Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.
Rübezahl - Neue Sammlung der schönsten Sagen und Märchen von dem Berggeiste im Riesengebirge
(Rosalie Koch)
Rübezahl
Schauspiel in einem Akt
Personen:
Rübezahl
Elisabeth
Vater Thomas
Gustav
Die Mutter
Erste Szene
Rübezahl (steigt während eines Gewitters aus der Erde empor und sieht sich neugierig überall um).
Ich, Herr Johannes, im Riesengebirge
Mit Furcht und Zittern nur genannt,
Weil ich mit Lust die Bösen würge,
Sie oft gestraft mit harter Hand;
Ich zeige nach ein paar hundert Jahren
Mich wieder einmal auf den Bergen hier,
Um etwas Neues zu erfahren,
Und zu durchreisen mein Revier.
Musäus hat von mir geschrieben
So manches Märchen wunderlich;
Doch wenn die Menschen wie sonst geblieben,
Sind sie viel närrischer als ich.
Sie machen sich durch Haß und Neid,
Durch Falschheit selbst das Leben sauer,
Sie schätzen sich nur nach dem Kleid
Und machen sich die Welt zur Trauer.
Zwar sind gar viele hochgelehrt
Und wissen wunderkluge Sachen,
Doch fragt nur, was dazu gehört,
Um sich das Leben leicht zu machen,
Und, selbst von groben Fehlern rein,
Es andern liebreich zu versüßen,
Im Frieden mit der Welt zu sein,
Da fragt einmal, ob sie das wissen?
Denk ich der Jugend jetz’ger Zeit,
Juckt’s in den Fingern mich zur Stelle,
Die macht sich gar gewaltig breit,
Hält Kränzchen gar und Kinderbälle.
Wenn sie französisch nur versteht,
Glaubt sie schon Wunder was zu können,
Sie kann wohl, wie der Ebro geht,
Doch nicht der Heimat Flüsse nennen!
Es sagt manch Kind dir auf ein Haar,
Wer Mutius Scävola gewesen,
Doch frage nur, wer Luther war,
So haben sie’s noch nicht gelesen.
Dort sitzt ein Mädchen am Klavier
Und fehlt nicht eine einz’ge Note,
Fast jede Oper kennt sie dir,
Nur leider nicht die zehn Gebote. —
So steht es mit der Jugend jetzt,
Die fromme Einfalt ist verschwunden;
Ich aber hab mich in Bewegung nun gesetzt,
Um mich als Herr hier zu bekunden.
Ich werde, nach meiner alten Manier,
Den Guten necken und endlich beglücken,
Den Bösen aber, nach Gebühr,
Recht arg geprellt nach Hause schicken.
Sieh da, — das kommt ja wie beschert, —
Dort naht sich eine alte Mutter,
Sucht dürres Holz für ihren Herd
Und für die Zieg’ ein wenig Futter.
Zwei Kinder folgen, jung und zart,
Da will ich mich sogleich verstecken,
Vielleicht kann ich die Sinnesart
Der armen Leutchen so entdecken. —
(Er versteckt sich.)
Zweite Szene
Die Mutter, Elisabeth und Gustav (dürres Reisig suchend);
Mutter
Gottlob! das Gewitter ist vorüber;
Es scheint die Sonne wieder schön.
Elisabeth
Doch, gute Mutter, ihr solltet lieber
Um trockne Kleider jetzt nach Hause gehn.
Mutter
Es ist ja nur ein Rock im Schranke,
Und du bist mehr als ich durchnäßt.
Elisabeth
Ei, liebe Mutter, welch ein Gedanke,
Ich bin noch jung, gesund und fest!
Mutter
So laß uns nur die Hände rühren,
Die Arbeit hier macht wieder warm
Und läßt im Winter uns nicht frieren.
Elisabeth (seufzend)
Ach, wären wir nur nicht so arm!
Mutter
Sprich, möchtest du denn etwa lieber
Reich, wie der Nachbar Töffel, sein?
Elisabeth
O nein, der schließt ja jeden Stüber
Voll Geiz in seinen Kasten ein!
Mutter
Könnt ich doch, wie der Schulze, schenken
Der Tochter ein so stattlich Haus —
Elisabeth
Da würd ich mich noch sehr bedenken,
Dort sieht’s nicht eben friedlich aus!
