Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.
Rübezahl - Neue Sammlung der schönsten Sagen und Märchen von dem Berggeiste im Riesengebirge
(Rosalie Koch)
Rübezahl
Schauspiel in einem Akt
<p><strong>Personen:</strong></p>
<p>Rübezahl<br/>Elisabeth<br/>Vater Thomas<br/>Gustav<br/>Die Mutter</p>
<p><strong>Erste Szene</strong></p>
<p><em>Rübezahl (steigt während eines Gewitters aus der Erde empor und sieht sich neugierig überall um).</em></p>
<p>Ich, Herr Johannes, im Riesengebirge<br/>Mit Furcht und Zittern nur genannt,<br/>Weil ich mit Lust die Bösen würge,<br/>Sie oft gestraft mit harter Hand;<br/>Ich zeige nach ein paar hundert Jahren<br/>Mich wieder einmal auf den Bergen hier,<br/>Um etwas Neues zu erfahren,<br/>Und zu durchreisen mein Revier.<br/>Musäus hat von mir geschrieben<br/>So manches Märchen wunderlich;<br/>Doch wenn die Menschen wie sonst geblieben,<br/>Sind sie viel närrischer als ich.<br/>Sie machen sich durch Haß und Neid,<br/>Durch Falschheit selbst das Leben sauer,<br/>Sie schätzen sich nur nach dem Kleid<br/>Und machen sich die Welt zur Trauer.<br/>Zwar sind gar viele hochgelehrt<br/>Und wissen wunderkluge Sachen,<br/>Doch fragt nur, was dazu gehört,<br/>Um sich das Leben leicht zu machen,<br/>Und, selbst von groben Fehlern rein,<br/>Es andern liebreich zu versüßen,<br/>Im Frieden mit der Welt zu sein,<br/>Da fragt einmal, ob sie das wissen?<br/>Denk ich der Jugend jetz’ger Zeit,<br/>Juckt’s in den Fingern mich zur Stelle,<br/>Die macht sich gar gewaltig breit,<br/>Hält Kränzchen gar und Kinderbälle.<br/>Wenn sie französisch nur versteht,<br/>Glaubt sie schon Wunder was zu können,<br/>Sie kann wohl, wie der Ebro geht,<br/>Doch nicht der Heimat Flüsse nennen!<br/>Es sagt manch Kind dir auf ein Haar,<br/>Wer Mutius Scävola gewesen,<br/>Doch frage nur, wer Luther war,<br/>So haben sie’s noch nicht gelesen.<br/>Dort sitzt ein Mädchen am Klavier<br/>Und fehlt nicht eine einz’ge Note,<br/>Fast jede Oper kennt sie dir,<br/>Nur leider nicht die zehn Gebote. —<br/>So steht es mit der Jugend jetzt,<br/>Die fromme Einfalt ist verschwunden;<br/>Ich aber hab mich in Bewegung nun gesetzt,<br/>Um mich als Herr hier zu bekunden.<br/>Ich werde, nach meiner alten Manier,<br/>Den Guten necken und endlich beglücken,<br/>Den Bösen aber, nach Gebühr,<br/>Recht arg geprellt nach Hause schicken.<br/>Sieh da, — das kommt ja wie beschert, —<br/>Dort naht sich eine alte Mutter,<br/>Sucht dürres Holz für ihren Herd<br/>Und für die Zieg’ ein wenig Futter.<br/>Zwei Kinder folgen, jung und zart,<br/>Da will ich mich sogleich verstecken,<br/>Vielleicht kann ich die Sinnesart<br/>Der armen Leutchen so entdecken. —</p>
<p><em>(Er versteckt sich.)</em></p>
<p><strong>Zweite Szene</strong></p>
<p><em>Die Mutter, Elisabeth und Gustav (dürres Reisig suchend);</em></p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Gottlob! das Gewitter ist vorüber;<br/>Es scheint die Sonne wieder schön.</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Doch, gute Mutter, ihr solltet lieber<br/>Um trockne Kleider jetzt nach Hause gehn.</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Es ist ja nur ein Rock im Schranke,<br/>Und du bist mehr als ich durchnäßt.</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Ei, liebe Mutter, welch ein Gedanke,<br/>Ich bin noch jung, gesund und fest!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>So laß uns nur die Hände rühren,<br/>Die Arbeit hier macht wieder warm<br/>Und läßt im Winter uns nicht frieren.</p>
<p><em>Elisabeth (seufzend)</em></p>
