Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Was die Großmutter gelehrt hat
(Johanna Spyri)

Wie es mit dem Vetter geht

<p>Schon war der letzte Sommermonat&comma; der warme August da&period; Auf allen Bäumen glänzten die Äpfel rotgolden und kündeten den Herbst an&period; Der Vetter hatte nie wieder etwas von sich hören lassen&period; In der alten Käthe stieg manchmal die freudige Hoffnung auf&comma; er habe sein Vorhaben geändert und denke nicht mehr an das Kind&period; Dann wurde es ihr so leicht ums Herz&comma; als seien ihr alle Sorgen abgenommen&comma; als könnte sonst kommen&comma; was da wollte&period; Hunger und Mangel und Entbehrung aller Art werde sie ertragen&comma; wenn sie nur das Kind nicht weggeben müßte&period; Das Trini war fröhlich wie ein Vogel vom Morgen bis zum Abend&comma; es hatte den Vetter und seinen Wunsch schon lange vergessen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da trat eines Morgens ein junger Bursch bei der Waschkäthe ein und sagte&comma; er komme aus dem Reußtal und habe ihrem Vetter versprochen&comma; ihr eine Bestellung auszurichten&period; Der Vetter lasse ihr sagen&comma; sie solle die Kleider und alles für das Kind bereithalten&comma; er hole es ab&comma; sobald er wegen seines Geschäfts über den Berg müsse&period; Mit dem Vormund des Kindes wolle er dann schon alles in Ordnung bringen&comma; was die Schule und den Lohn und das übrige betreffe&period; Der Großmutter wurde es vor Schrecken ganz schwarz vor den Augen&comma; sie mußte sich schnell setzen&comma; um sich nur wieder ein wenig zu fassen&period; So war denn plötzlich gekommen&comma; was sie freilich immer im stillen befürchtet&comma; aber doch immer in so weiter&comma; unsicherer Ferne gesehen hatte&period; Nun war es da&comma; denn daß der Vormund gleich einwilligen und dem Vetter das Kind übergeben würde&comma; dessen war sie sicher&period; Sie konnte ja für keinen Verdienst sorgen&period; Sie wußte nicht einmal&comma; wie lange sie sich selbst noch durchbringen konnte&period; Vielleicht fielen sie beide der Gemeinde zur Last&period; Der Vetter aber konnte einen so guten Verdienst in Aussicht stellen und für die Versorgung des Kindes für alle Zukunft garantieren&period; Es mußte sein&comma; das sah sie deutlich vor sich&period; Die alte Käthe hatte schon viel Schweres erlebt&period; Aber das Weggeben dieses Kindes&comma; das ihre ganze Freude und Stütze war&comma; kam ihr vor&comma; als wolle man ihr eines ihrer Glieder abreißen&comma; ohne das sie nicht mehr fortleben könnte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie überdachte nun&comma; wie sie dem Kind die Sache beibringen sollte&period; Aber wenn sie sich vorstellte&comma; in welchen Jammer es das erstemal ausgebrochen war&comma; als sie darüber geredet hatte&comma; so hatte sie nicht den Mut&comma; es wieder und nun mit Bestimmtheit zu tun&period; Zuletzt dachte sie&comma; das beste sei&comma; gar nicht über die Sache zu reden&period; Ein kurzer Kampf&comma; wenn der Vetter komme&comma; sei noch am leichtesten zu ertragen&period; Und inzwischen habe das Kind doch noch ungetrübte Tage&period; Aber von dem Morgen an lag ein solcher Kummer auf dem Gesicht der Großmutter&comma; daß es dem Trini manchmal ganz bange wurde und es immer wieder fragte&colon; "Großmutter&comma; was hast du denn&quest; Ich will alle Nächte durch Brombeeren suchen&comma; wenn du dich sorgst&comma; wir können nicht mehr leben&comma; weil du nicht mehr so viel tun kannst&period; Ich brauche nicht zu schlafen&comma; ich kann es schon aushalten&comma; sieh nur&comma; sieh&excl;" Und das Trini streckte seine