Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Märchen-Sammlung
(Ludwig Bechstein, empfohlenes Alter: 8 - 11 Jahre)

Der kleine Däumling

<p>Es war einmal ein armer Korbmacher&comma; der hatte mit seiner Frau sieben Jungen&comma; da war immer einer kleiner als der andere&comma; und der jüngste war bei seiner Geburt nicht viel über Fingers Länge&comma; daher nannte man ihn Däumling&period; Zwar ist er hernach noch etwas gewachsen&comma; doch nicht gar zu sehr&comma; und den Namen Däumling hat er behalten&period; Doch war es ein gar kluger und pfiffiger kleiner Knirps&comma; der an Gewandtheit und Schlauheit seine Brüder in den Sack steckte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Den Eltern ging es erst gar übel&comma; denn Korbmachen und Strohflechten ist keine so nahrhafte Profession wie Semmelbacken und Kälberschlachten&comma; und als vollends eine teure Zeit kam&comma; wurde dem Korbmacher und seiner Frau himmelangst&comma; wie sie ihre sieben Würmer satt machen sollten&comma; die alle mit äußerst gutem Appetit gesegnet waren&period; Da beratschlagten eines Abends&comma; als die Kinder zu Bette waren&comma; die beiden Eltern miteinander&comma; was sie anfangen wollten und wurden Rates&comma; die Kinder mit in den Wald zu nehmen&comma; wo die Weiden wachsen&comma; aus denen man Körbe flicht&comma; und sie heimlich zu verlassen&period; Das alles hörte der Däumling an&comma; der nicht schlief wie seine Brüder&comma; und schrieb sich der Eltern übeln Ratschlag hinter die Ohren&period; Simulierte auch die ganze Nacht&comma; da er vor Sorge doch kein Auge zutun konnte&comma; wie er es machen sollte&comma; sich und seinen Brüdern zu helfen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Frühmorgens lief der Däumling an den Bach&comma; suchte die kleinen Taschen voll weißer Kiesel und ging wieder heim&period; Seinen Brüdern sagte er von dem&comma; was er erhorcht hatte&comma; kein Sterbenswörtchen&period; Nun machten sich die Eltern auf in den Wald&comma; hießen die Kinder folgen&comma; und der Däumling ließ ein Kieselsteinchen nach dem andern auf den Weg fallen&period; Das sah niemand&comma; weil er als der jüngste&comma; kleinste und schwächste stets hintennach trottete&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Im Walde machten sich die Alten unvermerkt von den Kindern fort&comma; und auf einmal waren sie weg&period; Als das die Kinder merkten&comma; erhoben sie allzumal&comma; Däumling ausgenommen&comma; ein Zetergeschrei&period; Däumling lachte und sprach zu seinen Brüdern&colon; „Heult und schreit nicht so jämmerlich&excl; Wollen den Weg schon allein finden&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Und nun ging Däumling voran und nicht hinterdrein&comma; richtete sich genau nach den weißen Kieselsteinchen und fand auch den Weg ohne alle Mühe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als die Eltern heimkamen&comma; bescherte ihnen Gott Geld ins Haus&semi; eine alte Schuld&comma; auf die sie nicht mehr gehofft hatten&comma; wurde von einem Nachbar an sie abbezahlt&comma; und nun wurden Eßwaren gekauft&comma; daß sich der Tisch bog&period; Aber nun kam auch das Reuelein&comma; daß die Kinder verstoßen worden waren&comma; und die Frau begann erbärmlich zu lamentieren&colon; „Ach&comma; du lieber&comma; allerliebster Gott&excl; Wenn wir doch die Kinder nicht im Wald gelassen hätten&excl; Ach&comma; jetzt könnten sie sich dicksatt essen&comma; und so haben die Wölfe sie vielleicht schon im Magen&excl; Ach&comma; wären nur unsre liebsten Kinder da&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; — „Mutter&comma; da sind wir ja&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sprach ganz geruhig der kleine Däumling&comma; der bereits mit seinen Brüdern vor der Türe angelangt war und die Wehklage gehört hatte&comma; öffnete die Tür&comma; und herein trippelten die kleinen Korbmacher — eins&comma; zwei&comma; drei&comma; vier&comma; fünf&comma; sechs&comma; sieben&period; Ihren guten Appetit hatten sie wieder mitgebracht&comma; und daß der Tisch so reichlich gedeckt war&comma; das war ihnen ein gefundenes Essen&period; Die Herrlichkeit war groß&comma; daß die Kinder wieder