Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Rübezahl - Neue Sammlung der schönsten Sagen und Märchen von dem Berggeiste im Riesengebirge
(Rosalie Koch)

Die Reise nach Karlsbad

Eine reiche Gräfin, die gewöhnt war, den Sommer in irgend einem Badeorte, den Winter aber in Breslau zuzubringen, begab sich mit ihren beiden Töchtern nach Karlsbad, weil sie einer Badekur, die jungen Damen aber der Badegesellschaft bedürftig waren und deshalb so eilig reisten, daß sie Tag und Nacht nicht rasteten, um Bälle, Ständchen und Promenaden desto früher zu genießen. Beim Sonnenuntergang kamen sie ins Riesengebirge, und da es ein schöner, warmer Sommerabend war, an dem sich kein Lüftchen regte, beschlossen sie, die schöne, sternenhelle Mondnacht hindurch zu fahren. Der Wagen war außerdem so bequem eingerichtet und bewegte sich bergan so langsam vorwärts, daß Mutter und Töchter samt der Zofe recht behaglich schlummerten. Johann allein, der neben dem Postillon auf dem Kutschbocke saß, konnte wegen seiner freien und gefährlichen Stellung nicht schlafen und würde es auch schon aus Furcht nicht getan haben, denn ihm fielen alle die wunderbaren Geschichten von Rübezahl ein, die er gehört hatte, und er verwünschte im geheimen die abenteuerliche Idee seiner Gebieterin, das Reich des furchtbaren Berggeistes in der einsamen Nacht zu durchkreuzen. Wie viel lieber wäre er in Breslau daheim gewesen, wo er niemals etwas von so großen und mächtigen Geistern gehört hatte. Er sah ängstlich nach allen Himmelsgegenden aus, und wenn seinem Auge ein auffallender Gegenstand begegnete, zitterte er wie ein Blatt im Winde. Er fragte mehr als einmal den Schwager Postillon, ob es hierherum auch geheuer sei, aber doch konnte er sich bei der Zusicherung desselben, daß gar nichts zu befürchten wäre, nicht beruhigen.

Seine Befürchtungen wurden aber bald zur wirklichen Angst, als der Postillon plötzlich die Pferde anhielt und einen Fluch zwischen den Zähnen murmelte. In der Entfernung von kaum zehn Schritten stand mitten im Wege eine übernatürlich große Gestalt, mit schwarzem Mantel und mit einem weißen, weithin schimmernden Halskragen, aber — ohne Kopf! — Diese schreckliche Erscheinung stand augenblicklich still, wenn der Postillon die Pferde anhielt und lief rasch voraus, sobald dieser die Peitsche schwang, um weiterzufahren. „Schwager, was ist das?“ schrie Johann in größter Angst. „Sei still,“ sagte dieser kleinlaut, „damit wir den Spuk nicht irren?“

Aber der entsetzte Diener hielt es auf seinem freien Posten nicht länger ruhig aus, wo er sich der Gefahr zumeist ausgesetzt glaubte, und klopfte heftig an die Fenster des Wagens. Hat die Gräfin, dachte er, die tolle Idee gehabt, hier in der Nacht zu reisen, so kann sie nun auch Rat schaffen, wie wir aus der Gefahr kommen.

Unwillig fuhr die Gebieterin aus ihrem sanften Schlummer auf und fragte, was es gäbe? „Ei, Ihro Gnaden, da geht einer ohne Kopf,“ stammelte der Bediente und seine Zähne schlugen zusammen.

„Und darum weckst du mich, Einfaltspinsel? Als ob man das nicht täglich in- und außerhalb Breslaus sehen könnte.“ Sie belachte ihren eigenen Witz, aber die beiden Fräulein konnten nicht mit einstimmen, denn auch ihnen fielen zum größten Schreck alle Rübezahl-Märchen ein und sie riefen einstimmig: „Das ist der Berggeist, Mama, wir sind mitten auf dem Riesengebirge.“

Die Geister aber schienen bei der Gräfin in keiner besonderen Achtung zu stehen, denn sie lächelte über die Furcht der Töchter und verspottete die bekannten Spukgeschichten, die sie die Ausgeburten kranker Einbildung nannte, ward aber in ihrer Erklärung plötzlich unterbrochen, als der Schwarzmantel, der einen Augenblick im Gebüsch verschwunden war, wieder in das helle Mondlicht heraus, dicht an den Weg trat.