<p>Ach, wären wir nur nicht so arm!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Sprich, möchtest du denn etwa lieber<br/>Reich, wie der Nachbar Töffel, sein?</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>O nein, der schließt ja jeden Stüber<br/>Voll Geiz in seinen Kasten ein!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Könnt ich doch, wie der Schulze, schenken<br/>Der Tochter ein so stattlich Haus —</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Da würd ich mich noch sehr bedenken,<br/>Dort sieht’s nicht eben friedlich aus!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Ist Küsters Röse zu beneiden?<br/>Sie hat voll Linnen Kist’ und Schrank! —</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>O nein, das wär’ ein rechtes Leiden,<br/>Jahraus, jahrein ist Röse krank!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Die reiche Elsbeth aus der Mühle,<br/>Die wärst du aber gern, mein Kind?</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Ha! was du sagen willst, das fühle<br/>Ich tief, — ihr ist die Mutter blind!<br/>Nein, nein, ich schäme mich der Klage,<br/>Mit keinem möcht ich tauschen gern,<br/>Es hat ein jeder seine Plage;<br/>Vertrau’n wir nur auf Gott den Herrn.<br/>Um deinetwillen mög’ er schenken<br/>Uns bess’re Tage, nicht so schwer. —</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Willst du nicht auch des Guten denken?<br/>Wenn ich nur Elsbeths Mutter wär’ —<br/>So bin ich rüstig auf den Füßen,<br/>Zur Wette spinn ich noch mit dir,<br/>Und meine Kinder — sie versüßen<br/>Auch kummervolle Tage mir.</p>
<p><em>(Elisabeth schlingt ihren Arm um die Mutter. Gustav kommt herbeigesprungen.)</em></p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Hier, seht nur, bring ich reife Beeren,<br/>Die Mutter jetzt allein sie essen muß.</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Wir wollen sie zusammen verzehren,<br/>Denn so nur ist’s für mich Genuß.</p>
<p><strong>Dritte Szene</strong></p>
<p><em>Die Vorigen. Rübezahl (als Jäger).</em></p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Sieh, Mutter, da kommt ein fremder Mann.</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Brauchst darum keine Furcht zu hegen.<br/>Was geht der fremde Jäger uns an?<br/>Wir sind ja nicht auf bösen Wegen.</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Gott grüß euch!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Schönen Dank, Herr!</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Was macht ihr da?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Wir sammeln Reiser;<br/>Der Winter ist lang und oft gar schwer,<br/>Und schlecht verwahrt sind hier die Häuser.</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Wer seid ihr?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Eine arme Frau<br/>Mit ein paar guten, frommen Kindern;<br/>Wir lebten sonst dem Ackerbau,<br/>Der Feind tat uns die Scheuern plündern,<br/>Nahm unser bißchen Vieh, zerschlug,<br/>Was eben nicht fortzubringen war;<br/>So kamen wir um Acker und Pflug,<br/>Es geht nun schon ins fünfte Jahr.</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>So seid ihr Witwe?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Nein, ach nein!</p>
<p>Das wolle der liebe Gott verhüten!</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Dann wird der Mann in der Schenke sein,<br/>Statt sich um Tagelohn zu vermieten?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Bewahre! mein guter Thomas war<br/>Stets fleißig und lebte eingezogen;<br/>Als aber das Vaterland in Gefahr,<br/>Da ist er mit in den Krieg gezogen.<br/>Fünf Jahr und drüber sind schon verflossen,<br/>Seit ich nichts mehr von ihm gehört,<br/>Seit ich und meine Unglücksgenossen<br/>Mit Tränen jeden Bissen verzehrt.</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>So läßt sich wohl nicht anders glauben,<br/>Als daß eine Kugel ihn hingerafft?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Wollt ihr die letzte Hoffnung mir rauben?<br/>Mit ihr des Lebens Mut und Kraft?</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Doch besser, er schlummert im kühlen Grabe,<br/>Als wenn er, ein Bettler, wiederkehrt!