Mutter
Ist Küsters Röse zu beneiden?
Sie hat voll Linnen Kist’ und Schrank! —
Elisabeth
O nein, das wär’ ein rechtes Leiden,
Jahraus, jahrein ist Röse krank!
Mutter
Die reiche Elsbeth aus der Mühle,
Die wärst du aber gern, mein Kind?
Elisabeth
Ha! was du sagen willst, das fühle
Ich tief, — ihr ist die Mutter blind!
Nein, nein, ich schäme mich der Klage,
Mit keinem möcht ich tauschen gern,
Es hat ein jeder seine Plage;
Vertrau’n wir nur auf Gott den Herrn.
Um deinetwillen mög’ er schenken
Uns bess’re Tage, nicht so schwer. —
Mutter
Willst du nicht auch des Guten denken?
Wenn ich nur Elsbeths Mutter wär’ —
So bin ich rüstig auf den Füßen,
Zur Wette spinn ich noch mit dir,
Und meine Kinder — sie versüßen
Auch kummervolle Tage mir.
(Elisabeth schlingt ihren Arm um die Mutter. Gustav kommt herbeigesprungen.)
Gustav
Hier, seht nur, bring ich reife Beeren,
Die Mutter jetzt allein sie essen muß.
Mutter
Wir wollen sie zusammen verzehren,
Denn so nur ist’s für mich Genuß.
Dritte Szene
Die Vorigen. Rübezahl (als Jäger).
Gustav
Sieh, Mutter, da kommt ein fremder Mann.
Mutter
Brauchst darum keine Furcht zu hegen.
Was geht der fremde Jäger uns an?
Wir sind ja nicht auf bösen Wegen.
Rübezahl
Gott grüß euch!
Mutter
Schönen Dank, Herr!
Rübezahl
Was macht ihr da?
Mutter
Wir sammeln Reiser;
Der Winter ist lang und oft gar schwer,
Und schlecht verwahrt sind hier die Häuser.
Rübezahl
Wer seid ihr?
Mutter
Eine arme Frau
Mit ein paar guten, frommen Kindern;
Wir lebten sonst dem Ackerbau,
Der Feind tat uns die Scheuern plündern,
Nahm unser bißchen Vieh, zerschlug,
Was eben nicht fortzubringen war;
So kamen wir um Acker und Pflug,
Es geht nun schon ins fünfte Jahr.
Rübezahl
So seid ihr Witwe?
Mutter
Nein, ach nein!
Das wolle der liebe Gott verhüten!
Rübezahl
Dann wird der Mann in der Schenke sein,
Statt sich um Tagelohn zu vermieten?
Mutter
Bewahre! mein guter Thomas war
Stets fleißig und lebte eingezogen;
Als aber das Vaterland in Gefahr,
Da ist er mit in den Krieg gezogen.
Fünf Jahr und drüber sind schon verflossen,
Seit ich nichts mehr von ihm gehört,
Seit ich und meine Unglücksgenossen
Mit Tränen jeden Bissen verzehrt.
Rübezahl
So läßt sich wohl nicht anders glauben,
Als daß eine Kugel ihn hingerafft?
Mutter
Wollt ihr die letzte Hoffnung mir rauben?
Mit ihr des Lebens Mut und Kraft?
Rübezahl
Doch besser, er schlummert im kühlen Grabe,
Als wenn er, ein Bettler, wiederkehrt!
Mutter
O, wenn ich ihn nur wiederhabe,
Mein treues Herz nicht mehr begehrt.
Rübezahl
Wenn nur nicht etwa gar am Ende
Zum Krüppel ward der arme Mann?
Mutter
Ach, dann gibt’s noch vier fleißige Hände,
Und auch der Gustel wächst heran! —
Rübezahl
Ihr wagt euch so auf diese Straße,
Wie, wenn der Berggeist euch erschreckt?
Mutter
Hab ich doch immer gehört, er lasse
Die guten Menschen ungeneckt!
Elisabeth
Ja, Herr! wir haben ein gutes Gewissen;
Er mag nur kommen, wenn’s ihm beliebt.
Rübezahl
Vielleicht würd’ er dich zu trösten wissen,
Du schienst vorhin mir sehr betrübt.
