Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Was die Großmutter gelehrt hat
(Johanna Spyri)

Dem Trini wird etwas Neues verständlich

<p>Mehrere sonnige Tage waren seit dem leidvollen Abend vergangen&period; Die Großmutter sagte kein Wort mehr von der drohenden Trennung&period; Sie vergaß sie freilich nie und hatte manchen schweren Augenblick zu ertragen&comma; wenn wieder deutlich vor ihr stand&comma; was ja kommen mußte&period; Aber sie wollte nicht mehr davon mit dem Kind reden&period; Sie hatte ihre Sache dem lieben Gott anvertraut&period; Und deshalb konnte sie sich im stillen immer wieder an der Zuversicht festhalten&comma; wenn das Schwere kommen müßte&comma; so werde er es für das Kind zum Guten wenden&period; Als nun die Großmutter gar nichts mehr sagte und alles wieder wie vorher war&comma; die Sonne schien und die Vögel wie immer lustig pfiffen&comma; da dachte das Trini&comma; die Gefahr sei vorüber&period; Es glaubte&comma; der liebe Gott habe wirklich&comma; wie die Großmutter gesagt&comma; über Nacht etwas geändert&comma; und die alte Fröhlichkeit kehrte in Trinis Herz zurück&period; Jeden Abend&comma; wenn die Kinder über die Wiesen liefen&comma; hörte man allen anderen voraus Trinis helle Stimme erschallen&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">Erdbeeren rollen&comma;<br&sol;>Die Kratten all&comma; die vollen…<&sol;p>&NewLine;<p>Der Sonnenrain war nun ganz abgeerntet&comma; und man mußte weiterliegende Plätze aufsuchen&period; Da gab es noch ergiebige Stellen oben beim Wald und hinten bei der Mühle&comma; und vor allem war noch die Kornhalde da&period; Dort waren ganze Schätze von Erdbeeren zu finden&comma; das wußten die Kinder alle&period; Aber die wenigsten trauten sich dort hinaufzugehen&period; Da mußte man um das große Kornfeld herum an der Hecke bis zu dem schmalen Grasstreifen hinaufsteigen&comma; der zwischen dem Korn und dem großen Moosfelsen lag&period; Dort&comma; wo die Sonne den ganzen Tag heiß brannte&comma; schossen die Erdbeeren schon fast rot aus dem Boden und wurden wie Kirschen so groß&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber der Kornbauer&comma; dem das große Feld gehörte&comma; konnte es nicht leiden&comma; daß die Kinder dort Beeren suchten&period; Denn er behauptete&comma; sie zerstampften ihm das Korn&comma; und hier und da mochte es auch geschehen sein&period; Wenn er deshalb die Beerensuchenden dort oben traf&comma; jagte er sie augenblicklich mit den größten Drohungen davon&period; Und nicht selten folgte den Drohungen gleich die Erfüllung&comma; denn das Mittel dazu trug er immer bei sich&comma; das war seine feste knochige Hand&period; So wagten es nur die Allerkühnsten&comma; an diesem Streifzug teilzunehmen&comma; und zu denen gehörte auch das Trini&period; Eben heute sollte die Unternehmung stattfinden&comma; denn schon seit dem frühen Morgen schimmerte es oben am Moosfelsen wie feuriges Gold und blitzte und flammte ins Tal hinab&period; Das Trini war zuerst auf dem Platz&comma; von wo man aufbrechen wollte&period; Es hatte seinen großen Kratten an einer langen Schnur um den Hals gebunden&comma; damit es nachher immer mit beiden Händen zugleich rupfen und die Beeren hineinwerfen konnte&period; Das ging genau doppelt so schnell wie bei denen&comma; die mit der linken Hand den Kratten festhalten mußten&period; Jetzt kamen die Buben gelaufen&comma; die mit wollten&period; Mädchen kamen keine&comma; sie fürchteten sich alle&period; Nun ging es vorwärts&period; Aber heute durfte unterwegs nicht wie sonst geschwatzt und gelacht werden&comma; denn man wollte nicht&comma; daß der Bauer etwas von der Unternehmung bemerkte&period; Sorgsam schritt eines hinter dem anderen die Hecke entlang&comma; denn die Furcht hatte sie gelehrt&comma; das Korn zu schonen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun waren sie alle oben&comma; und welch eine wundervolle Ernte lag vor ihnen ausgebreitet&excl; Dunkelrot glühten die großen Beeren zwischen allen Halmen durch&comma; über alle Blätter hinaus&period; Es war ein überquellender Reichtum&comma; man konnte nur so in die Fülle hineinfahren&period; Mit blitzenden Augen begann auch das Trini zu pflücken&comma; und bevor die anderen nur probiert hatten&comma; wie die Beeren schmeckten&comma; hatte es schon den halben Kratten gefüllt&period; Mit beiden Händen faßte es immer zu nach allen Seiten hin&comma; denn da guckten ja immer noch schönere und noch größere hervor&period; Aber plötzlich ertönte eine wütende Stimme&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ihr Feldratten&comma; seid ihr schon wieder da&quest;" Da stand der kräftige Bauer mit den knochigen Händen vor ihnen und hob seine Faust in die Höhe&period; "Macht&comma; daß ihr auf der Stelle fortkommt und ich keines mehr sehe&comma; oder…" Wie der Wind waren die Buben alle davongelaufen und verschwunden&period; Aber beharrlich rupfte das Trini noch ein&comma; zwei&comma; drei Beeren weg&period; Jetzt nur noch die drei großen—nur noch jene zwei—das Trini konnte sich nicht trennen&comma; die Beeren reuten es gar zu