Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Heidis Lehr- und Wanderjahre
(Johanna Spyri, 1880, empfohlenes Alter: 8 - 12 Jahre)

Eine Großmama

<p>Am folgenden Abend waren große Erwartungen und lebhafte Vorbereitungen im Hause Sesemann sichtbar&comma; man konnte deutlich bemerken&comma; dass die erwartete Dame ein bedeutendes Wort im Hause mitzusprechen hatte und dass jedermann großen Respekt vor ihr empfand&period; Tinette hatte ein ganz neues&comma; weißes Deckelchen auf den Kopf gesetzt&comma; und Sebastian raffte eine Menge von Schemeln zusammen und stellte sie an alle passenden Stellen hin&comma; damit die Dame gleich einen Schemel unter den Füßen finde&comma; wohin sie sich auch setzen möge&period; Fräulein Rottenmeier ging zur Musterung der Dinge sehr aufrecht durch die Zimmer&comma; so wie um anzudeuten&comma; dass&comma; wenn auch eine zweite Herrschermacht herannahe&comma; die ihrige dennoch nicht am Erlöschen sei&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt rollte der Wagen vor das Haus&comma; und Sebastian und Tinette stürzten die Treppe hinunter&semi; langsam und würdevoll folgte Fräulein Rottenmeier nach&comma; denn sie wusste&comma; dass auch sie zum Empfang der Frau Sesemann zu erscheinen hatte&period; Heidi war beordert worden&comma; sich in sein Zimmer zurückzuziehen und da zu warten&comma; bis es gerufen würde&comma; denn die Großmutter würde zuerst bei Klara eintreten und diese wohl allein sehen wollen&period; Heidi setzte sich in einen Winkel und repetierte seine Anrede&period; Es währte gar nicht lange&comma; so steckte die Tinette den Kopf ein klein wenig unter Heidis Zimmertür und sagte kurz angebunden wie immer&colon; »Hinübergehen ins Studierzimmer&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Heidi hatte Fräulein Rottenmeier nicht fragen dürfen&comma; wie es mit der Anrede sei&comma; aber es dachte&comma; die Dame habe sich nur versprochen&comma; denn es hatte bis jetzt immer erst den Titel nennen gehört und nachher den Namen&semi; so hatte es sich nun die Sache zurechtgelegt&period; Wie es die Tür zum Studierzimmer aufmachte&comma; rief ihm die Großmutter mit freundlicher Stimme entgegen&colon; »Ah&comma; da kommt ja das Kind&excl; Komm mal her zu mir und lass dich recht ansehen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Heidi trat heran&comma; und mit seiner klaren Stimme sagte es sehr deutlich&colon;&nbsp&semi;»Guten Tag&comma; Frau Gnädige&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Warum nicht gar&excl;«&comma; lachte die Großmama&period; »Sagt man so bei euch&quest; Hast du das daheim auf der Alp gehört&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma; bei uns heißt niemand so«&comma; erklärte Heidi ernsthaft&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»So&comma; bei uns auch nicht«&comma; lachte die Großmama wieder und klopfte Heidi freundlich auf die Wange&period; »Das ist nichts&excl; In der Kinderstube bin ich die Großmama&semi; so sollst du mich nennen&comma; das kannst du wohl behalten&comma; wie&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; das kann ich gut«&comma; versicherte Heidi&comma; »vorher hab ich schon immer so gesagt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»So&comma; so&comma; verstehe schon&excl;«&comma; sagte die Großmama und nickte ganz lustig mit dem Kopfe&period; Dann schaute sie Heidi genau an und nickte von Zeit zu Zeit wieder mit dem Kopf&comma; und Heidi guckte ihr auch ganz ernsthaft in die Augen&comma; denn da kam etwas so Herzliches heraus&comma; dass es dem Heidi ganz wohl machte&comma; und die ganze Großmama gefiel dem Heidi so&comma; dass es sie unverwandt anschauen musste&period; Sie hatte so schöne weiße Haare&comma; und um den Kopf ging eine schöne Spitzenkrause&comma; und zwei breite Bänder flatterten von der Haube weg und bewegten sich immer irgendwie&comma; so als ob stets ein leichter Wind um die Großmama wehe&comma; was das Heidi ganz besonders anmutete&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Und wie heißt du&comma; Kind&quest;«&comma; fragte jetzt die Großmama&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich heiße nur Heidi&semi; aber weil ich soll Adelheid heißen&comma; so will ich schon Acht geben -«&semi; Heidi