Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Heidi kann brauchen, was es gelernt hat
(Johanna Spyri, 1881)

Eine Vergeltung

<p>Am anderen Morgen in der Frühe stieg der Herr Doktor vom Dörfli den Berg hinan in der Gesellschaft des Peter und seiner Geißen&period; Der freundliche Herr versuchte ein paarmal mit dem Geißbuben ein Gespräch anzuknüpfen&comma; aber es gelang ihm nicht&comma; kaum daß er als Antwort auf einleitende Fragen unbestimmte&comma; einsilbige Worte zu hören bekam&period; Der Peter ließ sich nicht so leicht in ein Gespräch ein&period; So wanderte die ganze schweigende Gesellschaft bis hinauf zur Almhütte&comma; wo schon erwartend das Heidi stand mit seinen beiden Geißen&comma; alle drei munter und fröhlich wie der frühe Sonnenschein auf allen Höhen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Kommst mit&quest;« fragte der Peter&comma; denn als Frage oder als Aufforderung sprach er jeden Morgen diesen Gedanken aus&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Freilich&comma; natürlich&comma; wenn der Herr Doktor mitkommt«&comma; gab das Heidi zurück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Peter sah den Herrn ein wenig von der Seite an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt trat der Großvater hinzu&comma; das Mittagsbrotsäckchen in der Hand&period;&nbsp&semi;Erst grüßte er den Herrn mit aller Ehrerbietung&comma; dann trat er zum&nbsp&semi;Peter hin und hing ihm das Säckchen um&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Es war schwerer als sonst&comma; denn der Öhi hatte ein schönes Stück von dem rötlichen Fleische hineingelegt&period; Er hatte gedacht&comma; vielleicht gefalle es dem Herrn droben auf der Weide und er nehme dann gern sein Mittagsmahl gleich dort mit den Kindern ein&period; Der Peter lächelte fast von einem Ohr bis zum andern&comma; denn er ahnte&comma; daß da drinnen etwas Ungewöhnliches versteckt sei&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun wurde die Bergfahrt angetreten&period; Das Heidi wurde ganz von seinen Geißen umringt&comma; jede wollte zunächst bei ihm sein&comma; und eine schob die andere immer ein wenig seitwärts&period; So wurde es eine Zeitlang mitten in dem Rudel mit fortgeschoben&period; Aber jetzt stand es still und sagte ermahnend&colon; »Nun müßt ihr artig vorauslaufen&comma; aber dann nicht immer wiederkommen und mich drängen und stoßen&period; Ich muß jetzt ein wenig mit dem Herrn Doktor gehen&period;« Dann klopfte es dem Schneehöppli&comma; das sich immer am nächsten zu ihm hielt&comma; zärtlich auf den Rücken und ermahnte es noch besonders&comma; nun recht folgsam zu sein&period; Dann arbeitete es sich aus dem Rudel heraus und ging nun neben dem Herrn Doktor her&comma; der es gleich bei der Hand faßte und festhielt&period; Er mußte jetzt nicht mit Mühe nach einem Gespräch suchen wie vorher&comma; denn das Heidi fing gleich an und hatte ihm so viel zu erzählen von den Geißen und ihren merkwürdigen Einfällen und von den Blumen oben und den Felsen und Vögeln&comma; daß die Zeit unvermerkt dahinging und sie ganz unerwartet oben auf der Weide anlangten&period; Der Peter hatte im Hinaufgehen öfters seitwärts auf den Herrn Doktor Blicke geworfen&comma; die diesem einen rechten Schrecken hätten beibringen können&semi; er sah sie aber glücklicherweise nicht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Oben angelangt&comma; führte das Heidi seinen guten Freund gleich auf die schönste Stelle&comma; wohin es immer ging und sich auf den Boden setzte und umherschaute&comma; denn da gefiel es ihm am besten&period; Es tat&comma; wie es gewohnt war&comma; und der Herr Doktor ließ sich gleich auch neben Heidi auf den sonnigen Weideboden nieder&period; Ringsum leuchtete der goldene Herbsttag über die Höhen und das weite grüne Tal&period; Von den unteren Alpen tönten überall die Herdenglocken herauf&comma; so lieblich und wohltuend&comma; als ob sie weit und breit den Frieden einläuteten&period; Auf dem großen Schneefelde drüben blitzten funkelnd und flimmernd goldene Sonnenstrahlen hin und her&comma; und der graue Falknis hob seine Felsentürme in alter Majestät hoch in den dunkelblauen Himmel hinauf&period; Der Morgenwind wehte leise und wonnig