Ein Schrei des Entsetzens ward im Wagen gehört und die seidenen Vorhänge hastig vor die Fensterscheiben gezogen. Der schreckliche Unbekannte beunruhigte aber die Damen nicht weiter, sondern begnügte sich, den Bedienten samt dem Postillon vom Bocke herabzustürzen, wobei ihm die Furcht der beiden Männer sehr zu statten kam, und schrie dem betäubten Postillon unter einigen derben Faustschlägen ins Ohr: „Nimm, das vom Rübezahl, weil du so dreist in mein Gehege fuhrst; dein Roß und Geschirr sind mir verfallen.“ — Hierauf schwang sich das kopflose Ungetüm auf den Sattel, trieb die Pferde an und fuhr so rasch über Stock und Stein, daß man vor dem Rasseln der Räder das Angstgeschrei der Damen nicht hörte.

Da vermehrte sich plötzlich die nächtliche Reisegesellschaft noch um eine Person; es trabte nämlich ein Reiter neben dem Fuhrwerk hin, der es gar nicht zu bemerken schien, daß dem Fuhrmann der Kopf fehle, und ritt neben dem Wagen her, als gehöre er dazu. Dem Schwarzmantel schien dieser Gesellschafter eben nicht willkommen zu sein; er lenkte die Pferde nach einem andern Wege, bog bald links, bald rechte um, konnte aber den rätselhaften Begleiter nicht los werden Noch viel ängstlicher ward dem Fuhrmanne aber zu Mute, als er bemerkte, daß dem Schimmel ein Fuß fehle und dieser doch so lustig neben ihm her trabte.

„O weh, das ist der rechte Rübezahl,“ seufzte er ängstlich, „und meine Rolle als Rübezahl wird nun bald aus sein, nun der sich in daß Spiel mischt!“

Jetzt lenkte der Reiter sein dreibeiniges Roß ganz nahe an den Fuhrmann und fragte ihn ganz zutraulich: „Landsmann ohne Kopf, wohin des Weges?“

„Immer der Nase nach,“ antwortete dieser mit furchtsamem Trotz. Da fiel der Reiter den Rossen in die Zügel und rief: „Halt, Gesell!“ packte ihn am Genick und warf ihn so kräftig zur Erde, das ihm alle Glieder knackten. Der kopflose Fuhrmann hatte, wie es sich nun ergab, Fleisch und Bein, wie jeder andere Mensch und wimmerte ganz kläglich, als ihm der Reiter die Maske abriß. Da er nun sah, daß er in die Hände des mächtigen Berggeistes geraten war, dessen Person er eben dargestellt hatte, ergab er sich auf Gnade und Ungnade.

Diese Demut war sein Glück; denn der Gnom war so ergrimmt, daß er ihn ohne Zweifel zermalmt haben würde, wenn er noch ein Wort zu reden gewagt hätte. „Sitz auf,“ herrschte er ihm jetzt zu, „und tue, was ich dir befehlen werde.“ Nun zog er geschwind den vierten fehlenden Fuß seines Schimmels aus den Rippen desselben und trat an den Wagenschlag, um sich den Damen ganz höflich vorzustellen.