stockte&comma; denn es fühlte sich ein wenig schuldig&comma; da es noch immer keine Antwort gab&comma; wenn Fräulein Rottenmeier unversehens rief&colon; »Adelheid&excl;«&comma; indem es ihm noch immer nicht recht gegenwärtig war&comma; dass dies sein Name sei&comma; und Fräulein Rottenmeier war eben ins Zimmer getreten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Frau Sesemann wird unstreitig billigen«&comma; fiel hier die eben&nbsp&semi;Eingetretene ein&comma; »dass ich einen Namen wählen musste&comma; den man doch&nbsp&semi;aussprechen kann&comma; ohne sich selbst genieren zu müssen&comma; schon um der&nbsp&semi;Dienstboten willen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Werteste Rottenmeier«&comma; entgegnete Frau Sesemann&comma; »wenn ein Mensch einmal &gt&semi;Heidi&lt&semi; heißt und an den Namen gewöhnt ist&comma; so nenn ich ihn so&comma; und dabei bleibt's&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Es war Fräulein Rottenmeier sehr genierlich&comma; dass die alte Dame sie beständig nur bei ihrem Namen nannte&comma; ohne weitere Titulatur&semi; aber da war nichts zu machen&semi; die Großmama hatte einmal ihre eigenen Wege&comma; und diese ging sie&comma; da half kein Mittel dagegen&period; Auch ihre fünf Sinne hatte die Großmama noch ganz scharf und gesund&comma; und sie bemerkte&comma; was im Hause vorging&comma; sobald sie es betreten hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als am Tage nach ihrer Ankunft Klara sich zur gewohnten Zeit nach Tisch niederlegte&comma; setzte die Großmama sich neben sie auf einen Lehnstuhl und schloss ihre Augen für einige Minuten&semi; dann stand sie schon wieder auf - denn sie war gleich wieder munter - und trat ins Esszimmer hinaus&semi; da war niemand&period; »Die schläft«&comma; sagte sie vor sich hin&comma; ging dann nach dem Zimmer der Dame Rottenmeier und klopfte kräftig an die Tür&period; Nach einiger Zeit erschien diese und fuhr erschrocken ein wenig zurück bei dem unerwarteten Besuch&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wo hält sich das Kind auf um diese Zeit&comma; und was tut es&quest; Das wollte ich wissen«&comma; sagte Frau Sesemann&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»In seinem Zimmer sitzt es&comma; wo es sich nützlich beschäftigen könnte&comma; wenn es den leisesten Tätigkeitstrieb hätte&semi; aber Frau Sesemann sollte nur wissen&comma; was für verkehrtes Zeug sich dieses Wesen oft ausdenkt und wirklich ausführt&comma; Dinge&comma; die ich in gebildeter Gesellschaft kaum erzählen könnte&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Das würde ich gerade auch tun&comma; wenn ich so da drinnen säße wie dieses Kind&comma; das kann ich Ihnen sagen&comma; und Sie könnten zusehen&comma; wie Sie mein Zeug in gebildeter Gesellschaft erzählen wollten&excl; Jetzt holen Sie mir das Kind heraus und bringen Sie mir's in meine Stube&comma; ich will ihm einige hübsche Bücher geben&comma; die ich mitgebracht habe&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Das ist ja gerade das Unglück&comma; das ist es ja eben&excl;«&comma; rief Fräulein Rottenmeier aus und schlug die Hände zusammen&period; »Was sollte das Kind mit Büchern tun&quest; In all dieser Zeit hat es noch nicht einmal das Abc erlernt&semi; es ist völlig unmöglich&comma; diesem Wesen auch nur einen Begriff beizubringen&comma; davon kann der Herr Kandidat reden&excl; Wenn dieser treffliche Mensch nicht die Geduld eines himmlischen Engels besäße&comma; er hätte diesen Unterricht längst aufgegeben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»So&comma; das ist merkwürdig&comma; das Kind sieht nicht aus wie eines&comma; das das Abc nicht erlernen kann«&comma; sagte Frau Sesemann&period; »Jetzt holen Sie mir's herüber&comma; es kann vorläufig die Bilder in den Büchern ansehen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Fräulein Rottenmeier wollte noch einiges bemerken&comma; aber Frau Sesemann hatte sich schon umgewandt und ging rasch ihrem Zimmer zu&period; Sie musste sich sehr verwundern über die Nachricht von Heidis Beschränktheit und gedachte&comma; die Sache zu untersuchen&comma; jedoch nicht mit dem Herrn Kandidaten&comma; den sie zwar um seines guten Charakters willen sehr