Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Die Abenteuer Tom Sawyers
(Mark Twain, 1876, empfohlenes Alter: 12 - 13 Jahre)

15. Kapitel

<p>Wenige Minuten später befand sich Tom im seichten Wasser der Sandbank&comma; der Illinois-Küste zuwatend&period; Bevor ihm die Flut bis zur Hälfte des Körpers reichte&comma; war er schon halb drüben&period; Die Strömung erlaubte jetzt kein Waten mehr&semi; so machte er sich zuversichtlich daran&comma; die letzten hundert Meter schwimmend zurückzulegen&period; Er schwamm querüber&comma; aber bald wurde er stärker stromabwärts getrieben&comma; als er gedacht hatte&period; Indessen&comma; er erreichte die Küste schließlich&comma; trieb an ihr entlang und fand eine niedrige Stelle&comma; wo er hinauskletterte&period; Er legte die Hand auf die Tasche&comma; fand&comma; daß seine Baumrinde darin wohlgeborgen sei und schlug sich dann mit triefenden Kleidern durch den Wald&comma; der Küste folgend&period; Kurz vor 10 Uhr kam er auf einen freien Platz dem Dorfe gegenüber und erblickte das Dampfboot im Schatten der Bäume und des hohen Ufers liegend&period; Alles war totenstill unter den funkelnden Sternen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Er kroch unter einen Ufervorsprung&comma; tauchte ins Wasser&comma; tat schwimmend drei oder vier Stöße und kletterte in das Boot&comma; welches&comma; wie es sich gehörte&comma; am Stern des Dampfbootes befestigt war&period; Er legte sich unter die Bank und wartete mit Herzklopfen&period; Plötzlich schlug die blecherne Glocke an&comma; und eine Stimme gab Befehl&comma; abzustoßen&period; Ein paar Minuten später wurde die Spitze des Bootes vom Dampfer stark angezogen&comma; und die Reise hatte begonnen&period; Tom fühlte sich erhoben durch seinen Erfolg — er wußte&comma; daß es die letzte Fahrt sei&comma; die das Boot an diesem Abend machte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nach langen zwölf bis fünfzehn Minuten stoppte das Fahrzeug&comma; und Tom glitt über Bord und schwamm im Dunkeln dem Ufer zu&semi; er landete fünfzig Meter unterhalb — zur Sicherheit vor etwaigen herumstreichenden Bekannten&period; Er lief durch wenig belebte Straßen und befand sich bald am hinteren Zaun seiner Tante&period; Er kletterte hinüber&comma; näherte sich behutsam dem Haus und spähte durch das Wohnzimmerfenster&comma; da er dort Licht sah&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da saßen Tante Polly&comma; Sid&comma; Mary und Joe Harpers Mutter&comma; dicht zusammengedrängt&comma; eifrig schwatzend&period; Sie saßen am Bett&comma; und dieses stand zwischen ihnen und der Tür&period; Tom schlich vorsichtig zur Tür und begann vorsichtig den Drücker zu drücken&period; Dann drückte er kräftiger&comma; und die Tür knarrte&period; Er setzte seine Tätigkeit fort und hielt jedesmal inne&comma; sobald es knarrte&comma; bis er glaubte&comma; auf den Knien durchkriechen zu können&period; Und so steckte er den Kopf hinein&comma; und versuchte es vorsichtig&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Warum flackert das Licht so&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte Tante Polly&period; Tom beeilte sich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ich glaub gar&comma; die Tür ist offen&excl; Wahrhaftig&comma; sie ist offen&excl; Hören denn die Gespenstergeschichten heut gar nicht auf&excl; Geh&OpenCurlyQuote; hin und mach sie zu&comma; Sid&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Im selben Moment verschwand Tom unterm Bett&period; Er lag und verschnaufte &OpenCurlyQuote;ne Zeitlang&comma; und dann kroch er so weit vor&comma; daß er Tante Pollys Füße fast berühren konnte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Aber&comma; wie ich sagte&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; fing Tante Polly wieder an&comma; „er war nicht <em>schlecht<&sol;em>&comma; nur — wie soll ich sagen — gerissen&excl; Nur ein bißchen unbesonnen&comma; wissen Sie&comma; und gedankenlos-flüchtig&period; Er dachte nie mehr nach als ein Füllen&period; Bös meint&OpenCurlyQuote; er&OpenCurlyQuote;s <em>nie<&sol;em>&comma; er war der gutherzigste Junge&comma; der jemals dagewesen ist&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; und sie begann zu weinen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Grad&OpenCurlyQuote; so war&OpenCurlyQuote;s mit meinem Joe — immer voll von Dummheiten und zu jedem Unfug aufgelegt&semi; und so selbstlos und gutmütig&comma; wie nur einer sein kann — und es schmerzt mich schrecklich&comma; zu denken&comma; daß ich hingehen konnte und ihm eine runterhauen&comma; weil er die Milch genommen haben sollte&comma; und nicht daran dachte&comma; daß ich sie als sauer selbst