Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Wie Wiselis Weg gefunden wird
(Johanna Spyri)

Das Alte und auch etwas Neues

<p>Der Sommer war vergangen&comma; und auch die schönen Herbsttage waren zu&nbsp&semi;Ende&period; Es wurde kühl und nebelig am Abend&comma; und in den feuchten&nbsp&semi;Wiesen fraßen die Kühe das letzte Gras ab&period; Hier und da flackerten&nbsp&semi;auf den Wiesen kleine Feuer auf&comma; denn die Hirtenbuben brieten&nbsp&semi;Kartoffeln und wärmten sich die Hände&comma;&nbsp&semi;An einem solchen nebelgrauen Abend kam Otto aus der Schule heim und erklärte seiner Mutter&comma; er müsse nachsehen&comma; was das Wiseli mache&period; Denn seit den Herbstferien war es noch nicht in die Schule gekommen&comma; acht Tage lang nicht&period; Otto steckte seine Vesperäpfel zu sich und lief davon&period; Am Buchenrain angekommen&comma; sah er den Rudi vor der Haustür am Boden sitzen und von einem Haufen Birnen&comma; die neben ihm lagen&comma; eine nach der anderen zerreißen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Wo ist das Wiseli&quest;" fragte Otto&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Draußen"&comma; war die Antwort&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Wo draußen&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Auf der Wiese&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Auf welcher Wiese&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich weiß nicht&period;" Und Rudi kaute weiter an seinen Birnen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Du stirbst einmal nicht am Gescheitsein"&comma; bemerkte Otto und ging auf gut Glück zur großen Wiese&comma; die sich vom Haus bis gegen den Wald hinaufzog&period; Jetzt entdeckte er drei schwarze Punkte unter einem Birnbaum und ging darauf zu&period; Richtig&comma; da bückte sich Wiseli&comma; um die Birnen zusammenzulesen&period; Dort saß der Chäppi rittlings auf seinem Birnenkorb&comma; und zuhinterst lag der Hans rücklings über den vollen Korb hin und schaukelte sich so darauf&comma; daß der Korb jeden Augenblick umzustürzen drohte&period; Chäppi sah ihm zu und lachte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als Wiseli den Otto herankommen sah&comma; leuchtete sein Gesicht auf&period; "Guten Abend&comma; Wiseli"&comma; rief er von weitem&comma; "warum bist du so lange nicht in die Schule gekommen&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Wiseli streckte erfreut dem Otto die Hand entgegen&period; "Wir haben so viel zu tun&comma; darum durfte ich nicht kommen"&comma; sagte es&period; "Sieh nur&comma; wie viel Birnen es gibt&excl; Ich muß vom Morgen bis zum Abend auflesen&comma; soviel ich nur kann&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Du hast ja ganz nasse Schuhe und Strümpfe"&comma; erwiderte Otto&period; "Hier ist's nicht gemütlich&period; Frierst du nicht&comma; wenn du so naß bist&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich fröstle nur manchmal ein wenig&comma; sonst ist es mir eher heiß vom Auflesen&period;" In diesem Augenblick gab der Hans seinem Korb einen solchen Ruck&comma; daß alles übereinander auf den Boden hinrollte&period; Der Hans&comma; der Korb und alle Birnen&comma; die fuhren nach allen Richtungen hin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Oh&comma; oh&excl;" sagte Wiseli kläglich&period; "Nun muß man die alle wieder zusammenlesen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Und die auch"&comma; rief Chäppi und lachte&comma; als die Birne&comma; die er geworfen hatte&comma; das Wiseli an der Schläfe traf&comma; daß es ganz bleich wurde und ihm vor Schmerz das Wasser in die Augen schoß&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Kaum hatte Otto das gesehen&comma; als er auf den Chäppi losfuhr&comma; ihn samt seinem Korb umwarf und ihn fest im Genick packte&period; "Hör auf&comma; ich muß ersticken"&comma; gurgelte der Chäppi&period; Jetzt lachte er nicht mehr&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Du sollst daran denken&comma; daß du es mit mir zu tun hast&comma; wenn du so mit dem Wiseli umgehst"&comma; rief