über die Alp und bewegte nur sachte die letzten blauen Glockenblümchen&comma; die noch übriggeblieben waren von der großen Schar des Sommers und nun noch wohlig ihre Köpfchen im warmen Sonnenscheine wiegten&period; Obenhin flog der große Raubvogel in weiten Bogen umher&comma; aber er krächzte heute nicht&period; Mit ausgebreiteten Flügeln schwamm er ruhig durch die Bläue und ließ sich's wohl sein&period; Das Heidi guckte dahin und dorthin&period; Die lustig nickenden Blumen&comma; der blaue Himmel&comma; der fröhliche Sonnenschein&comma; der vergnügte Vogel in den Lüften&comma; alles war so schön&comma; so schön&excl; Heidis Augen funkelten vor Wonne&period; Nun schaute es nach seinem Freunde&comma; ob er auch alles recht sehe&comma; was so schön war&period; Der Herr Doktor hatte bis jetzt still und gedankenvoll um sich geblickt&period; Wie er nun den freudeglänzenden Augen des Kindes begegnete&comma; sagte er&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; Heidi&comma; es könnte schön sein hier&comma; aber was meinst du&quest; Wenn einer ein trauriges Herz hierher brächte&comma; wie müßte er es wohl machen&comma; daß er an all dem Schönen sich freuen könnte&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Oh&comma; oh&excl;« rief das Heidi ganz fröhlich aus&period; »Hier hat man gar nie ein trauriges Herz&comma; nur in Frankfurt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Der Herr Doktor lächelte ein wenig&comma; aber das ging schnell vorüber&period;&nbsp&semi;Dann sagte er wieder&colon; »Und wenn einer käme und alles Traurige aus&nbsp&semi;Frankfurt mit hier heraufbrächte&comma; Heidi&semi; weißt du da auch noch etwas&comma;&nbsp&semi;das ihm helfen könnte&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Man muß nur alles dem lieben Gott sagen&comma; wenn man gar nicht mehr weiß&comma; was machen«&comma; sagte das Heidi ganz zuversichtlich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; das ist schon ein guter Gedanke&comma; Kind«&comma; bemerkte der Herr Doktor&period; »Wenn es aber von ihm selbst kommt&comma; was so ganz traurig und elend macht&comma; was kann man da dem lieben Gott sagen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Das Heidi mußte nachdenken&comma; was dann zu machen sei&semi; es war aber ganz&nbsp&semi;zuversichtlich&comma; daß man für alle Traurigkeit eine Hilfe vom lieben&nbsp&semi;Gott erhalten könne&period; Es suchte seine Antwort in seinen eigenen&nbsp&semi;Erlebnissen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Dann muß man warten«&comma; sagte es nach einer Weile mit Sicherheit&comma; »und nur immer denken&colon; jetzt weiß der liebe Gott schon etwas Freudiges&comma; das dann nachher aus dem anderen kommt&comma; man muß nur noch ein wenig still sein und nicht fortlaufen&period; Dann kommt auf einmal alles so&comma; daß man ganz gut sehen kann&comma; der liebe Gott hatte die ganze Zeit nur etwas Gutes im Sinn gehabt&semi; aber weil man das vorher noch nicht so sehen kann&comma; sondern immer nur das furchtbar Traurige&comma; so denkt man&comma; es bleibe dann immer so&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Das ist ein schöner Glaube&comma; den mußt du festhalten&comma; Heidi«&comma; sagte der Herr Doktor&period; Eine Weile schaute er schweigend auf die mächtigen Felsenberge hinüber und in das sonnenleuchtende grüne Tal hinab&comma; dann sagte er wieder&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Siehst du&comma; Heidi&comma; es könnte einer hier sitzen&comma; der einen großen Schatten auf den Augen hätte&comma; so daß er das Schöne gar nicht aufnehmen könnte&comma; das ihn hier umgibt&period; Dann möchte doch wohl das Herz traurig werden hier&comma; doppelt traurig&comma; wo es so schön sein könnte&period; Kannst du das verstehen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt schoß dem Heidi etwas Schmerzliches in sein frohes Herz&period; Der große Schatten auf den Augen brachte ihm die Großmutter in Erinnerung&comma; die ja nie mehr die helle Sonne und all das Schöne hier oben sehen konnte&period; Das war ein Leid in Heidis Herzen&comma; das immer neu erwachte&comma; sobald die Sache ihm wieder ins Bewußtsein kam&period; Es schwieg eine Weile ganz