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>O, wenn ich ihn nur wiederhabe,<br/>Mein treues Herz nicht mehr begehrt.</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Wenn nur nicht etwa gar am Ende<br/>Zum Krüppel ward der arme Mann?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Ach, dann gibt’s noch vier fleißige Hände,<br/>Und auch der Gustel wächst heran! —</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Ihr wagt euch so auf diese Straße,<br/>Wie, wenn der Berggeist euch erschreckt?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Hab ich doch immer gehört, er lasse<br/>Die guten Menschen ungeneckt!</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Ja, Herr! wir haben ein gutes Gewissen;<br/>Er mag nur kommen, wenn’s ihm beliebt.</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Vielleicht würd’ er dich zu trösten wissen,<br/>Du schienst vorhin mir sehr betrübt.</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Wir haben schon viel Zeit verplaudert,<br/>Und im Gebirge ist’s nicht gut,<br/>Wenn man bis in die Dämmrung zaudert.<br/>Lebt wohl!</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Auch ihr, und bleibt bei gutem Mut.</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>O ja, was Gott über mich verhängt,<br/>Das wird er auch alles zum Guten lenken.</p>
<p><em>Gustav (vertraulich zu Rübezahl)</em></p>
<p>Wenn er einmal ein Eichhörnchen fängt,<br/>So könnt’ er’s wohl dem Gustel schenken!</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Bist du der Gustel? wir wollen sehn!</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Er sieht zwar etwas grimmig aus,<br/>Als wollt er einem den Hals umdrehen;<br/>Ich mache mir aber gar nichts daraus.</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Das freut mich, Kleiner!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Komm, mein Kind!<br/>Noch ist der Korb nicht voll, drum munter!<br/>Wir suchen und füllen ihn geschwind;<br/>Und dann in unser Dörfchen hinunter.</p>
<p><em>(ab).</em></p>
<p><strong>Vierte Szene</strong></p>
<p><em>Rübezahl (allein)</em></p>
<p>Die Mutter ist brav, die Kinder gut,<br/>Man hört es ja aus jedem Worte;<br/>Schon manchem half ich aus Übermut,<br/>Doch hier ist Hilf’ am rechten Orte.</p>
<p><strong>Fünfte Szene</strong></p>
<p><em>Der Vorige. Thomas (auf Krücken, ohne Rübezahl zu sehen).</em></p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Für heute kann ich nun wohl nicht weiter,<br/>Ich armer Krüppel! was soll ich tun?<br/>Die Luft ist warm, der Himmel heiter —<br/>Hier will ich unter dem Baume ruhn.<br/>Den Berg herauf mußt’ ich schon keuchen,<br/>Doch morgen hab’ ich neue Kraft,<br/>Die liebe Heimat zu erreichen,<br/>Die mir die letzte Ruh’ verschafft.<br/>Zwar komm’ ich, ach, mit leeren Händen,<br/>Und bin ein Krüppel obendrein,<br/>Kann nur verzehren, nur verschwenden,<br/>Und nichts erwerben — welche Pein!<br/>Warum fand nicht den Weg zum Herzen<br/>Die Kugel, die mein Knie gefaßt!<br/>So wär’ ich ledig aller Schmerzen,<br/>Und meinen Kindern nicht zur Last.<br/>Zur Last? — Ach nein, sie werden gerne<br/>Hilfreich dem Vater zur Seite stehn;<br/>Und der da droben regiert die Sterne,<br/>Läßt mich, wohl auch nicht untergehn. —<br/>Könnt’ ich denn nichts, gar nichts erwerben?<br/>Sind doch die Hände noch wohl geschickt;<br/>Und gerne, gerne will ich sterben,<br/>Hab’ ich nur die Meinen noch erblickt.</p>
<p><em>(Er hat sich unter einem Baum gelagert).</em></p>
<p><em>Rübezahl (beiseite)</em></p>
<p>Er ist’s! — fürwahr auf diese Höhen<br/>Hat ihn ein guter Geist, geschickt;<br/>Er mag im Traum die Kinder sehen,<br/>Bis er sie wach an den Busen drückt.</p>
<p><em>(Ab, nachdem er nach einigem Nachsinnen dem Thomas die Krücken weggenommen hat).</em></p>
<p><em>Thomas (erwachend, greift um sich und sucht sie vergebens).</em></p>
