und rief mit allen anderen „Hurrah&OpenCurlyDoubleQuote;&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Aber das war ja gar kein Märchen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; unterbrach der kleine Knabe den Erzähler&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; das mußt du freilich verstehen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; entgegnete der Alte&period; „Aber laß uns das Fliedermütterchen danach fragen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Es war kein Märchen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte Fliedermütterchen&semi; „nun aber kommt es&period; Aus der Wirklichkeit wächst gerade das seltsamste Märchen heraus&semi; sonst könnte ja mein prächtiger Fliederstrauch auch nicht aus der Theekanne emporgesproßt sein&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Darauf nahm es den Knaben aus seinem Bette&comma; umschlang ihn mit den Armen und die blütenbedeckten Zweige schlugen um sie zusammen&comma; so daß sie wie in der dichtesten Laube saßen&period; Diese flog mit ihnen durch die Luft&comma; es war unvergleichlich schön&period; Fliedermütterchen hatte sich plötzlich in ein kleines niedliches Mädchen verwandelt&comma; doch war der Rock noch von demselben grünen&comma; weißgeblümten Zeuge&comma; welches Fliedermütterchen getragen hatte&period; An der Brust hatte es eine wirkliche Fliederblüte und um sein aschblondes&comma; lockiges Haar einen ganzen Kranz von Fliederblüten&period; Seine Augen waren groß und blau&comma; o&comma; es war eine Freude&comma; dasselbe anzusehen&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Hand in Hand gingen sie aus der Laube und standen nun in dem schönen Blumengarten der Heimat&period; Bei dem frischen Rasenplatze lag der Stock des Vaters an einen Pflock angebunden&period; Für die Kleinen war Leben in dem Stocke&semi; sobald sie sich quer über denselben setzten&comma; verwandelte sich der blanke Knopf in einen stolz wiehernden Kopf&semi; die lange schwarze Mähne flatterte&comma; vier schlanke kräftige Beine wuchsen hervor&colon; das Tier war stark und feurig&period; Im Galopp ritten sie um den Rasenplatz herum und fortwährend rief das kleine Mädchen&comma; welches&comma; wie wir wissen&comma; niemand anders als Fliedermütterchen war&colon; „Nun sind wir auf dem Lande&excl; Siehst du das Bauernhaus mit dem großen Backofen&comma; der wie ein riesengroßes&comma; in der Mauer befindliches Ei auf den Weg herausguckt&quest; Der Fliederbaum läßt seine Zweige über ihn herabhängen und der Hahn schreitet stolz einher und scharrt nach Futter für seine Hühner&period; Doch nun vorwärts nach dem prächtigen Rittergute&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Und alles&comma; was das kleine Mädchen&comma; das hinten auf dem Stocke saß&comma; sagte&comma; das flog auch an ihnen vorüber&semi; der Knabe sah es&comma; und doch kamen sie nur um den Rasenplatz herum&period; Dann spielten sie in dem Seitengange und steckten auf dem Boden einen kleinen Garten ab&period; Das Mädchen nahm die Fliederblüte aus seinem Haar&comma; pflanzte sie und sie wuchs ganz eben so wie bei jenen Alten in die Höhe&comma; als dieselben noch als Kinder&comma; wie früher erzählt ist&comma; in den neuen Anlagen miteinander spielten&period; Wie jene wandelten sie Hand in Hand&comma; doch erstiegen sie nicht den roten Turm&comma; ergingen sich nicht im Friedrichsberger Parke&comma; nein&comma; das kleine Mädchen faßte den Knaben um den Leib und dann flogen sie weit umher&comma; und es war Frühling und wurde Sommer&comma; es war Herbst und wurde Winter&comma; und tausend Bilder spiegelten sich in den Augen und in dem Herzen des Knaben ab&comma; und immer sang das kleine Mädchen ihm vor&colon; „Das darfst du nie vergessen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Während des ganzen Fluges duftete der Fliederbaum gar süß und herrlich&period; Der Knabe nahm wohl die Rosen und die Blumen wahr&comma; aber der Fliederbaum duftete noch balsamischer&comma; denn seine Blüten hingen an des kleinen Mädchens Herzen und an dieses lehnte das kranke Knäblein während des Fluges oft das müde Haupt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Hier ist es herrlich im Frühling&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte das kleine Mädchen und sie standen in einem knospenden Buchenwalde&comma; wo grüner Waldmeister zu ihren Füßen duftete und blaßrote Anemonen aus dem jungen Gras schauten&period; „O&comma; wäre es immer Frühling&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Hier ist es herrlich im Sommer&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte sie und sie fuhren an alten Burgen aus der Ritterzeit vorüber&comma; deren rote Mauern und zackige Giebel sich in den Gräben spiegelten&comma; in denen Schwäne schwammen und in die alten kühlen Baumgänge hinaufschauten&period; Auf dem Felde wogte das Korn gleich der bewegten See&comma; rote und gelbe Blumen wiegten sich in den Gräben&comma; an den Gehegen rankten sich wilder Hopfen und blühende Winden empor&comma; und des Abends ging der Mond groß und voll auf&comma; und die Heuschober auf den Wiesen dufteten süß&period; „Das vergißt sich nie&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Hier ist es herrlich im Herbst&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte das kleine Mädchen&comma; und die Luft wurde doppelt so hoch und blau&comma; der Wald nahm die schönsten Farben von Rot&comma; Gelb und Grün an&comma; die Jagdhunde stürmten vorwärts&comma; ganze Scharen wilder Vögel flogen kreischend über die Hünengräber hin&comma; auf denen sich Brombeerranken über die alten Steine hinzogen&period; Auf dem tiefblauen Meere zeigten sich überall weiße Segler&comma; und in der Tenne saßen alte