Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Rübezahl - Neue Sammlung der schönsten Sagen und Märchen von dem Berggeiste im Riesengebirge
(Rosalie Koch)

Die Springwurzel

<p>Rübezahl hat im Gebirge einen eigenen Krautgarten&period; Man zeigt ihn seitwärts auf dem Koppenplan&comma; nicht weit von der Wiesenbaude&comma; an einem Abhange nach dem Aupengrunde zu&period; Dort ist das Gebirge an den saftigsten Kräutern reich&comma; die von alten Zeiten her zu den kräftigsten Essenzen gebraucht wurden&comma; und auch jetzt noch von den Einwohnern des Dorfes Krummhübel zur Bereitung von Tee und Medikamenten gesammelt werden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Unter allen diesen heilsamen Kräutern ist ganz vorzüglich eins in der Märchenwelt sehr berühmt geworden&period; Dieses Zauberkraut heißt die Springwurzel und wächst nur in Rübezahls Garten&period; Sie ist von der köstlichsten Art und heilt die langwierigsten und hartnäckigsten Krankheiten&period; Da sie aber den Erdgeistern zur Nahrung dient&comma; erlaubt Rübezahl nur seinen besonderen Günstlingen&comma; sie ungestraft herauszugraben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Einst war in Liegnitz eine vornehme Dame krank und ließ einen Bauer aus dem Gebirge zu sich rufen&comma; dem sie den Auftrag gab&comma; ihr die Springwurzel aus Rübezahls Garten zu verschaffen&comma; wofür sie ihm eine große Belohnung versprach&period; Das viele Geld verlockte den Bauer zu dem gefährlichen Gange&semi; er suchte den bezeichneten Ort auf&comma; und als er in die einsame&comma; wüste Gegend kam&comma; ergriff er den Spaten und fing an&comma; nach der Springwurzel zu graben&comma; die ihm nicht unbekannt war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Während dieser Arbeit&comma; wo er das Gesicht tief zur Erde beugte&comma; pfiff plötzlich ein Windstoß von einem Felsen in der Nähe her&comma; und er hörte einen donnernden Zuruf&comma; dessen Worte er aber nicht verstand&period; Er sah sich daher ganz erschrocken nach jener Gegend um und erblickte nun am Rande des Felsens eine riesenhafte&comma; schreckliche Gestalt&period; Ein langer&comma; weißer Bart fiel fast bis zu den Füßen nieder&comma; und eine ungeheuer große Nase beschattete das Gesicht&comma; das ebenso von weißen Haaren umhangen war&comma; die im Winde vorwärts flogen&comma; ja von denen&comma; sowie aus den weiten Falten des Mantels&comma; der Sturm eigentlich auszugehen schien&period; Der wilde&comma; furchtbare Greis hielt eine riesige Keule in seiner Hand und rief mit einer dem Donner ähnlichen Stimme&colon; „Was tust du da&comma; Elender&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Ein Schauer schüttelte die Glieder des rüstigen Bauern&comma; ehe er sich zu der Antwort ein Herz faßte&colon; „Eine kranke Frau verlangt nach einer Springwurzel und ich suche danach&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Da schrie die Gestalt zurück&colon; „Du hast eben jetzt eine gefunden&comma; die darfst du behalten&comma; aber hüte dich&comma; ein zweites Mal wiederzukommen&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Und dabei schwang sie die Keule mit einer drohenden Gebäude&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Bauer lief&comma; so geschwind er konnte&comma; hinweg und wagte nicht mehr&comma; nach der furchtbaren Erscheinung zurückzublicken&period; Als ihm aber die kranke Dame für die Springwurzel eine Hand voll harter Taler gab&comma; vergaß er den gehabten Schreck&comma; und tat sich etwas zu gute&period; Jene aber war kaum im Besitz der heilsamen Wurzel&comma; als sie sichtlich gesünder und kräftiger wurde&period; Da sie nun wohl sah&comma; wie dies Mittel allein ihre gänzliche Wiederherstellung bewirken könne&comma; ließ sie den Bauer noch einmal zu sich rufen&period; „Willst du mir noch eine Springwurzel holen&comma; so sollst du doppelt soviel dafür bekommen&comma; als das erste Mal&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte sie&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ach&comma; gnädige Frau&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; antwortete der Bauer ganz ängstlich&comma; „ich mag es nicht wieder wagen&comma; in Rübezahls Kräutergarten zu gehen&semi; denn er ist mir in schrecklicher Gestalt erschienen und hat mir den Tod gedroht&comma; wenn ich jemals wiederkäme&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Bedenke aber&comma; wieviel Vorteil du davon haben könntest&semi; der Berggeist hat dich nur schrecken wollen&comma; damit nicht zu viele kommen und die Einsamkeit seiner Berge stören möchten&period; Auch hat man nie gehört&comma; daß Rübezahl einem mutigen Menschen ein Leid getan hätte&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Auf solche Weise suchte die Dame dem Bauer seine Furcht auszureden&comma; bis er endlich ihren verlockenden Versprechungen nicht länger widerstehen konnte&period; Und zum zweiten Male wagte er&comma; das innere Heiligtum des Gebirges zu betreten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Er grub mit großer Angst und Hast&comma; aber kaum hatte er den Spaten einigemal in die Erde gestoßen&comma; da erhob sich derselbe Sturm&comma; nur noch weit furchtbarer&comma; als früher&comma; und als er blaß vor Schreck nach dem Felsen hinblickte&comma; stand die Gestalt noch viel schrecklicher und drohender da&comma; und ihre Augen schienen Feuer und Flammen zu sprühen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Was tust du da&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; hallte es wie ein Erdbeben von dem kahlen Felsen herüber&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ich suche die Springwurzel für eine kranke Frau&comma; die sie mir teuer bezahlen will&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; wagte der Bauer zu antworten&period; Da blitzte ein furchtbarer Zorn aus den Augen des Berggeistes&period; „Ich habe dich gewarnt und du wagst es doch&comma; in dein Verderben zu rennen&comma; Unsinniger&excl; Die du hast&comma; magst du behalten&comma; aber nun rette dich&comma; wenn du kannst&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; — Bei diesen Worten flog die ungeheure Keule sausend durch die Luft&comma; nach dem verzagenden Bauer hin&comma; aber zur rechten Zeit noch sprang er zur Seite&comma; und sie schlug tief in den harten Boden&period; Die Erde erbebte unter diesem gewaltigen Wurfe und ein lange wiederhallender Donner betäubte den Bauer&comma; daß er bewußtlos zu Boden sank&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Erst nach langer Zeit erholte er sich von seiner Betäubung&comma; aber alle Glieder des Leibes schienen ihm zerbrochen zu sein&period; Die Springwurzel hielt er zum Glück noch fest in der Hand&comma; und damit kroch er mühsam am Boden hin&semi; der Regen und die tief ziehenden Nebel durchnäßten und verirrten ihn&colon; er geriet bald an den Rand gefährlicher Abgründe&comma; bald an einen stürzenden Gebirgsstrom&comma; der seinen Weg hemmte&comma; und zwei Tage und zwei Nächte lang irrte er halb verschmachtet durch das Gebirge&comma; ohne sich zurechtfinden zu können&comma; bis ein Köhler dem Unglücklichen begegnete und ihn halbtot zurück in seine Hütte brachte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Bauer konnte erst viele Tage später die mit so vieler Gefahr gewonnene Wurzel nach Liegnitz tragen&comma; wo die reiche Belohnung ihn endlich die ausgestandene Angst vergessen ließ&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun verging eine lange Zeit&comma; während welcher die kranke Dame fast ganz gesund ward und nur selten Anfälle ihres Übels bekam&period; „Hätte ich nur noch eine frische Springwurzel&comma; dann wäre mir auf immer geholfen&comma; das fühle ich&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte sie und sandte wieder nach dem Bauer&comma; der anfänglich durchaus nicht kommen