<p>Wo sind meine Krücken? — guter Gott! —<br/>Ein Bösewicht hat sie mir genommen, —<br/>Wer trieb mit mir so bittern Spott,<br/>Wie soll ich nun nach Hause kommen?</p>
<p><strong>Sechste Szene</strong></p>
<p><em>Rübezahl (als Köhler), Thomas.</em></p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Was wimmert denn da?</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Ach, guter Freund,<br/>Seid mir tausendmal willkommen!<br/>Ihr wie ein Engel mir erscheint, —<br/>Ein Bube hat mir die Krücken genommen,<br/>Sucht doch im Strauchwerk, guter Mann,<br/>Vielleicht warf er sie weg —</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Der Bärenhäuter!</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Ich bin ein lahmer Kriegesmann,<br/>Und ohne Krücken kann ich nicht weiter.</p>
<p><em>Rübezahl (beiseite)</em></p>
<p>Ich will dir deinen Schmerz bezahlen.<br/><em>(laut).</em> Wer seid ihr denn? wo kommt ihr her??</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Ich heiße Thomas, komm aus Westfalen,<br/>Im Kriege ward ich verwundet schwer.<br/>Dort unten im Tal liegt meine Hütte,<br/>Wo mir in guter Kinder Mitte,<br/>Das treue Weib zur Ruhe winkt,<br/>Da bin ich denn bis hierher gehinkt. —</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Seid ihr der Thomas, der vor fünf Jahren<br/>Geplündert unter die Soldaten ging?</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Der bin ich. Habt ihr was erfahren,<br/>Wie es indes den Meinen ging?</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Die Tochter — ist im Bach ertrunken;<br/>Den Jungen — haben die Pocken hinweggerafft;<br/>Und endlich ist die Mutter ins Grab gesunken,<br/>Wie ein dürrer Baum, ohne Saft und Kraft.</p>
<p><em>(ab).</em></p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Gott! Gott! dann brauch’ ich keine Krücken,<br/>Keinen Trost und keine Hilfe mehr! —<br/>O Kugel, die mich lahm geschlagen,<br/>Warum nicht höher herauf ins Herz!<br/>Ich habe alles mit Mut ertragen;<br/>Jetzt unterlieg’ ich meinem Schmerz.</p>
<p><strong>Siebente Szene</strong></p>
<p><em>Gustav und Thomas</em></p>
<p><em>Gustav (der einen Schmetterling haschen will)</em></p>
<p>Wart! wart! Ich will dich doch wohl fangen,<br/>Und wärst du schneller als der Wind!</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Wie wird mir — welch ein heimlich Bangen —<br/>Ach, welch ein liebes, schönes Kind!</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Ach! sieh — ein Fremder —</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Darfst nicht erschrecken,<br/>Mein Kind, ich bin kein böser Mann.</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Ich werde mich nicht vor ihm verstecken,<br/>Hab’ ich doch ihm auch nichts getan.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Hast du das Gebirge nicht gescheut?<br/>Wie kommst du so allein in den Wald?</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Nicht doch, die Mutter ist ja nicht weit.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Ach Gott, mein Gustel wär’ auch so alt!</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Wir sammeln für den Winter Reisig.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Ihr guten Leute seid wohl arm!</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Ei freilich, aber die Mutter ist fleißig;<br/>Wär’ nur im Winter der Ofen warm.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Der Vater schafft euch warme Betten.</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Ja, wenn wir noch einen Vater hätten!</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Du hast den Vater schon verloren?</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Er zog in den Krieg, kaum war ich geboren.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Wie mir das durch die Seele geht!<br/>Wie alles seltsam sich muß treffen,<br/>Mich Armen schadenfroh zu äffen.<br/>Mein Gustel! — meine Elisabeth! —</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Was wollt ihr von uns?</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Von euch? wieso?</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Ich und die Schwester, wir heißen ja so.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Ha! treibt denn hier in seinem Grimme<br/>Mit mir sein Spiel ein böser Geist?</p>