sehr&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Jetzt weiß ich&comma; wer das Korn zerstampft und so frech ist wie eine Schärmaus&period; Mach&comma; daß du den Fleck räumst&comma; und komm mir nicht noch einmal ans Korn&excl;" drohte der Bauer zornig&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich habe gewiß nie das Korn zerstampft&comma; keine Ähre"&comma; versicherte das&nbsp&semi;Trini&comma; immer noch rupfend&comma; "ich wollte ja nur die Beeren holen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich kenne dich wohl"&comma; brummte der Bauer&period; "Pack dich&comma; oder ich nehme dich bei den Ohren und schüttle dich&comma; daß du meinst&comma; du hättest deren vier am Kopf&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Der Bauer kam heran&period; Jetzt schoß das Trini auf und davon&period; Von seiner inneren Entrüstung getrieben&comma; daß es alle die schönen Beeren hatte stehenlassen müssen und doch nie Korn zerstampft hatte&comma; flog es beinahe&comma; bis es daheim war&period; Geladen wie eine kleine Kanone&comma; stürzte es auf die Großmutter los und rief&colon; "Nein&comma; nie habe ich das Korn zerstampft&comma; keine Ähre ausgerissen und nur die Beeren genommen&period; Jetzt fressen sie die Schnecken&comma; und ich wollte auch&comma; der liebe Gott ließe dem Bauer zur Strafe vier Ohren an den Kopf wachsen&comma; denn ich habe ihm nichts Böses getan&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"He&comma; he&comma; Trineli&comma; was kommt dir denn in den Sinn&quest;" sagte mahnend die&nbsp&semi;Großmutter&period; "Komm&comma; setz dich zu mir nieder&comma; es ist Feierabend&period; Ein&nbsp&semi;Licht zünden wir heute nicht an&comma; der Mond scheint hell genug zum&nbsp&semi;Abendessen&period; Komm&comma; erzähl mir alles&comma; wie es zugegangen ist&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Daß die Großmutter anhören wollte&comma; was es zu berichten und zu klagen hatte&comma; besänftigte das Trini schon ein wenig&period; Es setzte sich hin und berichtete gern&comma; was es erlebt hatte&period; Es versicherte&comma; daß es keiner Ähre etwas zuleide tun wollte&comma; nur die Beeren nehmen&comma; die jetzt von den Würmern und Schnecken verdorben würden&period; Als es zu des Bauern Drohung von den vier Ohren kam&comma; mußte es noch einmal rufen&colon; "Nicht wahr&comma; Großmutter&comma; wenn ihm zur Strafe jetzt vier Ohren anwachsen würden&comma; das hätte er verdient&period; Denn ich habe ihm gar nichts getan und nie&comma; nie ein Korn zerstampft&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Trineli"&comma; sagte jetzt die Großmutter&comma; "wir wollen dem Bauer seine zwei Ohren lassen&comma; aber wir wollen etwas von ihm profitieren&period; Siehst du&comma; man kann alles brauchen und seinen Gewinn davon haben&period; Und wäre es ein ungerechtes Wort&comma; es kommt nur darauf an&comma; von wem wir die Worte nehmen&period; Wenn einer kommt und uns ohne Grund etwas Böses tut oder sagt&comma; so wie dir heute der Bauer&comma; und es tut uns recht weh&comma; dann müssen wir ein wenig weiter denken und fragen&colon; 'Haben wir nicht doch so etwas verdient&quest;' Dann kommt uns auf einmal in den Sinn&comma; daß wir einmal einem anderen recht weh getan haben&comma; der es leiden mußte und sich nicht wehren konnte&period; Und nun haben wir erfahren&comma; wie's tut&comma; und es wird uns leid darum sein&period; Wir wollen es nicht mehr tun und wieder bei den anderen gutmachen&comma; wenn wir es können&period; Das ist dann genau das&comma; was der liebe Gott mit uns gewollt hat&comma; darum hat er den Ungerechten so böse Worte uns sagen lassen&period; Siehst du wohl&comma; Trineli&quest; Dann können wir aber auch nicht mehr so böse gegen den sein&comma; der das getan hat&period; Denn wir wissen&comma; der liebe Gott hat ihn gebraucht&comma; wie ich meinen Besen brauche&comma; wenn ich die Stube schön sauber und rein fegen will&period; So macht der liebe Gott uns das Herz wieder sauber und in Ordnung&comma; und wir haben den Gewinn&period; Denn es wird uns dann wohl und leicht&comma; wie es uns vorher nie gewesen ist&period; Hast du gut zugehört&comma; Trineli&comma; und willst du daran denken&comma; was ich dir gesagt habe&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Das Trineli hatte wirklich aufmerksam zugehört&comma; und über den Worten der Großmutter war sein Zorn gegen den Bauern ganz vergangen&period; Jetzt kamen ihm seine schönen Erdbeeren wieder in den Sinn&period; Es holte sie schnell herbei&comma; damit die Großmutter noch im Mondschein die Prachtbeeren bewundern konnte&period; Wenn auch der Kratten nur halb so voll war wie gewöhnlich&comma; so hatte sie doch außerordentliche Freude und sagte immer wieder&comma; solche Wunderbeeren habe sie noch nie gesehen&period; Das Trini wollte schnell noch damit zur Goldäpfelbäuerin hinunter&comma; aber die Großmutter sagte&comma; so spät kaufe die Bäuerin keine Beeren mehr&period; Am nächsten Morgen solle es seine Beeren zum Wirtshaus hinuntertragen&period;<&sol;p>

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