Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Die Abenteuer Tom Sawyers
(Mark Twain, 1876, empfohlenes Alter: 12 - 13 Jahre)

4. Kapitel

<p>Die Sonne ging über einer ruhigen Welt auf und schien über das Dorf wie ein Segensspruch&period; Nach dem Frühstück hielt Tante Polly Hausandacht&period; Sie begann mit einem aus den kräftigsten Bibelstellen bestehenden&comma; mit ein bißchen eigenen Gedanken verbrämten Gebet&period; Und von dieser Höhe aus gab sie ein grimmiges Kapitel des mosaischen Gesetzes zum besten — wie vom Sinai herab&period; Danach gürtete Tom&comma; um diesen Ausdruck zu gebrauchen&comma; seine Lenden und machte sich ans Werk&comma; sich seine Bibelverse einzutrichtern&period; Sid hatte die natürlich schon am Tage vorher gelernt&period; Tom brachte es mit Aufbietung aller Energie auf fünf Verse — die er aus der Bergpredigt gewählt hatte&comma; da er keine kürzeren finden konnte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nach einer halben Stunde hatte Tom eine unbestimmte&comma; allgemeine Idee von seiner Lektion&period; Weiter kam er nicht&comma; denn seine Gedanken spazierten durch das ganze Gebiet menschlichen Denkens&comma; und seine Finger hatten allerhand zerstreuende Nebenbeschäftigungen&period; Schließlich nahm Mary sein Buch&comma; um ihn zu überhören&comma; und er machte krampfhafte Anstrengungen&comma; um seinen Weg durch den Nebel zu finden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Selig sind die — ä — ä — ä —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Die da arm sind —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ja — arm sind&semi; selig sind&comma; die da arm sind — ä — ä — ä —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Im Geiste —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Im Geiste&semi; selig sind&comma; die da arm sind im Geiste&comma; denn sie — sie —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ihrer —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Denn ihrer&semi; selig sind&comma; die da arm sind im Geiste&comma; denn ihrer — ist das Himmelsreich&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Selig sind&comma; die da Leid tragen&comma; denn sie — sie — ä — ä —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„So — —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Denn sie s — o —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„S — o — l — l —&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Denn sie soll —&period; Ach was&comma; ich weiß nichts weiter&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Sollen —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ach so&colon; sollen&excl; Denn sie sollen — denn sie sollen — ä —ä — sollen Leid tragen —&comma; denn sie sollen — ä — sollen — was&quest; Warum sagst du mir&OpenCurlyQuote;s nicht&period; Mary&excl; Sei doch nicht so eklig&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ach&comma; Tom&comma; du armer&comma; dickköpfiger Kerl&comma; ich quäl&OpenCurlyQuote; dich ja nicht&period; Das fällt mir gar nicht ein&period; Du mußt dich halt nochmal dahinter setzen&period; Nur nicht mutlos&period; Tom&comma; du wirst es schon zwingen — und wenn du&OpenCurlyQuote;s kannst&comma; Tom&comma; geb ich dir ganz&comma; ganz was Schönes&excl; Na also&comma; sei ein braver Junge&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Meinetwegen&period; — Du&comma; Mary&comma; was ist es denn&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; „Jetzt noch nicht&comma; Tom&period; Wenn ich sage&comma; &OpenCurlyQuote;s ist was Schönes&comma; dann ist&OpenCurlyQuote;s was Schönes&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Da hast du recht&comma; Mary&period; Na also&comma; ich werd&OpenCurlyQuote;s noch mal tun&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Und er machte sich