still&comma; denn das Weh hatte es so mitten in die Freude hineingetroffen&period; Dann sagte es ernsthaft&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; das kann ich schon verstehen&period; Aber ich weiß etwas&colon; Dann muß man die Lieder der Großmutter sagen&comma; die machen einem wieder ein wenig helle und manchmal so hell&comma; daß man ganz fröhlich wird&period; Das hat die Großmutter gesagt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Welche Lieder&comma; Heidi&quest;« fragte der Herr Doktor&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich kann nur das von der Sonne und dem schönen Garten und noch von dem andern langen die Verse&comma; die der Großmutter lieb sind&comma; denn die muß ich immer dreimal lesen«&comma; erwiderte das Heidi&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»So sag mir einmal diese Verse&comma; die möchte ich auch hören«&comma; und der&nbsp&semi;Herr Doktor setzte sich zurecht&comma; um aufmerksam zuzuhören&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Heidi legte seine Hände ineinander und besann sich noch ein Weilchen&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Soll ich dort anfangen&comma; wo die Großmutter sagt&comma; daß einem wieder eine&nbsp&semi;Zuversicht ins Herz kommt&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Der Herr Doktor nickte bejahend&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt begann Heidi&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ihn&comma; ihn laß tun und walten&comma;<br&sol;> Er ist ein weiser Fürst<br&sol;> Und wird es so gestalten&comma;<br&sol;> Daß du dich wundern wirst&comma;<br&sol;> Wenn er&comma; wie ihm gebühret&comma;<br&sol;> Mit wunderbarem Rat<br&sol;> Das Werk hinausgeführet&comma;<br&sol;> Das dich bekümmert hat&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Er wird zwar eine Weile<br&sol;> Mit seinem Trost verziehn<br&sol;> Und tun an seinem Teile&comma;<br&sol;> Als hätt' in seinem Sinn<br&sol;> Er deiner sich begeben&comma;<br&sol;> Als sollt'st du für und für<br&sol;> In Angst und Nöten schweben&comma;<br&sol;> Als fragt' er nichts nach dir&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Wird's aber sich begeben&comma;<br&sol;> Daß du ihm treu verbleibst&comma;<br&sol;> So wird er dich erheben&comma;<br&sol;> Da du's am mind'sten gläubst&period;<br&sol;> Er wird dein Herz erlösen<br&sol;> Von der so schweren Last&comma;<br&sol;> Die du zu keinem Bösen<br&sol;> Bisher getragen hast&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Heidi hielt plötzlich inne&comma; es war nicht sicher&comma; daß der Herr Doktor auch noch zuhöre&period; Er hatte die Hand über seine Augen gebreitet und saß unbeweglich da&period; Es dachte&comma; er sei vielleicht ein wenig eingeschlafen&semi; wenn er dann wieder erwachte und noch mehr Verse hören wollte&comma; würde er es schon sagen&period; Jetzt war alles still&period; Der Herr Doktor sagte nichts&comma; aber er schlief doch nicht&period; Er war in eine längst vergangene Zeit zurückversetzt&period; Da stand er als ein kleiner Junge neben dem Sessel seiner lieben Mutter&semi; die hatte ihren Arm um seinen Hals gelegt und sagte ihm das Lied vor&comma; das er eben von Heidi hörte und das er so lange nicht mehr vernommen hatte&period; Jetzt hörte er die Stimme seiner Mutter wieder und sah ihre guten Augen so liebevoll auf ihm ruhen&comma; und als die Worte des Liedes verklungen waren&comma; hörte er die freundliche Stimme noch andere Worte zu ihm sprechen&period; Die mußte er gern hören und ihnen weit nachgehen in seinen Gedanken&comma; denn noch lange Zeit saß er so da&comma; das Gesicht in seine Hand gelegt&comma; schweigend und regungslos&period; Als er sich endlich aufrichtete&comma; sah er&comma; wie das Heidi in Verwunderung nach ihm blickte&period; Er nahm die Hand des Kindes in die seinige&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Heidi&comma; dein Lied war schön«&comma; sagte er&comma; und seine Stimme klang froher&comma; als sie bis jetzt geklungen hatte&period; »Wir wollen wieder hierherkommen&comma; dann sagst du mir's noch einmal&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Während dieser ganzen Zeit hatte der Peter genug zu tun