Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen-Sammlung
(Ludwig Bechstein, empfohlenes Alter: 8 - 11 Jahre)

Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel

<p>Diese Geschichte ist ganz lügenhaft anzuhören&comma; Jungens&comma; aber wahr ist sie doch&comma; denn mein Großvater&comma; von dem ich sie habe&comma; pflegte immer&comma; wenn er sie erzählte&comma; dabei zu sagen&colon; „Wahr muß es doch sein&comma; meine Söhne&comma; denn sonst könnte man sie ja nicht erzählen&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Die Geschichte aber hat sich so zugetragen&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>Es war einmal an einem Sonntagsmorgen in der Herbstzeit&comma; just als der Buchweizen blühte&period; Die Sonne war goldig am Himmel aufgegangen&comma; der Morgenwind strich frisch über die Stoppeln&comma; die Lerchen sangen in der Luft&comma; die Bienen summten in dem Buchweizen&comma; und die Leute gingen in ihren Sonntagskleidern nach der Kirche&comma; kurz&comma; alle Kreatur war vergnügt und der Swinegel auch&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Swinegel aber stand vor seiner Tür&comma; hatte die Arme übereinandergeschlagen&comma; guckte dabei in den Morgenwind hinaus und trällerte ein Liedchen vor sich hin&comma; so gut und schlecht&comma; als es nun eben am lieben Sonntagmorgen ein Swinegel zu singen vermag&period; Indem er nun noch so halbleise vor sich hinsang&comma; fiel ihm auf einmal ein&comma; er könne wohl&comma; während seine Frau die Kinder wüsche und anzöge&comma; ein bißchen im Felde spazieren und dabei sich umsehen&comma; wie seine Steckrüben stünden&period; Die Steckrüben waren das Nächste bei seinem Hause&comma; und er pflegte mit seiner Familie davon zu essen&comma; und deshalb sah er sie denn auch als die seinigen an&period; Der Swinegel machte die Haustüre hinter sich zu und schlug den Weg nach dem Felde ein&period;&nbsp&semi;Er war noch nicht sehr weit vom Hause und wollte just um den Schlehenbusch hinaufschlendern&comma; der da vor dem Felde liegt&comma; als ihm der Hase begegnete&comma; der in ähnlichen Geschäften ausgegangen war&comma; nämlich um seinen Kohl zu besehen&period; Als der Swinegel des Hasen ansichtig wurde&comma; bot er ihm einen freundlichen guten Morgen&period; Der Hase aber&comma; der nach seiner Weise ein gar vornehmer Herr war und grausam hochfahrig dazu&comma; antwortete nichts auf des Swinegels Gruß&comma; sondern sagte zu ihm&comma; wobei er eine gewaltig hohe Miene annahm&colon; „Wie kommt es denn&comma; daß du schon bei so frühem Morgen im Felde rumläufst&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; „Ich gehe spazieren&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Swinegel&period; „Spazieren&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; lachte der Hase&comma; „mich deucht du könntest deine Beine auch wohl zu besseren Dingen gebrauchen&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Diese Antwort verdroß den Swinegel über alle Maßen&comma; denn alles kann er vertragen&comma; aber auf seine Beine läßt er nichts kommen&comma; eben weil sie von Natur schief sind&period; „Du bildest dir wohl ein&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte nun der Swinegel&comma; „daß du mit deinen Beinen mehr ausrichten kannst&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; „Das denk’ ich&OpenCurlyDoubleQuote;&comma; sagte der Hase&period; „Nun&comma; es käme auf einen Versuch an&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; meinte der Swinegel&comma; „ich pariere&comma; wenn wir wettlaufen&comma; ich laufe euch vorbei&period;&OpenCurlyDoubleQuote; „Das ist zum lachen — du mit deinen schiefen Beinen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Hase „aber meinetwegen mag es sein&comma; wenn du so übergroße Lust hast&period; Was gilt die Wette&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; „Einen goldenen Lujedor und eine Buttelje Schnaps&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Swinegel&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Angenommen&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sprach der Hase „schlag ein&comma; und dann kann’s gleich losgehen&period;&OpenCurlyDoubleQuote; „Nein&comma; so große Eile hat es nicht&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; meinte der Swinegel&comma; „ich bin noch ganz nüchtern&semi; erst will ich nach Hause gehn und ein bißchen frühstücken&period; In einer halben Stunde bin ich auf dem Platze&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Darauf ging der Swinegel&comma; denn der Hase war es zufrieden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Unterwegs dachte der Swinegel bei sich&colon; „Der Hase verläßt sich auf seine langen Beine&comma; aber ich will ihn schon kriegen&period; Er dünkt sich zwar ein vornehmer Herr zu sein&comma; ist aber doch ein dummer Kerl&comma; und bezahlen muß er auch&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Als nun der Swinegel zu Hause ankam&comma; sagte