Mutter
Wir haben schon viel Zeit verplaudert,
Und im Gebirge ist’s nicht gut,
Wenn man bis in die Dämmrung zaudert.
Lebt wohl!
Rübezahl
Auch ihr, und bleibt bei gutem Mut.
Mutter
O ja, was Gott über mich verhängt,
Das wird er auch alles zum Guten lenken.
Gustav (vertraulich zu Rübezahl)
Wenn er einmal ein Eichhörnchen fängt,
So könnt’ er’s wohl dem Gustel schenken!
Rübezahl
Bist du der Gustel? wir wollen sehn!
Gustav
Er sieht zwar etwas grimmig aus,
Als wollt er einem den Hals umdrehen;
Ich mache mir aber gar nichts daraus.
Rübezahl
Das freut mich, Kleiner!
Mutter
Komm, mein Kind!
Noch ist der Korb nicht voll, drum munter!
Wir suchen und füllen ihn geschwind;
Und dann in unser Dörfchen hinunter.
(ab).
Vierte Szene
Rübezahl (allein)
Die Mutter ist brav, die Kinder gut,
Man hört es ja aus jedem Worte;
Schon manchem half ich aus Übermut,
Doch hier ist Hilf’ am rechten Orte.
Fünfte Szene
Der Vorige. Thomas (auf Krücken, ohne Rübezahl zu sehen).
Thomas
Für heute kann ich nun wohl nicht weiter,
Ich armer Krüppel! was soll ich tun?
Die Luft ist warm, der Himmel heiter —
Hier will ich unter dem Baume ruhn.
Den Berg herauf mußt’ ich schon keuchen,
Doch morgen hab’ ich neue Kraft,
Die liebe Heimat zu erreichen,
Die mir die letzte Ruh’ verschafft.
Zwar komm’ ich, ach, mit leeren Händen,
Und bin ein Krüppel obendrein,
Kann nur verzehren, nur verschwenden,
Und nichts erwerben — welche Pein!
Warum fand nicht den Weg zum Herzen
Die Kugel, die mein Knie gefaßt!
So wär’ ich ledig aller Schmerzen,
Und meinen Kindern nicht zur Last.
Zur Last? — Ach nein, sie werden gerne
Hilfreich dem Vater zur Seite stehn;
Und der da droben regiert die Sterne,
Läßt mich, wohl auch nicht untergehn. —
Könnt’ ich denn nichts, gar nichts erwerben?
Sind doch die Hände noch wohl geschickt;
Und gerne, gerne will ich sterben,
Hab’ ich nur die Meinen noch erblickt.
(Er hat sich unter einem Baum gelagert).
Rübezahl (beiseite)
Er ist’s! — fürwahr auf diese Höhen
Hat ihn ein guter Geist, geschickt;
Er mag im Traum die Kinder sehen,
Bis er sie wach an den Busen drückt.
(Ab, nachdem er nach einigem Nachsinnen dem Thomas die Krücken weggenommen hat).
Thomas (erwachend, greift um sich und sucht sie vergebens).
Wo sind meine Krücken? — guter Gott! —
Ein Bösewicht hat sie mir genommen, —
Wer trieb mit mir so bittern Spott,
Wie soll ich nun nach Hause kommen?
Sechste Szene
Rübezahl (als Köhler), Thomas.
Rübezahl
Was wimmert denn da?
Thomas
Ach, guter Freund,
Seid mir tausendmal willkommen!
Ihr wie ein Engel mir erscheint, —
Ein Bube hat mir die Krücken genommen,
Sucht doch im Strauchwerk, guter Mann,
Vielleicht warf er sie weg —
Rübezahl
Der Bärenhäuter!
Thomas
Ich bin ein lahmer Kriegesmann,
Und ohne Krücken kann ich nicht weiter.
Rübezahl (beiseite)
Ich will dir deinen Schmerz bezahlen.
(laut). Wer seid ihr denn? wo kommt ihr her??
Thomas
Ich heiße Thomas, komm aus Westfalen,
Im Kriege ward ich verwundet schwer.
Dort unten im Tal liegt meine Hütte,
Wo mir in guter Kinder Mitte,
Das treue Weib zur Ruhe winkt,
Da bin ich denn bis hierher gehinkt. —
Rübezahl
Seid ihr der Thomas, der vor fünf Jahren
Geplündert unter die Soldaten ging?