da waren&comma; und es wurde&comma; so lange das Geld reichte&comma; in Freuden gelebt&comma; wie es armer Handarbeiter Gewohnheit&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nicht gar lange währte es&comma; so war in des Korbmachers Hütte Schmalhans wieder Küchenmeister&comma; und ein Kellermeister mangelte ohnedem&comma; und es erwachte aufs neue der Vorsatz&comma; die Kinder im Walde ihrem Schicksal zu überlassen&period; Da der Plan wieder als lautes Abendgespräch zwischen Vater und Mutter verhandelt wurde&comma; so hörte auch der kleine Däumling alles&comma; das ganze Gespräch&comma; Wort für Wort und nahm sich’s zu Herzen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Am andern Morgen wollte Däumling aus dem Häuschen schlüpfen&comma; Kieselsteine aufzulesen&comma; aber o weh&comma; da war’s verriegelt&comma; und Däumling war viel zu klein&comma; als daß er den Riegel hätte erreichen können&semi; da gedachte er sich anders zu helfen&period; Wie es fort ging zum Walde&comma; steckte Däumling Brot ein und streute davon Krümchen auf den Weg&comma; um ihn dadurch wieder zu finden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Alles begab sich wie das erstemal&comma; nur mit dem Unterschied&comma; daß Däumling den Heimweg nicht fand&comma; dieweil die Vögel alle Krümchen rein aufgefressen hatten&period; Nun war guter Rat teuer&comma; und die Brüder machten ein Geheul&comma; daß es zum Steinerbarmen war&period; Dabei tappten sie durch den Wald&comma; bis es ganz finster wurde&comma; und fürchteten sich über die Maßen&comma; bis auf Däumling&comma; der schrie nicht und fürchtete sich nicht&period; Unter dem schirmenden Laubdach eines Baumes&comma; auf weichem Moos schliefen die sieben Brüder&comma; und als es Tag war&comma; stieg Däumling auf einen Baum&comma; die Gegend zu erkunden&period; Erst sah er nichts als eitel Waldbäume&comma; dann aber entdeckte er das Dach eines kleinen Häuschens&comma; merkte sich die Richtung&comma; rutschte vom Baume herab und ging seinen Brüdern tapfer voran&period; Nach manchem Kampf mit Dickicht&comma; Dornen und Disteln sahen alle das Häuschen durch die Büsche blicken und schritten guten Mutes darauf los&comma; klopften auch ganz bescheidentlich an der Türe an&period; Da trat eine Frau heraus&comma; und Däumling bat gar schön&comma; sie doch einzulassen&comma; sie hätten sich verirrt und wüßten nicht wohin&quest; Die Frau sagte&colon; „Ach&comma; ihr armen Kinder&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; und ließ den Däumling mit seinen Brüdern eintreten&comma; sagte ihnen aber auch gleich daß sie im Hause des Menschenfressers wären&comma; der besonders gern die kleinen Kinder fräße&period; Das war eine schöne Zuversicht&excl; Die Kinder zitterten wie Espenlaub&comma; als sie dieses hörten&comma; hätten gern lieber selbst zu essen gehabt und sollten nun statt dessen gegessen werden&period; Doch die Frau war gut und mitleidig&comma; verbarg die Kinder und gab ihnen auch etwas zu beißen&period; Bald darauf hörte man Tritte&comma; und es klopfte stark an die Türe&semi; das war kein andrer als der heimkehrende Menschenfresser&period; Er setzte sich an den Tisch zur Mahlzeit&comma; ließ Wein auftragen und schnüffelte&comma; als wenn er etwas röche&comma; dann rief er seiner Frau zu&colon; „Ich witt’re Menschenfleisch&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Die Frau wollte es ihm ausreden&comma; aber er ging seinem Geruch nach und fand die Kinder&period; Die waren halbtot vor Entsetzen&period; Schon wetzte er sein langes Messer&comma; die Kinder zu schlachten&comma; und nur allmählich gab er den Bitten seiner Frau nach&comma; sie noch ein wenig am Leben zu lassen und aufzufüttern&comma; weil sie doch gar zu dürr seien&comma; besonders der kleine Däumling&period; So ließ der böse Mann und Kinderfresser sich endlich beschwichtigen&period; Die Kinder wurden zu Bette gebracht&comma; und zwar in derselben Kammer&comma; wo ebenfalls in einem großen Bette Menschenfressers sieben Töchterlein schliefen&comma; die so alt waren wie die sieben Brüder&period; Sie waren von Angesicht sehr häßlich&comma; jede hatte aber ein goldenes Krönlein auf dem Haupte&period; Das