schätzte&semi; sie grüßte ihn auch immer&comma; wenn sie mit ihm zusammentraf&comma; überaus freundlich&comma; lief dann aber sehr schnell auf eine andere Seite&comma; um nicht in ein Gespräch mit ihm verwickelt zu werden&comma; denn seine Ausdrucksweise war ihr ein wenig beschwerlich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Heidi erschien im Zimmer der Großmama und machte die Augen weit auf&comma; als es die prächtigen bunten Bilder in den großen Büchern sah&comma; welche die Großmama mitgebracht hatte&period; Auf einmal schrie Heidi laut auf&comma; als die Großmama wieder ein Blatt umgewandt hatte&semi; mit glühendem Blick schaute es auf die Figuren&comma; dann stürzten ihm plötzlich die hellen Tränen aus den Augen&comma; und es fing gewaltig zu schluchzen an&period; Die Großmama schaute das Bild an&period; Es war eine schöne&comma; grüne Weide&comma; wo allerlei Tierlein herumweideten und an den grünen Gebüschen nagten&period; In der Mitte stand der Hirt&comma; auf einen langen Stab gestützt&comma; der schaute den fröhlichen Tierchen zu&period; Alles war wie in Goldschimmer gemalt&comma; denn hinten am Horizont war eben die Sonne im Untergehen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Großmama nahm Heidi bei der Hand&period; »Komm&comma; komm&comma; Kind«&comma; sagte sie in freundlichster Weise&comma; »nicht weinen&comma; nicht weinen&period; Das hat dich wohl an etwas erinnert&semi; aber sieh&comma; da ist auch eine schöne Geschichte dazu&comma; die erzähl ich heut Abend&period; Und da sind noch so viele schöne Geschichten in dem Buch&comma; die kann man alle lesen und wieder erzählen&period; Komm&comma; nun müssen wir etwas besprechen zusammen&comma; trockne schön deine Tränen&comma; so&comma; und nun stell dich hier vor mich hin&comma; dass ich dich recht ansehen kann&semi; so ist's recht&comma; nun sind wir wieder fröhlich&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber noch verging einige Zeit&comma; bevor Heidi zu schluchzen aufhören konnte&period; Die Großmama ließ ihm auch eine gute Weile zur Erholung&comma; nur sagte sie von Zeit zu Zeit ermunternd&colon; »So&comma; nun ist's gut&comma; nun sind wir wieder froh zusammen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Als sie endlich das Kind beruhigt sah&comma; sagte sie&colon; »Nun musst du mir was erzählen&comma; Kind&excl; Wie geht es denn beim Herrn Kandidaten in den Unterrichtsstunden&comma; lernst du auch gut und kannst du was&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O nein«&comma; antwortete Heidi seufzend&semi; »aber ich wusste schon&comma; dass man es nicht lernen kann&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Was kann man denn nicht lernen&comma; Heidi&comma; was meinst du&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Lesen kann man nicht lernen&comma; es ist zu schwer&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Das wäre&excl; Und woher weißt du denn diese Neuigkeit&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Der Peter hat es mir gesagt und er weiß es schon&comma; der muss immer wieder probieren&comma; aber er kann es nie lernen&comma; es ist zu schwer&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»So&comma; das ist mir ein eigener Peter&comma; der&excl; Aber sieh&comma; Heidi&comma; man muss nicht alles nur so hinnehmen&comma; was einem ein Peter sagt&comma; man muss selbst probieren&period; Gewiss hast du nicht recht mit all deinen Gedanken dem Herrn Kandidaten zugehört und seine Buchstaben angesehen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Es nützt nichts«&comma; versicherte Heidi mit dem Ton der vollen Ergebung in das Unabänderliche&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Heidi«&comma; sagte nun die Großmama&comma; »jetzt will ich dir etwas sagen&colon; Du hast noch nie lesen gelernt&comma; weil du deinem Peter geglaubt hast&semi; nun aber sollst du mir glauben&comma; und ich sage dir fest und sicher&comma; dass du in kurzer Zeit lesen lernen kannst&comma; wie eine große Menge von Kindern&comma; die geartet sind wie du und nicht wie der Peter&period; Und nun musst du wissen&comma; was nachher kommt&comma; wenn du dann lesen kannst - du hast den Hirten gesehen auf der schönen&comma; grünen Weide -&semi; sobald du nun lesen kannst&comma; bekommst du das Buch&comma; da kannst du seine ganze Geschichte vernehmen&comma; ganz so&comma; als ob sie dir jemand erzählte&comma; alles&comma; was er macht mit seinen Schafen und Ziegen und was ihm für merkwürdige Dinge begegnen&period; Das möchtest du schon wissen&comma; Heidi&comma; nicht&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Heidi hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört&comma; und mit leuchtenden Augen sagte es jetzt&comma; tief Atem holend&colon; »Oh&comma; wenn ich nur schon lesen könnte&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Jetzt wird's kommen&comma; und gar nicht lange wird's währen&comma; das kann ich schon sehen&comma; Heidi&comma; und nun müssen wir mal nach der Klara sehen&semi; komm&comma; die schönen Bücher nehmen wir mit&period;« Damit nahm die Großmama Heidi bei der Hand und ging mit ihm nach dem Studierzimmer&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Seit dem Tage&comma; da Heidi hatte heimgehen wollen und Fräulein Rottenmeier es auf der Treppe ausgescholten und ihm gesagt hatte&comma; wie schlecht und undankbar es sich erweise durch sein Fortlaufenwollen und wie gut es sei&comma; dass Herr Sesemann nichts davon wisse&comma; war mit dem Kinde eine Veränderung vorgegangen&period; Es hatte begriffen&comma; dass es nicht heimgehen könne&comma; wenn es wolle&comma; wie ihm die Base gesagt hatte&comma; sondern dass es in Frankfurt zu bleiben habe&comma; lange&comma; lange&comma; vielleicht für immer&period; Es hatte auch verstanden&comma; dass Herr Sesemann es sehr undankbar von ihm finden würde&comma; wenn es heimgehen wollte&comma; und es dachte sich aus&comma; dass die Großmama und Klara auch so denken würden&period; So durfte es keinem Menschen sagen&comma; dass es heimgehen möchte&comma; denn dass die Großmama&comma; die so freundlich mit ihm war&comma; auch böse würde&comma; wie Fräulein Rottenmeier geworden war&comma; das wollte Heidi nicht verursachen&period; Aber in seinem Herzen wurde die Last&comma; die darinnen lag&comma; immer schwerer&semi; es konnte nicht mehr essen&comma; und jeden Tag wurde es ein wenig bleicher&period; Am Abend konnte es oft lange&comma; lange nicht einschlafen&comma; denn sobald es allein war und alles still ringsumher&comma; kam ihm alles so lebendig vor die Augen&comma; die Alm und der Sonnenschein darauf und die Blumen&semi; und schlief es endlich doch ein&comma; so sah es im Traum die roten Felsenspitzen am Falknis und das feurige Schneefeld an der Schesaplana&comma; und erwachte dann Heidi am Morgen und wollte voller Freude hinausspringen aus der Hütte - da war es auf einmal in seinem großen Bett in Frankfurt&comma; so weit&comma; weit weg&comma; und konnte nicht mehr heim&period; Dann drückte Heidi oft seinen Kopf in das Kissen und weinte lang&comma; ganz leise&comma; dass niemand es höre&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Heidis freudloser Zustand entging der Großmama nicht&period; Sie ließ einige Tage vorübergehen und sah zu&comma; ob die Sache sich ändere und das Kind sein niedergeschlagenes Wesen verlieren würde&period; Als es aber gleich blieb und die Großmama manchmal am frühen Morgen schon sehen konnte&comma; dass Heidi geweint hatte&comma; da nahm sie eines Tages das Kind wieder in ihre Stube&comma; stellte es vor sich hin und sagte mit großer Freundlichkeit&colon; »Jetzt sag mir&comma; was dir fehlt&comma; Heidi&semi; hast du einen Kummer&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber gerade dieser freundlichen Großmama wollte Heidi nicht sich so undankbar zeigen&comma; dass sie vielleicht nachher gar nicht mehr so freundlich wäre&semi; so sagte Heidi traurig&colon; »Man kann es nicht sagen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nicht&quest; Kann man es etwa der Klara sagen&quest;«&comma; fragte die Großmama&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»O nein&comma; keinem Menschen«&comma; versicherte Heidi und sah dabei so unglücklich aus&comma; dass es die Großmama erbarmte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Komm&comma; Kind«&comma; sagte sie&comma; »ich will dir was sagen&colon; Wenn man einen Kummer hat&comma; den man keinem Menschen sagen kann&comma; so