Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Was die Großmutter gelehrt hat
(Johanna Spyri)

Noch eine zornige Rede und was daraus folgt

<p>Der Juli ging seinem Ende entgegen und mit ihm die schöne Erdbeerenzeit&period; Nur oben beim Wald über Hochtannen war noch eine späte&comma; kräftige Sorte der Beeren zu finden&comma; die besonders gut bezahlt wurden&period; Denn jetzt reisten viele Fremde über den Berg&comma; und unten im Wirtshaus an der großen Straße machten sie meistens Halt&period; Die seltenen Beeren kamen dann der Wirtin sehr gelegen&period; Aber man brauchte viel Zeit&comma; die Kratten auch nur halb zu füllen&comma; und man mußte genau wissen&comma; wo die vereinzelten Beeren wuchsen&period; Aber wer fröhlichen Mutes war wie das Trini&comma; dem machte das keine schweren Gedanken&period; An einem warmen Sommerabend lief es mit freudestrahlendem Gesicht den Berg hinauf&comma; dem Tannenwald zu&period; Es wußte&comma; daß nun die letzten&comma; würzigen Beeren dort oben die rechte Reife erlangt hatten&period; Auch das Maneli und noch einige andere Kinder kannten den Platz&comma; aber den meisten war der Weg zu weit und die Suche zu mühsam&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nur das Maneli kam mit seinem großen Kratten hinter dem Trini her&comma; blieb aber weit zurück&period; Denn wie ein Reh die steilen Höhen hinaufspringen&comma; konnte nur das Trini&comma; dem an Kraft und Behendigkeit nicht ein einziges Mädchen seines Alters gleichkam&period; Oben gab es viel Arbeit&period; Die Beeren waren reif und schön und dufteten herrlich&comma; aber sie mußten erst gesucht werden&period; In einem sonnigen Winkel standen einige der rot schimmernden Büsche dicht beieinander&comma; und dann konnte man wieder vergebens danach suchen&period; Trini spähte in alle Löcher hinein&comma; kletterte jeden Erdhügel hinauf&comma; zog alle Grasbüschel auseinander&comma; und wo noch ein rotes Beerlein herausguckte&comma; wurde es schnell gepflückt&period; Trini hörte auch nicht auf zu klettern und zu suchen und zu rupfen&comma; bis die Dämmerung hereinbrach und aller Tätigkeit ein Ende machte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber dem Trini mußte das nicht leid tun&period; Es schaute stolz auf seinen Kratten&period; Denn auch diesmal&comma; gegen seine eigene Erwartung&comma; war er gefüllt bis obenan&period; Es hatte nur noch Blätter und Stäbchen darauf zu befestigen&comma; denn nicht eine der kostbaren Beeren durfte herausrollen&period; Jetzt sauste das Trini wie der Wind den Berg hinab&period; Zum Wirtshaus zu laufen&comma; dazu war's zu spät&comma; aber bis zu der Goldäpfelbäuerin konnte es schon noch kommen&period; Die wollte gewiß diese letzten schönen Beeren noch haben&comma; und dann konnte es der Großmutter gleich noch den außergewöhnlichen Gewinn heimbringen&period; Immer eiliger wurde sein Schritt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Still und traurig hinter ihm her ging das Maneli&period; Man konnte wohl sehen&comma; daß es an seinem Kratten nicht schwer zu tragen hatte&period; Es mußte ein anderer Grund sein&comma; warum es so langsam und niedergedrückt daherkam&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Goldäpfelbäuerin hatte eben Ärger gehabt&period; Die junge Magd&comma; die trotzig neben ihr an dem Gemüsebeet stand&comma; hatte ihr alle jungen Setzlinge weggeschwemmt&period; Es war ihr zu mühsam vorgekommen&comma; den zarten Pflänzchen sorgfältig&comma; jedem einzeln mit der Gießkanne Wasser zu geben&comma; wie die Bäuerin ihr befohlen hatte&period; Mit dem großen Kübel hatte sie den ganzen Wasserguß über das Beet geschüttet&period; In der Bäuerin kochte der Zorn auf wie heiße Milch&comma; die überlaufen will&comma; als sie die Zerstörung sah&period; Da kam das Trini hergelaufen&period; "Guten Abend&excl;" rief es noch außer Atem&comma; "seht die schönen Beeren&period; Es sind die letzten&comma; wollen Sie sie&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich brauche nichts"&comma; rief die Bäuerin zornig&period; "Mach&comma; daß du fortkommst&comma; ich habe keine Zeit für dich&period;" "Wenn Sie sie nur ansehen wollten&comma; sie würden ihnen gefallen"&comma; meinte das Trini&period; "Habe ich dir nicht gesagt&comma; daß ich nichts will&quest; Mach&comma; daß du gehst"&comma; wiederholte die