Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen-Sammlung
(Ludwig Bechstein, empfohlenes Alter: 8 - 11 Jahre)

Das Natterkrönlein

<p>Alte Großväter und Großmütter haben schon oft ihren Enkeln und Urenkeln erzählt von schönen Schlangen&comma; die goldene Krönlein auf ihrem Haupte tragen&semi; diese nannten die Alten mit mancherlei Namen&comma; als Otterkönig&comma; Krönleinnatter&comma; Schlangenkönigin und dergleichen&comma; und sie haben gesagt&comma; der Besitz eines solchen Krönleins bringe großes Glück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Bei einem geizigen Bauer diente eine fromme&comma; mildherzige Magd&comma; und in seinem Kuhstalle wohnte auch eine Krönleinnatter&comma; die man zuweilen des Nachts gar wunderschön singen hörte&comma; denn diese Nattern haben die Gabe&comma; schöner zu singen als das beste Vögelein&period; Wenn nun die treue Magd in den Stall kam und die Kühe molk oder sie fütterte und ihnen streute — was sie mit großer Sorgfalt tat&comma; denn ihres Herrn Vieh ging ihr über alles&comma; — da kroch manchmal das Schlänglein&comma; welches so weiß war wie ein weißes Mäuschen&comma; aus der Mauerspalte&comma; darin es wohnte&comma; und sah mit klugen Augen die geschäftige Dirne an&comma; und dieser kam es immer vor&comma; als wolle die Schlange etwas von ihr haben&period; Und da gewöhnte sie sich&comma; in ein kleines Untertäßchen etwas kuhwarme Milch zu lassen&comma; um dem Schlänglein dieses hinzustellen&comma; und das trank die Milch mit gar großem Wohlbehagen und wendete dabei sein Köpfchen&comma; und da glitzerte das Krönlein wie ein Demant oder ein Karfunkelstein und leuchtete ordentlich in dem dunkeln Stalle&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die gute Dirne freute sich über die weiße Schlange gar sehr und nahm auch wahr&comma; daß&comma; seit sie dieselbe mit Milch tränkte&comma; ihres Herrn Kühe sichtbarlich gediehen&comma; viel mehr Milch gaben&comma; stets gesund waren und sehr schöne Kälbchen brachten&comma; worüber sie die größte Freude hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da traf sich’s einmal&comma; daß der Bauer in den Stall trat&comma; als just die Krönleinnatter ihr Tröpfchen Milch schleckte&comma; das ihr die gute Dirne hingestellt&semi; und weil er geizig und habsüchtig über alle Maßen war&comma; so fuhr er gleich so zornig auf&comma; als ob die arme Magd die Milch eimerweise weggeschenkt hätte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Du nichtsnutze Dirn’&comma; die du bist&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; schrie der böse Bauer&period; „So gehst du also um mit Hab und Gut deines Herrn&quest; Schämst du dich nicht der Sünde&comma; einen solchen giftigen Wurm&comma; der ohnedies den Kühen zur Nacht die Milch aus den Eutern zieht&comma; auch noch zu füttern und in den Stall zu gewöhnen&quest; Hat man je so etwas erlebt&quest; Schier glaub’ ich&comma; daß du eine böse Hexe bist und dein Satanswesen treibst mit dem Teufelswurm&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Die arme Dirne konnte diesem Strome harter Vorwürfe nur mit reichlich geweinten Tränen begegnen&semi; aber der Bauer kehrte sich nicht im mindesten daran&comma; daß sie weinte&comma; sondern er schrie und zankte sich immer mehr und mehr in den vollen Zorn hinein&comma; vergaß alle Treue und allen Fleiß der Magd und fuhr fort zu wettern und zu toben&colon; „Aus dem Hause&comma; sag’ ich&comma; aus dem Hause&excl; Und auf der Stelle&excl; Ich brauche keine Schlangen als Kostgänger&excl; Ich brauche keine Milchdiebinnen und Hexendirnen&excl; Gleich schnürst du dein Bündel&comma; aber gleich und machst&comma; daß du aus dem Dorfe fort kommst&comma; und läßt dich nimmer wieder hier blicken&comma; sonst zeig’ ich dich an beim Amt&comma; da wirst du eingesteckt und kriegst den Staupbesen&comma; du Hexendirne&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Laut weinend entwich die so hart gescholtene Magd aus dem Stalle&comma; ging hinauf in ihre Kammer&comma; packte ihre Kleider zusammen und schnürte ihr Bündlein&comma; und dann trat sie aus dem Hause und ging über den Hof&period; Da wurde ihr weh ums Herz&comma; im Stalle blöckte ihre Lieblingskuh&period; — Der Bauer war weiter gegangen&semi; sie trat noch einmal in den Stall&comma; um gleichsam im stillen und unter Tränen Abschied von ihrem lieben Vieh zu nehmen&semi; denn frommem Hausgesinde wird das Vieh seiner Herrschaft so lieb&comma; als wäre es sein eigen&period; Daher pflegt man auch zu sagen&comma; im ersten Dienstjahre spricht die