Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Moni der Geißbub
(Johanna Spyri, 1886)

Monis Leben auf dem Berg

<p>Am folgenden Morgen erwachte Paula so früh wie sonst nie&comma; ein lauter&nbsp&semi;Gesang hatte sie aus dem Schlaf geweckt&period; "Da ist gewiß schon der&nbsp&semi;Geißbub"&comma; sagte sie&comma; sprang aus dem Bett und lief ans Fenster&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Richtig&comma; mit frischen&comma; roten Backen stand der Moni im Hof und hatte eben die alte Geiß und das Zicklein aus dem Stall geholt&period; Jetzt schwang er seine Rute in der Luft&comma; die Geißen hüpften und sprangen um ihn herum&comma; und nun ging's vorwärts mit der ganzen Schar&period; Und plötzlich erhob Moni seine Stimme wieder und sang&comma; daß es von den Bergen widerhallte&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">"Dort droben in den Tannen<br&sol;>Singen die Vögel im Chor&comma;<br&sol;>Und hat's eine Weile geregnet&comma;<br&sol;>Kommt die Sonne wieder vor&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Heute muß er mir einmal sein ganzes Lied singen"&comma; sagte Paula&comma; denn jetzt war Moni verschwunden&comma; und sie konnte seinen fernen Gesang nicht mehr verstehen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Am Himmel zogen noch die roten Morgenwolken dahin&comma; und ein frischer Bergwind rauschte dem Moni um die Ohren&comma; als er berganstieg&period; Das war ihm gerade recht&period; Vor Wohlbehagen jodelte er vom ersten Bergvorsprung so gewaltig ins Tal hinab&comma; daß mancher Schläfer unten im Badehaus erstaunt die Augen aufschlug&period; Er machte sie aber gleich wieder zu&comma; denn er kannte den Ton und wußte&comma; daß er nun noch ein Stündchen Schlaf zugeben konnte&comma; denn der Geißbub kam immer so früh&period; Inzwischen kletterte Moni mit seinen Geißen eine Stunde lang weiter und weiter hinauf&comma; bis hoch zu den Felsen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Immer weiter und immer schöner war es um den Moni geworden&comma; je höher er hinaufkam&period; Von Zeit zu Zeit guckte er um sich&comma; dann schaute er zu dem hellen Himmel auf&comma; der nun immer blauer wurde&period; Dann fing er aus vollem Hals zu singen an&comma; immer lauter und immer fröhlicher&comma; je höher er kam&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">Dort droben in den Tannen<br&sol;> Singen die Vögel im Chor&comma;<br&sol;> Und hat's eine Weile geregnet&comma;<br&sol;> Kommt die Sonne wieder vor&period;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">Und die Sonne und die Sterne<br&sol;> Und den Mond bei der Nacht&comma;<br&sol;> Die hat der liebe Gott uns<br&sol;> Zur Freude gemacht&period;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">Im Frühling gibt's Blumen&comma;<br&sol;> Die sind gelb und sind rot&comma;<br&sol;> Und so blau ist der Himmel&comma;<br&sol;> Und ich freu mich fast zu Tod&period;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">Und im Sommer gibt's Beeren&comma;<br&sol;> Und geht's gut&comma; so gibt's viel&comma;<br&sol;> Und die roten und die schwarzen&comma;<br&sol;> Eß ich alle vom Stiel&period;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">Hat's im Hag wieder Nüsse&comma;<br&sol;> So weiß ich wie's tut&comma;<br&sol;> Wo die Geißen gern nagen&comma;<br&sol;> Sind die Kräutlein auch gut&period;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">Und im Winter bin ich fröhlich&comma;<br&sol;> Weil's Weinen nichts nützt&comma;<br&sol;> Und weil ihm sowieso der Frühling&comma;<br&sol;> Auf den Fersen schon sitzt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt war die Anhöhe erreicht&comma; wo er gewöhnlich blieb und sich auch heute ausruhen wollte&period; Das war eine kleine&comma; grüne Hochebene mit einem so weiten Vorsprung&comma; daß man von dem freien Punkt ringsumher und weiter&comma; weit ins Tal hinabsehen konnte&period; Dieser