fortgegossen hatte — und ich soll ihn nie wiedersehen in dieser Welt&comma; nie&comma; nie&comma; nie — armer verlassener Junge&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Mrs&period; Harper schluchzte&comma; als solle ihr das Herz brechen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ich hoffe&comma; Tom ist besser dran&comma; <em>wo<&sol;em> er ist&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte Sid&comma; „aber wenn er in manchen Dingen <em>hier<&sol;em> besser gewesen wäre —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Sid&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Tom fühlte ordentlich den strengen Blick aus den Augen der alten Dame&comma; obwohl er sie nicht sehen konnte&period; „Nicht ein Wort gegen meinen Tom&comma; nun er fort ist&excl; Gott wird sich <em>seiner<&sol;em> annehmen&comma; sorg <em>du<&sol;em> nur für dich selbst&comma; mein Lieber&period; O&comma; Mrs&period; Harper&comma; ich weiß nicht&comma; wie ich&OpenCurlyQuote;s ohne ihn aushalten soll — ich weiß nicht&comma; wie ich&OpenCurlyQuote;s ohne ihn aushalten soll&excl; Er war so anhänglich an mich — obwohl er mein altes Herz zuweilen fast gebrochen hätte&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Der Herr hat&OpenCurlyQuote;s gegeben&comma; der Herr hat&OpenCurlyQuote;s genommen&comma; der Name des Herrn sei gelobt&excl; Aber &OpenCurlyQuote;s ist so hart — o&comma; &OpenCurlyQuote;s ist <em>so<&sol;em> hart&excl; Noch letzten Samstag ließ Joe einen Schwärmer mir unter der Nase platzen&comma; und ich schlug ihn nieder&period; Damals wußt&OpenCurlyQuote; ich freilich nicht&comma; wie bald — o&comma; wenn ich&OpenCurlyQuote;s noch mal erleben könnte&comma; ich würd&OpenCurlyQuote; ihn dafür umarmen und segnen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja&comma; ja&comma; ich kann&OpenCurlyQuote;s mir denken&comma; was Sie fühlen&comma; Mrs&period; Harper&comma; ganz genau weiß ich&comma; was Sie fühlen&excl; &OpenCurlyQuote;s ist noch nicht länger als gestern abend&comma; da nahm Tom die Katze und füllte sie voll ‚Schmerzenstöter&OpenCurlyQuote;&comma; und ich dachte&comma; das Tier würd&OpenCurlyQuote; das Haus einreißen&excl; Und — Gott verzeih&OpenCurlyQuote; mir — ich gab ihm eins mit dem Fingerhut auf den Kopf — armer Junge&comma; armer toter Junge&excl; Aber er ist jetzt raus aus allen Schmerzen&period; Und die letzten Worte&comma; die ich von ihm gehört habe&comma; waren —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber diese Erinnerung war zu viel für die alte Dame&comma; und sie brach völlig zusammen&period; Tom schluchzte jetzt selbst — mehr aus Mitleid mit sich selbst als mit sonst jemand&period; Er konnte auch Mary weinen und von Zeit zu Zeit ein freundliches Wort über sich sprechen hören&period; Er fing an&comma; eine bessere Meinung als bisher von sich selbst zu haben&period; Schließlich war er durch seiner Tante Kummer so tief ergriffen&comma; daß er drauf und dran war&comma; unter dem Bett hervorzukommen und sie mit seiner Wiederkunft freudig zu überraschen&comma; und der Theatereffekt war ganz nach seinem Geschmack&comma; aber er widerstand doch und verhielt sich still&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Er fuhr fort zu lauschen und setzte sich aus allerhand Andeutungen zusammen&comma; daß man erst angenommen habe&comma; die Burschen seien beim Schwimmen umgekommen&semi; dann wurde das kleine Floß vermißt&semi; dann verkündeten ein paar Jungen&comma; die Ausreißer hätten versprochen&comma; das Dorf solle bald „von ihnen hören&OpenCurlyDoubleQuote;&period; Die weisen Häupter hatten dies und das zusammengereimt und erklärt&comma; die Strolche seien auf diesem Floß davongefahren und würden bald in der nächsten Stadt unterwärts anlangen&period; Aber gegen Mittag war das Floß gefunden worden&comma; ungefähr fünf oder sechs Meilen unterhalb des Dorfes an der Missouriküste&comma; und da hatte man die Hoffnung aufgegeben&semi; sie mußten ertrunken sein&comma; denn sonst hätte der Hunger sie bei Einbruch der Nacht nach Haus getrieben — wenn nicht schon früher&period; Man glaubte&comma; die Suche nach den Leichen sei darum erfolglos geblieben&comma; weil sich das Unglück in der Mitte des Stromes zugetragen habe&comma; denn die Jungen als gute Schwimmer würden sich sonst ans Ufer gerettet haben&period; Das war Mittwoch abend&period; Wenn sie bis Samstag noch nicht gefunden sein würden&comma; müßte man alle Hoffnung aufgeben&comma; und der Trauergottesdienst sollte dann am Sonntag morgen stattfinden&period; Tom schauderte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mrs&period; Harper wünschte mit weinerlicher Stimme „Gute Nacht&OpenCurlyDoubleQuote; und rüstete sich