nochmal darüber&period; Und unter dem doppelten Ansporn der Neugier und der Erwartung des Gewinnes machte er sich mit solcher Vehemenz darüber&comma; daß er einen schönen Erfolg hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mary gab ihm ein nagelneues Taschenmesser&comma; zwölf und einen halben Pence mindestens im Wert&semi; ein Schauer des Entzückens fuhr ihm durch die Glieder&period; Es ist wahr&comma; zum Schneiden war das Messer nicht gerade zu brauchen&comma; aber es war ein echtes „Barlow&OpenCurlyDoubleQuote; und von unaussprechlicher Pracht&semi; und wenn unter den Burschen des „Wild-West&OpenCurlyDoubleQuote; die Behauptung aufgestellt worden ist&comma; dieses Messer trage seine Bezeichnung als „Waffe&OpenCurlyDoubleQuote; durchaus zu Unrecht&comma; so ist das eine kolossale Lüge&semi; so ist&OpenCurlyQuote;s&comma; mögen sie sagen&comma; was sie wollen&period; Tom versuchte die Tischkante damit anzuschneiden&comma; und war eben in voller Tätigkeit&comma; als man ihn abrief&comma; um zur Sonntagsschule Staat zu machen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mary gab ihm einen Zinneimer und Seife&comma; und er ging zur Tür hinaus und setzte den Eimer auf eine kleine Bank&semi; dann tauchte er die Seife ins Wasser und legte sie daneben&semi; krempelte sich die Ärmel auf&comma; ließ das Wasser auslaufen&comma; ging in die Küche zurück und begann hinter der Tür sich das Gesicht mit dem Tuch eifrig abzutrocknen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber Mary entriß ihm das Tuch und sagte&colon; „Schämst du dich nicht&comma; Tom&quest; Du sollst nicht immer so schlecht sein&period; Ein bißchen Wasser schadet dir wahrhaftig nicht&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Tom war einen Augenblick in Verwirrung&period; Der Eimer wurde wieder gefüllt&comma; und diesmal blieb er eine Weile darüber gebeugt stehen&comma; Mut sammelnd&period; Ein tiefer Seufzer — und los&excl; Als er dann wieder in die Küche zurückkam&comma; beide Augen geschlossen&comma; und nach dem Tuch griff&comma; tropften Schmutz und Wasser von seinem Gesicht herunter — ein ehrenvolles Zeichen seines Mutes&period; Aber als er hinter dem Tuche wieder auftauchte&comma; sah er durchaus noch nicht einwandfrei aus&semi; das reine Gebiet hörte an Mund und Ohren auf&period; Jenseits dieser Linie breitete sich eine undurchdringlich schwarze Fläche bis in den Nacken aus&period; Mary nahm ihn jetzt in die Mache und als sie mit ihm fertig war&comma; sah er wie ein tadelloser Gentleman aus&comma; fleckenlos und mit hübschen Sonntagslocken in gleichmäßiger Verteilung&period; &lpar;Er selbst haßte diese Locken von Herzen und versuchte&comma; sie auf den Kopf niederzubürsten&semi; denn er hielt Locken für weibisch&comma; und sie erfüllten sein Leben mit Bitterkeit&period;&rpar; Dann kam Mary mit einem Anzuge&comma; den er während zweier Jahre nur an Sonntagen getragen hatte und der allgemein nur als die „anderen Kleider&OpenCurlyDoubleQuote; bezeichnet wurde — woraus man auf den Stand seiner Garderobe schließen kann&period; Das Mädchen schubste ihn noch ein bißchen zurecht&comma; nachdem er sich selbständig angezogen hatte&period; Sie verlieh ihm einen gewissen &lpar;ganz ungewohnten&rpar; Schein von Zierlichkeit&comma; zog den Hemdkragen herunter&comma; bürstete ihn ab und krönte ihn mit seinem farbigen Strohhut&period; So sah er außerordentlich sanftmütig und behaglich aus&period; Und er fühlte sich auch so&period; Sein Widerwillen gegen ganze und saubere Kleider war unverwüstlich&period; Er hoffte&comma; Mary werde wenigstens die Stiefel vergessen&comma; aber diese Hoffnung wurde zunichte&period; Sie bestrich sie&comma; wie es sich gehört&comma; mit Talg und brachte sie ihm&period; Jetzt verlor er die Geduld und sagte&comma; er solle immer tun&comma; was er nicht