Thomas
Der bin ich. Habt ihr was erfahren,
Wie es indes den Meinen ging?
Rübezahl
Die Tochter — ist im Bach ertrunken;
Den Jungen — haben die Pocken hinweggerafft;
Und endlich ist die Mutter ins Grab gesunken,
Wie ein dürrer Baum, ohne Saft und Kraft.
(ab).
Thomas
Gott! Gott! dann brauch’ ich keine Krücken,
Keinen Trost und keine Hilfe mehr! —
O Kugel, die mich lahm geschlagen,
Warum nicht höher herauf ins Herz!
Ich habe alles mit Mut ertragen;
Jetzt unterlieg’ ich meinem Schmerz.
Siebente Szene
Gustav und Thomas
Gustav (der einen Schmetterling haschen will)
Wart! wart! Ich will dich doch wohl fangen,
Und wärst du schneller als der Wind!
Thomas
Wie wird mir — welch ein heimlich Bangen —
Ach, welch ein liebes, schönes Kind!
Gustav
Ach! sieh — ein Fremder —
Thomas
Darfst nicht erschrecken,
Mein Kind, ich bin kein böser Mann.
Gustav
Ich werde mich nicht vor ihm verstecken,
Hab’ ich doch ihm auch nichts getan.
Thomas
Hast du das Gebirge nicht gescheut?
Wie kommst du so allein in den Wald?
Gustav
Nicht doch, die Mutter ist ja nicht weit.
Thomas
Ach Gott, mein Gustel wär’ auch so alt!
Gustav
Wir sammeln für den Winter Reisig.
Thomas
Ihr guten Leute seid wohl arm!
Gustav
Ei freilich, aber die Mutter ist fleißig;
Wär’ nur im Winter der Ofen warm.
Thomas
Der Vater schafft euch warme Betten.
Gustav
Ja, wenn wir noch einen Vater hätten!
Thomas
Du hast den Vater schon verloren?
Gustav
Er zog in den Krieg, kaum war ich geboren.
Thomas
Wie mir das durch die Seele geht!
Wie alles seltsam sich muß treffen,
Mich Armen schadenfroh zu äffen.
Mein Gustel! — meine Elisabeth! —
Gustav
Was wollt ihr von uns?
Thomas
Von euch? wieso?
Gustav
Ich und die Schwester, wir heißen ja so.
Thomas
Ha! treibt denn hier in seinem Grimme
Mit mir sein Spiel ein böser Geist?
Mutter (hinter der Szene)
He! Gustel!
Thomas
Das ist meines Weibes Stimme!
Mutter (noch immer hinter der Szene)
Wo bist du, Gustel? Um Gottes Willen!
Gustav
Gleich, liebe Mutter! ich komme gleich!
Thomas
O, könnt’ ich mein Verlangen stillen —
O, könnt’ ich kriechen durchs Gesträuch!
Gustav
Will er die Mutter sehen, so sitze
Er nicht so faul, und rühr’ er sich.
Thomas
Kind, ich bin lahm — hab’ keine Stütze.
Gustav
Nun denn, so stütz’ er sich auf mich.
Thomas
Du willst mich ihr entgegenführen?
Ihr — wag’ ich zu hoffen? — süßer Betrug.
Gustav (hilf ihm auf und stützt ihn)
Nur auf! Er soll gemächlich spazieren;
Ich bin wohl klein, aber stark genug.
Achte Szene
Die Vorigen. Mutter. Elisabeth.
Mutter (setzt ihren Korb nieder)
Wo bleibst du? Hast du dich verirrt?
Thomas
Sie ist’s! — O halte mich, Kind! halte!
Mutter
Was seh’ ich! sind meine Sinne verwirrt —
Mein Mann! — (sie stürzt sich ihm in die Arme)
Thomas
Mein Weib!
Elisabeth (hängt sich an ihn)
Der Vater!
Gustav (verwundert)
Dieser Alte?
Mutter
Du bist nicht tot?
Thomas
Ihr seid nicht gestorben?
Mutter
Dich hab’ ich wieder?
Thomas
Ich umarme dich.
Elisabeth
Wir haben’s durch unser Gebet erworben.
Gustav
Bist du der Vater, so küß auch mich.