Aber diese lagen sämtlich ganz betäubt und besinnungslos in den Polstern und gaben kein Zeichen des Lebens. Der Reiter schöpfte aus einer vorüberrieselnden Bergquelle frisches Wasser und sprengte dies den Damen ins Gesicht, wodurch sie auch sämtlich wieder zum Leben gebracht wurden. Es beruhigte sie sehr, einen so feinen, wohlgestalteten Mann in ihrer Nähe zu haben, von dem sie auch ritterlichen Schutz erwarten durften und sie wurden ganz frei von Besorgnis, als er sagte: „Ich bedauere die Damen sehr, die von einem entlarvten Bösewicht erschreckt worden sind, der ohne Zweifel die Absicht hatte, sie zu bestehlen. Jetzt sind Sie in Sicherheit; ich bin der Oberst von Riesental und erlaube mir, Sie in meine Wohnung zu geleiten, die ganz in der Nähe ist.“

Mit Freuden ward dies freundliche Anerbieten von den Damen angenommen. Der Oberst ritt indes wieder neben dem eingeschüchterten Fuhrmann her, hieß ihn bald links, bald rechts einen Weg einbiegen und fing zwischendurch einige Fledermäuse mit der Hand auf, denen er einen geheimen Auftrag zu geben schien, und die er dann wieder freiließ.

So mochte die Fahrt wohl über eine Stunde gedauert haben, als sich in einiger Ferne Lichtschimmer zeigte und vier Jäger mit brennenden Windlichtern herangesprengt kamen, um ihren Herrn zu suchen. Die Gräfin ward dadurch vollständig beruhigt und bat Herrn von Riesental, einige seiner Leute nach ihrem armen Johann auszuschicken, was auch sogleich geschah. Bald darauf rollte der Reisewagen über eine Zugbrücke durch ein altertümliches Burgtor und hielt vor einem hell erleuchteten Palaste. Der Reiter sprang ab und bot der Gräfin den Arm, worauf er sie in ein Prunkgemach führte, in dem schon eine große Gesellschaft versammelt war. Die jungen Damen waren trostlos darüber, in ihren sehr zerdrückten Reisekleidern in einen so glänzenden Zirkel treten zu sollen und der Hausherr bemerkte ihre Verlegenheit kaum, als er sie in ein Kabinett treten ließ, darin alles Nötige zur Herstellung ihrer Toilette vorbereitet war. Sechs Kerzen brannten vor dem großen Ankleidespiegel, feine Seifen, Riechwasser, Haaröl und dergleichen lagen auf dem kostbaren Waschtisch und die feinsten Schuhe und Handschuhe fehlten ebensowenig.

Den jungen Damen hätte nicht leicht ein angenehmeres Abenteuer begegnen können, und sie traten daher ganz frisch und fröhlich in die Gesellschaft, wo sie sich auch bald recht wohl gefielen. Es ward viel über die Gefahr gesprochen, in welcher sich die Reisenden befunden hatten und der aufmerksame Wirt stellte den Damen sogleich einen Arzt vor, der nach ihrem Gesundheitszustande nach einem so großen Schreck fragte und mit bedeutender Miene den Puls der Gräfin prüfte.

Endlich sagte er mit ziemlich bedenklichem Kopfschütteln, daß er die schlimmsten Folgen von der ungewöhnlichen Aufregung befürchten müsse, wenn die Damen sich nicht entschließen würden, sogleich einen Aderlaß zu erlauben. Die Gräfin zitterte für ihr Leben und willigte sogleich ein; bei den jungen Damen hielt es aber weit schwerer und es bedurfte des mütterlichen Befehls, um sie dazu geneigter zu machen.

Der Arzt kehrte sich nicht an den sichtlichen Widerwillen der Damen und machte sie für die ersten acht Tage unfähig einem Balle beizuwohnen.

Nachdem diese energische Kur vorüber war, ging die Gesellschaft zur Tafel und ein fürstliches Mahl war für sie aufgetischt. Auch schienen die Tische unter der Last des Silbergerätes brechen zu wollen und die köstlichsten Speisen, die ausgesuchtesten Weine und der Jahreszeit nach ganz ungewöhnliche Früchte wurden verschwenderisch aufgetragen. Als das bunte Dessert gebracht wurde, erstaunten die Gräfin und ihre Töchter nicht wenig, ihr ganzes Abenteuer in Zucker und Tragant dargestellt zu sehen. Voller Bewunderung der Schnelligkeit, womit dieses kleine Kunstwerk entstanden und der Zierlichkeit, mit der es ausgeführt war, fragte die Gräfin ihren Tischnachbar, einen böhmischen Grafen, was für ein Galatag hier gefeiert werde und erhielt zur Antwort, die Gäste hätten sich nur zufällig getroffen und es sei nur ein kleines, freundschaftliches Mahl, wie es der Hausherr täglich gewohnt sei.