Frauen&comma; Mädchen und Kinder und pflückten Hopfen in ein großes Gefäß&period; Die Jungen sangen Lieder&comma; aber die Alten erzählten Märchen von Kobolden und Zauberern&period; „Besseres ließ sich nicht leicht denken&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Hier ist es herrlich im Winter&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte das kleine Mädchen&comma; und alle Bäume standen mit Reif bedeckt da&comma; als wären sie in weiße Korallen verwandelt&period; Der Schnee knirschte unter den Füßen&comma; als ob man immer neue Stiefel anhätte&comma; und vom Himmel fiel eine Sternschnuppe nach der andern&period; Im Zimmer wurde der Weihnachtsbaum angezündet&comma; da gab es Geschenke und fröhliche Laune&period; In der Bauernstube auf dem Lande ertönte lustiger Fiedelklang&comma; unter Jauchzen und Lachen haschte man nach Äpfelschnitten und selbst das ärmste Kind bekannte&colon; „Es ist doch herrlich im Winter&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Ja&comma; es war auch herrlich&excl; Das kleine Mädchen zeigte dem Knaben alles und der Fliederbaum duftete und die rote Flagge mit dem weißen Kreuze flatterte&comma; die Flagge&comma; unter welcher der alte Seemann aus den neuen Anlagen gesegelt war&period; Und aus dem Knaben wurde ein Jüngling und er sollte hinaus in die weite Welt&comma; weit fort nach den warmen Ländern&comma; wo der Kaffee wächst&period; Aber beim Abschied nahm das kleine Mädchen eine Fliederblüte von der Brust und gab sie ihm zum Aufbewahren&period; Er legte sie in sein Gesangbuch&comma; und so oft er es im fremden Lande öffnete&comma; fiel sein Blick zuerst auf die Stelle&comma; wo die Blüte der Erinnerung lag&period; Je länger er sie anblickte&comma; desto frischer wurde sie&semi; er fühlte gleichsam einen Duft aus den heimischen Wäldern und deutlich sah er zwischen den Blütenblättern das kleine Mädchen mit seinen klaren Augen hervorlugen und hörte&comma; wie sie ihm zuflüsterte&colon; „Hier ist es herrlich im Frühling&comma; Sommer&comma; Herbst und Winter&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Und Hunderte von Bildern glitten dann durch seine Gedanken&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So verstrichen viele Jahre und er war nun ein alter Mann und saß mit seiner alten Frau unter einem blühenden Baume&period; Sie hielten einander an den Händen&comma; genau so wie es der Urgroßvater und die Urgroßmutter draußen in den neuen Anlagen gethan hatten&comma; und sie sprachen gleichfalls von den alten Tagen und von der goldenen Hochzeit&period; Das kleine Mädchen mit den blauen Augen und den Fliederblüten im Haare saß oben im Baume&comma; nickte ihnen Beiden zu und sagte&colon; „Heute ist der goldne Hochzeitstag&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; — Darauf nahm es zwei Blumen aus seinem Kranze&comma; küßte dieselben und nun leuchteten sie zuerst wie Silber&comma; dann wie Gold&comma; und als es diese auf die Häupter der Alten legte&comma; verwandelte sich jede Blüte in eine goldene Krone&period; Da saßen sie Beide wie ein König und eine Königin unter dem duftenden Baume&comma; der völlig wie ein Fliederbaum aussah&comma; und er erzählte seiner alten Frau die Geschichte vom Fliedermütterchen&comma; so wie sie ihm als kleinem Knaben erzählt worden war&comma; und es schien Beiden&comma; als ob vieles darin vorkäme&comma; was ihrer eigenen Geschichte ähnelte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; so ist es&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte das kleine Mädchen im Baume&semi; „einige nennen mich Fliedermütterchen&comma; andere Dryade&comma; aber mein wahrer Name ist Erinnerung&period; Ich habe meinen Platz in dem grünen Baume&comma; welcher wächst und wächst&period; Ich schaue weit zurück und kann erzählen&period; Hast du auch deine Blüte noch&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Und der alte Mann öffnete sein Gesangbuch&semi; da lag die Fliederblüte&comma; so frisch&comma; als wäre sie erst vor kurzem hineingelegt worden&comma; und Fliedermütterchen&comma; oder vielmehr die Erinnerung&comma; nickte&comma; und die beiden Alten mit den goldenen Kronen saßen in der glühenden Abendsonne&period; Sie schlossen die Augen&comma; und — und — ja da war das Märchen aus&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der kleine Knabe lag in seinem Bettchen&comma; er wußte nicht&comma; ob er alles geträumt oder ein Märchen gehört hatte&period; Die Theekanne stand auf dem Tische&comma; aber es sproßte kein Fliederbaum aus ihr hervor&comma; und der alte Mann&comma; welcher erzählt hatte&comma; ging eben zur Thüre hinaus&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Wie schön war das&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der kleine Knabe&period; „Mutter&comma; bin ich in den warmen Ländern gewesen&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; das glaube ich wohl&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte die Mutter&comma; „wenn man zwei bis an den Rand gefüllte Tassen Fliederthee trinkt&comma; dann kommt man schon nach den fremden Ländern&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Und sie deckte ihn gut zu&comma; damit er sich nicht von neuem erkältete&period; „Du hast wohl geschlafen&comma; während ich saß und mit unserem alten Freunde darüber stritt&comma; ob es eine Geschichte oder ein Märchen wäre&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Und wo ist Fliedermütterchen&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte der Knabe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Das steckt in der Theekanne&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte die Mutter&comma; „und da kann es bleiben&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>