Frau&period; Aber das Trini blieb immer noch stehen&period; Es dachte&colon; Wenn die Bäuerin nur Zeit hätte&comma; die Beeren anzusehen&comma; dann würde ihr schon die Lust kommen&comma; sie zu behalten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt aber kochte es über in der Bäuerin&comma; denn ihr Zorn hatte schon lange einen Ausweg gesucht&period; Daß sie ihn nicht an der trotzigen Magd ausließ&comma; dafür mochte die Frau ihre Gründe haben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Hast du Harz an den Sohlen&quest;" rief sie grimmig&comma; "oder guckst du nach den reifen Äpfeln aus&comma; damit du weißt&comma; welchen Baum ihr zuerst wieder schütteln wollt&comma; wie ihr es immer macht&comma; du und das andere Lumpenvolk&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Das konnte aber das Trini nicht auf sich sitzen lassen&comma; so etwas hatte es nie getan&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich habe nie&comma; nie die Bäume geschüttelt und nicht einen einzigen&nbsp&semi;Apfel…"<&sol;p>&NewLine;<p>"Du wirst nicht besser sein als alle anderen&excl;" unterbrach die Bäuerin&period;&nbsp&semi;"Ich will kein Wort mehr hören&comma; dort geht's hinaus&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Damit erhob die Frau so rasch und drohend ihren Arm&comma; daß es dem Trini nicht mehr sicher zumute war&period; Es rannte aus dem Garten und um die Hecke herum&period; Aber hier konnte es nicht mehr weiter&period; Auch sein Blut war wegen der ungerechten Anschuldigung in Wallung geraten&period; Es setzte sich auf den Boden hin&comma; es mußte sich Luft machen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Nein&comma; das habe ich nicht getan"&comma; rief es aufgeregt&period; "Ich habe nie die Äpfelbäume geschüttelt&comma; nie&excl; Aber die Bäuerin ist nur ein Besen&comma; ja&comma; sie ist nur ein Besen&comma; das hat die Großmutter gesagt&comma; und der liebe Gott will nur etwas herausfegen mit ihr&period; Aber ich habe gar nichts gemacht&comma; ich habe nichts Böses getan&period;" Hier hielt das Trini auf einmal inne&period; Denn plötzlich stieg die Frage in ihm auf&comma; was denn wohl der liebe Gott habe ausfegen wollen in seinem Herzen&comma; wenn es doch nichts Unrechtes getan hatte&period; Nun wurde das Trini ganz still und nachdenklich&period; Nach einer Weile stand es langsam auf&period; Es sah gar nicht mehr aufgebracht aus&period; Halblaut sagte es noch&colon; "Ja&comma; es ist wahr&comma; das war doch nicht recht&period;" Dem Trini war beim Nachdenken auf einmal eingefallen&comma; daß es heute wieder mehrmals das Maneli auf die Seite gestoßen und sich schnell über die Beeren hergemacht hatte&comma; die das Maneli auch gern eingesammelt hätte&period; Es war aber immer still auf die Seite gewichen&comma; das Trini war ja viel stärker und flinker&period; So leistete ihm das Maneli niemals Widerstand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun wollte das Trini sein Unrecht wieder gutmachen und dem Maneli schnell noch ein wenig von seinen Beeren abtreten&period; Es lief immer eiliger&comma; aber nicht bergan&comma; der Wohnung der Großmutter zu&comma; sondern querfeldein eine ganze Strecke weit&period; Bei einem elenden&comma; kleinen Häuschen&comma; an dem die alten Fensterscheiben halb oder ganz zerbrochen und mit Papier verklebt waren&comma; blieb es stehen und holte ein wenig Atem&period; Es war jetzt dunkel geworden&period; Durch die zerbrochenen Scheiben schimmerte ein dünnes Lichtlein&period; Auf einmal hörte das Trini ein leises Schluchzen ganz in seiner Nähe&period; Es schaute sich um&period; Auf einem Holzblock vor dem Häuschen saß ganz unbeweglich eine kleine Gestalt&comma; den Kopf auf die Arme gelegt&period; Trini trat hinzu&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Was hast du&comma; Maneli&quest;" fragte es erstaunt&comma; als es die kleine Gestalt erkannt hatte&comma; "warum weinst du so&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Das Maneli hob den Kopf und sah so traurig aus&comma; wie Trini es noch nie gesehen hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich darf nicht hinein"&comma; sagte es schluchzend&comma; "die Mutter ist krank und schon zu Mittag hatten wir fast nichts mehr zu essen&period; Dann sagte sie&comma; für den Abend bringe ich&comma; will's Gott&comma; etwas