Otto zornig&period; "Hast du genug&quest; Willst du daran denken&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ja&comma; ja&comma; laß nur los&excl;" bat Chäppi&comma; mürbe gemacht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun ließ Otto los&period; "Jetzt hast du's gespürt"&comma; sagte er&semi; "wenn du dem Wiseli noch einmal etwas zuleide tust&comma; so packe ich dich so&comma; daß du noch einen Schrecken hast davon&comma; wenn du siebzig Jahre alt bist&period; Auf Wiedersehen&comma; Wiseli&period;" Damit drehte sich Otto um und ging mit seinem Zorn nachhause&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Hier suchte er gleich seine Mutter auf und erzählte ihr empört&comma; daß das Wiseli eine solche Behandlung erdulden müsse&period; Er war auch ganz entschlossen&comma; auf der Stelle zum Herrn Pfarrer zu gehen und den Onkel und seine ganze Familie anzuklagen&comma; damit man ihnen das Wiseli entreiße&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Mutter hörte zu&comma; bis Otto sich ein wenig beruhigt hatte&comma; dann sagte sie&colon; "Lieber Junge&comma; das würde gar nichts nutzen&comma; das Kind würde man dem Onkel nicht wegnehmen&comma; nur ihn reizen&comma; wenn er so etwas hörte&period; Er meint es selbst nicht böse mit dem Kind&comma; und es ist kein genügender Grund da&comma; ihm Wiseli wegzunehmen&period; Ich weiß&comma; daß das arme Kind jetzt ein hartes Brot ißt&period; Ich habe es auch nicht vergessen&comma; ich schaue immer danach aus&comma; ob mir der liebe Gott nicht einen Weg zeigt&comma; wie dem Kind geholfen werden könnte&period; Die Sache liegt mir auch am Herzen&comma; das kannst du glauben&comma; Otto&period; Wenn du inzwischen das Wiseli schützen und den groben Chäppi ein wenig zähmen kannst&comma; ohne selbst dabei grob zu werden&comma; so bin ich ganz damit einverstanden&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Otto beruhigte sich bei dem Gedanken&comma; daß die Mutter nach einem anderen Weg für das Wiseli ausschaute&period; Er selber dachte alle möglichen Rettungswege aus&comma; aber alle führten in die Luft hinauf und hatten keinen Boden&period; Und er sah ein&comma; daß das Wiseli darauf nicht gehen konnte&period; Als er dann zu Weihnachten seine Wünsche aufschreiben durfte&comma; da schrieb er ganz verzweifelt mit ungeheuren Buchstaben&comma; so als müßte man sie vom Himmel herunter lesen können&comma; auf sein Papier&colon; 'Ich wünsche&comma; daß das Christkind das Wiseli befreit&period;'<&sol;p>&NewLine;<p>Nun war der kalte Januar wieder da&comma; und der Schlittenweg war so prächtig glatt und fest&comma; daß die Kinder gar nicht genug bekommen konnten&comma; die herrliche Bahn zu benutzen&period; Es kam auch eine helle Mondnacht nach der anderen&comma; und Otto hatte auf einmal den Einfall&comma; am allerschönsten müßte das Schlittenfahren im Mondschein sein&period; Die ganze Gesellschaft sollte sich am Abend um sieben Uhr zusammenfinden und die Mondscheinfahrten ausführen&comma; denn es war der Tag des Vollmonds&period; Da mußte es prächtig werden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mit Jubel wurde der Vorschlag angenommen&comma; und die Schlittbahngenossen trennten sich gegen fünf Uhr wie gewöhnlich&comma; da die Nacht einbrach&comma; um sich um sieben Uhr wieder zusammenzufinden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Weniger Anklang fand der Vorschlag bei Ottos Mutter&comma; als er ihr mitgeteilt wurde&period; Sie ließ sich gar nicht von der Begeisterung hinreißen&comma; mit der die Kinder beide auf einmal und in den lautesten Tönen ihr das Wundervolle dieser Unternehmung schilderten&period; Sie hielt ihnen die Kälte des späten Abends vor&comma; die Unsicherheit der Fahrten bei dem ungewissen Licht und alle Gefahren&comma; die besonders das Miezchen bedrohen könnten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber die Einwände blieben wirkungslos&comma; und Miezchen bettelte inständig&comma; als hinge seine einzige Lebensfreude an dieser Schlittenfahrt&period; Otto versprach auch&comma; er wurde auf Miezchen aufpassen und immer in