zum Abmarsch&period; Dann&comma; mit plötzlichem Impuls&comma; umarmten sich die beiden verwaisten Frauen&comma; weinten sich nach Herzenslust aus und trennten sich&period; Tante Polly war doppelt zärtlich&comma; indem sie Sid und Mary „Gute Nacht&OpenCurlyDoubleQuote; sagte&period; Sid schluchzte ein bißchen&comma; Mary aber weinte aus Herzensgrund&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Tante Polly kniete nieder und betete für Tom so eindringlich&comma; so leidenschaftlich und mit so grenzenloser Liebe in ihren Worten und ihrer alten&comma; zitternden Stimme&comma; daß er wieder&comma; lange bevor sie zu Ende war&comma; in Tränen zerfloß&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Er mußte noch lange&comma; nachdem sie zu Bett gegangen war&comma; warten&comma; denn von Zeit zu Zeit stieß sie immer noch mal einen herzbrechenden Seufzer aus&comma; warf sich unruhig hin und her und konnte nicht zur Ruhe gelangen&period; Aber schließlich war sie doch still und seufzte nur noch bisweilen im Schlaf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun kroch der Junge hervor&comma; richtete sich am Bett in die Höhe&comma; beschattete das Licht mit der Hand und stand lange&comma; sie betrachtend&period; Sein Herz war voll Mitleid mit ihr&period; Er zog seine Sykomorenrinde hervor und legte sie neben den Leuchter&period; Aber es fiel ihm etwas ein&comma; und er überlegte&period; Auf seinem Gesicht lag der glückliche Widerschein seiner Gedanken&period; Schnell steckte er die Rinde wieder in die Tasche&comma; dann beugte er sich herunter&comma; küßte die welken Lippen und machte sich verstohlen davon&comma; die Tür hinter sich schließend&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Er nahm seinen Weg wieder zum Dampfboot&comma; fand niemand dort vor und begab sich kühn an Bord des Schiffes&comma; welches&comma; wie er wußte&comma; verlassen war — bis auf einen Wächter&comma; der sich darin einzuschließen und zu schlafen pflegte wie ein steinernes Bild&period; Er zog das kleine Boot heran&comma; sprang hinein und schwamm bald wieder draußen auf dem Strom&period; Als er eine Meile vom Dorfe entfernt war&comma; steuerte er querüber und legte sich tüchtig ins Zeug&period; Er erreichte genau die Landungsstelle an der anderen Seite — eine Kleinigkeit für ihn&period; Große Lust hatte er&comma; das Boot zu kapern&comma; denn er meinte&comma; man müsse es doch als „Schiff&OpenCurlyDoubleQuote; betrachten und es sei somit legitime Beute für einen Seeräuber&period; Aber dann sagte er sich&comma; daß genaue Nachforschungen danach angestellt werden würden&comma; und das hätte mit einer Entdeckung enden können&period; So sprang er ans Ufer und drang in den Wald ein&period; Er setzte sich nieder und hielt lange Rast&comma; sich quälend mit Anstrengungen&comma; wach zu bleiben&comma; und dann strebte er wieder seiner „Heimat&OpenCurlyDoubleQuote; zu&period; Die Nacht war fast zu Ende&period; Es war heller Morgen&comma; bis er sich der Insel gegenüber befand&period; Er ruhte wieder&comma; bis die Sonne ganz herauf war und den Fluß mit ihrem Glanz übergoß&comma; und dann sprang er ins Wasser&period; Kurz darauf stand er triefend am Eingang des Lagers und hörte Joe sagen&colon; „Nein&comma; Tom ist treu&comma; Huck&comma; und er wird wiederkommen&period; Er wird <em>nicht<&sol;em> durchbrennen&period; Er weiß&comma; daß es &OpenCurlyQuote;ne Schande für &OpenCurlyQuote;nen Seeräuber wär&comma; und Tom ist zu stolz für so was&period; Er ist auf irgend was aus&period; Möcht&OpenCurlyQuote; aber wohl wissen&comma; was&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Na — die Sachen da gehören doch jetzt uns&comma; nicht&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Beinahe&comma; aber nicht ganz&comma; Huck&period; Das Geschreibsel sagt&comma; sie sind unser Eigentum&comma; wenn er nicht bis zum Frühstück wieder da ist&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Was er <em>ist<&sol;em>&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; rief Tom in theatralischer Pose&comma; großartig ins Lager tretend&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Ein prächtiges Frühstück&comma; aus Schinken und Fisch bestehend&comma; war bald zur Stelle&comma; und während sich die Jungen darüber hermachten&comma; berichtete Tom &lpar;mit vielen Ausschmückungen&rpar; seine Abenteuer&period; Sie waren eine edle&comma; prahlerische Gesellschaft von Helden&comma; als seine Erzählung beendet war&period; Dann machte Tom sich davon an einen schattigen Ort&comma; um bis Mittag zu schlafen&comma; die anderen Piraten brachen auf zu Fischzug und Entdeckungsreisen&period;<&sol;p>

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