gehabt&comma; seinem Ärger Luft zu machen&period; Da war das Heidi seit vielen Tagen nicht mit auf der Weide gewesen&comma; und nun&comma; da es endlich einmal wieder mit war&comma; saß der alte Herr die ganze Zeit neben ihm&comma; und der Peter konnte gar nicht an das Heidi herankommen&period; Das verdroß ihn sehr stark&period; Er stellte sich in einiger Entfernung hinter dem ahnungslosen Herrn auf&comma; so daß dieser ihn nicht sehen konnte&comma; und hier machte er erst eine große Faust und schwang sie drohend in der Luft herum&comma; und nach einiger Zeit machte er zwei Fäuste&comma; und je länger das Heidi neben dem Herrn sitzen blieb&comma; je schrecklicher ballte der Peter seine Fäuste und streckte sie immer höher und drohender in die Luft hinauf hinter dem Rücken des Bedrohten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Unterdessen war die Sonne dahin gekommen&comma; wo sie steht&comma; wenn man zu Mittag essen muß&semi; das kannte der Peter genau&period; Auf einmal schrie er aus allen Kräften zu den zweien hinüber&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Man muß essen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Heidi stand auf und wollte den Sack herbeiholen&comma; damit der Herr Doktor auf dem Platze&comma; wo er saß&comma; sein Mittagsmahl abhalten könne&period; Aber er sagte&comma; er habe keinen Hunger&comma; er wünsche nur ein Glas Milch zu trinken&comma; dann wolle er gern noch ein wenig auf der Alp umhergehen und etwas weiter hinaufsteigen&period; Da fand das Heidi&comma; dann habe es auch keinen Hunger und wolle auch nur Milch trinken&comma; und nachher wolle es den Herrn Doktor hinaufführen zu den großen&comma; moosbedeckten Steinen hoch oben&comma; wo der Distelfink einmal fast hinuntergesprungen wäre und wo alle die würzigen Kräutlein wuchsen&period; Es lief zum Peter hinüber und erklärte ihm alles und daß er nun erst eine Schale Milch vom Schwänli nehmen müsse für den Herrn Doktor und dann noch eine&comma; die wolle es für sich haben&period; Der Peter schaute erst eine Weile sehr erstaunt das Heidi an&comma; dann fragte er&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wer muß haben&comma; was im Sack ist&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Das kannst du haben&comma; aber zuerst mußt du die Milch geben&comma; und hurtig«&comma; war Heidis Antwort&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So rasch hatte der Peter in seinem Leben noch keine Tat vollendet&comma; als er nun diese fertigbrachte&comma; denn er sah immer den Sack vor sich und wußte noch nicht&comma; wie das aussah&comma; was drinnen war und ihm gehörte&period; Sobald drüben die beiden ruhig ihre Milch tranken&comma; öffnete der Peter den Sack und tat einen Blick hinein&period; Als er das wundervolle Stück Fleisch gewahr wurde&comma; da schüttelte es den ganzen Peter vor Freude&comma; und er tat noch einen Blick hinein&comma; um sich zu versichern&comma; daß es auch wahr sei&period; Dann fuhr er mit der Hand in den Sack hinein&comma; um die erwünschte Gabe zum Genuß herauszuholen&period; Aber auf einmal zog er die Hand wieder zurück&comma; als ob er nicht zugreifen dürfe&period; Es war dem Peter in den Sinn gekommen&comma; wie er dort hinter dem Herrn gestanden und gegen ihn gefaustet hatte&comma; und nun schenkte ihm derselbe Herr sein ganzes unvergleichliches Mittagsessen&period; Jetzt reute den Peter seine Tat&comma; denn es war ihm gerade so&comma; wie wenn sie ihn verhinderte&comma; sein schönes Geschenk herauszunehmen und sich daran zu erlaben&period; Auf einmal sprang er in die Höhe und lief zurück auf die Stelle hin&comma; wo er gestanden hatte&period; Da streckte er seine beiden Hände ganz flach in die Luft hinauf&comma; zum Zeichen&comma; daß das Fausten nicht mehr gelte&comma; und so blieb er eine gute Weile stehen&comma; bis er das Gefühl hatte&comma; die Sache sei nun wieder ausgeglichen&period; Dann kam er in großen Sprüngen zu dem Sack zurück&comma; und nun&comma; da das gute Gewissen hergestellt war&comma; konnte er mit vollem Vergnügen in sein ungewöhnlich leckeres Mittagsmahl beißen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Herr Doktor und das Heidi waren lange miteinander herumgewandert und