seiner nächsten Nähe bleiben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Endlich willigte die Mutter ein&period; Mit großem Jubel und wohlverpackt zogen die Kinder ein paar Stunden nachher in die helle Nacht hinaus&period; Es ging alles ganz nach Wunsch&comma; die Schlittenbahn war unvergleichlich&comma; und das Geheimnisvolle der dunklen Stellen&comma; wo der Mondschein nicht hinfiel&comma; erhöhte den Reiz der Unternehmung&period; Eine Menge Kinder hatte sich eingefunden&comma; alle waren in der fröhlichsten Stimmung&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Otto ließ sie alle vorausfahren&comma; dann kam er&comma; und zuletzt mußte das&nbsp&semi;Miezchen kommen&comma; damit ihm keiner in den Rücken fahren konnte&period; So&nbsp&semi;hatte es Otto eingerichtet&comma; er konnte sich dabei auch immer von&nbsp&semi;Zeit zu Zeit mit einem Blick vergewissern&comma; ob Miezchen nachkomme&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als nun alles so gut ging&comma; fiel einem der Buben ein&comma; nun müßte einmal der ganze Zug anhängen&comma; nämlich ein Schlitten an den anderen gebunden werden&period; So wollte man hinunterfahren&comma; das müßte im Mondenschein ein ganz besonderer Spaß werden&period; Unter großem Lärm und allgemeiner Zustimmung ging man gleich ans Werk&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Für Miezchen fand Otto die Fahrt doch ein wenig gefährlich&comma; denn manchmal gab es dabei einen großartigen Umsturz sämtlicher Schlitten und Kinder&period; Das konnte er für das kleine Wesen nicht riskieren&period; Er ließ seinen Schlitten zuletzt anbinden&comma; der Miezchens aber wurde freigelassen&period; So fuhr es&comma; wie immer&comma; hinter dem Bruder her&period; Nur konnte er jetzt nicht&comma; wie sonst&comma; seinen Schlitten langsamer fahren lassen&comma; wenn Miezchen zurückblieb&comma; denn er war in der Gewalt des Zuges&period; Jetzt ging es los&comma; und die lange&comma; lange Kette sauste die glatte Bahn hinunter&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mit einemmal hörte Otto ein furchtbares Geschrei&comma; und er kannte die Stimme&period; Es war Miezchens Stimme&period; Was war da geschehen&quest; Otto hatte keine Wahl&comma; er mußte die Lustpartie zu Ende machen&comma; wie groß auch sein Schrecken war&period; Aber kaum unten angelangt&comma; riß er sein Schlittenseil los und rannte den Berg hinauf&period; Alle anderen liefen hinter ihm drein&comma; denn fast alle hatten das Geschrei vernommen und wollten auch sehen&comma; was los war&period; An der halben Höhe des Berges stand das Miezchen neben seinem Schlitten&comma; schrie aus Leibeskräften und weinte&period; Atemlos stürzte Otto heran und rief&colon; "Was hast du&quest; Was hast du&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Er hat mich—er hat mich—er hat mich"&comma; stieß Miezchen schluchzend hervor und kam nicht weiter vor Aufregung&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Was hat er&quest; Wer denn&quest; Wo&quest; Wer&quest;" rief Otto&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Der Mann dort&comma; der Mann&comma; er hat mich—er hat mich totschlagen wollen und hat mir—und hat mir—furchtbare Worte nachgerufen&period;" So viel kam endlich heraus unter immer neuem Geschrei&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"So sei doch nur still jetzt&comma; Miezchen&comma; tu doch nicht so&period; Er hat dich ja doch nicht totgeschlagen&period; Hat er dich denn wirklich geschlagen&quest;" fragte Otto ganz zahm&comma; denn er hatte Angst&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Nein&period; Aber er wollte&comma; mit einem Stecken—so hat er ihn gehoben und gesagt&colon; 'Wart du&excl;' Und ganz furchtbare Worte hat er mir nachgerufen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"So hat er dir eigentlich gar nichts getan"&comma; sagte Otto und atmete beruhigt auf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Aber er hat ja—er hat ja—und ihr wart alle schon weit fort&comma; und ich war ganz allein&period;" Und vor Mitleid mit sich selbst brach Miezchen noch einmal