Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Was die Großmutter gelehrt hat
(Johanna Spyri)

Der Kummer der alten Waschkäthe

<p>Die alte Waschkäthe saß in ihrem Stübchen im einsamen Berghüttchen und schaute nachdenklich auf ihre gekrümmten Hände&comma; die sie vor sich auf die Knie gelegt hatte&period; Bis der letzte Abendschein hinter den fernen Waldhöhen verglommen war&comma; hatte sie fleißig an ihrem Spinnrad gearbeitet&period; Jetzt hatte sie es ein wenig beiseite gerückt&comma; die Hände mußten müde sein&comma; die so gekrümmt und abgearbeitet aussahen&period; Die Alte seufzte auf und sagte vor sich hin&colon; "Ja&comma; wenn ich noch könnte wie früher&excl;" Sie meinte wohl arbeiten&comma; denn das hatte sie tapfer ihr Leben lang getan&period; Nun war sie alt geworden&comma; und die früher so rüstige und unermüdliche Waschfrau konnte gar nichts mehr tun&comma; als ein wenig spinnen&comma; und das trug sehr wenig ein&period; Dennoch hatte sie sich schon seit ein paar Jahren auf diese Weise durchgebracht und noch dazu ihr Enkelkind erhalten&comma; das bei ihr lebte und noch nicht viel verdienen konnte&period; Es hatte zwar auch seine kleinen Einnahmen&comma; denn es war ein flinkes und geschicktes Kind&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Heute erfüllte die Großmutter aber noch ein besonderer Kummer&comma; der ihr schon seit dem frühen Morgen das Herz schwer gemacht hatte&period; Ihr Enkelkind&comma; das fröhliche Trini&comma; das sie von klein auf erzogen hatte&comma; war zwölf Jahre alt geworden&period; Es sollte im Frühling aus der Schule entlassen werden und dann in einen Dienst gehen&period; Heute früh nun war der ferne Vetter unten aus dem Reußtal heraufgekommen und hatte der alten Kusine den Vorschlag gemacht&comma; das Kind ihm anzuvertrauen&period; Er hatte zwar selbst nicht viel und konnte nichts geben&comma; aber es war dort unten ein guter Verdienst zu finden&period; Denn die neue Fabrik&comma; die an der wasserreichen Reuß erbaut worden war&comma; brauchte viele Arbeitskräfte&period; Dort konnte das Trini die Woche über ein schönes Stück Geld verdienen&comma; und daneben konnte es die nötige Arbeit in seinem Haus verrichten&comma; dafür wollte er es beherbergen&period; Da seine Frau kränklich war und sie keine Magd anstellen konnten&comma; so war ihnen das Kind erwünscht&comma; denn sie wußten&comma; daß es groß und kräftig und sehr geschickt war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Großmutter halte schweigend zugehört&comma; aber in ihrem Herzen hatten die Worte einen großen Kampf entfacht&period; Der Vetter wünschte auch&comma; daß das Kind schon im Herbst herunterkomme&comma; das halbe Schuljahr könne schon abgekürzt werden&comma; es wisse genug und könne dann gleich etwas verdienen&period; Außerdem hätte seine Frau es im Winter besonders nötig&period; Die Großmutter hatte noch immer nichts gesagt&period; Jetzt&comma; als der Vetter drängte und gleich das Jawort haben wollte&comma; sagte sie&comma; er müsse ihr ein wenig Zeit lassen&period; Vor dem Herbst wollte sie sich noch nicht entscheiden&period; Sie sehe den Vorteil des Kindes wohl ein&comma; aber sie müsse sich das alles erst noch überlegen und dann auch mit dem Kinde reden&period; Der Vetter war nicht recht zufrieden&comma; er hätte gern gleich alles festgemacht und den Tag bestimmt&comma; wann das Trini herunterkommen sollte&period; Er meinte&comma; mit dem Kind sei doch nichts zu reden&comma; das besitze noch keine Vernunft und kenne seinen eigenen Vorteil nicht&period; Aber die Großmutter