Diese Nachricht vermehrte die Freude der Damen, sich in so guter Gesellschaft zu befinden und die Gräfin war nur erstaunt, daß sie nie zuvor von einem so reichen und gastfreien Manne gehört oder ihn in Breslau gesehen habe. So bewandert sie auch in der Familiengeschichte des ganzen deutschen Adels war, konnte sie doch in ihrem Gedächtnis keine Familie von Riesental auffinden. Dieser Ideengang ward unterbrochen, als man allerhand Märchen von Rübezahl zu erzählen anfing, und die Gräfin nahm sogleich Gelegenheit, ihren Zweifel an dem wirklichen Vorhandensein des Berggeistes unter allerlei witzigen Bemerkungen auszusprechen.

„Mein soeben erlebtes Abenteuer ist der beste Beweis, woher alle diese Geschichten entstehen,“ sagte sie, „und daß der Berggeist nur in den Köpfen der Furchtsamen spukt. Wenn er hier im Gebirge wirklich herrschte und hauste, würde er alsdann so ungestraft geduldet haben, daß ein Schurke unter seinem Namen solchen Unfug treiben durfte? Der arme Geist konnte seine eigene Ehre nicht retten und ohne den ritterlichen Beistand des Herrn von Riesental hätte ein frecher Bube uns beraubt und vielleicht ermordet.“

Der Hauswirt widersprach eben in einem Scherz und höflicher Weise, indem er noch anriet, den Herrn vom Berge nicht so ganz für ein Unding zu halten, als er durch das Eintreten Johanns unterbrochen wurde, der wieder ganz mutig aussah, nun er sich in so sicherer Umgebung erblickte und triumphierend das Haupt des Schwarzmantels mitbrachte, welches dieser während der Mummerei unter dem Arme getragen und später verloren hatte. Zur großen Belustigung der Gäste ergab es sich, daß es nur ein ausgehöhlter Kürbis war, der mit Sand und Steinen angefüllt, mit einer hölzernen Nase und einem langen Flachsbarte ausgeschmückt war und so einem recht fürchterlichen Menschenantlitze glich.

Nach einer in den weichsten Daunen zugebrachten Nacht verließen die Damen am andern Morgen das gastliche Schloß, ganz entzückt von der Aufnahme, die sie daselbst gefunden hatten. Herr von Riesental, nachdem er vergeblich versucht hatte, seine Gäste noch einen Tag bei sich zu behalten, geleitete sie höflich bis an die Grenze seines Gebietes, doch mußten ihm die Damen versprechen, auf der Rückreise wieder einen Besuch bei ihm abzustatten.

Als nun der Gnom wieder in seiner Burg anlangte, wurde der arme Schelm herbeigeführt, der seine Rolle auf so unglückliche Weise gespielt hatte. „Elender!“ donnerte ihn der Geist an, „wie wagtest du es, in meinem Bereiche eine so sträfliche Gaukelei zu verüben? Dafür sollst du mir lebenslang büßen. Wer bist du, und was trieb dich ins Gebirge, um als Geist darin zu spuken?“