in lautes Weinen aus&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Bscht&excl; Bscht&excl;" beschwichtigte Otto&period; "Sei doch still jetzt&comma; ich gehe nun nicht mehr von dir weg&comma; und der Mann kommt nicht mehr&period; Und wenn du nun gleich ganz still sein willst&comma; so gebe ich dir den roten Zuckerhahn vom Christbaum&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Das wirkte&period; Mit einemmal trocknete Miezchen seine Tränen und gab keinen Laut mehr von sich&period; Denn den großen roten Zuckerhahn vom Christbaum zu bekommen&comma; war Miezchens allergrößter Wunsch gewesen&period; Er war aber bei der Teilung auf Ottos Teil gefallen&comma; und Miezchen hatte den Verlust nie verschmerzen können&period; Wie nun alles in Ordnung war und die Kinder den Berg hinaufstiegen&comma; wurde besprochen&comma; was es für ein Mann gewesen sein könne&comma; der das Miezchen habe totschlagen wollen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ach was&comma; totschlagen"&comma; rief Otto dazwischen&period; "Ich habe schon lange gemerkt&comma; wer es war&period; Wir haben ja im Herunterfahren den großen Mann mit dem dicken Stock auch angetroffen&comma; er mußte unseren Schlitten ausweichen&comma; in den Schnee hinein&period; Das machte ihn böse&comma; und als er dann hintennach das Miezi allein antraf&comma; hat er es ein wenig erschreckt und seinen Zorn an ihm ausgelassen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Diese Erklärung fand allgemeine Zustimmung&period; Das war ja so natürlich&comma; daß jedes meinte&comma; es sei ihm selber so in den Sinn gekommen&period; So wurde die Sache vergessen und lustig drauflos gerodelt&period; Endlich aber mußte auch dieses Vergnügen ein Ende nehmen&comma; denn es hatte längst acht Uhr geschlagen&comma; die Zeit&comma; da aufgebrochen werden sollte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Auf dem Heimweg schärfte der Otto dem Miezchen ein&comma; zuhause nichts zu erzählen von dem Vorfall&comma; sonst könnte die Mutter Angst bekommen&period; Und dann dürften sie nie mehr im Mondschein Schlitten fahren&period; Den Zuckerhahn würde Miezchen gleich bekommen&comma; aber es müsse versprechen&comma; nichts zu erzählen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Miezchen versprach hoch und heilig&comma; kein Wort zu sagen&period; Die Spuren seiner Tränen waren auch längst verschwunden und konnten nichts mehr verraten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Längst schon schliefen Otto und Miezchen auf ihren Kissen&comma; und der rote Zuckerhahn spazierte durch Miezchens Träume und erfüllte sein Herz mit einer so großen Freude&comma; daß es im Schlaf lächelte&period; Da klopfte es unten an die Haustür&comma; so laut&comma; daß der Oberst und seine Frau vom Tisch auffuhren&comma; an dem sie eben gemütlich gesessen und sich über ihre Kinder unterhalten hatten&period; Und die alte Trine rief in strafendem Ton zum Fenster hinaus&colon; "Was ist das für eine Manier&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Es ist ein großes Unglück geschehen"&comma; tönte es von unten herauf&period;&nbsp&semi;"Der Herr Oberst soll doch herunterkommen&comma; sie haben den Schreiner&nbsp&semi;Andres tot gefunden&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Damit lief der Bote wieder davon&period; Der Oberst und seine Frau hatten genug gehört&comma; denn auch sie waren zum offenen Fenster gegangen&period; Augenblicklich warf der Oberst seinen Mantel um und lief zum Haus des Schreiners&period; Als er in die Stube trat&comma; fand er schon eine Menge Leute da&period; Man hatte den Friedensrichter und Gemeindeamtmann geholt&comma; und eine Schar Neugieriger und Teilnehmender war mit ihnen gekommen&period; Andres lag am Boden in einer Blutlache und gab kein Lebenszeichen von sich&period; Der Oberst trat näher&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ist denn jemand zum Doktor gelaufen&quest;" fragte er&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Es war niemand dorthin gegangen&period; Da sei ja doch nichts mehr zu machen&comma; meinten die