heim&comma; wenn ich in die Beeren gehe und sie dann gleich ins Wirtshaus trage&period; Ich würde dann ein Schwarzbrot mitbringen&comma; meinte die Mutter&period; Aber sieh&comma; Trini&comma; nur die habe ich&period;" Damit hob das Maneli seinen Kratten in die Höhe und Trini guckte hinein&period; Es war fast gar nichts darin&comma; kaum der Boden des Korbes war bedeckt&period; Das Trini fühlte seinen schweren Kratten am Arm&period; Es war ihm&comma; als werde er immer schwerer und drücke es nicht nur am Arm&comma; sondern auch auf dem Herzen&period; Auf einmal riß es Stäbchen und Blätter weg&comma; kehrte seinen Kratten um und schüttete den ganzen&comma; reichen Inhalt in Manelis leeren Korb&comma; so daß dieser bis oben hin voll war und noch übrig blieb von den Beeren&period; Diese legte das Trini schnell auf die Blätter am Boden und sagte&colon; "Nimm die auch noch hinein&period; Gute Nacht&period;" Und fort rannte es in hohen Sprüngen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Trini&excl; Trini&excl; Danke tausendmal&excl;" rief ihm das Maneli aus allen Kräften nach&comma; dann stürzte es in die Hütte hinein&period; Jetzt hielt das Trini auf einmal an und kam zurück gerannt&period; Es wollte sehen&comma; was die Mutter beim Anblick von Manelis Kratten sagen wurde&comma; der ja den ganzen Sommer lang nie so voll gewesen war&period; Durch die zerbrochenen Scheiben an dem niedrigen Häuschen konnte es alles sehen&comma; was drinnen vorging&period; Die bleiche Mutter stand&comma; von den kleinen Kindern umringt&comma; am Tisch und schaute auf die Beeren im Kratten und auf den Teller daneben&comma; der auch noch ganz voll war&period; Sie schlug ihre Hände zusammen und sagte immer wieder zu dem Maneli&comma; das freudestrahlend zu ihr aufschaute&colon; "Wie ist es möglich&comma; Kind&quest; Wie ist es nur möglich&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Vom Trini&comma; vom Trini&excl;" wiederholte das Maneli drei-&comma; viermal&comma; "es hat sie mir alle gegeben&comma; alle&excl; Und denk&comma; Mutter&comma; für diese Menge gibt die Wirtin jetzt zwei ganze Franken&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Gott vergelt's dem Kind und ersetz es ihm und der Großmutter hundertfach&comma; was es heute für uns getan hat&period; Er weiß allein&comma; wie ich mich die ganze Nacht hindurch gesorgt habe&comma; wo ich am Morgen Brot für euch nehme&period; Und nun haben wir ja für einige Tage genug&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Die bleiche Frau hatte bei diesen Worten die Hände gefaltet&comma; als danke sie im stillen noch für die große Wohltat&period; Jetzt schoß das Trini davon mit einer Freude im Herzen&comma; wie es in seinem ganzen Leben noch keine empfunden hatte&period; Die Großmutter hatte wohl recht gehabt&comma; daß man am Ende den Gewinn davon habe&comma; und daß es einem so wohl werde wie noch nie&comma; wenn man es recht verstehe&comma; was der liebe Gott ausfegen wolle&period; Nun machte es noch neue Pläne in seinem Herzen&colon; Bald konnte man auch in die Heidelbeeren gehen und in die Brombeeren&period; Und es wollte jedesmal&comma; wenn es seinen Kratten gefüllt hatte&comma; noch dem Maneli den seinigen füllen helfen&period; Wenn nicht beide voll wurden&comma; so wollte es immer mit ihm teilen&period; Denn das Trini hatte sich über die Worte der armen&comma; kranken Mutter mehr gefreut&comma; als über den eigenen vollen Kratten&period; Als es dann endlich heimkam und nun aufgeregt seine Erlebnisse erzählte und zuletzt der Großmutter den ganz leeren Kratten vorwies&comma; sagte es bittend&colon; "Nicht wahr&comma; du bist nicht böse mit mir&comma; Großmutter&comma; daß ich kein einziges Beerlein heimbringe&period; Du wirst sie gewiß alle dem Maneli und seiner kranken Mutter gönnen&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Da lobte die Großmutter das Kind und sagte&comma; was es getan habe&comma; freue sie mehr&comma; als wenn es ihr zwei ganze Kratten voll nach Haus gebracht hätte&period; So gut wie heute abend dem Trini seine Kartoffelsuppe schmeckte&comma; hatte ihm noch kein Essen geschmeckt&period; Denn es dachte immer daran&comma; wie nun das Maneli noch sein Schwarzbrot hatte heimbringen können&comma; wie jedes sein Stück bekomme und es gewiß jetzt eben fröhlich verspeiste&period;<&sol;p>

«

»