<p><em>Mutter (hinter der Szene)</em></p>
<p>He! Gustel!</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Das ist meines Weibes Stimme!</p>
<p><em>Mutter (noch immer hinter der Szene)</em></p>
<p>Wo bist du, Gustel? Um Gottes Willen!</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Gleich, liebe Mutter! ich komme gleich!</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>O, könnt’ ich mein Verlangen stillen —<br/>O, könnt’ ich kriechen durchs Gesträuch!</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Will er die Mutter sehen, so sitze<br/>Er nicht so faul, und rühr’ er sich.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Kind, ich bin lahm — hab’ keine Stütze.</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Nun denn, so stütz’ er sich auf mich.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Du willst mich ihr entgegenführen?<br/>Ihr — wag’ ich zu hoffen? — süßer Betrug.</p>
<p><em>Gustav (hilf ihm auf und stützt ihn)</em></p>
<p>Nur auf! Er soll gemächlich spazieren;<br/>Ich bin wohl klein, aber stark genug.</p>
<p><strong>Achte Szene</strong></p>
<p><em>Die Vorigen. Mutter. Elisabeth.</em></p>
<p><em>Mutter (setzt ihren Korb nieder)</em></p>
<p>Wo bleibst du? Hast du dich verirrt?</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Sie ist’s! — O halte mich, Kind! halte!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Was seh’ ich! sind meine Sinne verwirrt —</p>
<p>Mein Mann! — <em>(sie stürzt sich ihm in die Arme)</em></p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Mein Weib!</p>
<p><em>Elisabeth (hängt sich an ihn)</em></p>
<p>Der Vater!</p>
<p><em>Gustav (verwundert)</em></p>
<p>Dieser Alte?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Du bist nicht tot?</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Ihr seid nicht gestorben?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Dich hab’ ich wieder?</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Ich umarme dich.</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Wir haben’s durch unser Gebet erworben.</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Bist du der Vater, so küß auch mich.</p>
<p><em>Thomas (tut es)</em></p>
<p>Ja dich, den Gott als Engel sandte;</p>
<p><em>(zu Elisabeth)</em> Und dich, die mir so hold erscheint.</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Wo kommst du her?</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Aus fernem Lande.</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Wir haben lang um dich geweint!</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Ach, weinen werdet ihr auch wieder!<br/>Der liebe Gott mir alles nahm!<br/>O, setzt mich unter dem Baume nieder,<br/>Ich bin ein Bettler — und — bin lahm!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Ein Bettler? nein! nenn’ es gelinder;<br/>Sechs Hände sind, Dich zu nähren, bereit,<br/>Du hast dein Weib und deine Kinder,<br/>Die werden dich stützen jederzeit.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>O höre, Gott, mein dankbar Beten! —<br/>Ich fand euch wieder, ihr habt mich lieb.<br/>Doch soll ich meine Hütte betreten<br/>Als ein unnützer Tagedieb!<br/>Soll ich von euch mich lassen füttern?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Willst du uns die schöne Stunde verbittern?<br/>Du brauchst ja nur zum Gehn die Krücken,<br/>Kannst drum die Hände dennoch rühren.<br/>Wir wollen es sogleich probieren;<br/>Komm, hilf den Korb mir auf den Rücken;<br/>Dann wandeln wir getrost und munter<br/>Den wohlbekannten Pfad hinunter.</p>