zwei festen Arme der Großmutter als Beweis entgegen&comma; daß sie sich nicht zu sorgen brauche&period; Aber es vermehrte nur ihren Kummer&period; Denn sie sah ja nur zu gut&comma; wie groß und stark das Kind geworden und daß es wirklich zu einer ganz anderen Arbeit fähig war als zu der&comma; die es jetzt verrichtete&period; Doch am Abend&comma; wenn sie wieder still in der Dämmerung saß und auf alle vergangenen Zeiten und auf so manche schwere Not zurückschaute&comma; aus der ihr der liebe Gott so väterlich geholfen hatte&comma; dann konnte sie mit Vertrauen sagen&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">"Drum&comma; meine Seele&comma; sei du still<br&sol;>Zu Gott&comma; wie sich's gebühret&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>So saß sie wieder am Fenster&comma; wo noch der Abendschein hereinschimmerte&comma; und wartete auf das Kind&comma; um dann Licht zu machen und das Abendessen zu bereiten&period; Da hörte sie jemand auf ihr Häuschen zukommen&period; Das war nicht das Kind&comma; es waren schwere&comma; feste Tritte&period; Jetzt kam's—es mußte der Vetter sein&period; Der Großmutter wollte das Herz stillstehen&period; Nun ging die Tür auf&comma; und mit festem Schritt&comma; einen großen Korb am Arm&comma; trat die Goldäpfelbäuerin herein und fragte&colon; "Wo sind Sie denn&comma; Käthe&quest; Man kann Sie ja gar nicht sehen&period; Guten Abend wünsch' ich Ihnen&excl;" Die Alte war schnell aufgestanden&comma; hatte ihr Lichtlein angezündet und schüttelte jetzt ihrem Besuch die Hand&period; Auf dem Tisch stand nun der Korb&comma; und im Schimmer des kleinen Lichts glänzten viele herrliche Goldäpfel&comma; von denen der ganze Hof seinen Namen hatte&period; "Ich habe Ihnen ein wenig Äpfel gebracht&comma; die Bäume haben dies Jahr schön getragen"&comma; sagte die Bäuerin wieder&comma; "was Sie nicht selbst brauchen&comma; wird das Kind nehmen&comma; wo ist es&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Die Käthe berichtete&comma; Trini sei mit den anderen Kindern noch einmal in die Brombeeren zum Wald hinauf gegangen&comma; es werde aber nun mit dem Beerenlesen bald ein Ende haben&period; "Das wird's"&comma; bestätigte die Bäuerin&period; "Es ist mir aber gerade recht&comma; daß das Kind weg ist&comma; ich möchte noch etwas mit Ihnen reden&period;" Die Käthe holte ihre Stühle herbei&comma; und als die beiden nun voreinander am Tisch saßen&comma; der große Apfelkorb zwischen ihnen&comma; fing die Bäuerin wieder an&colon; "Ich habe da vor kurzem etwas mit Ihrem Kind gehabt&comma; es wird Ihnen wohl davon erzählt haben&period; Ich war ein wenig in Zorn geraten&comma; denn die junge Magd hatte mir das ganze Kohlrübenbeet verdorben und war dazu noch unverschämt&period; So sind sie heutzutage&period; Und sagt man ihnen ein einziges Wort&comma; das sie nicht gern hören&comma; gleich werfen sie einem den Sack vor die Tür&comma; und es heißt&colon; Suchen Sie sich eine andere Magd&period; Aber immer mit neuen Leuten wirtschaften&comma; ist keine Freude&period; Ich war also sehr ärgerlich&comma; als das Kind ankam&comma; und ich habe es beschimpft&period; Da hörte ich aber etwas&comma; das hat mir gefallen&comma; ich mußte zu mir sagen&colon; Die alte Käthe hat das Kind etwas Gutes gelehrt&period; Mit einem Mädchen&comma; das so denkt&comma; mußte gut auszukommen sein&period; Und als ich mir alles so recht überdacht hatte&comma; faßte ich einen Entschluß&period; Darüber möchte ich jetzt mit Ihnen reden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Das Kind ist freilich noch jung&comma; aber es ist groß und stark&comma; und