Leute&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Lauf&comma; was du kannst&comma; zum Doktor"&comma; befahl der Oberst einem Burschen&period; "Sag ihm&comma; ich lasse ihn bitten&comma; er soll auf der Stelle kommen&period;" Dann half er selbst den Andres vom Boden aufheben und in die Kammer hinein auf sein Bett legen&period; Erst jetzt trat der Oberst an die schwatzenden Leute heran&comma; um zu hören&comma; wie der Vorfall sich zugetragen hatte&comma; ob jemand etwas Näheres wisse&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Müllerssohn trat vor und erzählte&comma; er sei vor einer halben Stunde vorbeigekommen&comma; und da er noch Licht gesehen habe in des Schreiners Stube&comma; habe er im Vorbeigehen schnell fragen wollen&comma; ob seine Aussteuersachen auch rechtzeitig fertig werden&period; Er habe die Tür der Stube offen stehend&comma; den Andres tot im Blut liegend am Boden gefunden&period; Der Matten-Joggi&comma; der dabeistand&comma; habe ihm lachend ein Goldstück entgegengestreckt&comma; als er hereingetreten sei&period; Er habe dann den Leuten zugerufen&comma; daß der Gemeindeamtmann kommen solle&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Matten-Joggi&comma; der so hieß&comma; weil er unten in der 'Matte'&comma; im Tal wohnte&comma; war ein schwachsinniger Mensch&comma; der davon lebte&comma; daß ihn die Bauern mithelfen ließen&period; Er schleppte Steine und Sand&comma; las Obst auf oder machte im Winter Holzbündelchen&period; Daß er Böses getan hätte&comma; hatte man bis jetzt nicht gehört&period; Der Müllerssohn hatte ihm gesagt&comma; er solle da bleiben&comma; bis auch der Präsident noch da sein werde&period; So stand Joggi noch immer in einer Ecke&comma; hielt seine Hand fest zugeklemmt und lachte halblaut&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt trat der Doktor in die Stube und hinter ihm her auch noch der Präsident&period; Der Gemeindevorstand stellte sich nun mitten ins Zimmer und verhörte die Leute&period; Der Doktor ging sofort in die Kammer hinein&comma; und der Oberst folgte ihm&period; Der Doktor untersuchte genau den unbeweglichen Körper&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Da haben wir's"&comma; rief er plötzlich aus&comma; "hier auf den Hinterkopf ist Andres geschlagen worden&comma; da ist eine große Wunde&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Aber er ist doch nicht tot&comma; Doktor&comma; was sagst du&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Nein&comma; er atmet ganz leise&comma; aber er ist böse dran&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Nun brauchte der Doktor Wasser und Schwämme und Weißzeug und noch vieles&period; Die Leute draußen liefen alle durcheinander und suchten und rissen alles von der Wand und aus dem Küchenkasten und brachten Haufen von Sachen in die Kammer hinein&comma; aber nichts von dem&comma; das der Doktor brauchte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Da muß eine Frau her&comma; die Verstand hat und weiß&comma; was ein Kranker nötig hat"&comma; rief der Doktor ungeduldig&period; Alle schrien durcheinander&period; Aber wenn einer eine wußte&comma; so rief ein anderer&colon; "Die kann nicht kommen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Einer soll auf den Hang laufen"&comma; befahl der Oberst&period; "Meine Frau soll mir die Trine herunterschicken&excl;" Sofort lief ein Mann davon&comma;<&sol;p>&NewLine;<p>"Deine Frau wird dir aber nicht danken"&comma; sagte der Doktor&comma; "denn ich lasse die Pflegerin drei bis vier Tage und Nächte nicht vom Bett weg&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Keine Sorge"&comma; entgegnete der Oberst&comma; "für den Andres gäbe meine&nbsp&semi;Frau alles her&comma; nicht nur die alte Trine&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Keuchend und beladen kam die Trine an&comma; viel schneller&comma; als man hatte hoffen können&period; Denn sie stand schon lange mit einem großen Korb am Arm bereit&comma; und die Frau Oberst stand neben ihr und lauschte&comma; ob einer gelaufen komme&period; Sie hatte nicht annehmen können&comma; daß