Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Kasperle auf Reisen
(Josephine Siebe, 1921, empfohlenes Alter: 5 - 7 Jahre)

In Protzendorf beim Bauer Strohkopf

<p>Wo aber war das Kasperle hingelaufen&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>Das war in Fritzles Hosen und Peterles Jacke vergnügt in den Wald gerannt&comma; froh über seine neue Freiheit&period; In seiner Freude vergaß der Strick alles Gute&comma; was er im Waldhäuschen gehabt hatte&comma; und er beschloß&comma; in die weite Welt zu wandern&period; Und weil er wußte&comma; daß auf den Straßen&comma; die nach Schönau und Lindendorf führen&comma; manchmal Menschen daherkamen&comma; die im Waldhaus einsprachen&comma; rannte er den Weg nach Protzendorf entlang&period; Der wurde von den Bewohnern der anderen Dörfer gern vermieden&comma; und Kasperle traf auch wirklich an diesem schönen&comma; sonnigen Tag keinen Menschen darauf&period; Vor Freude über das Gelingen seiner Flucht begann er auf dem Wege Purzelbäume zu schlagen&period; Wie eine Kugel fast rollte er die Straße entlang&comma; und beinahe wäre er so nach Protzendorf hineingepurzelt&period; Doch da lag ein großer Stein auf dem Wege&semi; an dem stieß sich Kasperle&comma; es krachte ordentlich&comma; und ein Weilchen blieb der kleine Kerl erschrocken liegen&period; Doch der Stein sagte nichts&comma; es kam auch niemand&comma; da rappelte sich Kasperle auf und sah sich um&period; Vor ihm&comma; ein wenig tiefer im Tale&comma; lag Protzendorf&period; Stattlich und wohlhäbig sah es aus&comma; aus den Essen stieg Rauch empor&comma; denn die Protzendorfer Bäuerinnen buken alle miteinander Pfingstkuchen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Kasperle reckte seine große Nase in die Luft und schnupperte&period; Hm&comma; das roch fein&excl; Und gleich fühlte er auch ein gewaltiges Rumpeln in seinem Mäglein&comma; und er sperrte seinen übergroßen Mund auf wie ein junger Rabe seinen Schnabel&period; Doch es fiel keiner Protzendorfer Bäuerin ein&comma; etwa zu kommen und dem Kasperle frischen Kuchen zu bringen&period; Das gab es nicht&period; Kasperle seufzte zwar sehr&comma; schließlich aber stand er doch auf&comma; reckte und streckte sich und trabte dann ins Dorf hinein&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der dicke Bauer Matthias Strohkopf&comma; der reichste Mann von Protzendorf&comma; hatte an diesem Tage früh Feierabend gemacht&period; Er tat das oft&comma; denn er war so faul&comma; daß selbst die Protzendorfer&comma; die alle ein bißchen träge waren&comma; ihn den „faulen Matthias&OpenCurlyDoubleQuote; nannten&period; Der Bauer saß vor seiner Haustüre&comma; neben sich auf einem Tisch hatte er sein Vesperbrot stehen&period; Er stopfte gerade ein Butterbrot in den Mund&comma; und dazu blickte er auf einen Teller mit frischen Kuchen&comma; den seine Frau ihm just gebracht hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da kam Kasperle anspaziert&period; Der sah den dicken Bauer und den frischen Kuchen&comma; und da der Kuchen ihm wohlgefiel&comma; besann er sich nicht lange&comma; lief herzu und steckte eins&comma; zwei&comma; drei&excl; ein Stück in den Mund und noch eins&comma; und ehe der Bauer Strohkopf sich von seinem Erstaunen erholt hatte&comma; war der halbe Teller leergegessen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Potztausend noch mal&excl; So etwas war dem Bauer sein Leben lang noch nicht widerfahren&period; „Du Frechdachs&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; schrie er&comma; hob seine dicke Hand und wollte Kasperle schlagen&period; Doch der nicht faul&comma; tat einen Sprung über Tisch und Bauer hinweg und blieb ein paar Schritte entfernt auf der Erde sitzen&period; „Ich hatt’ so argen Hunger&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; klagte er&comma; und dabei schnitt er ein