„Großer Geist des Riesengebirges, vergib,“ sagte der Schlaukopf mit großer Unterwürfigkeit, „ich habe das Gesetz nicht gekannt, was mir verbietet, deine Person vorzustellen. Ich kann dir sagen, daß dies an den meisten Orten geschieht; bald wandelst du mit einer großen Rübe auf den Maskenbällen umher, bald trägt man dich aus Kokosnuß geschnitzt oder aus Gips geformt zum Verkaufe umher. Aber nun ich weiß, daß du es ungern siehst, soll es gewiß niemals wieder geschehen, vergib mir nur diesmal, mächtiger Geist! — Ich bin von Profession ein Beutler, aber es ging mir zu trübselig bei diesem Gewerbe. Wie viele Beutel ich auch nähte, der meine blieb immer leer, obgleich die Leute sagten, ich hätte eine glückliche Hand, denn in den von mir gearbeiteten Beuteln halte sich das Geld länger, als in anderen. Der Pfiff lag aber darin: ein lederner Geldbeutel ist immer besser, als ein von Seide gestricktes Netz. Warum? Nun seht, die ledernen Beutel werden meist von den Ackerwirten und armen Handwerkern gekauft, die sind denn von Haus aus keine Verschwender; aber die feinen, durchsichtigen Börsen befinden sich nur in vornehmen Händen und da ist es kein Wunder, wenn sich das Geld nicht gut darin hält; die Gelegenheit ist immer bei der Hand, daß es herausrinnt so viel auch hineingeschüttet werde.“ —

„Nun, und weiter,“ sagte Rübezahl, der es nicht ganz verbergen konnte, daß ihn die Erzählung des Burschen belustigte.

„Nun, es gab Teuerung im Lande und da ich gute Ware für schlechtes Geld geben mußte, arbeitete ich mich an den Bettelstab und ward endlich in den Schuldturm geworfen. Als ich wieder frei ward, gab mir niemand Arbeit und ich mußte in die weite Welt wandern. Da begegnete mir einer meiner alten Kunden, der ganz stattlich aussah und auf einem schönen, Pferde ritt. „Ei, ei, Franz!“ lachte er, „hast du es noch immer nicht weiter gebracht; willst du mit mir gehen, so will ich dich lehren, den Beutel immer voll Geld zu haben.“ — Das war mir eben recht und ich kümmerte mich nicht sonderlich darum, ob sein Gewerbe ehrlich war. Der Gesell aber machte falsches Geld und ich ward bald so geschickt in dieser freien Kunst, als er selbst; alles war im besten Gange, da wurden wir eingefangen und auf Lebenszeit zur Festung verurteilt.“

„Da lebte ich eine lange, aber keine gute Zeit, bis endlich ein Werbeoffizier kam und die Gefangenen zu Soldaten machte, denn es war Krieg im Lande. Ich war den Tausch auch wohl zufrieden, aber ich hatte wieder Unglück; als ich einmal auf Fouragierung ausgeschickt wurde, griff ich zu weit in meinem Auftrage und fegte nicht nur Speicher und Scheuern, sondern auch Kisten und Kasten in den Häusern aus. Es, war ein schlimmer Zufall, daß es gerade in Freundes Land war und nun gab es ein weitläufiges Gerede, ich mußte Spießruten laufen und ward aus dem Soldatenstande fortgejagt, in dem ich doch so leicht mein Glück hätte machen können.“

„Jetzt hatte ich wieder keine Aussicht, als zu meiner Profession zurückzukehren; da ich mir aber kein Lager einkaufen konnte, fiel ich auf den Gedanken, einmal meine früheren Arbeiten nachzusehen, ob sie sich auch gut gehalten hätten. Ich sann nun immer darauf, einen Beutel zu erwischen, wobei es sich freilich traf, daß manchmal noch Geld darin war, aber das war ja nicht meine Schuld; und oft war der Beutel auch nicht von meiner Arbeit, aber ich konnte ihn doch nicht mehr ohne Gefahr an den alten Ort zurückbringen und war also gezwungen, ihn zu behalten. Alte Bekannte fand ich auch manchmal unter dem fremden Gelde, nämlich von unserer falschen Münze, mit der die Leute einander immer noch anführten, indes wir schon unsere Strafe dafür weg hatten. Ich besuchte nun die Messen und Märkte und machte zuweilen recht gute Geschäfte, aber wer einmal Unglück haben soll! Es war recht, als sollte es nicht sein, daß ich länger so fort lebte. — In Liegnitz fiel mir der Beutel eines reichen Krämers auf, der sehr reichlich gespickt war; aber das war eben das Unglück, denn er war zu schwer und fiel mir bei dem angewandten Kunstgriff aus der Hand. Da ward ich ergriffen und als Beutelschneider vor Gericht geführt; ich sagte, das sei ja mein gelerntes Handwerk und wies mich durch Kundschaft und Lehrbrief darüber aus; aber den Herren vom Gericht war nicht gut zuzureden, ich wurde eingesperrt, ersah mir aber glücklich die Gelegenheit und entwischte wieder.“