Vorsprung hieß die Felsenkanzel&comma; und hier konnte Moni oft stundenlang verweilen und um sich schauen und vor sich hin pfeifen&comma; während seine Tierlein ganz gemütlich ihre Kräuter suchten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sobald Moni angekommen war&comma; nahm er seinen kleinen Proviantsack vom Rücken und legte ihn in eine kleine Höhle des Bodens&comma; die er selbst dafür gegraben hatte&period; Dann trat er auf die Felsenkanzel hinaus und warf sich auf den Boden&comma; um sich einmal so recht wohl sein zu lassen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Himmel war jetzt dunkelblau geworden&period; Drüben waren die hohen Berge mit den in den Himmel ragenden Zacken und großen Eisfeldern zum Vorschein gekommen&comma; und unten leuchtete weithin das grüne Tal im Morgenglanz&period; Moni lag da&comma; schaute umher&comma; sang und pfiff&period; Der Bergwind kühlte ihm das warme Gesicht&comma; und hörte er einmal zu pfeifen auf&comma; so pfiffen die Vögel über ihm noch viel lustiger und flogen in den blauen Himmel hinauf&period; Der Moni fühlte sich unbeschreiblich wohl&period; Von Zeit zu Zeit kam das Mäggerli zu ihm und strich ein wenig mit seinem Kopf über Monis Schulter&comma; wie die Geiß es immer tat&period; Dann meckerte es ganz liebevoll&comma; ging auf die andere Seite von Moni und strich wieder den Kopf über seine Schulter&period; Auch von den anderen Geißen kam bald diese&comma; bald jene&comma; um nach dem Hirten zu sehen&comma; und jede hatte ihre eigene Weise&comma; ihm ihre Zärtlichkeit zu zeigen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Braune&comma; seine eigene Geiß&comma; kam zu ihm und schaute nach&comma; ob auch alles mit ihm in Ordnung sei&period; Sie stand dann da und schaute ihn an&comma; bis er sagte&colon; "Ja&comma; ja&comma; Braunli&comma; es ist schon recht&comma; geh nur wieder zum Futter&period;" Eine Geiß hieß die Schwalbe&comma; weil sie so schmal und flink war und überall hineinschoß&comma; wie die Schwalben in ihre Löcher&period; Sie sprang so ungestüm auf den Moni los&comma; daß sie ihn wohl umgeworfen hätte&comma; wäre er nicht schon auf dem Boden gelegen&period; Gleich darauf lief sie wieder davon&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die glänzende Schwarze&comma; die Geiß des Wirts im Badehaus&comma; Mäggerlis Mutter&comma; war ein wenig stolz&period; Sie kam nur auf ein paar Schritte Entfernung heran&comma; schaute mit erhobenem Kopf zu dem Moni hin&comma; als wollte sie sich nicht zu vertraulich zeigen und ging dann wieder ihrer Wege&period; Der große Sultan aber&comma; der Bock&comma; zeigte sich immer nur einmal und drückte dann alle weg&comma; die er in Monis Nähe traf&period; Dann meckerte er einigemale so bedeutungsvoll&comma; als habe er Mitteilungen abzugeben über den Zustand der Herde&comma; als deren Anführer er sich fühlte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nur das kleine Mäggerli ließ sich niemals von seinem Beschützer verdrängen&period; Wenn der Bock kam und wollte es wegdrücken&comma; so kroch es so tief unter Monis Arm oder Kopf&comma; daß der große Sultan nicht wagte&comma; näher zu kommen&period; Unter Monis Schutz fürchtete sich das Zicklein auch kein bißchen mehr vor dem Sultan&comma; vor dem es sonst erzitterte&comma; wenn es in seine Nähe kam&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So war der sonnige Morgen vergangen&period; Moni hatte schon sein Mittagessen verzehrt und stand nun nachdenklich auf seinen Stecken gestützt&comma; den er hier oben öfters brauchte&period; Denn er war ihm beim Auf- und Abstieg eine große Hilfe&period; Er dachte nach&comma; ob er eine neue Seite der Felsen besteigen wollte&period; Denn an diesem Nachmittag wollte er mit den Geißen höher hinauf&comma; die Frage war nur&comma; nach welcher Seite&quest; Er entschied sich für die linke&comma; denn dort ging es zu den drei Drachensteinen&comma; um