Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen-Sammlung
(Ludwig Bechstein, empfohlenes Alter: 8 - 11 Jahre)

Der fette Lollus und der magere Lollus

<p>Es starb ein reicher Mann&comma; welcher zwei Söhne hinterließ und ein hübsches Vermögen und Erbe&period; Der eine der Söhne erwählte den geistlichen&comma; und zwar den Mönchs-Stand&comma; der zweite einen sehr weltlichen&comma; er wurde ein Gastgeber&comma; das heißt er gab seinen Gästen so wenig als möglich und nahm dafür von ihnen so viel als möglich&period; Er heiratete nach Geld und strebte fort und fort nach Geld&period; Von seinem Bruder borgte er dessen Erbanteil ab&comma; da dieser als Mönch keines Geldes bedurfte&comma; und wucherte damit&comma; aber nicht zu des Bruders sondern zu seinem eigenen Nutzen&period;&nbsp&semi;Seine Biermaße waren falsch&comma; und seine Weinflaschen ließ er auf der Glashütte so klein blasen&comma; daß man beim Anblick einer ganzen Flasche sehr in Zweifel geriet&comma; ob es nicht eine halbe sei&comma; und seine halben Flaschen schienen alle nach der schlanken Körperbildung eines Bleistiftes hinzustreben&semi; daher hießen sie auch bei den Gästen dieses Wirtes nie anders als Stifte&period; Wenn der Stallknecht dem Pferde eines Reisenden Hafer vorgeschüttet hatte&comma; so trat der Wirt&comma; wenn er sich unbemerkt glaubte&comma; an die Krippe&comma; kripste ganze Hände voll Hafer wieder dem armen Tiere vor dem Maule weg und schob ihn in seine Tasche&period; Er sagte sich&comma; deshalb heiße die Krippe so&comma; weil man aus ihr kripsen könne&period; Es war ein durchtriebener Schalk&comma; dieser Wirt&comma; und an ihm lag es nicht&comma; daß er nicht recht reich wurde&comma; denn Anlagen dazu hatte er&period; Aber das Bibelwort sagt nicht vergebens&colon; „Die da reich werden wollen&comma; fallen in Versuchung und Stricke&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Des Wirtes Tun brachte nicht Segen&period; Was half es ihm&comma; wenn er fremden Pferden von deren Futter ein paar Hände voll Hafer stahl — und eins seiner eigenen Pferde zugrunde ging&quest; Wenn er durch sein zu knappes Maß nach und nach ein wenig Wein langsam gewann&comma; und durch Nachlässigkeit seiner Leute&comma; die er ohne Aufsicht ließ&comma; ihm ein ganzes Faß in den Keller lief&quest; Er kam nicht vorwärts&comma; dieser betriebsame Wirt&comma; sondern er kam zurück in allen Dingen&comma; nur nicht von seiner Prellerei und Habsucht&semi; diese trieb er immer ärger und ärger&comma; bis die Gäste wegblieben und das Weinstüblein leer stand&comma; der Bratofen kalt blieb und der Schornstein sich das Rauchen abgewöhnte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als es so weit schon mit dem Krebsgange dieses Wirtes gediehen war&comma; schlug ihm ein neuer Schrecken in die Glieder&semi; sein Bruder&comma; der fromme Mönch&comma; kam und sprach zu ihm&colon; „Lieber Bruder&comma; gib mir das dir geliehene Kapital heraus&comma; ich habe meinem heiligen Schutzpatrone in unserer Klosterkirche einen kostbaren Altar mit herrlicher Malerei&comma; Schnitzwerk und Vergoldung gelobt&semi; den will ich davon herstellen&comma; und was übrig bleibt&comma; wenn etwas übrig bleibt&comma; davon will ich Seelenmessen für unsere lieben Eltern&comma; für dich und mich auf ewige Zeiten stiften&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Großer Gott&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; schrie der Wirt&comma; „Bruder&comma; wie kannst du so unsinnig handeln&excl; Ich kann dir dein Geld jetzt nicht herausgeben&comma; denn ich habe es nicht&comma; — ich bin zugrunde gerichtet&comma; und wenn du auf der Zahlung bestehst&comma; so wird mir Haus und Hof über dem Kopfe verkauft&comma; ich muß mit Weib und Kindern betteln gehen&comma; und du bekommst erst recht nichts&comma; und dein heiliger Schutzpatron bekommt auch keinen neuen Altar&period; Höre mich an und sei vernünftig&comma; mein lieber&comma; gottseliger Bruder&excl; Laß mir noch das Geld&comma; gönne mir Zeit&comma; mich zu erholen&excl; Du weißt&comma; wir haben eine schlimme Zeit durchgemacht&comma; in welcher niemand auf einen grünen Zweig hat kommen können&comma; außer die Bauern&semi; die haben ihr Schäfchen geschoren und lachen uns jetzt aus&period; Dein Heiliger ist gewiß ein edeldenkender Menschenfreund gewesen&comma; und hat er einige Jahrhunderte in deiner Klosterkirche keinen Prachtaltar gehabt&comma; so wird es ihm darauf auch nicht ankommen&comma; einige Jahre früher oder später einen solchen zu erhalten&period; Gott der Herr weiß&comma; daß ich mir es gehörig sauer werden lasse — ich plage mich über alle Maßen&comma; Geld