„Anfänglich hungerte ich, das gefiel mir aber auf die Länge nicht, dann machte ich einen Versuch mit betteln, es geriet aber auch nicht. Die Polizei in Groß-Glogau hinderte mich auch daran, und ich mußte wieder ein paar Tage brummen. Von nun an vermied ich die Städte und genoß die Landluft, die mir besser bekam; da kam mir die Gräfin in den Weg, an deren Wagen etwas zerbrochen war. Der Bediente schimpfte gewaltig, daß man nun gerade in der Nacht aufs Riesengebirge kommen würde, wo doch der gewaltige Herr Rübezahl hause. Das brachte mich auf den Einfall, seine Zaghaftigkeit zu benutzen und eine Geisterrolle zu spielen. Beim Küster verschaffte ich mir den schwarzen Mantel, und ein Kürbis, der auf dem Kleiderschranke stand, diente mir als Kopf, den ich nach Willkür aufsetzen und abnehmen konnte, um die Reisenden noch mehr zu erschrecken. Wenn mir die Sache geglückt wäre, hätte ich die Damen in den tiefen Wald gefahren und mir ihr Geld und sonstige Kostbarkeiten ausgebeten. Ein größeres Leid hätte ich ihnen nicht angetan. Vor euch, Herr, habe ich mich, aufrichtig gesprochen, am wenigsten gefürchtet. Die Kinder glauben ja kaum mehr an euch, so aufgeklärt ist jetzt die Welt, und ihr werdet bald ganz vergessen sein. Ich dachte es müsse euch lieb sein, daß ich euch wieder in Erinnerung gebracht habe und darum seid nicht ungnädig gegen mich. Es wäre euch gerade etwas leichtes, einen ehrlichen Kerl aus mir zu machen. Lasset mich einen Griff in eure Braupfanne tun, oder schenkt mir, wie jenem hungrigen Handwerksburschen, eine Hand voll Schlehen aus eurem Garten. Der arme Schelm hat sich zwar zwei Vorderzähne an eurem Obst abgebissen, aber dafür haben sich auch die Schlehen in eitel Gold verwandelt. Vielleicht ist es euch auch genehm, eine Partie Kegel mit mir zu schieben, wie mit jenem Prager Studenten, dem ihr alsdann einen Kegel schenktet, der auch von Gold war; oder wenn ihr mir durchaus eine Strafe für mein Unrecht zudenkt, so machst es doch mit mir, wie mit jenem Schuster, den ihr mit einer goldenen Rute tüchtig durchgehauen, ihm aber auch nachher das Strafinstrument zum Andenken geschenkt habt, wie die Handwerker noch auf ihren Gelagen zu erzählen wissen.“ —

„Schurke!“ sagte Rübezahl, „ich habe dich geduldig ausreden lassen, aber nun lauf’, so weit deine Füße dich tragen. Du wirst auch ohne mich deiner Strafe nicht entgehen.“