alles war der Däumling gewahr worden&comma; machte sich ganz still aus dem Bette&comma; nahm seine und seiner Brüder Nachtmützen&comma; setzte diese Menschenfressers Töchtern auf und deren Krönlein sich und seinen Brüdern&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Menschenfresser trank vielen Wein&comma; und da kam ihn seine böse Lust wieder an&comma; die Kinder zu morden&comma; nahm sein Messer und schlich sich in die Schlafkammer&comma; wo sie schliefen&comma; willens&comma; ihnen die Hälse abzuschneiden&period; Es war aber stockdunkel in der Kammer&comma; der Menschenfresser tappte blind umher&comma; bis er an ein Bett stieß&comma; und fühlte nach den Köpfen der darin Schlafenden&period; Da fühlte er die Krönchen und sprach&period; „Halt da&excl; Das sind deine Töchter&period; Bald hättest du betrunkenes Schaf einen Eselsstreich gemacht&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun tappelte er nach dem andern Bette&comma; fühlte da die Nachtmützen und schnitt seinen sieben Töchtern die Hälse ab&comma; einer nach der andern&period; Dann legte er sich nieder und schlief seinen Rausch aus&period; Wie der Däumling ihn schnarchen hörte&comma; weckte er seine Brüder&comma; schlich sich mit ihnen aus dem Hause und suchte das Weite&period; Aber wie sehr sie auch eilten&comma; so wußten sie doch weder Weg noch Steg und liefen in der Irre herum voll Angst und Sorge&comma; nach wie vor&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als der Morgen kam&comma; erwachte der Menschenfresser und sprach zu seiner Frau&colon; „Geh und richte die Krabben zu&comma; die gestrigen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Sie meinte&comma; sie sollte die Kinder aufwecken und ging voll Angst um sie hinauf in die Kammer&period; Welch ein Schrecken für die Frau&comma; als sie nun sah&comma; was geschehen war&semi; sie fiel gleich in Ohnmacht über den schrecklichen Anblick&comma; den sie hatte&period; Als sie nun dem Menschenfresser zu lange blieb&comma; ging er selbst hinauf&comma; und da sah er&comma; was er angerichtet&period; Die Wut&comma; in die er geriet&comma; ist nicht zu beschreiben&period; Schnell zog er die Siebenmeilenstiefel an&comma; die er hatte&comma; das waren Stiefel&comma; wenn man damit sieben Schritte tat&comma; so war man eine Meile gegangen&comma; das war nichts Kleines&period; Nicht lange&comma; so sahen die sieben Brüder ihn von weitem über Berg und Täler schreiten und waren sehr in Sorgen&comma; doch Däumling versteckte sich mit ihnen in die Höhlung eines großen Felsens&period; Als der Menschenfresser an diesen Felsen kam&comma; setzte er sich darauf&comma; um ein wenig zu ruhen&comma; weil er müde geworden war&comma; und bald schlief er ein und schnarchte&comma; daß es war&comma; als brause ein Sturmwind&period; Wie der Menschenfresser so schlief und schnarchte&comma; schlich sich Däumling hervor&comma; wie ein Mäuschen aus seinem Loch&comma; zog ihm die Meilenstiefeln aus und zog sie selber an&period; Zum Glück hatten die Stiefel die Eigenschaft&comma; an jeden Fuß zu passen wie angemessen und angegossen&period; Nun nahm er an jede Hand einen seiner Brüder&comma; diese faßten wieder einander an den Händen&comma; und so ging es&comma; hast du nicht gesehen&comma; mit Siebenmeilenstiefelschritten nach Hause&period; Da waren sie alle willkommen&period; Däumling empfahl seinen Eltern&comma; ein sorglich Auge auf die Brüder zu haben&comma; er wolle nun mit Hilfe der Stiefel selbst für sein Fortkommen sorgen&comma; und als er das kaum gesagt&comma; so tat er einen Schritt und war schon weit fort&comma; noch einen&comma; und er stand über eine halbe Stunde auf einem Berge&comma; noch einen&comma; und er war den Eltern und Brüdern aus den Augen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nach der Hand hat der Däumling mit seinen Stiefeln sein Glück gemacht und viele große und weite Reisen&comma; hat vielen Herren gedient&comma; und wenn es ihm wo nicht gefallen hat&comma; ist er spornstreichs weiter gegangen&period; Kein Verfolger zu Fuß noch zu Pferd konnte ihn einholen&comma; und seine Abenteuer&comma; die er mit Hilfe der Stiefel bestand&comma; sind nicht zu beschreiben&period;<&sol;p>