Magd&colon; meines Herrn Kuh&comma; im zweiten&colon; unsere Kuh&comma; und im dritten und in allen folgenden&colon; meine Kuh&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Und da stand nun die Dirn’ im Stalle und weinte sich aus und streichelte noch einmal jede Kuh&comma; und ihr Liebling leckte ihr noch einmal die Hand — und da kam die Schlange mit dem Krönlein auch gekrochen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Leb’ wohl&comma; du armer Wurm&comma; dich wird nun auch niemand mehr füttern&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Da hob sich das Schlänglein empor&comma; als wollte es ihr seinen Kopf in ihre Hand legen&comma; und plötzlich fiel das Natterkrönlein in des Mädchens Hand&comma; und die Schlange glitt aus dem Stalle&comma; was sie nie getan&period; Das war ein Zeichen&comma; daß auch sie aus dem Hause scheide&comma; wo man ihr fürder nicht mehr ein Tröpflein Milch gönnen wollte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Jetzt ging die arme Dirne ihres Weges und wußte nicht&comma; wie reich sie war&period; Sie kannte des Natterkrönleins große Tugend nicht&period; Wer es besitzt und bei sich trägt&comma; dem schlägt alles zum Glücke aus&comma; der ist allen Menschen angenehm&comma; dem wird eitel Ehre und Freude zuteil&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Draußen vor dem Dorfe begegnete der scheidenden Magd der reiche Schulzensohn&comma; dessen Vater vor kurzem gestorben war&comma; der schönste junge Bursche des Dorfes&semi; der gewann gleich die Dirne lieb&comma; und er grüßte sie und fragte sie&comma; wohin sie gehe und warum sie aus dem Dienst scheide&period; Da sie ihm nun ihr Leid klagte&comma; hieß er sie zu seiner Mutter gehen&comma; und sie solle dieser nur sagen&comma; er sende sie&period; Wie nun die Dirne zu der alten Frau Schulzin kam und ausrichtete&comma; was der Schulzensohn ihr aufgetragen&comma; da faßte die Frau gleich ein großes Vertrauen zu ihr und behielt sie im Hause&comma; und als am Abende die Knechte und die Mägde des reichen Bauern zum Essen kamen&comma; da mußte die Neuaufgenommene das Tischgebet sprechen&comma; und da deuchte allen&comma; als flössen des Gebetes Worte von den Lippen eines heiligen Engels&comma; und wurden alle von einer wundersamen Andacht bewegt und gewannen zu der Dirne eine große Liebe&period; Und als abgegessen war und die fromme Dirne wieder das Gebet und den Abendsegen gesprochen hatte und das Gesinde die Stube verlassen&comma; da faßte der reiche Schulzensohn die Hand der ganz armen Dirne und trat mit ihr vor seine Mutter und sagte&colon; „Frau Mutter segnet mich und die — denn die nehm’ ich zur Frau oder keine&period; Sie hat mir’s einmal angetan&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Sie hat’s uns allen angetan&OpenCurlyDoubleQuote;&comma; antwortete die alte Frau Schulzin&period; „Sie ist so fromm&comma; als sie schön ist und so demütig&comma; als sie makellos ist&period; Im Namen Gottes segne ich dich und sie und nehme sie vom Herzen gerne zur Tochter&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>So wurde die arme Magd zu des Dorfes reichster Frau und zu einer ganz glücklichen noch dazu&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mit jenem geizigen Bauer aber&comma; der um die paar Tröpflein Milch sich so erzürnt und die treueste Magd aus dem Hause getrieben&comma; ging es baldigst den Krebsgang&period; Mit der Krönleinnatter war all sein Glück hinweg&comma; er mußte erst sein Vieh verkaufen&comma; dann seine Äcker&comma; und alles kaufte der reiche Schulzensohn&comma; und seine Frau führte die lieben Kühe&comma; die nun ihre eigenen waren&comma; mit grünen Kränzen geschmückt in ihren Stall und streichelte sie und ließ sich wieder die Hände von ihnen lecken und molk und fütterte sie mit eigener Hand&period; Auf einmal sah sie bei diesem Geschäfte die weiße Schlange wieder&period; Da zog sie schnell das Krönlein hervor und sagte&period; „Das ist schön von dir&comma; daß du zu mir kommst&period; Nun sollst du auch alle Tage frische Milch haben&comma; so viel du willst&comma; und da hast du auch dein Krönlein wieder mit tausend Dank&comma; daß du mir damit so wohl geholfen hast&period; Ich brauch’ es nun nicht mehr&comma; denn ich bin reich und glücklich durch Liebe&comma; durch Treue und durch Fleiß&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Da nahm die weiße Schlange ihr Krönlein wieder und wohnte in dem Stalle der jungen Frau&comma; und auf deren ganzem Gute blieb Friede&comma; Glück und Gottes Segen ruhen&period;<&sol;p>