Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Moni der Geißbub
(Johanna Spyri, 1886)

Der Moni fühlt sich wohl

<p>Um zu dem Badehaus Fideris zu gelangen&comma; muß man steil und lang die Höhe hinaufsteigen&comma; nachdem man die Straße verlassen hat&comma; die sich durch das lange Tal des Prättigau nach oben schlängelt&period; So mühsam keuchen dann die Pferde den Berg hinauf&comma; daß man lieber aussteigt und zu Fuß die grüne Höhe erreicht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nach einem längeren Anstieg kommt man erst zum Dorf Fideris&comma; das auf der freundlichen&comma; grünen Anhöhe liegt&period; Von da geht es weiter in die Berge hinein&comma; bis das einsame Gebäude des Badeortes auftaucht&comma; überall von felsigen Höhen umgeben&period; Dort oben wachsen nur noch Tannen&comma; die die Höhen und Felsen ringsum bedecken&period; Es sähe alles ziemlich düster aus&comma; wenn nicht überall aus dem niederen Weidegras die schönen Bergblümchen mit ihren glänzenden Farben hervorguckten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>An einem hellen Sommerabend traten zwei Damen aus dem Badehaus und gingen auf dem schmalen Fußweg dahin&comma; der unweit des Hauses beginnt und bald sehr steil bis zu den hoch anfragenden Felsen hinaufsteigt&period; An dem ersten Vorsprung blieben sie stehen und schauten um sich&comma; denn sie waren eben erst in dem Bad angekommen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Lustig ist's nicht hier oben&comma; Tante"&comma; sagte jetzt die Jüngere&comma; indem sie die Landschaft betrachtete&period; "Lauter Felsen und Tannenwälder und dann wieder ein Berg und noch einmal Tannen darauf&period; Wenn wir sechs Wochen hier bleiben sollen&comma; dann wollte ich&comma; es wäre hier und da auch noch etwas Lustigeres zu sehen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Lustig wird's jedenfalls nicht sein&comma; wenn du hier oben dein Brillantenkreuz verlierst&comma; Paula"&comma; entgegnete die Tante&comma; während sie das rote Samtband zusammenknüpfte&comma; an dem das funkelnde Kreuz hing&period; "Es ist das drittemal&comma; daß ich das Band festmache&comma; seit wir angekommen sind&period; Ich weiß nicht&comma; wo es fehlt&comma; ob an dir oder an dem Band&comma; aber das weiß ich&comma; daß du jammern wirst&comma; wenn es verloren ist&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Nein&comma; nein"&comma; rief Paula lebhaft aus&comma; "das Kreuz darf nicht verlorengehen&comma; um keinen Preis&comma; es ist noch von der Großmutter und ist mein größter Schatz&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Paula ergriff selbst noch das Band und machte zwei&comma; drei Knoten hinein&comma; damit es festhalte&period; Plötzlich spitzte sie die Ohren&period; "Hör&comma; hör&comma; Tante&comma; jetzt kommt aber wirklich etwas Lustiges&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Hoch oben erscholl ein fröhlicher Gesang&period; Zwischendurch kam ein langer&comma; schallender Jodler&comma; dann wurde wieder gesungen&period; Die Damen schauten aufwärts&comma; konnten aber nichts Lebendiges entdecken&period; Der Fußweg ging in großen Serpentinen&comma; oft zwischen hohem Gebüsch und wieder zwischen vorstehenden Bergabhängen durch&comma; so daß man von unten immer nur kurze Stückchen davon erblicken konnte&period; Aber jetzt wurde es plötzlich lebendig auf dem Pfad&comma; oben und unten&comma; auf allen Stellen&comma; wo der schmale Weg gesehen werden konnte&comma; und immer lauter und näher tönte der Gesang&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Sieh&comma; sieh&comma; Tante&comma; dort&excl; Hier&excl; Sieh da&excl; Sieh da&excl;" rief Paula mit großem Vergnügen&period; Und ehe die Tante sich's versah&comma; kamen drei&comma; vier Geißen in Sprüngen daher und