blieb standhaft&period; Im Herbst möge er noch einmal kommen&comma; dann solle er bestimmt eine Antwort haben&period; Wenn sie dann einverstanden sei&comma; so könne er dann das Kind gleich selbst mitnehmen&comma; für den Augenblick könne sie nichts weiter sagen&period; Dabei blieb sie&period; Der Vetter sah&comma; daß da nichts zu machen war&period; Er ermahnte nochmals die alte Kusine&comma; des Kindes Vorteil nicht außer acht zu lassen&period; Es sei ja doch auch ihr eigener Vorteil&comma; wenn das Kind etwas einnehme und sie nachher auch unterstützen könne&period; Dann ging er&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Schon den ganzen Tag während der Arbeit dachte die Großmutter nach über die Worte des Vetters&comma; aber sie konnte keinen Entschluß fassen&period; Jetzt in der Dämmerung überlegte sie in Ruhe&comma; und sie mußte ein paarmal tief aufseufzen dabei&period; Der Vetter hatte recht&comma; es war ein großer Vorteil für das Kind&comma; daß es in seinem Haus wohnen konnte&comma; um von da aus in der Fabrik einen sicheren Verdienst zu finden&period; Sie selbst wußte keinen vorteilhafteren Weg für das Kind&comma; sie wußte eigentlich gar keinen&period; Rings herum waren nur kleine Güter&comma; die die Leute alle selbst bebauten und die an der Hilfe ihrer eigenen Kinder genug hatten&period; Wer eine Magd anstellte&comma; wie es unten im Pfarrhaus oder im Amtshaus oder in dem neuen Wirtshaus die Frauen taten&comma; da mußten es ältere Mädchen sein&period; Es waren kräftige&comma; erwachsene Personen&comma; die in Küche und Garten zu arbeiten wußten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Auch die Goldäpfelbäuerin auf dem großen&comma; obstreichen Hof hatte immer eine Magd&comma; aber auch eine große&comma; starke&comma; die ihr in allem helfen konnte&period; Trotzdem konnte auch die nie lange bei der Bäuerin bleiben&period; Wenn ihr also nicht einmal eine erwachsene Person die Arbeit recht machen konnte&comma; was wäre dann ein Kind wie das Trini für sie&period; Daß das Kind aber im Frühjahr&comma; wenn es nun aus der Schule entlassen wurde&comma; eine Arbeit suchen mußte&comma; das sah die Großmutter wohl ein&period; Seit sie nicht mehr wie früher als Wäscherin auf die Arbeit gehen konnte&comma; sondern nur mühsam mit ihren gekrümmten Fingern am Spinnrad arbeitete&comma; war sie kaum in der Lage&comma; sich und das Kind zu erhalten&period; Und mit jedem Tage konnte es schwerer für sie werden&period; Und doch&comma; sich von dem Kind trennen zu müssen&comma; das kam der Großmutter als das Allerschwerste vor&comma; das sie erleben konnte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Würde die neue Aufgabe für das junge Kind nicht zu schwer sein&quest; Die Alte wußte wohl&comma; wie es bei dem Vetter war&period; Er selbst hatte eine rohe und unfreundliche Art und war meistens unwirsch&period; Seine Frau war immer krank und daher auch nicht gut gelaunt&period; Sie saß meistens freudlos und wie abgestumpft in ihrer Ofenecke und sagte kein Wort&period; Nun war es so schlimm mit ihr geworden&comma; daß der Mann daran denken mußte&comma; eine Hilfe ins Haus zu holen&period; Da hätte dann das Kind die Geschäfte im Haus alle allein zu besorgen und konnte dann erst zur Arbeit in die Fabrik gehen&period; War nun für all die Arbeit das Kind nicht noch zu jung&quest; Und wurde es ihm nicht zu schwer fallen&comma; von der Großmutter weg&comma; die es so lieb hatte&comma; in ein ganz fremdes Haus zu gehen&period; Würde sie es ertragen&comma; nie ein Wort der Liebe und des Trostes zu