Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen-Sammlung
(Ludwig Bechstein, empfohlenes Alter: 8 - 11 Jahre)

Der beherzte Flötenspieler

<p>Es war einmal ein lustiger Musikant&comma; der die Flöte meisterhaft spielte&semi; er reiste daher in der Welt herum&comma; spielte auf seiner Flöte in Dörfern und Städten und erwarb sich dadurch seinen Unterhalt&period; So kam er auch eines Abends auf einen Pachtershof und übernachtete da&comma; weil er das nächste Dorf vor einbrechender Nacht nicht erreichen konnte&period; Er wurde von dem Pachter freundlich aufgenommen&comma; mußte mit ihm speisen und nach geendigter Mahlzeit einige Stücklein vorspielen&period;&nbsp&semi;Als dieses der Musikant getan hatte&comma; schaute er zum Fenster hinaus und gewahrte in kurzer Entfernung bei dem Scheine des Mondes eine alte Burg&comma; die teilweise in Trümmern zu liegen schien&period; „Was ist das für ein altes Schloß&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte er den Pachter&comma; „und wem hat es gehört&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; Der Pachter erzählte&comma; daß vor vielen&comma; vielen Jahren ein Graf da gewohnt hätte&comma; der sehr reich aber auch sehr geizig gewesen wäre&period; Er hätte seine Untertanen sehr geplagt&comma; keinem armen Menschen ein Almosen gegeben und sei endlich ohne Erben &lpar;weil er aus Geiz sich nicht einmal verheiratet habe&rpar; gestorben&period; Darauf hätten seine nächsten Anverwandten die Erbschaft in Besitz nehmen wollen&comma; hätten aber nicht das geringste Geld gefunden&period; Man behaupte daher&comma; er müsse den Schatz vergraben haben und dieser möge heute noch in dem alten Schloß verborgen liegen&period; Schon viele Menschen wären des Schatzes wegen in die alte Burg gegangen&comma; aber keiner wäre wieder zum Vorschein gekommen&period; Daher habe die Obrigkeit den Eintritt in dies alte Schloß untersagt und alle Menschen im ganzen Lande ernstlich davor gewarnt&period; — Der Musikant hatte aufmerksam zugehört&comma; und als der Pachter seinen Bericht geendigt hatte&comma; äußerte er&comma; daß er großes Verlangen habe&comma; auch einmal hineinzugehen&comma; denn er sei beherzt und kenne keine Furcht&period; Der Pachter bat ihn aufs dringendste und endlich schier fußfällig&comma; doch ja sein junges Leben zu schonen und nicht in das Schloß zu gehen&period; Aber es half kein Bitten und Flehen&comma; der Musikant war unerschütterlich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Zwei Knechte des Pachters mußten ein Paar Laternen anzünden und den beherzten Musikanten bis an das alte Schloß begleiten&period; Dann schickte er sie mit einer Laterne wieder zurück&comma; er aber nahm die zweite in die Hand und stieg mutig eine hohe Treppe hinan&period; Als er diese erstiegen hatte&comma; kam er in einen großen Saal&comma; um den ringsherum Türen waren&period; Er öffnet die erste und ging hinein&comma; setzte sich an einen darin befindlichen altväterischen Tisch&comma; stellte sein Licht darauf und spielte Flöte&period; Der Pachter aber konnte die ganze Nacht vor lauter Sorgen nicht schlafen und sah öfters zum Fenster hinaus&period; Er freute sich jedesmal unaussprechlich&comma; wenn er drüben den Gast noch musizieren hörte&period; Doch als seine Wanduhr elf schlug und das Flötenspiel verstummte erschrak er heftig und glaubte nun nicht anders&comma; als der Geist oder der Teufel&comma; oder wer sonst in diesem Schlosse hauste&comma; habe dem schönen Burschen nun ganz gewiß den Hals umgedreht&period; Doch der Musikant hatte ohne Furcht sein Flötenspiel abgewartet und gepflegt&semi; als aber sich endlich Hunger bei ihm regte&comma; weil er nicht viel bei dem Pachter gegessen hatte&comma; so ging er in dem Zimmer auf und nieder und sah sich um&period; Da erblickte er einen Topf voll ungekochter Linsen stehen&comma; auf einem andern Tische stand ein Gefäß voll Wasser&comma; eines voll Salz und eine Flasche Wein&period; Er