gelehrig sieht es auch aus&period; Die paar Schulmonate bis zum Frühling haben auch nicht mehr viel zu sagen&comma; und so dachte ich&comma; wenn es Ihnen recht wäre&comma; wollte ich das Kind zu mir nehmen&period; Den Winter über hätte ich Zeit&comma; es einzuarbeiten&comma; und bis zum nächsten Sommer würde es eine ordentliche Magd für mich&period; Sie müssen sich aber nicht sorgen&comma; Käthe&period; Ich weiß schon&comma; daß jetzt die Zeit da ist&comma; da das Kind anfangen muß&comma; für Sie zu arbeiten und etwas Ordentliches zu verdienen&period; Ich gebe ihm gleich den ganzen Lohn&comma; den die Mägde hatten&comma; und jede Woche noch ein Brot dazu&comma; denn das Kind ist mir das wert&period; Dazu haben Sie den Vorteil&comma; daß es Ihnen nicht genommen wird&period; Es ist flink&comma; es kann&comma; wenn Feierabend ist&comma; heim zu Ihnen&period; Und am Morgen schickt ihr mir's wieder&period; Am Sonntag darf es schon vom Mittag an bei Ihnen bleiben&period; Warum fangen Sie denn an zu weinen&comma; Käthe&quest; Das Kind soll es gut haben bei mir&comma; und Sie sollen auch nicht zu kurz kommen&period; Korn und Obst habe ich auf dem Hof und Milch im Stall&period; Ein Säcklein Mehl und eine Flasche Milch soll das Kind jeden Sonntag auch heimbringen&comma; und außerdem gibt es das Jahr hindurch noch manches andere&comma; da können Sie sicher sein&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Sagt nur nichts mehr&comma; es ist ja mehr als genug"&comma; konnte hier endlich die alte Käthe hervorbringen&comma; "ich weine ja nur vor Freude&comma; vor lauter Freude&period; Sie wissen ja nicht&comma; von welchem Kummer Sie mich befreit haben&comma; und welche Wohltat Sie an mir tun&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Und nun erzählte die Alte der Bäuerin&comma; wie sie sich schon den ganzen Sommer über gesorgt hätte und nun jeden Augenblick den Vetter erwarte&period; Das habe sie dem Kind gar nicht sagen dürfen&comma; weil sie sich vor seinem großen Jammer fürchtete&period; Eben als die Großmutter fertig erzählt hatte&comma; kam das Trini hereingesprungen&period; Beim Anblick der goldenen Äpfel auf dem Tisch und der Bäuerin&comma; die daran saß&comma; stand es plötzlich still und schaute mit größter Verwunderung um sich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Komm&comma; gib mir die Hand&comma; Trini"&comma; sagte die Bäuerin&period; "Da du meine Bäume nie geschüttelt hast&comma; mußt du mit der Großmutter ein paar Äpfel davon haben&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Über Trinis Gesicht ging ein freudiges Lächeln&period; So hatte es die Bäuerin doch noch vernommen&comma; daß es das nicht getan hatte&comma; das erfreute sein Herz&period; Es kam eilig herbei&comma; der Frau die Hand zu reichen&period; "Was meinst du&quest;" fuhr die Bäuerin fort&comma; "wie gefiele es dir bei mir auf dem Hof&comma; wolltest du brav mit mir arbeiten&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Das Trini schaute immer verwunderter einmal auf die Bäuerin und dann wieder auf die Großmutter&period; Diese konnte nicht mehr schweigen in ihrer Freude&colon; "Trineli&comma; denk nur&comma; denk nur&comma; wie es jetzt kommt"&comma; rief sie aus&comma; "du kommst nicht ins Reußtal&comma; du sollst nicht von mir fort&period; Jeden Tag darfst du zu der guten Frau hinunter auf den Goldäpfelhof und am Abend wieder heim&period; Ach&comma; was ist das für eine Erlösung aus der großen Sorge&period; Dank ihr&comma; Trineli&comma; dank ihr&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>"So danke ich vielmals&period; Und ich