Thomas (tut es)
Ja dich, den Gott als Engel sandte;
(zu Elisabeth) Und dich, die mir so hold erscheint.
Mutter
Wo kommst du her?
Thomas
Aus fernem Lande.
Mutter
Wir haben lang um dich geweint!
Thomas
Ach, weinen werdet ihr auch wieder!
Der liebe Gott mir alles nahm!
O, setzt mich unter dem Baume nieder,
Ich bin ein Bettler — und — bin lahm!
Mutter
Ein Bettler? nein! nenn’ es gelinder;
Sechs Hände sind, Dich zu nähren, bereit,
Du hast dein Weib und deine Kinder,
Die werden dich stützen jederzeit.
Thomas
O höre, Gott, mein dankbar Beten! —
Ich fand euch wieder, ihr habt mich lieb.
Doch soll ich meine Hütte betreten
Als ein unnützer Tagedieb!
Soll ich von euch mich lassen füttern?
Mutter
Willst du uns die schöne Stunde verbittern?
Du brauchst ja nur zum Gehn die Krücken,
Kannst drum die Hände dennoch rühren.
Wir wollen es sogleich probieren;
Komm, hilf den Korb mir auf den Rücken;
Dann wandeln wir getrost und munter
Den wohlbekannten Pfad hinunter.
Thomas (dem seine Kinder aufgeholfen haben)
Ja, liebes Weib, du gibst mir neues Leben;
Wie wohl mir der Gedanke tut,
Ich sei doch noch zu etwas gut.
Wo ist der Korb? Ich will ihn heben!
(Elisabeth unterstützt ihn dabei, die Mutter stellt sich mit dem Rücken gegen ihn, und er versucht, den Korb auf ihre Schultern zu heben).
Thomas
Von mir gewichen ist die Kraft des Lebens;
Auch dieser Korb ist mir zu schwer!
Elisabeth
Ich will auch helfen, Vater; gebt her!
(sie will den Korb aufheben)
Seltsam; auch ich versuch’ es vergebens.
Thomas
Um mich zu trösten, stellst du dich schwach.
Elisabeth
Nein, wahrlich, Vater! ich heb’ und hebe;
Allein umsonst. (Sie blickt in den Korb). Ach, Mutter! Ach,
Die Reiser sind Gold! so wahr ich lebe!
Mutter (wendet sich um)
Was sagst du?
Gustav (hüpft um den Korb)
Gold, Gold, lauter Gold!
Mutter
Ich bin erschrocken, daß ich bebe.
Thomas (sinkt wieder unter den Baum)
O Kinder, der Berggeist ist uns hold;
Gewiß von ihm kommt das Geschenk.
Mutter
Nun sieh’, es leuchtet ein neuer Morgen!
Thomas
Nun darf der Krüppel nicht mehr sorgen!
O, seid der Wohltat eingedenkt!
Gustav
Dank dir, du guter Rübezahl!
Mutter
Mein Dank ist stumm und ohne Wort.
Elisabeth
Wie bringen wir aber den Korb nun fort?
Der Weg ist weit hinab ins Tal. —
Wir müssen auch den Vater führen;
Denn eher lass’ ich die goldene Beute.
Neunte Szene
Die Vorigen. Rübezahl (als wandernder Chirurgus)
Rübezahl
O sagt mir doch, ihr guten Leute,
Kann ich hier nicht den Weg verlieren?
Mutter
Wo kommt er her? Wo will er hin?
Rübezahl
Aus fremden Ländern ward ich verschrieben,
Weil ich ein berühmter Wundarzt bin,
Meine Kunst in Hirschberg auszuüben;
Dort, sagt man, lebt ein reicher Mann,
Dem ist einmal vor vielen Jahren,
Als er im Kriege sich hervorgetan,
Eine Kugel in das Knie gefahren;
Ein Ignorant hat es schlecht kuriert,
Davon ist der Fuß ihm steif geblieben;
Weil er nun nicht gern auf Krücken marschiert,
So hat er mich aus Paris verschrieben.
Über Hals und Kopf komm’ ich von dort,
Bin auf der Reise schon viele Wochen;
Soeben ist mir der Wagen zerbrochen,
Da wollt’ ich denn zu Fuße fort. —
Mutter
I nun, die Beschwerde ist noch erträglich;
Hirschberg ist eben nicht mehr weit.