möchte&period; Aber Mary sagte überredend&colon; „Na&comma; komm&comma; Tom&comma; sei ein braver Bursche&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; So fuhr er brummend in seine Stiefel&period; Mary war bald fertig&comma; und die drei Kinder gingen zur Sonntagsschule&comma; ein Ort&comma; der Tom gründlich verhaßt war&period; Aber Sid und Mary gingen sehr gern hin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Zeit der Sonntagsschule war von neun bis halb zehn Uhr&semi; dann kam der Gottesdienst&period; Zwei der Kinder blieben stets mit Vergnügen zur Predigt da&comma; das dritte blieb auch — ja&comma; aber aus anderen Gründen&period; Die hochlehnigen&comma; schmucken Kirchenstühle konnten über dreihundert Personen fassen&semi; das Gebäude selbst war klein&comma; vollgestopft — mit einer Art fichtenem Kasten als Turm darauf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>An der Tür blieb Tom ein bißchen zurück und hielt einen sonntäglich gekleideten Kameraden an&colon; „Sag&comma; Bill&comma; hast du ein gelbes Billett&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„M — ja&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Was willst du dafür haben&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Was willst du geben&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ein Stück Zuckerstange und einen Angelhaken&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Zeig her&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Tom zeigte seine Tauschobjekte&period; Sie waren befriedigend&comma; und das Geschäft wurde gemacht&period; Dann erhandelte Tom einige blaue und rote Zettel gegen ähnliche Kleinigkeiten&period; Er stellte die anderen Jungen&comma; wie sie ihm in den Weg kamen&comma; und verkaufte&comma; indem er Zettel der verschiedenen Farben dagegen kaufte&period; Dann ging er in die Kirche&comma; inmitten eines Schwarmes geputzter&comma; lärmender Knaben und Mädchen&comma; schlängelte sich auf seinen Platz und fing mit dem ersten besten Streit an&period; Der Lehrer&comma; ein würdiger&comma; bejahrter Mann&comma; trat dazwischen&period; Dann wandte er sich einen Augenblick um&comma; und Tom riß einen Knaben in der vorderen Bank an den Haaren und war vertieft in sein Buch&comma; als der Knabe herumfuhr&period; Darauf stach er einen anderen mit einer Nadel&comma; dieser schrie auf&comma; und Tom erhielt abermals einen Verweis&period; Toms ganze Klasse war eine Musterklasse — nach <em>seinem<&sol;em> Muster — unruhig&comma; vorlaut und lärmend&period; Als es ans Aufsagen der Lektion ging&comma; wußte nicht ein einziger seine Verse gründlich&comma; alles stümperte und war unsicher&period; Indessen — sie kamen durch&comma; und jeder erhielt seine Bestätigung in Form eines blauen Zettels&comma; jeder mit einem Bibelspruch darauf&semi; jeder solcher Zettel galt für zwei aufgesagte Verse&period; Zehn blaue Zettel waren gleich einem roten und konnten gegen einen solchen umgetauscht werden&semi; zehn rote machten einen gelben aus&comma; und für diesen gab der Superintendent eine sehr einfach gebundene Bibel &lpar;heutzutage gewiß vierzig Cents wert&rpar;&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Wie viele meiner Leser würden Fleiß und Aufmerksamkeit genug haben&comma; um zweitausend Verse auswendig zu lernen&comma; und handelte es sich um eine Doréesche Bibel&quest; Und doch hatte Mary auf diese Weise zwei Bibeln erworben&semi; es war das Werk zweier Jahre&semi; ein Knabe deutscher Abkunft hatte es gar auf vier oder fünf gebracht&period; Einmal hatte er dreitausend Verse hergesagt&comma; ohne zu stocken&period; Aber die geistige Anstrengung war zu groß gewesen&comma; und er war von dem Tage an nicht viel besser als ein Idiot — ein böses Mißgeschick für die Schule&comma; denn vor diesem Ereignis hatte der Superintendent bei besonderen