<p><em>Thomas (dem seine Kinder aufgeholfen haben)</em></p>
<p>Ja, liebes Weib, du gibst mir neues Leben;<br/>Wie wohl mir der Gedanke tut,<br/>Ich sei doch noch zu etwas gut.<br/>Wo ist der Korb? Ich will ihn heben!</p>
<p><em>(Elisabeth unterstützt ihn dabei, die Mutter stellt sich mit dem Rücken gegen ihn, und er versucht, den Korb auf ihre Schultern zu heben).</em></p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Von mir gewichen ist die Kraft des Lebens;<br/>Auch dieser Korb ist mir zu schwer!</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Ich will auch helfen, Vater; gebt her!<br/><em>(sie will den Korb aufheben)<br/></em>Seltsam; auch ich versuch’ es vergebens.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Um mich zu trösten, stellst du dich schwach.</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Nein, wahrlich, Vater! ich heb’ und hebe;<br/>Allein umsonst. <em>(Sie blickt in den Korb)</em>. Ach, Mutter! Ach,<br/>Die Reiser sind Gold! so wahr ich lebe!</p>
<p><em>Mutter (wendet sich um)</em></p>
<p>Was sagst du?</p>
<p><em>Gustav (hüpft um den Korb)</em></p>
<p>Gold, Gold, lauter Gold!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Ich bin erschrocken, daß ich bebe.</p>
<p><em>Thomas (sinkt wieder unter den Baum)</em></p>
<p>O Kinder, der Berggeist ist uns hold;<br/>Gewiß von ihm kommt das Geschenk.</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Nun sieh’, es leuchtet ein neuer Morgen!</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Nun darf der Krüppel nicht mehr sorgen!<br/>O, seid der Wohltat eingedenkt!</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Dank dir, du guter Rübezahl!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Mein Dank ist stumm und ohne Wort.</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Wie bringen wir aber den Korb nun fort?<br/>Der Weg ist weit hinab ins Tal. —<br/>Wir müssen auch den Vater führen;<br/>Denn eher lass’ ich die goldene Beute.</p>
<p><strong>Neunte Szene</strong></p>
<p><em>Die Vorigen. Rübezahl (als wandernder Chirurgus)</em></p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>O sagt mir doch, ihr guten Leute,<br/>Kann ich hier nicht den Weg verlieren?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Wo kommt er her? Wo will er hin?</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Aus fremden Ländern ward ich verschrieben,<br/>Weil ich ein berühmter Wundarzt bin,<br/>Meine Kunst in Hirschberg auszuüben;<br/>Dort, sagt man, lebt ein reicher Mann,<br/>Dem ist einmal vor vielen Jahren,<br/>Als er im Kriege sich hervorgetan,<br/>Eine Kugel in das Knie gefahren;<br/>Ein Ignorant hat es schlecht kuriert,<br/>Davon ist der Fuß ihm steif geblieben;<br/>Weil er nun nicht gern auf Krücken marschiert,<br/>So hat er mich aus Paris verschrieben.<br/>Über Hals und Kopf komm’ ich von dort,<br/>Bin auf der Reise schon viele Wochen;<br/>Soeben ist mir der Wagen zerbrochen,<br/>Da wollt’ ich denn zu Fuße fort. —</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>I nun, die Beschwerde ist noch erträglich;<br/>Hirschberg ist eben nicht mehr weit.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Ach, sag er mir, Herr! ist das wohl möglich,<br/>Daß er den Fuß von der Lähmung befreit,<br/>Wenn schon eine geraume Zeit verstrichen<br/>Und alles schon verwachsen ist?</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Freund, das ist mir eine Kleinigkeit;</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Ach Gott, welch’ neuer Hoffnungsstrahl! —</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Doch freilich ist mein Balsam teuer.</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Befreit den Vater von seiner Qual,<br/>Und was wir besitzen, sei flugs euer.</p>