der Andres wirklich tot sei&comma; und hatte überlegt&comma; was man brauchen könnte&comma; um ihm wieder auf die Beine zu helfen&period; So hatte sie Schwamm und Verbandzeug&comma; Wein und Öl und warme Flanelle in einen Korb gepackt&comma; und Trine mußte nur hinunterlaufen&comma; als der Bote kam&period; Der Doktor war sehr zufrieden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Alles fort jetzt&comma; gute Nacht&comma; Oberst&comma; und mach&comma; daß die ganze&nbsp&semi;Bande zum Haus hinauskommt&excl;" rief er und&period; schloß die Tür zu&comma;&nbsp&semi;nachdem der Oberst hinausgetreten war&period; Der Gemeinderat war noch am&nbsp&semi;Beratschlagen&period; Da aber der Oberst erklärte&comma; nun müsse alles das&nbsp&semi;Haus verlassen&comma; faßten die Männer den Beschluß&comma; vorläufig müsse der&nbsp&semi;Joggi eingesperrt werden&period; Dann wollte man weitersehen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Also mußten zwei Männer den Joggi in die Mitte nehmen&comma; damit er nicht davonlief&comma; und ihn so zum Armenhaus bringen und in eine Kammer sperren&period; Der Joggi ging aber ganz willig davon und lachte&comma; und von Zeit zu Zeit guckte er vergnügt in seine Faust hinein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Gleich am anderen Morgen ging die Frau Oberst voller Sorge zum Häuschen des Andres hinunter&period; Trine kam leise aus der Kammer und brachte die frohe Nachricht&comma; Andres sei gegen Morgen schon ein wenig zum Bewußtsein gekommen&period; Auch der Doktor sei schon dagewesen und habe den Kranken über Erwarten gut angetroffen&period; Ihr aber habe er eingeschärft&comma; daß sie keinen Menschen in die Kammer hineinlasse&comma; Andres dürfe auch noch kein Wort reden&comma; wenn er auch wollte&comma; nicht&period; Nur der Doktor und die Wärterin sollen vor seine Augen kommen&comma; erklärte die Trine in großem Amtseifer&period; Damit war die Frau Oberst einverstanden&comma; und erfreut kehrte sie mit ihren Nachrichten nach Hause zurück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So vergingen acht Tage&period; Jeden Morgen ging die Frau Oberst zum Haus des Kranken&comma; um genau Bericht zu bekommen und zu hören&comma; ob etwas fehle&comma; das dann schnell herbeigeschafft werden mußte&period; Otto und Miezchen mußten jeden Tag aufs neue besänftigt werden&comma; daß sie ihren kranken Freund noch nicht besuchen durften&period; Aber da war immer noch keine Erlaubnis vom Doktor&period; Die Trine war noch unentbehrlich&comma; wurde auch täglich vom Doktor gelobt für ihre sorgfältige Pflege&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nach Ablauf der acht Tage schlug der Doktor seinem Freund&comma; dem Oberst&comma; vor&comma; nun einmal den Kranken zu besuchen&comma; zu der Zeit&comma; da er selbst dort sein würde&period; Denn jetzt war der Augenblick gekommen&comma; da Andres wieder reden durfte&period; Und der Doktor wollte ihn in Gegenwart des Obersten darüber befragen&comma; was er selbst von dem unglücklichen Vorfall wisse&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Andres freute sich&comma; als er dem Herrn Oberst die Hand drücken durfte&period; Er hatte ja schon lange bemerkt&comma; woher ihm alles Gute und alle Sorgfalt für seine Genesung kam&period; Dann besann er sich&comma; so gut er konnte&comma; um die Fragen der beiden Herren zu beantworten&period; Er wußte aber nur folgendes zu sagen&colon; Er hatte seine Summe beisammen&comma; die er jährlich dem Herrn Oberst zur Verwahrung brachte&period; Diese wollte er noch einmal überzählen&comma; um seiner Sache sicher zu sein&period; Er hatte sich am späteren Abend hingesetzt&comma; den Rücken gegen die Fenster und die Tür gekehrt&period; Mitten im Zählen hörte er jemanden hereinkommen&period; Ehe er aber aufgeschaut hatte&comma; fiel ein furchtbarer Schlag auf seinen Kopf&period; Von da an wußte er nichts mehr&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Also hatte Andres Geld auf dem Tisch liegen gehabt&period; Davon war aber gar nichts mehr gesehen worden&comma; nur das einzige Stück in Joggis Hand&period; Wo