Gelegenheiten den Knaben vortreten und „sich blähen&OpenCurlyDoubleQuote; lassen &lpar;wie Tom das nannte&rpar;&period; Nur die gesetzteren Schüler gaben sich die Mühe&comma; ihre Zettel aufzubewahren&comma; und ihr langweiliges Werk solange fortzusetzen&comma; bis sie Anspruch auf eine Bibel hatten&period; So war die Erlangung eines solchen Preises ein seltenes und bemerkenswertes Ereignis&semi; der Sieger war an seinem Ehrentage eine so große&comma; hervorragende Person&comma; daß heiliger Ehrgeiz die Brust eines jeden Schülers erfüllte und oft mehrere Wochen anhielt&period; Es ist möglich&comma; daß Toms Streben niemals auf einen solchen Preis gerichtet war&comma; zweifellos aber sehnte sich sein ganzes Sein nach dem Ruhm und Aufsehen&comma; die ein solches Ereignis mit sich brachten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Geistliche stand jetzt vor der Versammlung&comma; einen geschlossenen Psalter in der Hand und den vierten Finger zwischen die Blätter geschoben&period; Er befahl Ruhe&period; Wenn nämlich ein Sonntagsschullehrer seine gewohnte kleine Rede vom Stapel lassen will&comma; ist ein Psalterbuch in seiner Hand so notwendig&comma; wie die Notenblätter in der Hand eines Sängers&comma; der im Konzert vom Podium aus ein Solo vortragen soll — wer weiß&comma; warum&quest; Denn niemals werden Psalterbuch oder Notenblätter beim Vortrag geöffnet&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Superintendent war ein schmächtiger Mann von fünfunddreißig Jahren&comma; mit sandgelbem Ziegenbart und kurzgeschorenem sandgelbem Haar&period; Er trug einen steifen Stehkragen&comma; dessen oberer Rand seine Ohren streifte und dessen scharfe Ecken bis zu den Mundwinkeln vorsprangen — eine Planke&comma; die ihn zwang&comma; den Kopf stets vorzustrecken und den ganzen Körper zu drehen&comma; wenn er zur Seite blicken wollte&period; Sein Kinn war in eine riesige Krawatte gezwängt&comma; die so breit und lang war&comma; wie eine Banknote und spitze Enden hatte&period; Mr&period; Walter war äußerst ernsthaft von Aussehen und sehr gutmütig und ehrenhaft von Charakter&period; Und er hielt geistige Dinge und Angelegenheiten so sehr in Ehren und wußte sie so streng von allem Weltlichen zu trennen&comma; daß seine Sonntagsschulstimme ihm selbst unbewußt einen gewissen Klang angenommen hatte&comma; von dem sie an Wochentagen vollkommen frei war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Er begann also&colon; „Nun&comma; Kinder&comma; sitzt einmal so ruhig und gesittet&comma; als es euch nur immer möglich ist&comma; und paßt einmal ein paar Minuten tüchtig auf&comma; denn <em>darauf<&sol;em> kommt es vor allem an&excl; <em>Das<&sol;em> sollten alle braven Knaben und Mädchen stets tun&excl; Ich sehe ein kleines Mädchen&comma; das zum Fenster hinausschaut — ich fürchte&comma; sie bildet sich ein&comma; ich wäre irgendwo draußen&comma; vielleicht in einem Baum und hielte den Vögeln meine Rede&quest;&excl; &lpar;Unterdrücktes Kichern&period;&rpar; Ich möchte euch sagen&comma; daß es mich glücklich macht&comma; so viele frische&comma; helle Kindergesichter an diesem Ort versammelt zu sehen&comma; um zu lernen&comma; recht tun und gut sein&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>In diesem Stil ging&OpenCurlyQuote;s immer weiter&period; Es ist nicht nötig&comma; den Rest der Rede hierherzusetzen&period; Sie war ganz nach bekanntem Muster — wir alle haben sie mal gehört&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das letzte Drittel der Rede wurde durch die Wiederaufnahme des Kampfes zwischen gewissen bösen Buben gestört und durch Unruhe und Geschwätz hier und dort&comma; deren Wellen sogar an den Grundlagen solcher Felsen der Folgsamkeit und Bravheit&comma; wie Sid und Mary&comma; nagten&period; Aber mit dem Schwächerwerden von Mr&period; Walters