Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Rübezahl - Neue Sammlung der schönsten Sagen und Märchen von dem Berggeiste im Riesengebirge
(Rosalie Koch)

Der Goldmacher

In Warmbrunn, einem berühmten Badeorte, dessen warme Quellen von Hirschen entdeckt worden sind, wohnte ein Mann, der sehr arm und dürftig war, mit keinem Menschen umging und sich nur mit chemischen Versuchen und Grübeleien beschäftigte. Er hoffte, erzählte man, das Geheimnis der Goldmacherkunst zu ergründen und große Schätze dadurch zu erwerben. Bei solcher Beschäftigung hatte er aber sein früheres Handwerk vernachlässigt, Hab und Gut an seine chemischen Versuche gesetzt und war nun so arm geworden, daß er manchen lieben Tag hungrig schlafen ging.

Dieser nun durchstreifte sehr oft das wilde Gebirge hinter dem Kynast, und noch in der späten Nacht umschlich er die sagenreiche Burg, oder verlor sich in den angrenzenden Wald. Dort begegnete ihm zuweilen ein Mann, zu dem er Vertrauen gefaßt hatte, und dem er oft erzählte, wie ihn das wilde Gebirge anziehe, und er gewiß glaube, daß in diesen öden Schluchten ein Lebensgeheimnis und große Schätze für ihn liegen müßten.

Einst, als er recht trübselig unter den düsteren Tannen des Gebirges wandelte, sah er ein helles Flämmchen in der Ferne, dem er sorgsam nachging, und entdeckte nun eine Gittertür, die eine erleuchtete Höhle verschloß, in der man große Schätze von Gold und Edelsteinen erblickte. Begierig hafteten die Augen des armen Mannes auf der Fülle des glänzenden Goldes, das ihn zauberhaft anzog. Da stand plötzlich jener fremde Mann neben ihm, mit dem er schon oft im Walde zusammengetroffen war, und sagte: „Alle diese Schätze sollen dein eigen werden, merk dir nur die Stelle genau, wo die Höhle steht. In drei Tagen wirst du die Höhle offen finden.“

Die Bäume waren an dieser Stelle weniger dicht und gaben die Aussicht in das breite Tal frei. Von der Ruine des Kynasts links sah man den Turm von Hermsdorf, unten im Tale lag das freundliche Warmbrunn und im Hintergrunde Hirschberg. Der Fremde machte ihn genau aufmerksam auf die Stellung dieser Punkte zu einander und sagtet „Präge dir es wohl ein, daß du genau dieselbe Stelle wiederfindest, denn nur so kannst du die Höhle finden und dein Glück dadurch machen.“

Mit welcher Aufmerksamkeit sah der bestürzte Chemiker nach den angedeuteten Punkten und ging dann voller Entzücken hinweg, kam aber noch einmal zurück, um gewisser den Standpunkt wiederfinden zu können. „Da hast du eine Schaumünze,“ sprach der Fremde, „damit du morgen nicht alles für einen bloßen Traum hältst,“ und gab ihm eine goldene Münze mit rätselhafter Inschrift. Dann verschwand er. Als aber der arme Mann sich umsah, war die Höhle auch verschwunden, und er würde alles für ein Spiel seiner erregten Einbildungskraft gehalten haben, hätte er nicht die Münze in der Hand gehalten.

Während er entzückt nach Hause ging, gab er auf jeden seiner Schritte acht, wälzte mühsam große Steine an den Weg und bezeichnete sich mehrere Bäume, um nur ja die rechte Stelle wiederfinden zu können. Am dritten Tage eilte er denselben Pfad zurück, erkannte auch an allen den Zeichen den rechten Fußweg und versuchte nun, unter der Ruine stehend, die drei Türme von Hermsdorf, Warmbrunn und Hirschberg zu finden. Aber wenn er den einen erblickte, hatte sich ein Fels oder ein Baum vor den andern geschoben, und vergeblich änderte er wieder und wieder seinen Standpunkt. Unruhig stieg er bald hinauf, bald hinunter, stellte sich bald rechts, bald links, bald tiefer in den Wald hinein, bald weiter ins Freie, er fand die drei Türme auf einmal nicht mehr. Der Angstschweiß rann über seine Stirn, das Herz klopfte ihm angstvoll, seine Augen starrten weit geöffnet in die Gegend hinein; vergebens! Endlich rief er laut: „Da! — so! — nun habe ich es!“ und sein Gesicht erheiterte sich, seine Knie brachen vor Freude zusammen; aber die Täuschung dauerte nur einen Augenblick, denn als er genauer hinsah, war alles anders. So von der furchtbarsten Pein gefoltert und bis zur Verzweiflung gequält, lief er den ganzen Tag, ja die ganze Nacht umher, — kehrte nicht mehr in seine Wohnung zurück und irrte in Wahnsinn versunken länger als ein Jahr zwischen den Felsen und Bergschluchten hin, wo nur Wurzeln und Waldbeeren ihn spärlich nährten, bis man ihn endlich tot in dem Walde fand, die goldene Münze zwischen den erstarrten Fingern.

Auch ihm waren seine Leidenschaften zum Verderben geworden; hätte er nicht diese Goldgier gehabt und darüber sein Handwerk vernachlässigt, er würde nie mit so fruchtlosen Versuchen seine Zeit hingebracht haben und schließlich, vom Schimmer des Goldes geblendet, elend untergegangen sein.