die herum so zartes Buschwerk wuchs&comma; daß es ein wahres Festessen für die Geißen war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Weg war steil&comma; und oben waren gefährliche Stellen an der schroffen Felswand&comma; aber er wußte einen sicheren Weg&period; Und die Geißen waren ja vernünftig und verliefen sich nicht so leicht&period; Er ging bergauf&comma; und lustig kletterten ihm alle seine Geißen nach&period; Sie waren bald vor&comma; bald hinter ihm&comma; das kleine Mäggerli blieb immer ganz in seiner Nähe&period; Manchmal hielt er es fest und zog es mit sich&comma; wenn eine steile Stelle kam&period; Es ging aber alles gut&comma; und nun waren sie oben&comma; und mit hohen Sprüngen rannten die Geißen zu den grünen Büschen hin&comma; denn sie erkannten das gute Futter&comma; das sie schon öfter hier oben abgenagt hatten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Nur zahm&excl; Nur zahm&excl;" mahnte Moni&comma; "und stoßt einander nicht an den steilen Stellen&comma; es könnte leicht eines abstürzen und hätte die Beine gebrochen&period; Schwalbe&excl; Schwalbe&excl; Was kommt denn dir in den Sinn&quest;" rief er jetzt voller Aufregung&period; Denn die flinke Geiß war über die hohen Drachensteine hinaufgeklettert&comma; stand jetzt auf dem äußersten Rand des einen Steins und guckte von da ganz vorwitzig auf ihn herunter&period; Er kletterte eilig hinauf&comma; denn nur noch ein einziger Tritt&comma; und die Schwalbe lag unten im Abgrund&period; Moni war sehr behend&comma; in wenigen Minuten hatte er den Stein erklettert und mit einem schnellen Griff die Schwalbe am Bein erfaßt und zurückgezogen&period; "Komm du jetzt mit mir&comma; du unvernünftiges Tierlein du"&comma; schalt Moni und zog die Schwalbe mit sich herunter zu den anderen&period; Er hielt sie noch ein Weilchen fest&comma; bis sie nicht mehr ans Fortlaufen dachte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Wo ist das Mäggerli&quest;" schrie Moni plötzlich auf&comma; der die Schwarze erblickte&comma; wie sie allein an einer steilen Stelle stand und nichts fraß&comma; sondern ruhig umherschaute&period; Immer war das junge Geißlein neben Moni&comma; oder es lief seiner Mutter nach&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Wo hast du dein Zicklein&comma; Schwarze&quest;" rief er erschrocken und sprang auf die Geiß zu&period; Sie war ganz sonderbar&comma; fraß nicht&comma; blieb immer auf demselben Platz stehen und spitzte verdächtig die Ohren&period; Moni stellte sich dicht neben sie und schaute hinauf und hinab&period; Jetzt hörte er ein leises&comma; jammerndes Meckern&period; Das war Mäggerlis Stimme&comma; sie kam von unten herauf&comma; so kläglich und hilfeflehend&period; Moni legte sich auf den Boden und beugte sich vor&period; Dort unten bewegte sich etwas&period; Jetzt sah er's deutlich&comma; tief unten hing das Mäggerli an einem Ast&comma; der aus dem Felsen herauskam&comma; und winselte zum Erbarmen&period; Es mußte hinuntergefallen sein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Glücklicherweise hatte der Ast es aufgehalten&comma; sonst hätte es in den Abgrund stürzen müssen&period; Aber auch noch jetzt&comma; wenn es sich nicht mehr an dem Ast festhalten konnte&comma; mußte es auf der Stelle in die Tiefe stürzen und sich das Genick brechen&period; In höchster Angst rief er hinunter&colon; "Halt fest&comma; Mäggerli&comma; halt fest am Ast&excl; Sieh&comma; ich komme schon und hole dich&excl;" Aber wie sollte er dahin gelangen&quest; Die Felswand war so steil hier&comma; unmöglich konnte er da hinunterkommen&comma; das sah Moni wohl ein&period; Aber das Geißlein mußte da unten etwa in der Höhe vom Regenfelsen sein&comma; dem überhängenden Gestein&comma; unter das man sich beim Regen so gut flüchten konnte&period; Dort brachten die Geißbuben schon immer ihre Tage bei schlechtem Wetter zu&comma; darum hieß das Gestein schon von alter Zeit her der