Stimme wurde auch das allgemeine Summen schwächer&comma; und der Schluß der Rede wurde mit stiller Heiterkeit begrüßt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Zum guten Teil war die Unaufmerksamkeit hervorgerufen worden durch ein ziemlich seltenes Vorkommnis&colon; das Erscheinen von Besuchern&colon; Richter Thatcher&comma; begleitet von einem sehr schwachen&comma; alten Mann&comma; einem vornehmen&comma; mittelalterlichen Gentleman mit eisengrauem Haar&comma; und einer würdevollen Dame&comma; zweifellos der Frau des letzteren&period; Die Dame führte ein Kind an der Hand&period; Tom war bis dahin unruhig und schuldbewußt gewesen — er konnte den Blick aus Amy Lawrences Augen nicht ertragen — es sprach <em>zu viel<&sol;em> Liebe aus diesem Blick&excl; Aber als er diesen kleinen Ankömmling sah&comma; war seine Beklommenheit auf einmal vorbei&period; Im nächsten Augenblick ließ er wieder seine Künste spielen — er knuffte andere Knaben&comma; riß sie an den Haaren&comma; schnitt Fratzen&comma; mit einem Wort&comma; tat alles&comma; was nur irgend eines Mädchens Aufmerksamkeit erregen und ihren Beifall gewinnen kann&period; Aber seine Exaltation wurde rasch gedämpft&comma; er erinnerte sich seiner Erlebnisse im Garten dieses Engels&semi; aber diese Erinnerung wurde rasch durch das Glücksgefühl&comma; von dem sein Herz plötzlich erfüllt war&comma; fortgeschwemmt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Den Besuchern wurden die höchsten Ehrenbezeugungen erwiesen&comma; und nach Beendigung von Mr&period; Walters Anrede führte er sie in der Schule herum&period; Der mittelalterliche Mann schien ein bedeutender Mann zu sein&period; Er war der oberste Richter des Kreises — gewiß die erhabenste Persönlichkeit&comma; die diese Kinder bis jetzt gesehen hatten&semi; und sie grübelten darüber&comma; aus welchem Stoff der wohl gemacht sein könne&semi; und dann waren sie begierig auf seine Stimme und dann zitterten sie wieder davor&comma; sie zu hören&period; Er war aus Konstantinopel — zwölf Meilen entfernt&comma; — er war also durch die ganze Welt gekommen und hatte <em>alles<&sol;em> gesehen&semi; diese Augen hatten das Staatshaus gesehen&comma; von dem man sagte&comma; es habe ein wirkliches Zinndach&excl; Die scheue Ehrfurcht&comma; welche diese Vorstellungen hervorriefen&comma; war aus dem absoluten Schweigen und den starr auf ihn gerichteten Augen deutlich zu lesen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das also war der große Richter Thatcher&comma; der Bruder ihres Bürgermeisters&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Von Jeff Thatcher hieß es sogleich&comma; er sei mit dem großen Mann verwandt&comma; und <em>den<&sol;em> beherbergte die Schule&excl; Es würde Musik für Jeffs Ohren gewesen sein&comma; hätte er gehört&comma; was man von ihm flüsterte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Sieh nur&comma; Jim&comma; er ist wahrhaftig vorgegangen&excl; Donnerwetter&comma; er will ihm die Hand geben&period; Er hat ihm die Hand gegeben&period; Bei Jingo&comma; möchtet wohl auch Jeff sein&comma; he&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Mr&period; Walter suchte sich jetzt in Geltung zu bringen durch möglichste Geschäftigkeit&comma; erteilte Befehle&comma; fällte Urteile&comma; gab Winke hier und dort und überall&comma; und zeigte&comma; daß er am rechten Platz sei&period; Darauf „zeigte&OpenCurlyDoubleQuote; sich der Bücherverwalter&comma; rannte mit Stößen von Büchern herum&comma; klapperte mit den Bücherbrettern und vollführte einen Spektakel&comma; daß es für jeden Vorgesetzten eine wahre Lust sein mußte&period; Die jungen Lehrerinnen „zeigten&OpenCurlyDoubleQuote; sich auch&comma; taten schön mit Kindern&comma; die sie eben geprügelt hatten&comma; hoben warnend ihre niedlichen Finger gegen böse Buben und