klagt man ihn dem lieben Gott im Himmel und bittet ihn&comma; dass er helfe&comma; denn er kann allem Leid abhelfen&comma; das uns drückt&period; Das verstehst du&comma; nicht wahr&quest; Du betest doch jeden Abend zum lieben Gott im Himmel und dankst ihm für alles Gute und bittest ihn&comma; dass er dich vor allem Bösen behüte&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»O nein&comma; das tu ich nie«&comma; antwortete das Kind&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Hast du denn gar nie gebetet&comma; Heidi&comma; weißt du nicht&comma; was das ist&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nur mit der ersten Großmutter habe ich gebetet&comma; aber es ist schon lang&comma; und jetzt habe ich es vergessen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Siehst du&comma; Heidi&comma; darum musst du so traurig sein&comma; weil du jetzt gar niemanden kennst&comma; der dir helfen kann&period; Denk einmal nach&comma; wie wohl das tun muss&comma; wenn einen im Herzen etwas immerfort drückt und quält und man kann so jeden Augenblick zum lieben Gott hingehen und ihm alles sagen und ihn bitten&comma; dass er helfe&comma; wo uns sonst gar niemand helfen kann&excl; Und er kann überall helfen und uns geben&comma; was uns wieder froh macht&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Durch Heidis Augen fuhr ein Freudenstrahl&colon; »Darf man ihm alles&comma; alles sagen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Alles&comma; Heidi&comma; alles&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Das Kind zog seine Hand aus den Händen der Großmama und sagte eilig&colon;&nbsp&semi;»Kann ich gehen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Gewiss&excl; Gewiss&excl;«&comma; gab diese zur Antwort&comma; und Heidi lief davon und hinüber in sein Zimmer&comma; und hier setzte es sich auf seinen Schemel nieder und faltete seine Hände und sagte dem lieben Gott alles&comma; was in seinem Herzen war und es so traurig machte&comma; und bat ihn dringend und herzlich&comma; dass er ihm helfe und es wieder heimkommen lasse zum Großvater&period; -<&sol;p>&NewLine;<p>Es mochte etwas mehr als eine Woche verflossen sein seit diesem Tage&comma; als der Herr Kandidat begehrte&comma; der Frau Sesemann seine Aufwartung zu machen&comma; indem er eine Besprechung über einen merkwürdigen Gegenstand mit der Dame abzuhalten gedachte&period; Er wurde auf ihre Stube berufen&comma; und hier&comma; wie er eintrat&comma; streckte ihm Frau Sesemann sogleich freundlich die Hand entgegen&colon; »Mein lieber Herr Kandidat&comma; seien Sie mir willkommen&excl; Setzen Sie sich her zu mir&comma; hier« - sie rückte ihm den Stuhl zurecht&period; »So&comma; nun sagen Sie mir&comma; was bringt Sie zu mir&semi; doch nichts Schlimmes&comma; keine Klagen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Im Gegenteil&comma; gnädige Frau«&comma; begann der Herr Kandidat&semi; »es ist etwas vorgefallen&comma; das ich nicht mehr erwarten konnte und keiner&comma; der einen Blick in alles Vorhergegangene hätte werfen können&comma; denn nach allen Voraussetzungen musste angenommen werden&comma; dass es eine völlige Unmöglichkeit sein müsse&comma; was dennoch jetzt wirklich geschehen ist und in der wunderbarsten Weise stattgefunden hat&comma; gleichsam im Gegensatz zu allem folgerichtig zu Erwartenden -«<&sol;p>&NewLine;<p>»Sollte das Kind Heidi etwa lesen gelernt haben&comma; Herr Kandidat&quest;«&comma; setzte hier Frau Sesemann ein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>In sprachlosem Erstaunen schaute der überraschte Herr die Dame an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Es ist ja wirklich völlig wunderbar«&comma; sagte er endlich&comma; »nicht nur&comma; dass das junge Mädchen nach all meinen gründlichen Erklärungen&comma; und ungewöhnlichen Bemühungen das Abc nicht erlernt hat&comma; sondern auch und besonders&comma; dass es jetzt in kürzester Zeit&comma; nachdem ich mich entschlossen hatte&comma; das Unerreichbare aus den Augen zu lassen und ohne alle weiter greifenden Erläuterungen nur noch sozusagen die nackten Buchstaben vor die Augen des jungen Mädchens zu bringen&comma; sozusagen über Nacht das Lesen erfasst hat&comma; und dann sogleich mit einer Korrektheit