will gern arbeiten bei Ihnen&comma; was Sie nur wollen"&comma; sagte das Trini&comma; das erst jetzt das Angebot der Bäuerin zu würdigen wußte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"So ist's recht"&comma; schloß die Bäuerin&comma; "die Sache ist abgemacht&period; Das Beerenlesen hat jetzt ein Ende&comma; und das Apfel- und Birnenlesen fängt an&period; Das ist gerade die rechte Zeit&comma; um bei mir mit der Arbeit anzufangen&period; Am Montag schicken Sie mir das Kind&comma; Käthe&comma; und geben ihm Ihren Segen mit&period; Und nun auf Wiedersehen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Sobald die Tür sich hinter der Bäuerin schloß&comma; fing die Großmutter an&comma; laut zu loben und zu danken&comma; daß der liebe Gott alle ihre Sorge in solche Freude und Hilfe verwandelt hatte&period; Das Trini jauchzte laut auf&colon; "Juchhe&comma; nun muß ich nie von dir fort&comma; Großmutter&excl; Ich will schon tüchtig arbeiten&comma; dann behält mich gewiß die Bäuerin ihr Leben lang&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt mußte es aber die goldenen Äpfel noch aus der Nähe betrachten&period; Auf einmal sagte es&colon; "Großmutter&comma; darf ich nicht dem Maneli noch geschwind die Hälfte bringen&quest; Ich habe jetzt immer mit ihm geteilt&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ja&comma; ja"&comma; nickte beifällig die Alte&comma; das war ihr gerade recht&comma; daß auch der armen Nachbarin etwas von ihrem großen Glück zugute komme&period; "Lauf nur gleich&comma; Trineli&comma; und nimm auch mehr als die Hälfte&period; Es sind so viele&comma; die sich an den Äpfeln freuen werden&comma; geh schnell&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Trini stürzte fort&comma; und ein ungeheures Freudengeschrei brach bei der&nbsp&semi;Kinderschar aus&comma; als es die Äpfel auf den Tisch hinschüttete&period; Sie&nbsp&semi;rollten da und dorthin und der süße Apfelduft durchströmte die ganze&nbsp&semi;Stube&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Am Montag&comma; als das Trini unter den Bäumen des Goldäpfelhofes schon eifrig bei seiner Arbeit war&comma; trat der Vetter bei der alten Käthe ein&period; Jetzt hatte sie keinen Schrecken mehr&period; Sie sagte ihm&comma; wo das Kind bei der Arbeit sei und daß es dort bleiben werde&period; Aber so schnell ließ sich der Vetter nicht von seinem Plan abbringen&comma; denn er hatte fest vor&comma; das Kind mitzunehmen&period; Er lief gleich zum Vormund und sagte ihm&comma; daß das Kind in der Fabrik viel mehr verdienen könne als bei der Bäuerin&period; Aber der Vormund lächelte nur schlau&comma; denn die Goldäpfelbäuerin war auch bei ihm gewesen&period; Sie wußte schon&comma; was sie zu tun hatte&comma; wenn sie das Kind behalten wollte&period; Er sagte&comma; wenn das Kind fort sei&comma; sorge niemand für die alte Frau&period; Solange es aber bei der Bäuerin sei&comma; wären sie beide versorgt und könnten ohne fremde Hilfe gut leben&period; Und so sei beschlossen worden&comma; daß das Kind bei der Bäuerin bleibe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Dem Trini geht es mit jedem Tag besser auf dem Goldäpfelhof&period; Jetzt kennt es schon alle Arbeit&comma; und die Bäuerin mag das flinke&comma; immer frohe Trini so gern&comma; als wäre es ihr eigenes Kind&period; Die Großmutter sorgt auch dafür&comma; daß das Kind nie vergaß&comma; wer zu ihm redet&comma; wenn es ertragen soll&comma; was weh tut&period; Denn sie weiß wohl&comma; wie es zu dem guten Platz bei der Bäuerin gekommen ist&period;<&sol;p>

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