streichelten brave&comma; kleine Mädchen&period; Die jungen Lehrer „zeigten&OpenCurlyDoubleQuote; sich mit kleinen Ermahnungen und anderen Beweisen ihrer Autorität und ihrer Sorgfalt&period; Und alle Lehrenden beiderlei Geschlechts machten sich mit Vorliebe am Klassenpult zu tun&comma; und es schienen Geschäfte zu sein&comma; die fortwährend wiederholt werden mußten &lpar;und wie sie dabei ärgerlich waren&excl;&rpar;&period; Die kleinen Mädchen „zeigten&OpenCurlyDoubleQuote; sich auf verschiedene Weise&comma; und die Knaben „zeigten&OpenCurlyDoubleQuote; sich mit solchem Nachdruck&comma; daß die Luft mit Papierkugeln und halb unterdrücktem Gezänk angefüllt war&period; Und bei alledem saß der große Mann da&comma; hatte ein erhabenes Richterlächeln für die ganze Schule und wärmte sich im Glanze seiner eigenen Größe&comma; denn er „zeigte&OpenCurlyDoubleQuote; sich erst recht&period; Aber eins fehlte&comma; was Mr&period; Walters Glück vollgemacht hätte&comma; das war die Gelegenheit&comma; einen Bibelpreis auszuteilen und eins seiner Wunderkinder zu zeigen&period; Mehrere Schüler hatten eine Menge kleinerer Zettel&comma; aber niemand hatte genug&period; Er hätte die Welt darum gegeben&comma; seinen kleinen Deutschen für eine einzige Stunde wiederzuhaben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da — trat Tom Sawyer vor&comma; neun gelbe Zettel&comma; neun rote und zehn blaue&comma; und verlangte eine Bibel&excl; Das wirkte wie ein Blitz aus heiterm Himmel&excl; So etwas hätte Walter nicht erwartet — in den nächsten zehn Jahren sicher nicht&period; Aber es war nichts auszusetzen — da lagen die nötigen Zettel beisammen und nahmen sich hübsch genug aus&period; Tom erhielt also seinen Platz beim Richter und den anderen Auserwählten&comma; und die unerhörte Neuigkeit wurde nach allen Himmelsgegenden ausposaunt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Es war zweifellos die staunenswerteste Tatsache des Jahrzehnts&semi; und so tief war die Erregung&comma; daß sie den neuen Helden auf die Höhe des Kreisrichters hob und die Schule zwei Weltwunder aus einmal zu bestaunen hatte&period; Die Jungen waren durch die Bank von Neid erfüllt&period; Aber die am tiefsten Beleidigten waren diejenigen&comma; welche zu spät einsahen&comma; daß sie selbst zu diesem unerhörten Glanz beigetragen hatten&comma; indem sie Tom Billetts verkauften für die Schätze&comma; welche er durch Übertragung der Anstreich-Gerechtsame erworben hatte&period; Sie verachteten sich selbst&comma; da sie sich durch einen listigen Betrüger hatten anführen lassen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Preis wurde Tom überreicht&comma; mit so viel Salbung&comma; als der Superintendent unter solchen Umständen auftreiben konnte&period; Aber es war doch nicht der rechte Schwung darin&comma; denn sein Instinkt sagte ihm&comma; hierbei müsse ein Geheimnis walten&comma; das wohl nicht ganz gut das Licht der Sonne vertragen würde&period; Es war ganz einfach unglaublich&comma; daß <em>dieser<&sol;em> Knabe zweitausend Bibelverse in seinem Kopfe aufgespeichert haben sollte — ein Dutzend schon hätte zweifellos seine Kräfte überstiegen&period; Amy Lawrence war ganz rot vor Stolz und versuchte&comma; es Tom zu zeigen&comma; aber er <em>wollte<&sol;em> nicht sehen&period; Sie wunderte sich&semi; dann grämte sie sich ein bißchen&semi; schließlich stieg ein leiser Verdacht in ihr auf und verflog und kam wieder&period; Sie paßte auf&period; <em>Ein<&sol;em> heimlicher Blick verriet ihr Welten&comma; und dann brach ihr Herz&comma; und sie wurde eifersüchtig und wütend&comma; und die Tränen kamen&comma; und sie haßte alle&comma; alle&comma; Tom natürlich am meisten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Tom wurde vor den Richter geführt&period; Aber seine Zunge klebte am Gaumen&comma; der