wollte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber die Begier nach Geld und Gut ist ein böser Geist&comma; der uns wider Willen vorwärts treibt&period; So ging es auch dem Bauer&period; Er kam endlich doch nach Liegnitz und sagte&colon; „Da bin ich&comma; gnädige Frau&comma; was wollt ihr von mir&quest; Ich will alles tun&comma; nur nicht mehr in Rübezahls Garten gehen&comma; davor soll mich Gott bewahren&period; Wüßtet ihr&comma; wie schlimm es mir das vorige Mal gegangen&comma; und wie ich fast das Leben verloren hätte&comma; so würdet ihr mich garnicht mehr an diese schrecklichste Zeit meines Lebens erinnern&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„O doch&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; antwortete die Dame&comma; „will ich dich heute beschwören&comma; mir zum letzten Male die heilsame Wurzel zu holen&period; Ich bin reich genug&comma; dich für jede Angst und Gefahr zu belohnen und gebe dir ein schönes&comma; reiches Bauerngut&comma; wenn du den Gang noch einmal für mich wagen willst&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Da verblendete die Begier nach dem versprochenen Reichtum den Bauern so sehr&comma; daß er alle Gefahr vergaß und der Dame zusagte&comma; die Springwurzel zu holen&comma; solle es auch sein Leben kosten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Bis jetzt&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte er&comma; „hat mir der Geist ja nur gedroht&comma; und um ein reiches Bauerngut kann ich auch allenfalls eine Tracht Schläge schon hinnehmen&period; Dann aber soll mich keine Macht der Welt mehr ins Gebirge bringen&comma; bin ich nur erst ein reicher Mann und kann in Herrlichkeit und Freude leben&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber allein wagte er dieses Mal doch nicht zu gehen&period; Er nahm daher seinen ältesten Sohn mit sich und sagte&comma; sie wollten nach der Koppenkapelle wallfahrten&period; Das war der Knabe wohl zufrieden&comma; und so gingen sie nebeneinander hin&comma; bis das Gebirge immer steiler und kahler wurde&period; Tief unten in den Schneegruben leuchtete der Schnee noch frisch und weiß&comma; wie ein Leichentuch&comma; obgleich es im Hochsommer war&comma; und dem Bauer kamen dabei allerlei trübe Gedanken ein&period; Er wußte nicht&comma; wie es kam&comma; daß sich plötzlich in ihm eine Stimme regte&comma; die sprach&colon; „Böse Geister haben dich von Jugend auf verlockt&comma; daß du nie nach dem ewigen&comma; sondern&comma; immer nach dem zeitlichen Gut gestrebt hast&period; Wild und wüst hast du daher immer gelebt&comma; als ob mit dem Tode alles vorbei wäre&semi; der Reichtum und die Lust der Welt&comma; das war dein Götze&comma; und sie werden dich ins Verderben führen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber der Bauer suchte die warnende Stimme zu betäuben&comma; indem er nur immer an das prächtige Leben dachte&comma; welches er führen wollte&comma; wenn er erst ein Bauerngut hätte&period; Und so ergriff er denn hastig den Spaten und fing an zu graben&period; Da erhob sich eine Windsbraut&comma; die Bäume drunten im Tale stürzten davon zusammen&comma; und ein Wolkenbruch flutete herab&comma; so daß in einem Augenblicke die kleinsten Bäche zu wilden Strömen anschwollen&comma; aus der Erde drang ein Wehklagen&comma; und eine wilde Kluft öffnete sich plötzlich&comma; daraus fuhr eine große Gestalt auf&comma; die ergriff den besinnungslosen Bauer und stürzte sich mit ihm in die schauerliche Tiefe&period; Immer ferner und schwächer hörte der Sohn die Stimme seines unglücklichen Vaters&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Endlich heiterte sich der dunkel umhangene Himmel wieder auf&comma; der brausende Sturm zog die gewaltigen Schwingen ein&comma; und der verlassene Knabe suchte erschreckt die Kapelle&comma; um sich dem Schutze Gottes zu empfehlen&period; Und in derselben Stunde starb in Liegnitz die Frau am Schlage&period;<&sol;p>