Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Heimatlos
(Johanna Spyri)

Am Silser- und am Gardasee
Es geht noch weiter

<p>Rico war auch entschlafen&period; Er erwachte daran&comma; daß ihn der Kutscher packte&comma; um ihn herunterzunehmen&period; Nun stieg alles aus und herunter&comma; und die drei Studenten kamen noch auf den Rico zu und schüttelten ihm die Hand und wünschten ihm viel Glück auf seine Reise&period; Und einer rief&colon; »Grüß uns auch freundlich das Stineli&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Dann verschwanden sie in einer Straße und Rico hörte&comma; wie sie noch einmal anstimmten&colon; »Und die Schäflein&comma; und die Schäflein&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nun stand Rico da in der dunkeln Nacht und hatte gar keinen Begriff&comma; wo er war&comma; und auch nicht&comma; was er tun sollte&period; Da fiel ihm ein&comma; daß er nicht einmal dem Kutscher gedankt hatte&comma; der ihn doch so weit hatte mitfahren lassen&comma; und er wollte es gleich noch tun&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber der Kutscher war mitsamt den Pferden verschwunden&comma; und es war dunkel ringsum&colon; nur drüben hing eine Laterne&comma; auf diese ging Rico zu&period; Sie hing an der Stalltür&comma; wo die Pferde eben hineingeführt wurden&period; Daneben stand der Mann mit dem dicken Stock&comma; er schien auf den Kutscher zu warten&period; Rico stellte sich auch hin und wartete desgleichen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Schafhändler mußte ihn in der Dunkelheit nicht gleich erkannt haben&semi; auf einmal sagte er erstaunt&colon; »Was&comma; bist du auch noch da&comma; Kleiner&comma; wo mußt du denn deine Nacht zubringen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich weiß nicht&comma; wo«&comma; antwortete Rico&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Das wäre der Tausend&excl; um elf Uhr in der Nacht ein solches bißchen von einem Buben wie du&comma; und im fremden Lande –«<&sol;p>&NewLine;<p>Der Schafhändler mußte seine Worte völlig herausblasen&comma; denn in der Erregung kam er nicht gut zu Atem&semi; er endigte aber seinen Satz nicht&comma; denn der Kutscher kam aus dem Stalle&comma; und Rico lief gleich auf ihn zu und sagte&colon; »Ich habe Euch noch danken wollen&comma; daß Ihr mich mitgenommen habt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Das ist gerade gut&comma; daß du noch kommst&comma; jetzt hätte ich dich über den Rossen vergessen und wollte dich doch da einem Bekannten übergeben&period; Eben wollte ich Euch fragen&comma; guter Freund«&comma; fuhr er&comma; zum Schafhändler gewandt&comma; fort&comma; »ob Ihr nicht das Büblein mitnehmen würdet&comma; weil Ihr doch ins Bergamaskische hinabgeht&period; Es muß an den Gardasee hinunter&comma; irgendwohin&semi; es ist so eins von denen&comma; die so hin und her – Ihr versteht mich schon&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Dem Schafhändler kamen allerhand Geschichten von gestohlenen und verlorenen Kindern vor Augen&comma; er schaute Rico im Schein der Laterne mitleidsvoll an und sagte halblaut zum Kutscher&colon; »Er sieht auch so aus&comma; als ob es nicht sein rechtes Futteral wäre&comma; in dem er steckt&period; Er wird wohl in ein Herrenmäntelchen hineingehören&period; Ich nehme ihn mit&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Nachdem er noch einen Schafhandel mit dem Kutscher besprochen&comma; nahmen die beiden Abschied voneinander&comma; und der Schafhändler winkte Rico&comma; daß er mit ihm kommen solle&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nach einer kurzen Wanderung trat der Mann in ein Haus und unmittelbar in eine große Wirtsstube ein&comma; wo er sich mit Rico in einer Ecke niederließ&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun wollen wir einmal deine Barschaft ansehen«&comma; sagte er zu Rico&comma; »daß wir wissen&comma; was sie erleiden mag&period; Wohin mußt du unten am See&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nach Peschiera am Gardasee«&comma; war Ricos unveränderliche Antwort&period; Er zog nun seine Geldstücke alle hervor&comma; ein artiges Häuflein kleiner Münzen und oben darauf das größere Silberstück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Hast du nur das eine gute Stück&quest;« fragte der Händler&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; nur das&comma; von Euch hab’ ich’s«&comma; entgegnete Rico&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das gefiel dem Mann&comma; daß er allein ein großes Stück gegeben hatte und daß es der Junge gut wußte&semi; er bekam Lust&comma; ihm gleich noch etwas zu geben&period; Als nun gerade das Essen vor sie hingestellt wurde&comma; nickte der behäbige Mann seinem kleinen Nachbar zu und sagte&colon; »Das bezahl’ ich und das Nachtlager auch&semi; so kommst du morgen aus mit deinem Vermögen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Rico war so müde von all dem Singen und Geigen und Fahren den ganzen Tag&comma; daß er kaum mehr essen konnte&comma; und in der großen Kammer&comma; wo er zusammen mit seinem Beschützer die Nacht zuzubringen hatte&comma; war er kaum in sein Bett gestiegen&comma; als er sofort in einen tiefen Schlaf sank&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Am