Schweiß trat ihm auf die Stirn&comma; sein Herz klopfte — teils infolge der Größe des Mannes&comma; aber mehr noch&comma; weil er <em>ihr<&sol;em> Vater war&period; Er hätte&comma; wäre es dunkel gewesen&comma; vor ihm niederfallen und ihn anbeten mögen&period; Der Richter legte die Hand auf Toms Kopf und nannte ihn einen tüchtigen&comma; kleinen Mann und fragte ihn nach seinem Namen&period; Der Junge stammelte&comma; hustete und stieß endlich mühsam heraus&colon; „Tom&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„O nein — nicht <em>Tom<&sol;em>&comma; sondern —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Thomas&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Richtig&period; Ich dachte mir doch&comma; daß noch etwas fehlte&period; Gut&period; Aber ich glaube&comma; du hast noch einen Namen&comma; und du wirst ihn mir nennen&comma; nicht&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Nenne dem Herrn deinen anderen Namen&comma; Thomas&comma; und sage&colon; Herr&excl; Nicht vergessen&comma; was sich schickt&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Thomas Sawyer — Herr&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„So — so ist&OpenCurlyQuote;s recht&excl; Ein guter Junge&period; Ein braver Junge&period; Ein braver&comma; kleiner Junge&period; Zweitausend Verse sind viel — sehr&comma; sehr viel&excl; Und Sie brauchen die Mühe&comma; die es Ihnen bereitet hat&comma; es ihm beizubringen&comma; sicher nicht zu bereuen&semi; denn Kenntnisse sind gewiß mehr wert&comma; als irgend etwas anderes in der Welt&period; Sie machen große Männer und große Menschen&period; — Du wirst eines Tages ein großer Mann sein und ein großer Mensch&comma; Thomas&comma; und dann wirst du zurückblicken und sagen&colon; Das alles verdanke ich der herrlichen Sonntagsschule meines Heimatsdorfes&semi; alles meinen lieben Lehrern&comma; die mich angehalten haben&comma; zu lernen&semi; alles dem guten Superintendenten&comma; der mich anfeuerte und über mir wachte und mir eine wundervolle Bibel schenkte&comma; eine herrliche&comma; prächtige Bibel&comma; damit ich sie immer&comma; immer bei mir haben möge&semi; alles meiner Erziehung&excl; <em>Das<&sol;em> wirst du sagen&comma; Thomas&excl; Und du würdest dir mit <em>keinem<&sol;em> Geld deinen Schatz von zweitausend Versen bezahlen lassen — nein&comma; wahrhaftig nicht&excl; — Und jetzt kannst du mir und dieser Dame eine große Freude machen und uns einige deiner Verse aufsagen — du wirst es <em>gern<&sol;em> tun&comma; denn wir freuen uns ja <em>so sehr<&sol;em> über einen fleißigen Knaben&period; Ohne Zweifel kennst du die Namen aller zwölf Jünger&period; Willst du uns also die Namen der beiden zuerst erwählten Jünger nennen&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Tom zupfte an einem Knopf und sah möglichst einfältig aus&period; Er wurde rot und senkte die Augen&period; Mr&period; Walters Herz sank mit&period; Er sagte sich&comma; es sei gar nicht möglich&comma; von diesem Jungen Antwort auf die einfachste Frage zu bekommen — und <em>den<&sol;em> gerade mußte der Richter fragen&excl; Doch fühlte er sich veranlaßt&comma; zu Hilfe zu kommen und sagte&colon; „Antworte dem Herrn&comma; Thomas&comma; — fürchte dich nicht&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Tom wurde immer röter&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Nun&comma; ich weiß&comma; <em>mir<&sol;em> wirst du es sagen&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; mischte sich hier die Dame ein&period; „Die Namen der zwei ersten Jünger waren —&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„David und Goliath&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Decken wir den Schleier der Nächstenliebe über das&comma; was nun folgte&excl;<&sol;p>

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