Mit Freuden erfüllte der Beutelschneider den zornigen Befehl des Herrn vom Berge und pries seine Beredsamkeit, die ihn diesmal ganz allein aus seiner mißlichen Lage gezogen hatte. Er lief so schnell, um aus der Gerichtsbarkeit Rübezahls zu kommen, daß er in der Eile den schwarzen Mantel vergaß; so rasch er aber auch sich fortbewegte, schien es doch nicht, als ob er von der Stelle käme, denn immer umgaben ihn dieselben Bäume und Felsen, nur die Burg des Herrn von Riesental war verschwunden. Ganz abgemattet von der fruchtlosen Bestrebung, diesen Platz zu verlassen, sank er endlich unter einen Baum und fiel in einen festen Schlaf! Als er nach mehreren Stunden wieder erwachte, wunderte er sich, daß ihn noch immer eine undurchdringliche Finsternis umgab und er weder das Säuseln der Luft vernahm, noch ein Sternlein am Himmel blinken sah. Darüber sprang er auf und erschrak nicht wenig, als er das Geklirr von Ketten hörte, mit denen er selbst belastet war. In qualvoller Erwartung brachte er mehrere Stunden zu, bis endlich ein wenig Licht durch das eiserne Gitter eines kleinen Fensters fiel und er allmählich denselben Kerker wiedererkannte, aus welchem er zuletzt entflohen war. Da aber niemand kam, um nach dem Gefangenen zu sehen oder ihm Speise zu bringen, fing noch obendrein der Hunger ihn zu martern an und er schlug verzweiflungsvoll mit seinen Ketten gegen die wohlverwahrte Tür. Es währte lange, ehe sich der Gefängniswärter entschließen konnte, in die Zelle zu gehen, die doch schon wochenlang leer war; er glaubte, es gehe ein toller Spuk darin um und mit der größten Angst öffnete er endlich die Tür, um die Ursache dieses ungewöhnlichen Lärmens zu erforschen. Erst erschrak er sehr vor der Gestalt, die sich in dem dunklen Gemache bewegte, als er aber seinen entwichenen Gefangenen erkannte, verwunderte er sich noch weit mehr, denn er konnte nicht beigreifen, wie dieser durch die verschlossene Tür und das vergitterte Fenster wieder an seinen alten Platz gekommen sei. Jener aber behauptete, er habe sich freiwillig wieder eingefunden; da er die geheime Gabe besitze, durch verschlossene Türen ein- und auszugehen und seine Fesseln anwie abzulegen, so befinde er sich nach seinem eigenen Willen hier.

Da es unbegreiflich blieb, wie der schlaue Dieb die Sache ins Werk gesetzt hatte, mußte man endlich an seine wunderbare Kraft glauben; die Herren in Liegnitz schickten ihn nun auf die Festung, wo er den Karren schieben mußte und überließen es ihm, sich, wenn er wolle und könne, auch von dieser Kette zu befreien; man hat aber mit Verwunderung bemerkt, daß er von seiner geheimnisvollen Kraft bis zum Ende seines Lebens keinen weiteren Gebrauch gemacht hat.

Die Gräfin war indes mit ihrer Begleitung wohlbehalten in Karlsbad angelangt und ließ sogleich den Badearzt rufen, um ihn über ihren Gesundheitszustand zu befragen. Da trat derselbe Arzt herein, den sie schon auf dem Schlosse des Herrn von Riesental kennen gelernt, und der ihr den Aderlaß verordnet hatte. „Ei, seien Sie uns willkommen!“ riefen ihm Mutter und Töchter freundlich entgegen; „wir vermuteten Sie noch bei dem Herrn von Riesental und nun sind Sie uns doch zuvorgekommen; warum haben Sie uns denn dort verschwiegen, daß Sie der hiesige Badearzt sind?“ — „Ach, Herr Doktor!“ seufzten die beiden Fräulein dazwischen, „Sie haben uns wohl die Adern am Fuße durchgeschlagen; wir müssen jämmerlich hinken und werden nun keinen Schritt tanzen können.“

Der Arzt stutzte. „Ihro Gnaden,“ sagte er, „sind im Irrtum; ich hatte nie zuvor die Ehre, Sie zu sehen, auch entferne ich mich während der Kurzeit niemals von hier und kenne unter allen meinen Bekannten keinen Herrn von Riesental.“ —

Die Gräfin lachte über diese Verstellung, wie sie es nannte, und da sie den Grund davon in dem Zartgefühl des Arztes zu finden meinte, der nur für seine ihr schon geleisteten Dienste nicht bezahlt sein wollte, sagte sie: „Ich verstehe Sie, lieber Herr Doktor, Ihr Zartgefühl geht aber zu weit, es soll mich nicht abhalten mich für Ihre Schuldnerin zu bekennen und für Ihren guten Beistand dankbar zu sein.“ Dabei nahm sie eine schöne goldene Dose aus ihrem Koffer und schenkte sie dem Doktor. Dieser nahm sie als eine Vorausbezahlung der Dienste, welche er etwa der Gräfin noch würde leisten können und widersprach ihr daher nicht mehr, weil er glaubte, die Kranke leide an solchen Einbildungen und ihre Töchter stimmten nur aus Rücksicht auf den Zustand der Mutter dem bei.

