Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Rübezahl - Neue Sammlung der schönsten Sagen und Märchen von dem Berggeiste im Riesengebirge
(Rosalie Koch)

Der Wanderstab

<p>Ein Wanderer kroch einst mit vieler Beschwerde unter den wild zusammengehäuften Steinhaufen des einsamsten Gebirges einher&period; Er mußte&comma; nicht ohne Gefahr&comma; von einem Abgrunde zum andern&comma; von einem Felsen zum andern springen und steile Höhen emporklimmen&comma; während bald wieder ein wilder Gebirgsbach seine Schritte hemmte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Es ist nur gut&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte er zu sich selbst&comma; „daß ich meinen treuen Stab mitgenommen habe&comma; der mir schon durch manch langes Jahr gute Dienste geleistet hat&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Bei diesen Worten setzte er ihn zwischen die Steine&comma; um einen reißenden Bach zu überspringen&semi; aber knacks — brach der Stab entzwei und der Wanderer fiel ziemlich unsanft in den Bach&period; Ganz durchnäßt sprang er wieder empor&semi; da er sonst keinen Schaden genommen hatte&comma; ärgerte ihn der Verlust seines Stabes am meisten&period; „Wie soll ich nun von diesen steilen Bergen wieder hinabkommen&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; klagte er&comma; „da ich meiner gewohnten Stütze beraubt bin und auf dieser Höhe nirgends ein Baum gedeiht&comma; aus dessen Ästen ich mir einen neuen Stab schneiden könnte&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Plötzlich sprach eine scharfe Stimme dicht hinter dem Wanderer&colon; „Was fehlt dir&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Eine große Gestalt&comma; in einen weiten Mantel gehüllt&comma; stand jetzt neben dem Erstaunten&comma; der sich in dieser wilden Einsamkeit&nbsp&semi;ganz allein glaubte&semi; der Wanderer aber erholte sich von seinem ersten Schreck und erzählte dem Fremden von seinem&nbsp&semi;unangenehmen Verluste&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Und darüber wirst du so kleinmütig&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte dieser spottend&semi; „hier hast du meinen Stab&comma; wenn du dich nicht getraust&comma; ohne solchen wieder hinabzukommen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Damit entfernte sich der fremde Mann&semi; und wie er so in dem niedrigen Gestrüpp des Knieholzes hinschritt&comma; schien er immer größer und größer zu werden und endlich ganz in Nebel zu vergehen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Wanderer achtete nicht viel darauf&comma; sondern glaubte&comma; die Entfernung oder die Brechung der Lichtstrahlen hätten diese Täuschung hervorgebracht&semi; er war sehr erfreut über den schönen Stab&comma; den der Fremde ihm geschenkt hatte&comma; und schritt dann rüstig weiter&period; Als er ein Stück Weges gegangen war&comma; fing der Stab an&comma; ihm höchst beschwerlich zu werden&semi; wo er ihn hinsetzte&comma; glitt er wieder aus und ward dabei immer schwerer und schwerer&period; Kurz&comma; er diente dem Wanderer nicht mehr zur Stütze&comma; der mühsam die steilen Berge hinabkletterte und den Stab dabei in der Hand trug&period; Er mußte aber bald mit der rechten&comma; bald mit der linken abwechseln&comma; Illustration 175 so schwer war der Stab&comma; zuletzt legte er ihn gar auf die Schultern und keuchte unter der immer wachsenden Last langsam weiter&period; Aber auch so ward er zuletzt unerträglich drückend und der Wanderer zog ihn langsam hinter sich auf der Erde fort&comma; wo er oft festgewurzelt zu sein schien und nur mit großer Anstrengung los zu machen war&period; Endlich geriet der Stab durch Zufall zwischen die Füße des Wanderers&comma; und er umfaßte ihn mit beiden Händen&comma; um nicht zu fallen&period; Dadurch ritt er förmlich auf dem wunderlichen Stock&comma; und nun flog dieser mit ihm in gewaltiger Eile an den sieben Gründen&comma; der Sturmhaube&comma; dem hohen Rad und den Teichen vorbei&comma; immer wilder&comma; immer schneller&period; Der Angstschweiß tropfte dem unfreiwilligen Reiter aus allen Poren und er befahl seine Seele Gott&comma; denn wie leicht konnte der grausige Ritt ihn hinunter in die Schneegruben reißen&comma; wo er gewiß verloren war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Endlich kam der Wanderer tief unter den Korallenfelsen in die Tannenwaldung und der Stab hielt an&period; Fluchend warf er ihn weit von sich hinweg und sank ermüdet und halbtot vor Angst auf das Moos in den kühlen Schatten nieder&period; Kaum aber ward er sich seiner Sinne bewußt&comma; als er seinen alten Stab&comma; den er am Morgen zerbrochen hatte&comma; ganz und unverletzt zu seinen Füßen liegen sah&period; Fröhlich nahm er ihn auf und wanderte weiter&comma; bis er zu einer schönen Gebirgswiese kam&comma; die den Vordergrund zu einem freundlichen Dorfe gab&comma; das jetzt nahe war&period; Nun fiel es mit einem Male wie Schuppen von den Augen des Wanderers&comma; daß jener Fremde der Herr des Gebirges gewesen sei&semi; und wie er sich ähnlicher Erzählungen erinnerte&comma; zweifelte er keinen Augenblick&comma; daß der Stab&comma; den er ihm geschenkt&comma; sich gewiß in Gold verwandelt hätte&comma; und darum auch so schwer geworden sei&period; Eilig lief er zurück&comma; so ermüdet er auch war&comma; hastig durchsuchte er den ganzen Wald&comma; durchspähte den kleinsten Busch&comma; aber — der Stab war nirgends zu finden&period; —<&sol;p>