zu erschwingen — aber es geht nicht — ich komme zu nichts&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Das höre ich sehr ungern von dir&comma; lieber Bruder&OpenCurlyDoubleQuote;&comma; sprach mit Teilnahme der Mönch&period; „Du hast den schlechtesten Gast in dein Gasthaus aufgenommen&comma; den es geben kann&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Wer wäre das&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte der Wirt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Das ist der fette Lollus&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; entgegnete der Mönch&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Der fette Lollus&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte verwundert der Wirt&period; „Du scherzest entweder&comma; Bruder&comma; oder du faselst&period; In meinem Fremdenbuche steht kein Gast solchen Namens&comma; und nie hörte ich diesen Namen nennen&comma; wahrlich in meinem ganzen Leben nicht&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Das ist wohl möglich&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Mönch&semi; „dennoch ist dieser schlimme Gast vorhanden&comma; und er ist die alleinige Ursache deines Vermögensverfalles und deines Zurückkommens&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Den möcht’ ich sehen&excl; Ich wollt’ ihn&OpenCurlyDoubleQuote; — fuhr der Wirt auf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Du wirst ihm nicht gleich etwas anhaben&comma; lieber Bruder&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sprach lächelnd der Mönch&semi; „allzulange hast du ihn treulich gehegt und gepflegt&semi; doch sehen sollst du ihn&comma; den fetten Lollus&period; Er befindet sich in deinem Keller&semi; geh mit mir hinunter&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Verwundert nahm der Wirt den Kellerschlüssel und eine Lampe und dachte&colon; „Aha&comma; mein Bruder meint den Wein&semi; er will andeuten&comma; ich sei mein bester Gast selbst&comma; doch da irrt er sich sehr&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Im Keller hieß der Mönch seinen Bruder die Lampe auf ein Faß setzen&comma; daß ihr Strahl in eine leere Ecke fiel&comma; hieß den Wirt hinter sich treten&comma; zog ein kleines&comma; schwarzes Buch hervor und murmelte daraus&comma; gegen die Ecke gekehrt&comma; eine Beschwörungsformel&period; Da wallete der Boden&comma; da hob sich etwas Dickes heraus&comma; da glühten ein paar feurige Augen&comma; und dem Wirte gerann das Blut in den Adern vor Furcht und Grauen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Lölle&comma; gehe ganz herzu&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; rief der Mönch&period; Da hob sich dem dickgeschwollenen Kopfe ein unförmlich dicker Leib nach&comma; und kurze plumpe Füße patschten auf dem Boden des Kellers&comma; und ein unförmiges&comma; scheußliches Tier&comma; dessen Haut so fett und speckig glänzte wie die einer Robbe&comma; hockte in der Ecke&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Schaust du deinen werten Gast&comma; mein Bruder&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte der Mönch zu diesem gewendet&comma; sehr ernst&period; „Ich vermeine&comma; er habe sich in deiner Herberge nicht übel gemästet&excl; Siehst du&comma; Bruder&comma; alle und jede Frucht deines Truges hat nicht dir angeschlagen&comma; sondern diesem Lollus&period; Was du den Fremden und deren Vieh abgezwackt&comma; der hat sich davon genährt&comma; den durch zu kleines Maß und durch zu kleine Flaschen trüglich gewonnenen Wein oder sonstiges Getränke — alles hat der Lollus geschluckt&period; — Unrecht Gut gedeihet nicht&comma; und Untreue schlägt ihren eigenen Herrn&period; Soll sich’s mit dir und deinem Wesen bessern&comma; so übervorteile niemand mehr&comma; betrüge niemand&comma; übernimm niemand&period; Fordere&comma; was recht ist&semi; denn was recht ist&comma; lobt Gott&period; Halte ehrliches&comma; gerechtes Maß und Gewicht&comma; siehe selbst zu deinen Sachen&comma; täglich&comma; stündlich&comma; vom Keller bis zum Kornboden&period; Bediene&comma; soviel du es kannst&comma; selbst deine Gäste&comma; verlasse dich nicht allzuviel auf Ober- und Unterkellner&comma; auf Hausknecht und Stallknecht&comma; auf Koch und Büttner&period; Je mehr du Gesinde hältst&comma; je fetter füttert sich der Lollus&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Nach dieser Vermahnung wurde der Wirt sehr nachdenklich und sagte&colon; „Ich danke dir&comma; mein Bruder&semi; ich will tun nach deinen Worten&comma; die du mir gesagt hast&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Da beschwor der