frühen Morgen wurde Rico von einer kräftigen Hand aus seinem festen Schlaf aufgerüttelt&period; Er sprang eilends aus seinem Bett&semi; sein Begleiter stand schon reisefertig da mit dem Stock in der Hand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Es währte aber gar nicht lang&comma; so stand auch Rico zur Abreise bereit&comma; die Geige im Arm&period; Erst traten die beiden in die Wirtsstube ein und Ricos Begleiter rief nach Kaffee&period; Dann ermunterte er den Jungen&comma; er solle nur recht viel davon zu sich nehmen&comma; denn nun komme eine lange Fahrt und eine solche&comma; die Appetit mache&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als das Geschäft zur Zufriedenheit abgetan war&comma; zogen die Reisenden aus&comma; und nach einer Strecke Wegs kamen sie um eine Ecke herum&comma; und – wie mußte Rico da die Augen auftun – auf einmal sah er einen großen&comma; flimmernden See vor sich&comma; und ganz erregt sagte er&colon; »Jetzt kommt der Gardasee&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Noch lange nicht&comma; Bürschlein&semi; jetzt sind wir am Comersee«&comma; erklärte sein Schutzherr&period; Nun stiegen sie in ein Schiff und fuhren viele Stunden lang dahin&period; Und Rico schaute bald nach den sonnigen Ufern&comma; bald in die blauen Wellen&comma; und es wehte ihn heimatlich an&period; – Jetzt legte er mit einem Male sein Silberstück auf den Tisch&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was&comma; was&comma; hast du schon zuviel Geld«&comma; fragte der Schafhändler&comma; der&comma; mit beiden Armen auf seinen Stock gestützt&comma; erstaunt dem Unternehmen zusah&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Heute muß ich bezahlen«&comma; sagte Rico&comma; »Ihr habt’s gesagt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Du gibst doch acht&comma; wenn man dir etwas sagt&comma; das ist etwas Gutes&semi; aber sein Geld legt man nicht nur so auf den Tisch&comma; gib mir’s einmal her&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Damit stand er auf und ging&comma; sich nach der Bezahlung umzusehen&period; Als er aber seinen dicken Lederbeutel hervorzog&comma; der ganz voll solcher Silberstücke war&comma; denn er war auf einer Handelsreise begriffen&comma; da konnte er’s nicht übers Herz bringen&comma; des Bübleins einziges Stück herzugeben&comma; und er brachte es wieder zurück samt der Karte und sagte&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Da&comma; du kannst’s morgen noch besser brauchen&semi; jetzt bist du noch bei mir und wer weiß&comma; wie es dir nachher geht&period; Wenn du einmal da unten ankommst und ich nicht mehr bei dir bin&comma; findest du dann auch ein Haus&comma; wo du hinein mußt&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&comma; ich weiß kein Haus«&comma; antwortete Rico&period; Der Mann hatte ein großes heimliches Erstaunen zu bewältigen&comma; denn des Bübleins Geschichte kam ihm sehr geheimnisvoll vor&period; Er ließ aber nichts merken und fragte auch nicht weiter&semi; er dachte&comma; da komme er doch nicht ins klare&semi; der Kutscher müsse ihm dann einmal Aufschluß geben&comma; der wisse wohl mehr von allem&comma; als das Büblein selbst&period; Mit diesem hatte er großes Mitleid&comma; denn es mußte nun bald noch seinen Schutz verlieren&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als das Schiff stillstand&comma; nahm der Mann Rico an die Hand und sagte&colon; »So verlier’ ich dich nicht und du kommst besser nach&comma; denn jetzt heißt’s gut marschieren&semi; die warten nicht&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Rico hatte zu tun&comma; den guten Schritten nachzukommen&period; Er schaute weder rechts noch links und auf einmal stand er vor einer langen Reihe ganz sonderbarer Rollwagen&period; Da stieg er auf einem Treppchen hinein&comma; dem Begleiter nach&comma; und nun fuhr Rico zum ersten Male in seinem Leben auf einer Eisenbahn&period; Nachdem man so eine Stunde lang gefahren war&comma; stand der Schafhändler auf und sagte&colon; »Jetzt kommt’s an mich&comma; da sind wir in Bergamo&comma; und du bleibst ruhig sitzen&comma; bis dich einer herausholt&comma; denn ich habe alles eingerichtet&comma; dann steigst du aus und bist da&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Bin ich dann in Peschiera am Gardasee&quest;« fragte Rico&period; Das bestätigte sein Beschützer&period; Nun bedankte sich Rico recht schön&comma; denn er hatte wohl verstanden&comma; wie viele Guttaten ihm dieser Mann erwiesen hatte&comma; und so schieden sie und es tat jedem leid&comma; daß er vom anderen wegkam&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Rico saß nun ganz still in seiner Ecke und hatte Zeit zum Staunen&comma; denn es bekümmerte sich kein Mensch mehr um ihn&period; So mochte er wohl gegen drei Stunden unbeweglich dagesessen haben&comma; als der Zug wieder einmal anhielt&comma; wie schon mehrere Male&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt trat ein Wagenführer herein&comma; nahm den Rico beim Arm und zog ihn in Eile aus dem Wagen und die Treppe hinunter&period; Dann deutete er die Anhöhe hinab und sagte&colon; »Peschiera«&comma; und im Nu war er wieder im Wagen droben und verschwunden&comma; der Zug sauste weiter&period;<&sol;p>

«

»