<p><em>Rübezahl (lachend)</em></p>
<p>Blutwenig ist wohl, was ihr besitzt?</p>
<p><em>Mutter (rasch)</em></p>
<p>Hier, dieser Korb —</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>O nicht doch, Kind!<br/>Ein gesunder Fuß euch ja weit minder,<br/>Als dieser Schatz im Korbe nützt.</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Mit Freuden wollen wir alles missen.</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Was habt ihr denn im Korbe dort?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Gold! lauter Gold!</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Das schenkt ihr fort,<br/>Als wären’s Schalen von Haselnüssen?</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Ach, Herr! für ein Weib, das redlich liebt,<br/>Auf Erden kein größer Glück es gibt,<br/>Als wenn sie für einen wackern Mann<br/>Das Beste und Liebste opfern kann.</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Hilft er, so spring’ ich deckenhoch.</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Und Gustel ihm ein Liedchen singt. —</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Nicht wahr, Herr, wenn’s auch nicht gelingt,<br/>Ein glücklicher Vater bleib’ ich doch? —</p>
<p><em>Rübezahl (beiseite)</em></p>
<p>Bin, ich doch sonderbar bewegt,<br/>Fast scheint’s — trotz meinem geistigen Wesen — —<br/>Daß Neid sich gegen die Menschen regt.<br/><em>(laut)</em> Wohlann, mein Freund, ihr sollt genesen!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Ist’s möglich, Herr!</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Ja, eure Krücken<br/>Werft nur in Gottes Namen weit,<br/>Es tut in wenig Augenblicken<br/>Mein Balsam seine Schuldigkeit.<br/><em>(Er setzt sich zu Thomas, zieht ein Büchschen hervor und reibt ihm das Knie).</em></p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>O Rübezahl! jetzt fühlen wir erst<br/>Den ganzen Wert von deinem Geschenke.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Ha! diese zerschmetterten Gelenke —<br/>Wie ist mir — neues Leben zuckt<br/>Durch jede Muskel, jede Nerve —<br/>Die Last, die mich zu Boden gedrückt,<br/>Wie leicht ich sie von der Schulter werfe! —</p>
<p><em>Gustav (faltet die Hände)</em></p>
<p>Ach, Mutter! ich bete Sprüch’ und Psalter,<br/>Das wird vielleicht von Nutzen sein.</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Geschmeidig wird mein Fuß. —</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Nun, Alter?<br/>Versucht? einmal und steht allein!</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Es ist geschehen! ich bin gesund!<br/>Gott! Gott! ich danke dir; und ihm!</p>
<p><em>Mutter und Elisabeth (umarmen Rübezahl von beiden Seiten).</em></p>
<p>O Herr! —</p>
<p><em>Gustav</em></p>
<p>Gott wollt’s ihm segnen alle Stund’.</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Nun, nun, nur nicht so ungestüm,<br/>Mein Balsam hat den Dienst verrichtet;<br/>Doch schwebt euch auch wohl noch im Sinn,<br/>Zu welchem Geschenk ihr euch verpflichtet?</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Da steht der Korb!</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Nehmt alles hin!</p>
<p><em>Rübezahl</em></p>
<p>Zuweilen die Menschen sich hoch vermessen,<br/>Zu geben und schenken, was es auch sei;<br/>Ist aber die Gefahr vorbei,<br/>So wird das Gelübde gar oft vergessen.</p>
<p><em>Mutter</em></p>
<p>Nein, zieh er nur hin mit der goldnen Bürde.</p>
<p><em>Elisabeth</em></p>
<p>Auch nicht ein Blättchen nehmen wir an! —</p>
<p><em>Thomas</em></p>
<p>Nun fühl ich erst wieder des Hausvaters Würde,<br/>Da ich für die Meinigen arbeiten kann.</p>
<p><em>(Mutter und Kinder umschlingen den genesenden Thomas; währenddessen verwandelt sich Rübezahl.)</em></p>
<p><em>Alle</em></p>
<p>Ha! Rübezahl! — der gute Geist!</p>
<p><em>(Sie heben die Hände zu ihm empor — er verschwindet.)</em></p>