Regenfelsen&period; Von da aus&comma; dachte Moni&comma; konnte er quer über den Felsen klettern und so mit dem Zicklein zurückkommen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Schnell pfiff er die Herde zusammen und stieg mit ihr hinunter&comma; bis zu der Stelle&comma; wo es zum Regenfelsen hineinging&period; Da ließ er sie weiden und ging dem Felsen zu&period; Hier sah er auch gleich&comma; noch ein gutes Stück über sich&comma; den Ast&comma; an den sich das Geißlein klammerte&period; Er sah&comma; daß es nicht leicht sei&comma; da hinaufzuklettern und mit dem Mäggerli auf dem Rücken wieder hinunter&period; Aber anders war das Tierlein nicht zu retten&period; Er dachte auch&comma; der liebe Gott würde ihm gewiß beistehen&comma; dann könnte es ihm gelingen&period; Er faltete seine Hände&comma; schaute zum Himmel auf und betete&colon; "Ach lieber Gott&comma; hilf mir doch&comma; daß ich das Mäggerli erretten kann&excl;" Jetzt war er voller Vertrauen&comma; daß alles gutgehen werde&comma; und eilig kletterte er den Felsen hinauf&comma; bis er bei dem Ast oben angelangt war&period; Hier klammerte er sich fest an mit beiden Füßen&comma; hob dann das zitternde&comma; wimmernde Tierlein auf seine Schultern und kletterte nun mit großer Sorgfalt hinunter&period; Als er aber nun wieder den sicheren Grasboden unter den Füßen hatte und das erschrockene Geißlein gerettet sah&comma; da war er so froh&comma; daß er laut danken mußte und in den Himmel hinaufrief&colon; "O lieber Gott&comma; ich danke dir tausendmal&comma; daß du uns so geholfen hast&excl; O wie sind wir beide so froh darüber&excl;" Dann setzte er sich noch ein wenig auf den Boden und streichelte das Zicklein&comma; das immer noch an allen seinen zarten Gliedern zitterte&comma; und tröstete es über die ausgestandene Angst&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als wenig später Zeit zum Aufbruch war&comma; setzte Moni das Zicklein noch einmal auf seine Schultern und sagte fürsorglich&colon; "Komm&comma; du armes Mäggerli&comma; du zitterst ja immer noch&period; Heute kannst du nicht heimgehen&comma; ich muß dich tragen&period;" Und so trug er das Tierlein&comma; das sich fest an ihn schmiegte&comma; den ganzen Weg hinunter&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Paula stand jetzt auf der letzten Anhöhe vor dem Badehaus und erwartete den Geißbuben&period; Auch ihre Tante hatte sie begleitet&period; Als nun Moni mit seiner Last auf dem Rücken herankam&comma; wollte Paula wissen&comma; ob das Zicklein krank sei&comma; und zeigte große Teilnahme&period; Als Moni das sah&comma; setzte er sich gleich auf den Boden vor Paula hin und erzählte ihr sein heutiges Erlebnis mit dem Mäggerli&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das Fräulein nahm sehr lebhaften Anteil an der Sache und streichelte das gerettete Tierlein&period; Jetzt lag es ruhig auf Monis Knien und sah sehr zierlich aus mit seinen weißen Füßen und dem schönen schwarzen Pelzchen über dem Rücken&period; Es ließ sich ganz gern ein wenig streicheln&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Jetzt singst du mir auch noch dein Lied&comma; wenn du schon einmal hier bist"&comma; sagte Paula&period; Moni war so fröhlich gestimmt&comma; daß er gern aus voller Brust anstimmte und sein ganzes Lied bis zu Ende sang&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das gefiel der Paula ausnehmend gut&comma; und sie sagte&comma; er müsse es ihr&nbsp&semi;noch öfter singen&period; Dann zog die ganze Gesellschaft zusammen zum&nbsp&semi;Badehaus hinunter&period; Hier wurde das Zicklein auf sein Lager gelegt&comma; und&nbsp&semi;Moni nahm Abschied&period; Paula ging in ihr Zimmer zurück&comma; um hier der&nbsp&semi;Tante noch lange von dem Geißbuben zu erzählen&comma; auf dessen fröhlichen&nbsp&semi;Morgengesang sie sich schon jetzt wieder freute&period;<&sol;p>

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