Thomas
Ach, sag er mir, Herr! ist das wohl möglich,
Daß er den Fuß von der Lähmung befreit,
Wenn schon eine geraume Zeit verstrichen
Und alles schon verwachsen ist?
Rübezahl
Freund, das ist mir eine Kleinigkeit;
Mutter
Ach Gott, welch’ neuer Hoffnungsstrahl! —
Rübezahl
Doch freilich ist mein Balsam teuer.
Elisabeth
Befreit den Vater von seiner Qual,
Und was wir besitzen, sei flugs euer.
Rübezahl (lachend)
Blutwenig ist wohl, was ihr besitzt?
Mutter (rasch)
Hier, dieser Korb —
Thomas
O nicht doch, Kind!
Ein gesunder Fuß euch ja weit minder,
Als dieser Schatz im Korbe nützt.
Mutter
Mit Freuden wollen wir alles missen.
Rübezahl
Was habt ihr denn im Korbe dort?
Mutter
Gold! lauter Gold!
Rübezahl
Das schenkt ihr fort,
Als wären’s Schalen von Haselnüssen?
Mutter
Ach, Herr! für ein Weib, das redlich liebt,
Auf Erden kein größer Glück es gibt,
Als wenn sie für einen wackern Mann
Das Beste und Liebste opfern kann.
Elisabeth
Hilft er, so spring’ ich deckenhoch.
Gustav
Und Gustel ihm ein Liedchen singt. —
Thomas
Nicht wahr, Herr, wenn’s auch nicht gelingt,
Ein glücklicher Vater bleib’ ich doch? —
Rübezahl (beiseite)
Bin, ich doch sonderbar bewegt,
Fast scheint’s — trotz meinem geistigen Wesen — —
Daß Neid sich gegen die Menschen regt.
(laut) Wohlann, mein Freund, ihr sollt genesen!
Mutter
Ist’s möglich, Herr!
Rübezahl
Ja, eure Krücken
Werft nur in Gottes Namen weit,
Es tut in wenig Augenblicken
Mein Balsam seine Schuldigkeit.
(Er setzt sich zu Thomas, zieht ein Büchschen hervor und reibt ihm das Knie).
Mutter
O Rübezahl! jetzt fühlen wir erst
Den ganzen Wert von deinem Geschenke.
Thomas
Ha! diese zerschmetterten Gelenke —
Wie ist mir — neues Leben zuckt
Durch jede Muskel, jede Nerve —
Die Last, die mich zu Boden gedrückt,
Wie leicht ich sie von der Schulter werfe! —
Gustav (faltet die Hände)
Ach, Mutter! ich bete Sprüch’ und Psalter,
Das wird vielleicht von Nutzen sein.
Thomas
Geschmeidig wird mein Fuß. —
Rübezahl
Nun, Alter?
Versucht? einmal und steht allein!
Thomas
Es ist geschehen! ich bin gesund!
Gott! Gott! ich danke dir; und ihm!
Mutter und Elisabeth (umarmen Rübezahl von beiden Seiten).
O Herr! —
Gustav
Gott wollt’s ihm segnen alle Stund’.
Rübezahl
Nun, nun, nur nicht so ungestüm,
Mein Balsam hat den Dienst verrichtet;
Doch schwebt euch auch wohl noch im Sinn,
Zu welchem Geschenk ihr euch verpflichtet?
Elisabeth
Da steht der Korb!
Mutter
Nehmt alles hin!
Rübezahl
Zuweilen die Menschen sich hoch vermessen,
Zu geben und schenken, was es auch sei;
Ist aber die Gefahr vorbei,
So wird das Gelübde gar oft vergessen.
Mutter
Nein, zieh er nur hin mit der goldnen Bürde.
Elisabeth
Auch nicht ein Blättchen nehmen wir an! —
Thomas
Nun fühl ich erst wieder des Hausvaters Würde,
Da ich für die Meinigen arbeiten kann.
(Mutter und Kinder umschlingen den genesenden Thomas; währenddessen verwandelt sich Rübezahl.)
Alle
Ha! Rübezahl! — der gute Geist!
(Sie heben die Hände zu ihm empor — er verschwindet.)