immer mehr&comma; immer mehr&comma; und jede hatte ein Glöcklein am Hals&period; Die läuteten von allen Seiten her&comma; und mitten in einem Rudel kam der Geißbub herabgesprungen und sang eben noch sein Lied zu Ende&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">"Und im Winter bleib ich fröhlich&comma;<br&sol;>Weil's Weinen nichts nützt&comma;<br&sol;>Und weil ihm sowieso der Frühling<br&sol;>Auf den Fersen schon sitzt&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Dann ließ er einen ungeheuren Jodel erschallen&period; Und auf einmal stand er mit seinem Rudel dicht vor den Damen&comma; denn mit seinen nackten Füßen sprang er genauso flink und leise wie seine Tierchen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Guten Abend wünsche ich"&comma; sagte er&comma; indem er die beiden lustig anschaute&comma; und wollte weiterziehen&period; Aber der Geißbub mit den fröhlichen Augen gefiel den Damen&period; "Wart ein wenig"&comma; sagte Paula&comma; "bist du der Geißbub von Fideris&quest; Hast du Geißen aus dem Dorf unten&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ja natürlich"&comma; war die Antwort&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Gehst du alle Tage mit ihnen da hinauf&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ja freilich&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"So&comma; so&comma; und wie heißt du denn&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Moni heiße ich&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Willst du mir auch das Lied einmal singen&comma; das du eben gesungen hast&quest;&nbsp&semi;Wir haben erst einen Vers gehört&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Das ist zu lang"&comma; erklärte Moni&comma; "es wird zu spät für die Geißen&comma; sie müssen heim&period;" Er rückte sein altes Hütchen zurecht&comma; schwang seine Rute in der Luft und rief den Geißen zu&comma; die schon überall zu nagen angefangen hatten&colon; "Heim&excl; Heim&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>"So singst du mir's doch ein andermal&comma; Moni&comma; nicht wahr&quest;" rief ihm&nbsp&semi;Paula nach&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ja&comma; das will ich und gute Nacht&excl;" rief er zurück&comma; setzte sich nun mit den Geißen in Trab&comma; und in kurzer Zeit stand die ganze Herde unten&comma; wenige Schritte vom Badehaus bei dem Hintergebäude still&period; Denn hier hatte Moni die Geißen&comma; die zum Haus gehörten&comma; die schöne weiße und die schwarze mit dem zierlichen Zicklein abzugeben&period; Moni behandelte letzteres mit größter Sorgfalt&comma; denn es war ein zartes Tierchen&comma; und er liebte es von allen am meisten&period; Es war auch so anhänglich&comma; daß es ihm den ganzen Tag immer nachlief&period; Er zog es auch jetzt ganz zärtlich zu sich und stellte es in seinen Stall hinein&period; Dann sagte er&colon; "So&comma; Mäggerli&comma; nun schlaf gut&comma; du bist müde&period; Es ist sehr weit bis dort hinauf&comma; und du bist noch so klein&period; Leg dich jetzt nur gleich hin&comma; siehst du&comma; so in das gute Stroh hinein&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Nachdem er so das Mäggerli zur Ruhe gebettet hatte&comma; zog er eilig weiter mit seiner Schar&comma; erst vor dem Badehaus den Hügel hinauf und dann die Straße hinunter dem Dorf zu&period; Hier nahm er sein Hörnchen vor den Mund und blies so gewaltig hinein&comma; daß es dröhnte bis weit ins Tal hinab&period; Von allen verstreuten Höfen her kamen jetzt die Kinder gelaufen&comma; jedes stürzte auf seine Geiß&comma; die es aus der Ferne schon kannte&period; Und von den nahen Häusern her kam hier eine Frau und dort eine&comma; faßte ihr Geißlein am Strick oder am Horn&comma; und in kurzer Zeit war die ganze Herde auseinandergestoben&comma; und