Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Moni der Geißbub
(Johanna Spyri, 1886)

Moni singt wieder

<p>Paula hatte angeordnet&comma; daß man sie am frühen Morgen wecken sollte&period; Wenn der Geißbub käme&comma; wollte sie selbst mit ihm verhandeln&period; Am Abend hatte sie noch eine lange Unterredung mit dem Wirt gehabt und war dann sehr befriedigt aus seiner Stube herausgekommen&period; Sie mußte etwas Erfreuliches mit ihm ausgemacht haben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als der Geißbub am Morgen mit seiner Herde herankam&comma; stand Paula schon vor dem Haus und rief&colon; "Moni&comma; kannst du denn immer noch nicht singen&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Er schüttelte den Kopf&colon; "Nein&comma; ich kann's nicht&comma; ich muß jetzt immer an das Mäggerli denken&comma; wie lange es noch mit mir geht&period; Ich kann nicht mehr singen&comma; solange ich lebe&comma; und hier ist das Kreuz&period;" Damit übergab er ein kleines Päckchen&comma; denn die Großmutter hatte es ihm sorgfältig in drei oder vier Papiere gewickelt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Paula schälte das Kreuz aus den Hüllen heraus und betrachtete es genau&period; Es war wirklich ihr schönes Kreuz mit den funkelnden Steinen und völlig unversehrt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"So&comma; Moni"&comma; sagte sie nun freundlich&comma; "du hast mir eine große Freude gemacht&comma; denn ohne dich hätte ich wohl mein Kreuz nie mehr gesehen&period; Nun will ich dir auch eine Freude machen&period; Geh&comma; hol das Mäggerli dort aus dem Stall&comma; es gehört jetzt dir&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Moni starrte das Fräulein mit einem Erstaunen an&comma; als sei es unmöglich&comma; ihre Worte zu verstehen&period; Endlich stotterte er&colon; "Aber wie—wie könnte das Mäggerli mein sein&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Wie&quest;" wiederholte Paula lächelnd&comma; "sieh&comma; gestern abend hab ich es dem Wirt abgekauft und heute morgen schenke ich es dir&period; Kannst du jetzt wieder singen&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Oh&excl;" stieß Moni hervor und rannte wie ein Unsinniger auf den Stall zu&comma; zog das Geißlein heraus und nahm es auf den Arm&period; Dann kam er zurückgesprungen und streckte dem Fräulein seine Hand entgegen und sagte immer wieder&colon; "Ich danke tausendmal&excl; Vergelt's Gott&excl; Und wenn ich Ihnen nur einen Gefallen tun könnte&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Dann sing mir dein Lied"&comma; sagte Paula&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da stimmte Moni sein Lied an und zog nun den Berg hinauf mit den Geißen&comma; und seine Jubeltöne schmetterten so ins Tal hinab&comma; daß im ganzen Badehaus keiner war&comma; der sie nicht hörte&period; Und mancher drehte sich auf seinem Kissen um und sagte&colon; "Der Geißbub hat wieder gute Laune&period;" Es freute aber alle&comma; daß er wieder sang&comma; denn sie hatten sich alle an den fröhlichen Wecker gewöhnt&comma; die einen zum Aufstehen&comma; die anderen zum Weiterschlafen&period; Als Moni oben von der ersten Höhe das Fräulein immer noch unten vor dem Haus stehen sah&comma; trat er extra weit hinaus und sang hinunter&comma; so laut er konnte&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">"Und so blau ist der Himmel&comma;<br&sol;>Und ich freu mich fast zu Tod&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Den ganzen Tag über sang der Moni und alle Geißen wurden angesteckt von seiner Fröhlichkeit und hüpften und sprangen umher&period; Es war&comma; als ob ein großes Fest gefeiert würde&period; Die Sonne schien fröhlich vom blauen Himmel herunter&period; Und nach dem großen Regen waren auch alle Kräutlein frisch und die gelben und roten Blümlein glänzten&period; Moni glaubte&comma; Berg und Tal und die ganze Welt noch nie so schön gesehen zu haben&period; Sein Zicklein ließ er den ganzen Tag nicht aus den Augen&period; Er zog ihm die besten Kräutlein aus und fütterte es und sagte immer wieder&colon; "Mäggerli&comma; du gutes Mäggerli&comma; du mußt nicht sterben&comma; du bist jetzt mein und kommst mit mir auf die Weide hinauf&comma; solange wir leben&period;" Und mit schallendem Singen und Jodeln kam Moni auch am Abend wieder hinunter&period; Nachdem er die Schwarze zu ihrem Stall geführt hatte&comma; nahm er das Zicklein auf den Arm&comma; es kam ja nun mit ihm nach Haus&period; Das Mäggerli machte auch gar keine Anstalten&comma; als wollte es lieber dableiben&comma; sondern schmiegte sich an den Moni&period; Bei ihm fühlte es sich geborgen&comma; denn Moni hatte es ja schon lange besser und zärtlicher behandelt als die eigene Mutter&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als aber Moni zu der Großmutter kam&comma; sein Mäggerli auf der Schulter&comma; da wußte diese gar nicht&comma; was geschehen war&period; Denn Monis Rufen&colon; "Es gehört mir&comma; Großmutter&comma; es gehört mir&excl;" erklärte ihr die Sache noch lange nicht&period; Aber Moni konnte noch