so jämmerliches verschmitztes Gesicht&comma; daß „der faule Matthias&OpenCurlyDoubleQuote; trotz seinem Ärger lachen mußte&period; So einen wunderfitzigen&comma; schnurrigen kleinen Kerl hatte er noch nie gesehen&period; „Woher kommst du denn&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; schrie er ihn an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da rutschte Kasperle auf Fritzles Hosenboden ein Stückchen näher und klagte&colon; „Von weit&comma; weit&comma; weit her&excl; Bin ein armes&comma; verlassenes Büble&comma; hab’ niemand mehr auf der weiten Welt&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Und so kläglich sah dabei das schlimme Kasperle drein&comma; daß der dicke Bauer ganz gerührt wurde&period; Er brummte zwar&colon; „Das ist noch kein Grund&comma; um andern den Kuchen wegzufressen&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; aber er winkte doch mit der Hand&comma; Kasperle solle näherkommen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der kleine Strick kam auch heran&period; Er ließ die Nase hängen&comma; als könnte er nie ein Wässerlein trüben&period; Doch wie seine kleinen schwarzen Spatzenaugen glitzerten und funkelten&comma; das sah der Bauer Strohkopf nicht&period; Der sagte gnädig&colon; „Du bist zwar sehr frech vornhin gewesen&comma; doch will ich’s dir nicht nachtragen&period; Ich brauche gerade einen Gänsejungen&comma; dazu will ich dich meinetwegen nehmen&period; Gelt&comma; das hättest du dir nicht träumen lassen&comma; daß der reiche Strohkopf dich aufnimmt&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Da sperrte Kasperle nun wirklich seinen Mund wie ein Scheunentor auf&comma; denn was ein Gänsejunge war&comma; das wußte er nicht&period; Er sagte nicht ja und nicht nein&comma; und der dicke Bauer fragte auch nicht weiter&period; Der dachte&comma; wenn einer als Gänsejunge zum Strohkopf kommt&comma; der kann froh sein&period; Potzhundert noch mal&comma; das ist eine Ehre&excl; — Und weil gerade sein Großknecht Florian aus dem Hause kam&comma; rief er dem zu&colon; „Florian&comma; wir haben einen neuen Gänsejungen&period; Da&comma; nimm ihn mit&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Der gute Florian nun tat seinen Mund eigentlich nur zum Essen auf&period; Er dachte auch&colon; Mit einem Gänsejungen macht man nicht viel Umstände&period; Und schwipp&comma; schwapp&excl; packte er Kasperle beim Genick und zog ihn mit sich&period; Er zerrte ihn zum Gänsestall&comma; tat den auf&comma; brummte&colon; „Da&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; schob Kasperle hinein und schloß die Türe hinter ihm zu&period; Die müssen sich erst befreunden&comma; dachte Florian&semi; bis zum Nachtessen ist dazu Zeit&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da saß nun Kasperle im Gänsestall&comma; und seine weißen und grauen Schützlinge umringten ihn schnatternd&period; Das gefiel dem kleinen Kerl ganz und gar nicht&period; In einem Gänsestall war er noch niemals gewesen&comma; und als die Gänse ihre Schnäbel so weit auftaten und gar so arg schnatterten&comma; begann er sich zu fürchten&period; Er schnitt fürchterliche Gesichter&comma; und weil die Gänse auch noch nie ein lebendiges Kasperle gesehen hatten&comma; kam ihnen der Gast in ihrem Stall höchst sonderbar vor&period; Sie schnatterten immer lauter&comma; dem Kasperle wurde es himmelangst&comma; und er sah sich nach Rettung um&period; In einer Ecke des Stalles stand ein hohes Gestell&comma; wie ein Schrank sah es fast aus&comma; und Kasperle&comma; nicht faul&comma; schwang sich hinauf&period; In den einzelnen Fächern des Gestelles aber saßen dicke&comma; brave Gänse auf ihren Nestern und brüteten&period; Die erschraken nun gewaltig&comma; als Kasperle ihren Nesterschrank erkletterte&period; Zischend fuhren sie von ihren Nestern auf&comma; Kasperle