er zu seiner Frau&colon; „Frau zieh dich eilig an&comma; du mußt mit ins Feld hinaus&period;&OpenCurlyDoubleQuote; „Was gibt es denn&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte die Frau&period; „Ich habe mit dem Hasen um einen goldenen Lujedor und eine Buttelje Schnaps gewettet&period; Ich will mit ihm um die Wette laufen&comma; und da sollst du dabei sein&period;&OpenCurlyDoubleQuote; „O mein Gott&comma; mein Mann&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; schrie Swinegels Frau&comma; „bist du nicht klug&comma; hast du den Verstand verloren&quest; Wie kannst du mit dem Hasen um die Wette laufen wollen&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;&nbsp&semi;„Laß gut sein&comma; Weib&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Swinegel&comma; „das ist meine Sache&period; Räsoniert nicht in Männergeschäfte&period; Ziehe dich an und dann komm mit&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Was sollte die Frau machen&quest; Sie mußte wohl folgen&comma; sie mochte wollen oder nicht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als sie nun miteinander unterwegs waren&comma; sprach der Swinegel zu seiner Frau also&colon; „Nun paß auf&comma; was ich dir sagen werde&period; Sieh&comma; auf dem langen Acker dort wollen wir unsern Wettlauf machen&period; Der Hase läuft nämlich in der einen Furche und ich in der andern&comma; und von oben fangen wir an zu laufen&period; Nun hast du weiter nichts zu tun&comma; als du stellst dich hier unten in die Furche&comma; und wenn der Hase auf der andern Seite ankommt&comma; so rufst du ihm entgegen&colon; „Ich bin schon da&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Damit waren sie beim Acker angelangt&comma; der Swinegel wies seiner Frau ihren Platz an und ging nun den Acker hinauf&period; Als er oben ankam&comma; war der Hase schon da&period; „Kann es losgehen&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Hase&period; „Jawohl&OpenCurlyDoubleQuote;&comma; erwiderte der Swinegel&period; „Dann man zu&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Und damit stellte sich jeder in seine Furche&period; Der Hase zählte&colon; „Eins&comma; zwei&comma; drei&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; und los ging er wie ein Sturmwind den Acker hinunter&period; Der Swinegel aber lief nur ungefähr drei Schritte&comma; dann duckte er sich in die Furche nieder und blieb ruhig sitzen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als nun der Hase im vollen Laufen unten ankam&comma; rief ihm Frau Swinegel entgegen&colon; „Ich bin schon da&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Der Hase stutzte und verwunderte sich nicht wenig&period; Er meinte nicht anders&comma; es wäre der Swinegel selbst&comma; der ihm das zurufe&comma; denn bekanntlich sieht Swinegels Frau gerade so aus wie ihr Mann&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Hase aber meinte&colon; „Das geht nicht mit rechten Dingen zu&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Er rief&colon; „Noch einmal gelaufen&comma; wieder herum&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Und fort ging es wieder wie der Sturmwind&comma; so daß ihm die Ohren am Kopfe flogen&period; Frau Swinegel blieb indes ruhig auf ihrem Platz&period; Als nun der Hase oben ankam&comma; rief ihm der Swinegel entgegen&colon; „Ich bin schon da&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Der Hase aber&comma; ganz außer sich vor Eifer&comma; schrie&colon; „Nochmal gelaufen&comma; wieder herum&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; „Mir recht&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; antwortete der Swinegel&comma; „meinetwegen so oft als du Lust hast&period;&OpenCurlyDoubleQuote; So lief der Hase dreiundsiebzigmal&comma; und der Swinegel hielt es immer mit ihm aus&period; Jedesmal&comma; wenn der Hase unten oder oben ankam sagte der Swinegel oder seine Frau&colon; „Ich bin schon da&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Zum vierundsiebzigstenmal kam der Hase nicht mehr zu Ende&period; Mitten auf dem Acker stürzte er zur Erde&comma; das Blut floß ihm aus dem Halse&comma; und er blieb tot auf dem Platze&period; Der Swinegel aber nahm seinen gewonnenen Louisdor und die Flasche Branntwein&comma; rief seine Frau aus der Furche ab&comma; und beide gingen vergnügt nach Hause&comma; und wenn sie nicht gestorben sind&comma; leben sie noch&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So begab es sich&comma; daß auf der Buxtehuder Heide der Swinegel den Hasen zu Tode gelaufen hat&comma; und seit jener Zeit hat es sich kein Hase wieder einfallen lassen&comma; mit dem Buxtehuder Swinegel um die Wette zu laufen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Lehre aber aus dieser Geschichte ist deutlich&comma; daß keiner&comma; und wenn er sich auch noch so vornehm dünkt&comma; sich soll beikommen lassen&comma; über den geringen Mann sich lustig zu machen&comma; und wäre es auch nur ein Swinegel&period;<&sol;p>