Mönch den Lollus wieder und sagte&colon; „Lölle&comma; kreuch’ ein&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; und schwerfällig kroch der Lollus hinterwärts wieder in die Erde zurück&comma; und die Kellerecke war wieder leer und glatt wie zuvor&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Mein Geld will ich dir noch vier Jahre lassen&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Mönch&semi; „dann aber muß meinem Heiligen Wort gehalten werden&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Darauf schied er von seinem Bruder hinweg&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Wirt befolgte mit Eifer seines Bruders treuen Rat&comma; änderte seine Wirtschaft ganz und gar&comma; richtete alles besser ein&comma; sparte am rechten Orte&comma; veruntreute aber nichts mehr&period; Seine Frau mußte in der Küche selbst zum rechten sehen&comma; was sie früher nicht getan&semi; richtiges Gemäß wurde hergestellt&comma; auf der Glashütte wurden gerechte und vollkommene Weinflaschen geblasen&comma; und die kleinen Zwergflaschen verschwanden&period; Dafür stellten sich die verschwundenen Gäste wieder ein&comma; der Bratofen wurde nicht mehr kalt&comma; und der Schornstein rauchte wieder schier Tag und Nacht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Des Wirtes ganzes Wesen besserte sich in jeder Weise&semi; sein Wohlstand nahm mit seiner Rechtlichkeit sichtbarlich zu&semi; sein guter Ruf und der seines Hauses breitete sich weit aus&comma; und die Gastwirte in den Nachbarstädten begannen ihn zu beneiden&semi; denn die Reisenden fuhren lieber noch ein paar Stunden in die Nacht hinein&comma; um nur in das gute Gasthaus zu gelangen&comma; und nicht selten war dieses so von Gästen überfüllt&comma; daß der fröhliche Wirt dennoch eine traurige Miene annehmen und die überzähligen Gaste abweisen mußte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als nach dem Ablauf von vier Jahren der Mönch&comma; des Wirtes Bruder&comma; wiederkam&comma; seinen Erbanteil zu begehren&comma; empfing ihn der Wirt auf das freundlichste&comma; setzte ihm ein herrliches Weinchen von der schönsten Farbe vor und allerlei schmackhaftes Backwerk&comma; süße Kuchen und dergleichen&comma; und legte ihm starke Geldrollen auf den Tisch&comma; indem er sagte&colon; „Hier&comma; mein lieber Bruder&comma; ist mit meinem besten Dank dein Kapital samt allen Zinsen&comma; redlich berechnet bei Heller und Pfennig&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Der Mönch aber sagte&colon; „Lieber Bruder&comma; die Zinsen nehme ich nicht&semi; solches ziemet mir nicht nur nicht als einem Priester&comma; sondern es stehet auch geschrieben&colon; Du sollst nicht Wucher nehmen von deinem Bruder&period; Aber ich freue mich&comma; daß du des fetten Lollus ledig bist und hast nur noch den magern&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„So&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Wirt&period; „Wohnt der auch im Keller&quest; Den möcht’ ich auch sehen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Den sollst du sehen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; antwortete der Mönch&comma; hieß den Wirt voran in den Keller gehen und hob drunten seine Beschwörung wieder an&period; Da bewegte sich ganz langsam hinten in der Ecke die Erde&comma; und allmählich lugte ein schmales Köpfchen heraus mit ganz matten Augen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Lölle&comma; gehe ganz herzu&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sprach der Mönch&period; Da wand sich der Lollus matt und mühsam aus dem Boden und erschien äußerst abgemagert&semi; seine Haut glänzte nicht mehr wie Speckschwarte&comma; sondern war verrumpfelt und verschrumpfelt wie eine Baumrinde und sah äußerst hinfällig aus&period; „Nun ist’s gut&comma; das freut mich&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sprach der Mönch&period; „Lölle&comma; kreuch ein&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; — Da kroch der Lollus wieder hinterwärts&comma; aber ganz langsam&comma; in den Kellerboden zurück&comma; und in der Ecke war nichts zu sehen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Hab’ acht&comma; Bruder&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Mönch&semi; „wenn du bleibst&comma; wie du jetzt bist&comma; so hält es der Lollus kein Vierteljahr mehr bei dir aus&period; Entweder er verkommt&comma; oder er geht ein Haus weiter und sucht sich einen Herrn&comma; der ihn besser nährt als du&period;&OpenCurlyDoubleQuote; — Dieses Trostes war der Wirt über alle Maßen froh und segnete seines weisen Bruders Rat tausendfach&period;<&sol;p>