Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Rübezahl - Neue Sammlung der schönsten Sagen und Märchen von dem Berggeiste im Riesengebirge
(Rosalie Koch)

Der verzauberte Stab

<p>Ein Naturforscher besuchte das Sudetental und die dunkelblaue Kette der Riesenberge&comma; die es umgrenzten&semi; sein Auge war offen für die tausend und aber tausend kleinen Wunder&comma; die in der Pflanzenwelt grünen und blühen&comma; in den feinen Adern und Gängen der Mineralien klopfen&period; Er hatte die grüne Botanisierbüchse&comma; die ziemlich schwer war&comma; über die Schulter zu hängen&comma; auch sah der Reisende sehr ermüdet aus&period; „Wäre ich nur so mit einem Schritt da drüben in Schmiedeberg&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte er halblaut&comma; „dort könnte ich doch meine Pflanzenfunde einlegen und trocknen&semi; ich habe neue&comma; seltene Exemplare darunter&period;&OpenCurlyDoubleQuote; — Aber bis Schmiedeberg hatte der Botaniker noch zwei volle Stunden bergab zu steigen und doch ging die Sonne schon tief&period; Der Reisende verstärkte seine Schritte als plötzlich aus den Bäumen die gebückte Gestalt eines alten Mannes hervortrat&comma; der mühsam ein schweres Bund Holz trug&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ei Alter&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sprach der kräftige junge Mann&comma; „das ist harte Arbeit für euch&semi; habt ihr niemand zu Hause&comma; der sie für euch tun könnte&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Angeredete wendete sein auffallendes Gesicht um&comma; darin ein Paar helle Augen blitzten und eine scharf gebogene Nase bedeutend hervortrat&comma; und antwortete&colon; „Wer sollte mir es heimtragen&quest; Ich habe weder Weib noch Kind&comma; auch sonst keine Anverwandten und Freunde&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Nun&comma; so gebt mir’s&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Botaniker gutmütig&comma; „für meine Schultern ist das nur ein Spaß&period;&OpenCurlyDoubleQuote; — Dabei nahm er dem alten Manne die Last ab und trug sie neben der Pflanzenkapsel auf dem Rücken&period; „Wo habt ihr denn denn eure Wohnung&comma; alter Vater&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Nun&comma; ein gutes Stück in die Berge hinein&comma; noch hinter den Grenzbauden&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Also wieder rückwärts — o weh&comma; meine Pflanzen&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der junge Mann ganz leise&comma; schritt aber doch rüstig vorwärts&period; Eine halbe Stunde hatte er fast versäumt durch seine Gutmütigkeit&comma; darum warf er rasch das Gebund Holz an der kleinen Hütte nieder und sagte dem Alten Lebewohl&period; Aber dieser hielt ihn zurück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Wie weit wollt ihr denn heute noch gehen&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte er&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Bis Schmiedeberg&comma; dort habe ich Freunde und will meine Pflanzen einlegen&period;&OpenCurlyDoubleQuote; —<&sol;p>&NewLine;<p>„Ei&excl; damit hat’s wohl bis morgen Zeit&semi; bleibt doch in den Grenzbauden&comma; lieber Herr&comma; und seht die Sonne aufgehen&semi; es gibt morgen einen schönen Tag&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Seht nur&comma; wie das manchmal geht&semi; ich bin schon lange fort von daheim und mein Geld ist rein aufgezehrt&comma; ich könnte eine Nachtherberge nicht mehr bezahlen&period; Drunten schaffen die Freunde wohl wieder Rat&comma; obgleich sie brummen&comma; daß meine Reiselust so viel Geld kostet&period; Nun&comma; ich kann’s doch nicht anders&excl; — Hätte ich Geld gehabt&comma; so wäret ihr nicht so unbeschenkt von mir gegangen&comma; mein guter Alter&period;&OpenCurlyDoubleQuote; —<&sol;p>&NewLine;<p>„Nun&comma; Glück auf den Weg&comma; und da ihr noch einen so weiten Weg habt&comma; da&comma; — nehmt einen Stab aus dem Holzbündel&comma; daß ihr mir so weit getragen habt&comma; es ist doch eine Stütze beim Abwärtssteigen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Reisende nahm lächelnd das Geschenk des alten Mannes&comma; da er zu gutmütig war&comma; um ihn durch ein Ablehnen desselben zu betrüben&period; Er schwenkte den Hut zurück und hob den Stab&comma; um nun rüstig weiterzuschreiten&comma; — aber — da stand er ja schon mitten in der Stadt neben dem altertümlichen Rathause und pochte an die Tür seines Freundes&period; — Er glaubte zu träumen&comma; faßte an seine Stirn&comma; er war wach&comma; die Botanisierbüchse hing schwer auf seiner Schulter&comma; in der Hand hielt er den Stab&comma; den ihm der Alte geschenkt hatte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da hat mir meine Zerstreuung wohl einen Streich gespielt&comma; und ich habe den weiten Weg zurückgelegt&comma; ohne es zu bemerken&comma; dachte er kopfschüttelnd und ließ es sich nun wohlsein bei dem Freunde&period; Die Pflanzen wurden eingelegt und geordnet&comma; Moose mit der Lupe untersucht und beschrieben&comma; die halbe Nacht hindurch&period; An sein Abenteuer dachte er nicht mehr&comma; der rohe Stab lag verachtet im Winkel&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So ging es einige Tage&comma; da wachte die Reiselust wieder mit aller Macht auf&period; Könnte ich nur ein recht großes Stück hinaus in die Welt&comma; dachte er&comma; aber ich soll hier bleiben und ein Amt annehmen&period; Hätte ich nur eine Handvoll des armseligen Goldes&comma; es sollte mich nichts abhalten&comma; meinen Wanderstab wieder weiterzusetzen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Wem Gott will rechte Gunst erweisen&comma;<br&sol;>Den schickt er in die weite Welt&comma;<br&sol;>Dem will er seine Wunder weisen<br&sol;>In Berg und Wald&comma; in Strom und Feld&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Und traurig nahm er den Stab aus der Ecke&comma; drehte ihn langsam in den Händen und dachte&comma; wie herrlich es jetzt wäre&comma; durch die Alpen nach Triest zu wandern&period; — Er hatte es kaum ausgedacht&comma; da stand er auf der letzten Höhe des Karstes&comma; vor ihm der tiefblaue Himmel des südlichen Frühlingshimmels&comma; das Adriatische Meer mit seiner grünen Farbe und den zahlreichen Schiffsmasten&comma; tief unter ihm die mächtige Handelsstadt&period; Mit weit offenen Augen schaute er in die untergehende Sonne und jauchzte dann freudig auf&period; Ein Blick auf den rohen&comma; unsscheinbaren Stab erklärte ihm das schöne Wunder&comma; dem der glückliche Naturforscher die Befriedigung seines heißesten Wunsches&comma; die Welt aber bald manch wichtige Bereicherung der Wissenschaft zu danken hatte&period; In seinem Herzen aber tönte der letzte Vers des schönen Liedes wieder&comma; der sich auch an ihm bewahrheitet hatte&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>Den lieben Gott lass’ ich nur walten&comma;<br&sol;>Der Bächlein&comma; Berge&comma; Wald und Feld<br&sol;>Und Erd’ und Himmel wird erhalten&comma;<br&sol;>Hat auch mein Sach’ aufs best’ bestellt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als altersmüder Greis kehrte er in sein Vaterland zurück und pilgerte hinauf in das Riesengebirge&comma; um dort den wunderbaren Stab niederzulegen&period; Wer ihn doch finden könnte&excl; —<&sol;p>