goß geschwind Wasser über die Linsen&comma; tat Salz daran&comma; machte Feuer in dem Ofen&comma; weil auch schon Holz dabei lag&comma; und kochte sich eine Linsensuppe&period; Während die Linsen kochten&comma; trank er die Flasche Wein leer&comma; und dann spielte er wieder Flöte&period; Als die Linsen gekocht waren&comma; rückte er sie vom Feuer&comma; schüttete sie in die auf dem Tische schon bereitstehende Schüssel und aß frisch darauf los&period; Jetzt sah er nach seiner Uhr&comma; und es war um die elfte Stunde&period;&nbsp&semi;Da ging plötzlich die Tür auf&comma; zwei lange schwarze Männer traten herein und trugen eine Totenbahre&comma; auf der ein Sarg stand&period; Diese stellten sie&comma; ohne ein Wort zu sagen&comma; vor den Musikanten&comma; der sich keineswegs im Essen stören ließ&comma; und gingen ebenso lautlos&comma; wie sie gekommen waren&comma; wieder zur Tür hinaus&period; Als sie sich nun entfernt hatten&comma; stand der Musikant hastig auf und öffnete den Sarg&period; Ein altes Männchen&comma; klein und verhutzelt&comma; mit grauen Haaren und grauem Barte&comma; lag darinnen&semi; aber der Bursche fürchtete sich nicht&comma; nahm es heraus&comma; setzte es an den Ofen&comma; und kaum schien es gewärmt zu sein&comma; als sich schon Leben in ihm regte&period; Er gab ihm hierauf Linsen zu essen und war ganz mit dem Männchen beschäftigt&comma; ja fütterte es wie eine Mutter ihr Kind&period; Da wurde das Männchen ganz lebhaft und sprach zu ihm&colon; „Folge mir&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Das Männchen zog voraus&comma; der Bursche aber nahm seine Laterne und folgte ihm sonder Zagen&period; Es führte ihn nun eine hohe&comma; verfallene Treppe hinab&comma; und so gelangten endlich beide in ein tiefes&comma; schauerliches Gewölbe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Hier lag ein großer Haufen Geld&period; Da gebot das Männchen dem Burschen&colon; „Diesen Haufen teile mir in zwei ganz gleiche Teile&comma; aber daß nichts übrig bleibt&comma; sonst bringe ich dich ums Leben&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Der Bursche lächelte bloß&comma; fing sogleich an zu zählen&comma; auf zwei große Tische herüber und hinüber&comma; und brachte so das Geld in kurzer Zeit in zwei gleiche Teile&comma; doch zuletzt — war noch ein Kreuzer übrig&period; Der Musikant aber besann sich kurz&comma; nahm sein Taschenmesser heraus&comma; setzte es mit der Schneide auf den Kreuzer und schlug ihn mit einem dabeiliegenden Hammer entzwei&period; Als er nun die eine Hälfte auf diesen&comma; die andere auf jenen Haufen warf&comma; wurde das Männchen ganz heiter und sprach&colon; „Du himmlischer Mann&comma; du hast mich erlöst&excl; Schon hundert Jahre muß ich meinen Schatz bewachen&comma; den ich aus Geiz zusammengescharrt habe&comma; bis es einem gelingen würde&comma; das Geld in zwei gleiche Teile zu teilen&period; Noch nie ist es einem gelungen&comma; und ich habe sie alle erwürgen müssen&period; Der eine Haufen Geld ist nun dein&comma; den andern aber teile unter die Armen&period; Göttlicher Mensch&comma; du hast mich erlöst&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Darauf verschwand das Männchen&period; Der Bursche aber stieg die Treppe hinan und spielte in seinem Zimmer lustige Stücklein auf seiner Flöte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da freute sich der Pachter&comma; daß er ihn wieder spielen hörte&comma; und mit dem frühesten Morgen eilte er auf das Schloß &lpar;denn am Tage durfte jedermann hinein&rpar; und begrüßte den Burschen voller Freude&period; Dieser erzählte ihm die Geschichte&comma; dann ging er hinunter zu seinem Schatz&comma; tat&comma; wie ihm das Männchen befohlen hatte&comma; und verteilte die Hälfte unter die Armen&period; Das alte Schloß aber ließ er niederreißen&comma; und bald stand an der vorigen Stelle ein neues&comma; wo nun der Musikant als reicher Mann wohnte&period;<&sol;p>