hatten sich sehr gut unterhalten&period; Jetzt aber fand der Herr&comma; es sei Zeit für ihn zurückzukehren&comma; und meinte&comma; das Kind wolle nun auch gern noch ein wenig bei seinen Geißen bleiben&period; Aber das kam dem Heidi nicht in den Sinn&comma; denn dann mußte ja der Herr Doktor mutterseelenallein die ganze Alp hinuntergehen&period; Bis zur Hütte vom Großvater wollte es ihn durchaus begleiten und auch noch ein Stück darüber hinaus&period; Es ging immer Hand in Hand mit seinem guten Freunde und hatte auf dem ganzen Wege ihm noch genug zu erzählen und ihm alle Stellen zu zeigen&comma; wo die Geißen am liebsten weideten und wo es im Sommer am meisten von den glänzenden gelben Weideröschen und vom roten Tausendgüldenkraut und noch anderen Blumen gebe&period; Die wußte es nun alle zu benennen&comma; denn der Großvater hatte ihm den Sommer durch alle ihre Namen beigebracht&comma; so&comma; wie er sie kannte&period; Aber zuletzt sagte der Herr Doktor&comma; nun müsse es zurückkehren&period; Sie nahmen Abschied&comma; und der Herr ging den Berg hinunter&comma; doch kehrte er sich von Zeit zu Zeit noch einmal um&period; Dann sah er&comma; wie das Heidi immer noch auf derselben Stelle stand und ihm nachschaute und mit der Hand ihm nachwinkte&period; So hatte sein eigenes&comma; liebes Töchterchen getan&comma; wenn er von Hause fortging&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Es war ein klarer&comma; sonniger Herbstmonat&period; Jeden Morgen kam der Herr Doktor zur Alp herauf&comma; und dann ging es gleich weiter auf eine schöne Wanderung&period; öfters zog er mit dem Almöhi aus&comma; hoch in die Felsenberge hinauf&comma; wo die alten Wettertannen herunternickten und der große Vogel in der Nähe hausen mußte&comma; denn da schwirrte er manchmal sausend und krächzend ganz nahe an den Köpfen der beiden Männer vorbei&period; Der Herr Doktor hatte ein großes Wohlgefallen an der Unterhaltung seines Begleiters&comma; und er mußte sich immer mehr verwundern&comma; wie gut der Öhi alle Kräutlein ringsherum auf seiner Alp kannte und wußte&comma; wozu sie gut waren&comma; und wieviel kostbare und gute Dinge er da droben überall herauszufinden wußte&semi; so in den harzigen Tannen und in den dunklen Fichtenbäumen mit den duftenden Nadeln&comma; in dem gekräuselten Moos&comma; das zwischen den alten Baumwurzeln emporsproß&comma; und in all den feinen Pflänzchen und unscheinbaren Blümchen&comma; die noch ganz hoch oben dem kräftigen Alpenboden entsprangen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ebenso genau kannte der Alte auch das Wesen und Treiben aller Tiere da oben&comma; der großen und der kleinen&comma; und er wußte dem Herrn Doktor ganz lustige Dinge von der Lebensweise dieser Bewohner der Felsenlöcher&comma; der Erdhöhlen und auch der hohen Tannenwipfel zu erzählen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Dem Herrn Doktor verging die Zeit auf diesen Wanderungen&comma; er wußte gar nicht&comma; wie&comma; und oftmals&comma; wenn er am Abend dem Öhi herzlich die Hand zum Abschiede schüttelte&comma; mußte er von neuem sagen&colon; »Guter Freund&comma; von Ihnen gehe ich nie fort&comma; ohne wieder etwas gelernt zu haben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>An vielen Tagen aber&comma; und gewöhnlich an den allerschönsten&comma; wünschte der Herr Doktor mit dem Heidi auszuziehen&period; Dann saßen die beiden öfter miteinander auf dem schönen Vorsprunge der Alp&comma; wo sie am ersten Tage gesessen hatten&comma; und das Heidi mußte wieder seine Liederverse sagen und dem Herrn Doktor erzählen&comma; was es nur wußte&period; Dann saß der Peter öfter hinter ihnen an seinem Platze&comma; aber er war jetzt ganz zahm und faustete nie mehr&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So ging der schöne Septembermonat zu Ende&period; Da kam der Herr Doktor eines Morgens und sah nicht so fröhlich aus&comma; wie er sonst immer ausgesehen hatte&period; Er sagte&comma; es sei sein letzter Tag&comma; er müsse nach Frankfurt zurückkehren&semi; das mache ihm große Mühe&comma; denn er habe die Alp so liebgewonnen&comma; als wäre sie seine Heimat&period; Dem Almöhi tat die Nachricht sehr leid&comma; denn auch er hatte sich