erschrak und hielt sich an dem leichten Gestell fest&period; Das wankte&comma; und pardauz&excl; fiel es um&period; Da lag Kasperle&comma; da lagen Nester und Eier&comma; und zischend und schnatternd fuhren die Gänse wütend auf Kasperle los&period; So etwas&excl; Sie im Brüten zu stören&comma; das war doch unerhört&excl; Zwack&comma; biß eine Kasperle ins Bein&comma; zwick&comma; die andere ins Ohr&comma; zisch&comma; hieb eine ihm mit dem Schnabel über die Nase&period; Kasperle brüllte&comma; die Gänse schnatterten lauter und lauter&comma; — es war ein Höllenlärm&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Jemine&comma; was ist im Gänsestall los&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; rief draußen auf dem Hof die Magd Karline&period; Sie dachte&colon; Es ist vielleicht gar ein Marder eingebrochen&comma; und rasch rannte sie herbei&comma; riß die Türe auf und sah in allem Wirrwarr das schreiende Kasperle am Boden sitzen&period; Seinen Mund hatte er ungeheuerlich weit aufgerissen&comma; und Karline klappte erschrocken die Türe zu&period; „Ein Kobold&comma; ein Kobold ist im Gänsestall&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; schrie sie draußen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Lärm hatte die Bäuerin herbeigelockt&comma; Berta&comma; die Jungmagd&comma; kam an&comma; Florian lief herzu&comma; und der stürzte in den Gänsestall hinein und zerrte das schreiende Kasperle heraus&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Herrje&comma; was ist das&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; rief die Bäuerin&period; Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen&comma; und Berta kicherte in ihre Schürze hinein&period; „Wie der aussieht&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ein Kobold ist’s&comma; ein Popanz&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; kreischte Karline&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Nä&comma; unser neuer Gänsejunge ist’s&comma; und jetzt kriegt er Haue&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; brummte Florian&comma; Und klitsch&comma; klatsch&comma; schlug er auf Kasperle ein&period; Ein Spaß war es nicht&comma; wenn Florian zuschlug&period; Kasperle verging Hören und Sehen&comma; er brüllte ganz mörderlich&comma; und endlich kam auch der dicke Bauer selbst herbei und wollte wissen&comma; was geschehen war&period; Da redeten seine Frau und die drei Mägde durcheinander&comma; Kasperle kreischte&comma; im Stall schnatterten die Gänse&comma; Florian aber zeigte nur auf den Stall&period; „Nachsehen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; brummte er&period; Und klitsch klatsch&comma; klitsch klatsch&comma; prügelte er weiter auf Kasperle los&comma; bis die Bäuerin ihm endlich den Kleinen entriß&period; „Du zerschlägst ihn ja ganz&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; schalt sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Der hat’s verdient&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; knurrte Florian&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja zum Kuckuck&comma; der hat’s verdient&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; schrie der Bauer Strohkopf&period; Er hatte inzwischen im Gänsestall gesehen&comma; was Kasperle angerichtet hatte&comma; und er wollte schon mithauen&period; Doch die Bäuerin hielt mitleidig seine Hand fest&comma; ihr tat das arme Kasperle leid&period; Und dem dicken Bauer erging es wieder sonderbar&period; Als der dem Kasperle so recht in sein klägliches Gesicht sah&comma; legte sich sein Ärger&comma; ja er mußte lachen&semi; das Kasperle sah zu drollig aus&period; Und auf einmal erging es den andern auch so&comma; sie mußten lachen&semi; selbst Florian grinste&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das arme Kasperle mochte seinen Rücken noch so viel