jedes Tierlein kam an seinen Ort&period; Zuletzt stand der Moni noch allein mit der Braunen&comma; seiner eigenen Geiß&comma; und mit ihr ging er zu dem Häuschen am Bergabhang&comma; wo schon die Großmutter ihn in der Tür erwartete&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ist alles gut gegangen&comma; Moni&quest;" fragte sie freundlich&comma; führte dann die Braune in den Stall und fing gleich an&comma; sie zu melken&period; Die Großmutter war noch eine rüstige Frau und besorgte alles selbst im Haus und im Stall und hielt überall Ordnung&period; Moni stand in der Stalltür und schaute der Großmutter zu&period; Als das Melken beendet war&comma; trat sie ins Häuschen und sagte&colon; "Komm&comma; Moni&comma; du wirst Hunger haben&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Sie hatte auch schon alles hergerichtet&period; Moni konnte sich sofort an den Tisch setzen&period; Sie nahm neben ihm Platz&period; Obwohl es nur eine Schüssel voll Maisbrei mit der Milch der Braunen gab&comma; so ließ sich's Moni doch herrlich schmecken&period; Dabei erzählte er der Großmutter&comma; was er den Tag über erlebt hatte&comma; und sobald er sein Mahl beendet hatte&comma; zog er sich auf sein Lager zurück&comma; denn er mußte sich ja früh am Morgen wieder mit der Herde auf den Weg machen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Auf diese Weise hatte Moni schon zwei Sommer verbracht&comma; so lange schon war er Geißbub&period; Er war jetzt so an dieses Leben gewöhnt und mit seinen Tierchen verbunden&comma; daß er sich's gar nicht anders denken konnte&period; Mit seiner Großmutter lebte Moni zusammen&comma; solange er sich besinnen konnte&period; Seine Mutter war gestorben&comma; als er noch ganz klein war&period; Sein Vater zog bald danach mit anderen zum Kriegsdienst nach Neapel&comma; um etwas zu verdienen&comma; denn er meinte&comma; das gehe dort schneller&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Mutter seiner Frau war auch arm&comma; aber sie nahm auf der Stelle das verlassene Büblein ihrer Tochter&comma; den kleinen Salomon&comma; zu sich und teilte mit ihm&comma; was sie hatte&period; Es lag auch ein Segen auf ihrem Häuschen&comma; und noch nie hatte sie Not leiden müssen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die brave&comma; alte Elsbeth war auch im ganzen Dorf beliebt&comma; und als vor zwei Jahren ein anderer Geißbub ausgewählt wurde&comma; da fielen alle Stimmen einstimmig auf den Moni&period; Denn jeder gönnte es der arbeitsamen Elsbeth&comma; daß nun Moni auch etwas verdienen konnte&period; Die fromme Großmutter hatte den Moni keinen Morgen weggehen lassen&comma; ohne daß sie ihm sagte&colon; "Moni&comma; vergiß nicht&comma; wie nah du dort oben dem lieben Gott bist und daß er alles sieht und hört&period; Du kannst vor seinen Augen nichts verbergen&period; Aber vergiß auch nicht&comma; daß er in deiner Nähe ist&comma; um dir zu helfen&period; Daher mußt du dich nie fürchten&comma; und wenn du dort oben keine Menschen herbeirufen kannst&comma; rufe du nur zum lieben Gott in der Not&comma; er hört dich gleich und kommt dir zur Hilfe&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>So zog Moni von Anfang an voller Zuversicht auf die einsamen Höhen und die höchsten Felsen und hatte nie die leiseste Furcht noch Schrecken&comma; denn er dachte immer&colon; Je höher hinauf&comma; desto näher bin ich beim lieben Gott und desto sicherer in allem&comma; was mir begegnen kann&period; So hatte Moni weder Sorge noch Kummer und konnte sich freuen an allem&comma; was er erlebte vom Morgen bis zum Abend&period; Und es war kein Wunder&comma; daß er immer pfiff und sang und jodelte&comma; denn er mußte seiner großen Fröhlichkeit Luft machen&period;<&sol;p>

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