Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Heimatlos
(Johanna Spyri)

Am Silser- und am Gardasee
Ricos Mutter

<p>Über den Weg von Sils her kam an einem Stab der Lehrer gegangen&period; Er hatte an dem Begräbnis teilgenommen&period; Er hustete und keuchte&comma; und als er nun bei der Großmutter angekommen war und einen »Guten Abend« geboten hatte&comma; setzte er hinzu&colon; »Wenn es Euch recht ist&comma; Nachbarin&comma; so sitze ich einen Augenblick neben Euch&comma; denn ich habe es stark in dem Hals und auf der Brust&semi; aber was kann unsereins sagen mit bald siebzig Jahren&comma; wenn man solche begräbt&comma; wie den heute&period; Er war noch nicht fünfunddreißig und ein Mann wie ein Baum&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Der Lehrer hatte sich neben die Großmutter niedergesetzt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Es gibt mir auch zu denken«&comma; sagte diese&comma; »daß ich&comma; eine Alte&comma; Fünfundsiebzigjährige&comma; übrig bleibe und da und dort ein Junges fort muß&comma; von dem man denkt&comma; es wäre noch nötig gewesen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Die Alten werden auch noch zu etwas gut sein&period; Wo wäre sonst ein Beispiel für die Jungen&quest;« bemerkte der Lehrer&period; »Aber was meint Ihr&comma; Nachbarin&comma; was soll nun aus dem Büblein werden da drüben&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ja&comma; was soll aus dem Büblein werden&quest;« wiederholte die Großmutter&semi; »ich frage auch so&comma; und wenn ich nur auf die Menschen sehen wollte&comma; so wüßte ich keine Antwort&period; Aber es ist noch ein Vater im Himmel&comma; der die verlassenen Kinder sieht&period; Er wird auch einen Weg für das Büblein finden&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Sagt mir einmal&comma; Nachbarin&colon; wie ging es zu&comma; daß der Italiener die Tochter von Eurer Nachbarin da drüben zur Frau bekam&quest; Man weiß doch nie&comma; woher solche fremde Menschen kommen und was mit ihnen ist&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Es ging eben&comma; wie es geht&comma; Nachbar&period; Ihr wißt ja&comma; meine alte Bekannte&comma; die Frau Anne-Dete&comma; hatte alle ihre Kinder verloren und auch den Mann&comma; und lebte allein drüben im Häuschen mit dem Marie-Seppli&comma; das ein lustiges Töchterlein war&period; Es mögen jetzt elf oder zwölf Jahre sein&comma; da kam der Trevillo zuerst hierher&period; Er hatte Arbeit oben am Maloja und kam etwa hier herunter mit den Burschen&comma; und kaum hatten das Marie-Seppli und er einander gesehen&comma; so wurden sie einig&comma; sie wollten einander haben&period; Und das muß man dem Trevillo nachsagen&comma; er war nicht nur ein schöner Bursche&comma; der jedem gefallen konnte&comma; sondern auch ein anständiger und rechtschaffener Mensch&comma; die Anne-Dete hatte selber ihre Freude an ihm&period; Sie hätte nun freilich gern gewollt&comma; die beiden blieben bei ihr im Häuschen&comma; und der Trevillo hätte es gern getan&comma; er konnte es gut mit der Mutter&comma; und dem Marie-Seppli tat er&comma; was es nur wollte&period; Er war aber manchmal mit ihm nach dem Maloja hinaufspaziert und hatte die Straße hinuntergeschaut&comma; die man so sieht&comma; wie sie weit ins Tal hinabgeht&comma; und er hatte ihr erzählt&comma; wie es unten sei&comma; wo er daheim war&period; Da hatte sich das Marie-Seppli in den Kopf gesetzt&comma; es wolle dort hinunter&comma; und es half alles nichts&comma; wie auch die Mutter anhielt und jammerte&comma; sie könnten nicht leben da unten&period; Da sagte aber der Trevillo&comma; deswegen müsse sie nicht Angst haben&comma; er habe ein Gütlein und ein Häuschen unten&semi; er sei nur lieber ein wenig in die Welt hinausgezogen&period; – Jetzt hatte er das Marie-Seppli gewonnen&comma; und nach der Hochzeit wollte es auf der Stelle den Berg hinunter&period; Es schrieb dann etwa der Mutter&comma; daß es ihm gut gehe und der Trevillo der beste Mann sei&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Aber nach etwa fünf oder sechs Jahren trat eines Tages der Trevillo drüben in der Stube ein bei der Anne-Dete und hatte ein Büblein an der Hand und sagte&colon; ›Da&comma; Mutter&comma; das ist noch das einzige&comma; was ich vom Marie-Seppli habe&semi; es liegt begraben dort unten mit seinen anderen kleinen Kindern&period; Der war sein erstes und sein liebstes&period;‹<&sol;p>&NewLine;<p>»So hat sie’s mir erzählt&period; Dann sei er auf die Bank niedergesessen&comma; wo er zuerst das Marie-Seppli gesehen hatte&comma; und habe gesagt&colon; da wolle er bleiben mit seinem Büblein&comma; wenn’s der Mutter recht sei&semi; denn dort unten habe er’s nicht mehr ausgehalten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Das war Freud’ und Leid miteinander für die Anne-Dete&period; Der kleine Rico war etwas zu vier Jahren und war ein zahmes&comma; nachdenkliches Büblein&comma; ohne Lärm und Unart&comma; es war ihre letzte Freude&comma; ein Jahr nachher starb sie schon&comma; und man riet dem Trevillo&comma; die Base der Anne-Dete zu sich zu nehmen für den Haushalt und das Kind&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»So&comma; so«&comma; machte der Lehrer&comma; als die Großmutter schwieg&semi; »das habe ich alles nicht so gewußt&period; Es kann nun sein&comma; daß sich etwa Verwandte von dem Trevillo zeigen mit der Zeit&comma; und man kann sie anhalten&comma; etwas für den Knaben zu tun&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Verwandte«&comma; seufzte die Großmutter&comma; »die Base ist auch eine Verwandte&comma; von ihr bekommt er wenig gute Worte im Jahr&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Der Lehrer stand mühsam auf von seinem Sitz&period; »Mit mir geht’s bergab&comma; Nachbarin«&comma; sagte er kopfschüttelnd&semi; »ich weiß nicht&comma; wo meine Kräfte hingekommen sind&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Die Großmutter ermunterte ihn und sagte&colon; er sei ja noch ein junger Mann im Vergleich zu ihr&period; Sie mußte sich aber doch verwundern&comma; wie langsam er davonging&period;<&sol;p>

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