die Worte liest&comma; wie mir bei Anfängern noch selten vorgekommen ist&period; Fast ebenso wunderbar ist mir die Wahrnehmung&comma; dass die gnädige Frau gerade diese fern liegende Tatsache als Möglichkeit vermutete&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Es geschehen viele wunderbare Dinge im Menschenleben«&comma; bestätigte&nbsp&semi;Frau Sesemann und lächelte vergnüglich&semi; »es können auch einmal zwei<br&sol;>Dinge glücklich zusammentreffen&comma; wie ein neuer Lerneifer und eine neue&nbsp&semi;Lehrmethode&comma; und beide können nichts schaden&comma; Herr Kandidat&period; Jetzt<br&sol;>wollen wir uns freuen&comma; dass das Kind so weit ist&comma; und auf guten&nbsp&semi;Fortgang hoffen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Damit begleitete sie den Herrn Kandidaten zur Tür hinaus und ging rasch nach dem Studierzimmer&comma; um sich selbst der erfreulichen Nachricht zu versichern&period; Richtig saß hier Heidi neben Klara und las dieser eine Geschichte vor&comma; sichtlich selbst mit dem größten Erstaunen und mit einem wachsenden Eifer in die neue Welt eindringend&comma; die ihm aufgegangen war&comma; nun ihm mit einem Mal aus den schwarzen Buchstaben Menschen und Dinge entgegentraten und Leben gewannen und zu herzbewegenden Geschichten wurden&period; Noch am selben Abend&comma; als man sich zu Tische setzte&comma; fand Heidi auf seinem Teller das große Buch liegen mit den schönen Bildern&comma; und als es fragend nach der Großmama blickte&comma; sagte diese freundlich nickend&colon; »Ja&comma; ja&comma; nun gehört es dir&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Für immer&quest; Auch wenn ich heimgehe&quest;«&comma; fragte Heidi ganz rot vor&nbsp&semi;Freude&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Gewiss&comma; für immer&excl;«&comma; versicherte die Großmama&semi; »morgen fangen wir an zu lesen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Aber du gehst nicht heim&comma; noch viele Jahre nicht&comma; Heidi«&comma; warf Klara hier ein&semi; »wenn nun die Großmama wieder fortgeht&comma; dann musst du erst recht bei mir bleiben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Noch vor dem Schlafengehen musste Heidi in seinem Zimmer sein schönes Buch ansehen&comma; und von dem Tage an war es sein Liebstes&comma; über seinem Buch zu sitzen und immer wieder die Geschichten zu lesen&comma; zu denen die schönen bunten Bilder gehörten&period; Sagte am Abend die Großmama&colon; »Nun liest uns Heidi vor«&comma; so war das Kind sehr beglückt&comma; denn das Lesen ging ihm nun ganz leicht&comma; und wenn es die Geschichten laut vorlas&comma; so kamen sie ihm noch viel schöner und verständlicher vor&comma; und die Großmama erklärte dann noch so vieles und erzählte immer noch mehr dazu&period; Am liebsten beschaute Heidi immer wieder seine grüne Weide und den Hirten mitten unter der Herde&comma; wie er so vergnüglich&comma; auf seinen langen Stab gelehnt&comma; dastand&comma; denn da war er noch bei der schönen Herde des Vaters und ging nur den lustigen Schäfchen und Ziegen nach&comma; weil es ihn freute&period; Aber dann kam das Bild&comma; wo er&comma; vom Vaterhaus weggelaufen&comma; nun in der Fremde war und die Schweinchen hüten musste und ganz mager geworden war bei den Trebern&comma; die er allein noch zu essen bekam&period; Und auf dem Bilde schien auch die Sonne nicht mehr so golden&comma; da war das Land grau und nebelig&period; Aber dann kam noch ein Bild zu der Geschichte&colon; Da kam der alte Vater mit ausgebreiteten Armen aus dem Hause heraus und lief dem heimkehrenden reuigen Sohn entgegen&comma; um ihn zu empfangen&comma; der ganz furchtsam und abgemagert in einem zerrissenen Wams daherkam&period; Das war Heidis Lieblingsgeschichte&comma; die es immer wieder las&comma; laut und leise&comma; und es konnte nie genug der Erklärungen bekommen&comma; welche die Großmama den Kindern dazu machte&period; Da waren aber noch so viele schöne Geschichten in dem Buch&comma; und bei dem Lesen derselben und dem Bilderbesehen gingen die Tage sehr schnell dahin&comma; und schon nahte die Zeit heran&comma; welche die Großmama zu ihrer Abreise bestimmt hatte&period;<&sol;p>

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