überaus gern mit dem Herrn Doktor unterhalten&comma; und das Heidi hatte sich so daran gewöhnt&comma; alle Tage seinen liebevollen Freund zu sehen&comma; daß es gar nicht begreifen konnte&comma; wie das nun mit einem Male ein Ende nehmen sollte&period; Es schaute fragend und ganz verwundert zu ihm auf&period; Aber es war wirklich so&period; Der Herr Doktor nahm Abschied vom Großvater und fragte dann&comma; ob das Heidi ihn noch ein wenig begleiten werde&period; Es ging an seiner Hand den Berg hinunter&comma; aber es konnte immer noch nicht recht fassen&comma; daß er ganz fortgehe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nach einer Welle stand der Herr Doktor still und sagte&comma; nun sei das Heidi weit genug gekommen&comma; es müsse zurückkehren&period; Er fuhr ein paarmal zärtlich mit seiner Hand über das krause Haar des Kindes hin und sagte&colon; »Nun muß ich fort&comma; Heidi&excl; Wenn ich dich nur mit mir nach Frankfurt nehmen und bei mir behalten könnte&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Dem Heidi stand auf einmal ganz Frankfurt vor den Augen&comma; die vielen&comma; vielen Häuser und steinernen Straßen und auch Fräulein Rottenmeier und die Tinette&comma; und es antwortete ein wenig zaghaft&colon; »Ich wollte doch lieber&comma; daß Sie wieder zu uns kämen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun ja&comma; so wird's besser sein&period; So leb wohl&comma; Heidi«&comma; sagte freundlich der Herr Doktor und hielt ihm die Hand hin&period; Das Kind legte die seinige hinein und schaute zu dem Scheidenden auf&period; Die guten Augen&comma; die zu ihm niederblickten&comma; füllten sich mit Wasser&period; Jetzt wandte sich der Herr Doktor rasch und eilte den Berg hinunter&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das Heidi blieb stehen und rührte sich nicht&period; Die liebevollen Augen und das Wasser&comma; das es darinnen gesehen hatte&comma; arbeiteten stark in seinem Herzen&period; Auf einmal brach es in ein lautes Weinen aus&comma; und mit aller Macht stürzte es dem Forteilenden nach und rief&comma; von Schluchzen unterbrochen&comma; aus allen Kräften&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Herr Doktor&excl; Herr Doktor&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Er kehrte um und stand still&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt hatte ihn das Kind erreicht&period; Die Tränen strömten ihm die Wangen herunter&comma; während es herausschluchzte&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich will gewiß auf der Stelle mit nach Frankfurt kommen und will bei&nbsp&semi;Ihnen bleiben&comma; so lang Sie wollen&comma; ich muß es nur noch geschwind dem&nbsp&semi;Großvater sagen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Der Herr Doktor streichelte beruhigend das erregte Kind&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma; mein liebes Heidi«&comma; sagte er mit dem freundlichsten Tone&comma; »nicht jetzt auf der Stelle&semi; du mußt noch unter den Tannen bleiben&comma; du könntest mir wieder krank werden&period; Aber komm&comma; ich will dich etwas fragen&colon; Wenn ich einmal krank und allein bin&comma; willst du dann zu mir kommen und bei mir bleiben&quest; Kann ich denken&comma; daß sich dann noch jemand um mich kümmern und mich liebhaben will&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; ja&comma; dann will ich sicher kommen&comma; noch am gleichen Tag&comma; und Sie sind mir auch fast so lieb wie der Großvater«&comma; versicherte das Heidi noch unter fortwährendem Schluchzen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt drückte ihm der Herr Doktor noch einmal die Hand&comma; dann setzte er rasch seinen Weg fort&period; Das Heidi aber blieb auf derselben Stelle stehen und winkte fort und fort mit seiner Hand&comma; solange es nur noch ein Pünktchen von dem forteilenden Herrn entdecken konnte&period; Als dieser zum letztenmal sich umwandte und nach dem winkenden Heidi und der sonnigen Alp zurückschaute&comma; sagte er leise vor sich hin&colon; »Dort oben ist's gut sein&comma; da können Leib und Seele gesunden&comma; und man wird wieder seines Lebens froh&period;«<&sol;p>

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