nicht erzählen&period; Erst lief er zu dem Stall und dort&comma; hart neben der Braunen&comma; damit es sich nicht fürchte&comma; machte er dem Mäggerli ein schönes&comma; weiches Lager aus frischem Stroh&period; Er legte es darauf und sagte&colon; "So Mäggerli&comma; nun schlaf gut in der neuen Heimat&period; So sollst du's immer haben&comma; alle Tage mache ich dir ein neues Bettlein&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Erst jetzt kam Moni zu der verwunderten Großmutter zurück&comma; und wie sie nun zusammen bei ihrem Abendessen saßen&comma; erzählte er ihr die ganze Geschichte von Anfang an&period; Er berichtete von seinen drei kummervollen Tagen und dem heutigen beglückenden Schluß&period; Die Großmutter hörte ganz still und aufmerksam zu&comma; und als er zu Ende war&comma; sagte sie ernsthaft&colon; "Moni&comma; wie es dir jetzt gegangen ist&comma; daran sollst du immer denken&period; Während du dir Sorgen um das Geißlein machtest&comma; hatte der liebe Gott ihm schon lange geholfen und dir zur Freude einen Weg gefunden&period; Er hat dir geholfen&comma; weil du dein Unrecht eingesehen hast&period; Hättest du sofort recht getan und auf Gott vertraut&comma; so wäre gleich alles gut gegangen&period; Jetzt hat der liebe Gott dir so sehr geholfen&comma; daß du es dein Leben lang nicht vergessen darfst&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Nein&comma; ich will es auch nie vergessen"&comma; sagte Moni mit eifriger Zustimmung&comma; "und gewiß immer gleich denken&colon; Ich muß nur tun&comma; was vor dem lieben Gott recht ist&comma; das andere bringt er schon in Ordnung&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Bevor aber Moni sich schlafen legen konnte&comma; mußte er noch einmal in den Stall und sein Geißlein anschauen&comma; ob es auch wirklich möglich sei&comma; daß es draußen liege und ihm gehöre&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Jörgli bekam seine zehn Franken&comma; aber so leicht sollte er denn doch nicht von der Sache loskommen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als er wieder ins Badehaus kam&comma; wurde er vor den Wirt geführt&period; Er nahm den Buben beim Kragen&comma; schüttelte ihn tüchtig und sagte bedrohlich&colon; "Jörgli&excl; Jörgli&excl; Versuch du kein zweitesmal mehr&comma; mein ganzes Haus in Mißkredit zu bringen&excl; Kommt noch ein einziges Mal so etwas vor&comma; so kommst du auf eine Art aus meinem Haus hinaus&comma; die dir nicht gefällt&excl; Sieh&comma; dort oben steckt ein ganz kräftiges Weidenrütchen für solche Fälle&period; Jetzt geh und denk dran&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Aber noch eine Folge hatte der Vorgang für den Buben&colon; Wenn von nun an irgend etwas im Badehaus verloren gegangen war&comma; rief die ganze Dienerschaft sofort&colon; "Das hat der Jörgli von Küblis&excl;" Und kam dieser nachher ins Haus&comma; so drangen sie alle miteinander auf ihn ein und riefen&colon; "Gib's her&comma; Jörgli&excl; Gib's heraus&excl;" Und wie sehr er auch versicherte&comma; er habe nichts und wisse nichts&comma; sie schrien ihn alle an&colon; "Dich kennt man schon&excl; Uns betrügst du nicht&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>So hatte der Jörgli immer die bedrohlichsten Angriffe zu bestehen und hatte fast keinen ruhigen Augenblick mehr&period; Denn wenn er jetzt nur jemand auf sich zukommen sah&comma; so glaubte er schon&comma; der komme&comma; um ihn zu fragen&colon; "Hast du nicht dies oder das gefunden&quest;" So war es dem Jörgli nie mehr recht wohl zumut&comma; und hundertmal dachte er&colon; "Hätte ich doch jenes Kreuz auf der Stelle zurückgegeben&comma; in meinem ganzen Leben behalte ich nichts mehr&comma; das mir nicht gehört&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Der Moni aber hörte den ganzen Sommer nicht auf zu singen und zu jodeln&comma; denn er fühlte sich so wohl da oben bei seinen Geißen&comma; wie kaum ein anderer Mensch auf der Welt&period; Aber oft&comma; wenn er so in seiner Zufriedenheit ausgestreckt auf der Felsenkanzel lag und in das sonnige Tal hinabschaute&comma; mußte er daran denken&comma; wie er damals mit seinem schlechten Gewissen unter dem Regenfelsen saß&period; Und er sagte jedesmal laut vor sich hin&colon; "Ich weiß schon&comma; wie ich's mache&comma; daß es nie mehr so kommt&period; Ich tue nichts mehr&comma; wenn ich dabei nicht fröhlich in den Himmel aufsehen kann&comma; weil es dem lieben Gott so recht ist&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Geschah es aber&comma; daß der Moni sich zu lange in seine Betrachtungen vertiefte&comma; so kam die eine oder die andere der Geißen heran&period; Sie schaute verwundert nach ihm aus und versuchte ihn zur Gesellschaft zurückzumeckern&comma; was er aber manchmal ziemlich lange nicht hörte&period; Nur wenn sein Mäggerli kam und mit Verlangen nach ihm rief&comma; dann hörte er es gleich&period; Er lief ihm auch sofort entgegen&comma; denn sein anhängliches Geißlein war und blieb Monis liebstes Gut&period;<&sol;p>

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