hören&quest; Daran war ihr liebes Trineli nicht gewohnt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Großmutter trat jener Tag vor Augen&comma; als es ihr ins Haus gebracht worden war&comma; ein kleines&comma; hilfloses Ding&comma; das niemand brauchen konnte und das niemand pflegen wollte&period; Damals hatte sie noch rüstige Hände und gute Kräfte&comma; und wenn sie auch von früh bis spät tätig sein mußte&comma; sie tat es gern&period; Die Waschkäthe hatte drei Kinder gehabt&comma; zwei Söhne und eine Tochter&period; Ihr Mann war an einem hitzigen Fieber gestorben&comma; als die Kinder alle drei noch ganz klein waren&period; Da mußte die Käthe viel arbeiten&comma; damit die Kleinen etwas zum Anziehen hatten und keinen Mangel litten&period; Tag und Nacht war sie bei der Arbeit&comma; und jedermann ringsum rief sie zur Hilfe bei der großen Wäsche&period; Denn man wußte&comma; keine arbeitete so gut wie die Käthe&comma; die wegen dieser Tätigkeit überall nur die Waschkäthe hieß&period; Als ihre Söhne groß waren&comma; bekamen sie Lust&comma; in die Ferne zu wandern&comma; und gingen miteinander nach Amerika&period; Die Tochter verheiratete sich und zog ins Tal hinab&period; Aber nicht viel mehr als ein Jahr später starb sie plötzlich noch ganz jung&period; Das betrübte ihren Mann so sehr&comma; daß er es daheim nicht mehr aushalten konnte&period; Er brachte das ganz kleine Trineli zur Großmutter hinauf und sagte&colon; "Da&comma; Mutter&comma; nimm du das Kind&comma; ich weiß nichts damit anzufangen&period; Ich muß fort&comma; es hält mich nichts mehr hier&period;" Dann ging er zu den Schwägern nach Amerika&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Von dem Tag an hatte die Waschkäthe eine neue Sorge&comma; aber auch eine neue&comma; große Freude nach vielem Kummer und Leid&period; Das kleine Trineli entwickelte sich schnell und lohnte der guten Großmutter ihre Mühe und Arbeit mit einer ungewöhnlichen Liebe und Anhänglichkeit&period; Sie hatten viele lustige Stunden miteinander&comma; denn das Kind war immer so beweglich und lebendig wie ein munteres Fischlein im Wasser&period; Mit jedem Jahre wurde es der Großmutter lieber und unentbehrlicher&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Alle diese vergangenen Tage stiegen nun in der Dämmerung vor der alten Waschkäthe auf&comma; und der Gedanke&comma; das Kind so weit und vielleicht für alle Zeit von sich zu schicken&comma; machte ihr das Herz immer schwerer&period; Aber sie kannte einen Tröster&comma; der ihr schon in vielen trüben Stunden geholfen und auch manches gefürchtete Leid gemildert hatte&period; Den wollte sie doch nicht vergessen&period; Lieber&comma; als so die schweren Gedanken hin- und herzuwälzen in ihrem Innern&comma; wollte sie jetzt die ganze Sache dem lieben Gott übergeben&period; Mußte es sein und mußte sie dieses Leid der Trennung ertragen&comma; so hatte doch der liebe Gott seine schützende Hand dabei&period; Es konnte ja alles zum Besten des Kindes geschehen&comma; und sein Wohl ging ihr noch über das eigene&period; Als die Großmutter dies alles überlegt hatte&comma; faltete sie still die Hände und sagte andächtig vor sich hin&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">"Drum&comma; meine Seele&comma; sei du still<br&sol;>Zu Gott&comma; wie sich's gebühret&comma;<br&sol;>Wenn er dich so&comma; wie er es will&comma;<br&sol;>Und nicht wie du willst führet&period;<br&sol;>Kommt dann zum Ziel der dunkle Lauf&comma;<br&sol;>Tust du den Mund mit Freuden auf&comma;<br&sol;>Zu loben und zu danken&period;"<&sol;p>

»