Bald war es in dem Badeorte bekannt, daß die Gräfin entweder schwachsinnig oder eine Hellseherin sei, denn der Arzt, der sich immer bemühte, sich bei seinen Patienten lieb und angenehm zu machen, hatte das kleine Abenteuer während der Runde, die er am Morgen bei seinen Badegästen machte, vielfach erzählt und alle waren neugierig, die fremden Damen kennen zu lernen.

Als die Gräfin mit ihren Töchtern das erste Mal in den Kursaal trat, war es ihr ein höchst überraschender Anblick, die ganze Gesellschaft dort wiederzufinden, in welche sie einige Tage zuvor vom Herrn von Riesental eingeführt worden war; dadurch hatte sie gleich angenehme Bekannte und schloß sich ohne weitere Zeremonie ihnen an. Aber sie fühlte sich verletzt durch das fremde und kalte Benehmen der Damen und Herren, die vor kurzem ihr so viel Vertrauen und Aufmerksamkeit bewiesen hatten; endlich fiel ihr ein, das ganze sei ein verabredeter Scherz, bei dem Herr von Riesental die Hand im Spiele habe und er würde durch sein plötzliches Erscheinen der Neckerei ein Ende machen. Sie fragte daher täglich nach ihm und erzählte mehreren neu angekommenen Gästen ihr Abenteuer auf dem Riesengebirge, durch welches sie so viel angenehme Bekanntschaften gemacht habe, doch merkwürdigerweise wollten die Herrschaften sie hier gar nicht wiedererkennen, auch gar nichts von der Existenz eines Herrn von Riesental etwas wissen.

Es war bald nur eine Stimme darüber, daß die Gräfin eine feine und liebenswürdige Dame sei, daß sich ihre Gedanken aber alsdann verwirrten, wenn sie an ihr vermeintliches Abenteuer erinnert würde. Man vermied daher, sie auf diesen Gegenstand zu bringen, und die Gräfin, welcher der Scherz doch auch zu weit ausgedehnt schien, sprach nun auch nicht weiter davon, was der Arzt überall als eine Wirkung des Bades pries, das die Krankheit der Gräfin mit so vielem Erfolge heile.

Als die Kur beendet war und sich die jungen Damen genug hatten bewundern lassen, kehrten sie ganz zufrieden nach Breslau zurück. Absichtlich nahmen sie wieder den Weg über das Riesengebirge, um dem gastfreien Obersten ihr Wort zu halten und zugleich die Lösung des Rätsels von ihm zu empfangen, weshalb die Gäste in Karlsbad ihr früheres Zusammentreffen mit der Gräfin nicht hätten eingestehen wollen. Aber es wußte niemand den Weg nach dem Schlosse des Herrn von Riesental nachzuweisen und sein Name war weder diesseits noch jenseits des Gebirges bekannt.

Dadurch war die Gräfin doch endlich überzeugt, daß der Unbekannte, der sie beschützt und so gastlich aufgenommen hatte, Rübezahl, der Berggeist, gewesen sei. Sie hatte alle Ursache, mit der feinen Rache zufrieden zu sein, die der Gnom ihrem Unglauben an seine Existenz erwiesen hatte und verzieh ihm gern die Neckerei mit der Badegesellschaft, die ihr nun erst erklärlich wurde. Wieder aber war es dem Berggeiste gelungen, die Menschen an ihren empfindlichsten Stellen zu packen, und die Mutter mit ihrer Spottlust, die Töchter mit ihrer Eitelkeit zu necken.