könnte denn das andere Geld hingekommen sein&comma; wenn wirklich Joggi der Übeltäter war&quest; Als Andres vernahm&comma; wie der Joggi gefunden worden und nun eingesperrt sei&comma; wurde er ganz unruhig&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Sie sollen ihn doch gehen lassen&comma; den armen Joggi"&comma; sagte er&period; "Der tut ja keinem Kind etwas zuleide&comma; der hat mich nicht geschlagen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Andres hatte aber auch gegen keinen anderen Menschen den leisesten&nbsp&semi;Verdacht&period; Er habe keine Feinde&comma; sagte er&comma; und kenne keinen&nbsp&semi;Menschen&comma; der ihm so etwas hätte antun wollen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Es kann auch ein Fremder gewesen sein"&comma; bemerkte der Doktor&comma; der die niedrigen Fenster ansah&period; "Wenn Sie da beim hellen Licht Geld auf dem Tisch liegen haben und zählen&comma; so kann das von außen jeder sehen und Lust zum Teilen bekommen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Ich habe nie an so etwas gedacht&comma; es war immer alles offen&comma;" sagte der Andres gelassen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Es ist gut&comma; daß Sie noch etwas im Trockenen haben&comma; Andres"&comma; bemerkte der Oberst&period; "Lassen Sie sich das nicht zu Herzen gehen&period; Das wichtigste ist&comma; daß Sie wieder gesund werden&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>"Gewiß&comma; Herr Oberst"&comma; erwiderte Andres und schüttelte ihm die Hand&period; "Ich habe nur zu danken&period; Der liebe Gott hat mir ja sonst schon viel mehr gegeben&comma; als ich brauche&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Die Herren verließen den friedlichen Andres&comma; und vor der Tür sagte der Doktor&colon; "Dem ist wohler als dem anderen&comma; der ihn zusammenschlagen wollte&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Vom Joggi wurde eine traurige Geschichte erzählt&comma; die alle Buben in der Schule beschäftigte und in große Teilnahme versetzte&period; Auch Otto brachte sie nach Hause und mußte sie jeden Tag ein paarmal wiederholen&comma; denn jedesmal&comma; wenn er daran dachte&comma; machte sie ihm aufs neue großen Eindruck&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als man den Joggi an dem Abend lachend ins Armenhaus gebracht hatte&comma; da war er aufgefordert worden&comma; sein Goldstück an einen seiner Führer abzugeben&comma; den Sohn des Friedensrichters&period; Joggi aber klemmte seine Faust noch besser zusammen und wollte nichts hergeben&period; Aber die beiden waren stärker als er&period; Sie rissen ihm mit Gewalt die Faust auf&period; Und der Friedensrichterssohn&comma; der von dem Joggi manchen Kratzer während der Arbeit erhalten hatte&comma; sagte&comma; als er das Goldstück endlich in der Hand hielt&colon; "So&comma; jetzt wart nur&comma; Joggi&comma; du wirst schon deinen Lohn bekommen&period; Wart nur&comma; bis sie kommen&comma; sie werden dir's dann schon zeigen&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Da hatte der Joggi angefangen furchtbar zu schreien und zu jammern&comma; denn er glaubte&comma; er werde geköpft&period; Und seither aß er nicht und trank nicht und stöhnte und jammerte fortwährend&comma; denn die Furcht und Angst vor dem Köpfen verfolgte ihn ständig&period; Schon zweimal waren der Präsident und der Gemeindeamtmann bei ihm gewesen und hatten ihm gesagt&comma; er soll nur alles sagen&comma; was er getan habe&comma; er werde nicht geköpft&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Er wußte nichts zu sagen&comma; als daß er beim Andres ins Fenster geschaut habe&comma; und der sei am Boden gelegen&period; Er sei zu ihm hineingegangen und habe ihn ein wenig gestoßen&comma; da sei er tot gewesen&period; Da habe er etwas glänzen gesehen in einer Ecke und habe es geholt&comma; und dann sei der Müllerssohn gekommen und dann noch viele&period; Hatte der Joggi so viel erzählt&comma; so fing er wieder zu stöhnen an und hörte nicht mehr auf&period;<&sol;p>

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