reiben und noch so betrübt seufzen&comma; es wurde doch nur ausgelacht&period; Da dachte es an Liebetraut&semi; die hätte nicht gelacht&comma; nur freilich jetzt würde sie traurig sein&comma; weil es sein Versprechen nicht gehalten hatte und fortgelaufen war&period; Kasperle ließ die Nase hängen&semi; ach nein&comma; zurücklaufen konnte er nun nicht mehr ins Waldhaus&excl; Und vor der dunklen Nacht&comma; allein im Walde&comma; fürchtete er sich auch&comma; und so folgte er still der Bäuerin ins Haus&comma; und als ihm drinnen ein so gutes Düftlein nach frischem Kuchen entgegenzog&comma; da wurde er gleich wieder vergnügt&period; Heisa&comma; es war doch ganz fein beim reichen Bauer Strohkopf&comma; und das Gänsehüten war gewiß nicht so schwer&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Beim Abendessen in der großen Wohnstube saß der neue Gänsejunge ganz unten am langen Tisch&period; Oben saßen der Bauer und die Bäuerin&comma; neben ihnen Florian&comma; dann kamen Karline und die andern Knechte und Mägde&period; Sie waren alle fleißig gewesen&comma; und sie dachten eigentlich alle nur an das Essen&period; Erst sah keines recht den neuen Gänsejungen an&comma; bis Berta plötzlich leise lachte&period; Da blickte der Paul neben ihr auf&comma; und er sah unwillkürlich auch den neuen Gänsejungen an&period; Nein&comma; so ein spaßiger kleiner Kerl&comma; wie das war&excl; Paul lachte ganz laut&comma; und da blickten auch Karline und Mine auf&comma; und alle sahen Kasperle an&comma; wie der seinen Mund auf- und zuklappte&comma; und mit einem Male lachten alle am Tisch&comma; am lautesten aber lachte der dicke Bauer selbst&period; Und kaum merkte Kasperle&comma; daß alle über ihn lachten&comma; flink fing er an&comma; Gesichter zu schneiden&period; Er zappelte auf seinem Stuhl hin und her und kasperte&comma; bis sogar der schweigsame Florian mitlachte&period; Die Bäuerin bekam Angst&comma; dem Bauer könnte der Bauch platzen&comma; so sehr lachte der&period; Sie mahnte ein paarmal&colon; „Hör’ auf&comma; lach’ dich nicht krank&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Aber dann lachte sie selbst wieder laut und lauter&period; Zuletzt fiel Karline unter den Tisch&comma; und Paul purzelte mit seinem Stuhl um&period; Da nahm Florian Kasperle am Jackenzipfel und rief&colon; „Jetzt ist’s genug für heute&comma; sonst platzt wirklich noch wer&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Und Florian zog Kasperle aus der Stube&comma; brachte ihn in eine kleine&comma; kleine Kammer&comma; die ein vergittertes Fensterlein hatte und in der gerade Platz für ein Bett war&period; Kasperle durfte hineinkriechen&semi; das tat er gern&comma; und er kümmerte sich gar nicht mehr darum&comma; daß Florian brummte&colon; „Morgen mußt du Gänse hüten&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Rrrrrrrrr&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Florian drehte sich erschrocken um&period; Was war denn das auf einmal&quest; „Rrrrr&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; klang es wieder&comma; und nun merkte Florian&colon; der neue Gänsejunge war es&comma; der so ganz erschrecklich schnarchte&period; „Dummheit ist’s&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; brummelte Florian und schüttelte den Kleinen&period; Er konnte aber viel rütteln und schütteln&comma; Kasperle schnarchte nach Kasperleart wie eine große Säge&colon; „Rrrrr&excl; Rrrrr&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Hol’ ihn der Fuchs&excl; Mit dem ist’s nicht richtig&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; knurrte Florian&period; Und er verriegelte sorgfältig die Kammer&semi; er traute dem Kasperlein nicht recht und dachte bei sich&comma; der Bauer hätte gut einen andern Gänsejungen annehmen können&period;<&sol;p>

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