Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Siegfried, der Held
(Rudolf Herzog, 1911, empfohlenes Alter: 9 - 12 Jahre)

6. Kapitel
Wie Siegfried und Kriemhild der Einladung nach Worms folgten, wie die Königinnen sich schalten und Siegfried ermordet wurde

<p>Am Niederrhein lag Xanten mit seinem Dom und seiner Königsburg&comma; und seine saftigen Weiden&comma; auf denen die Glocken der Rinderherden läuteten&comma; streckten sich weit bis ins Niederland hinein&comma; und die grünschimmernden Wälder luden auf viele Meilen hinaus zu fröhlicher Jagd&period; Es war ein liebliches Land voll Ruhe und Frieden&comma; und der Rhein strömte langsam hindurch&comma; als könnte er sich nicht trennen von diesen glücklichen Ufern&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Hier herrschte Siegfried als König&comma; und seine Macht reichte weit und reichte über das ganze angrenzende Sachsenland hinaus&comma; denn Lüdeger war gestorben und Siegfried sein Erbe&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Hier lebte Kriemhild in Liebe und Wohlsein&comma; und oft war es ihr&comma; als ob das Schicksal neidisch werden müßte auf ihr Glück&comma; denn sie hatte dem Gatten zwei Kinder geschenkt&comma; einen Sohn und ein Mägdlein&comma; die waren der Eltern größter Stolz&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber die Jahre gingen hin in lauter Sonne&comma; die Kinder gediehen&comma; und immerwährender Friede blieb dem Lande&comma; denn alle Nachbarn kannten Siegfrieds rasche und feste Hand und trauten sich nicht an ihn&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Oft saß Kriemhild auf Siegfrieds Schoß geschmiegt&comma; und die Kinder spielten zu ihren Füßen&comma; und das blühende Land duftete zu ihnen herauf&period; Dann saßen sie ganz still und freuten sich&comma; daß einer des anderen Herzschlag vernahm&comma; und reichten sich wohl den Mund zu langem&comma; stummem Kusse&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Zu Worms am Rhein aber war das Leben weiter gelaufen ohne rechte&comma; innere Fröhlichkeit&comma; und je mehr die Jahre sich zwischen Siegfrieds heimlicher Abreise und der neuen Gegenwart legten&comma; desto tiefer fraß sich der Haß in Brunhilds Seele&period; Längst grübelte sie über nichts anderes mehr&comma; als wie sie den Helden treffen und vernichten könne&comma; und wenn sie den schwächlichen Sohn ansah&comma; den sie Gunther geschenkt hatte&comma; und die Kunde ihr von Siegfrieds starken Kindern erzählte&comma; wurde ihr Haß zur sinnlosen Qual&period; Da trat sie vor König Gunther mit geschickter Verstellung und sprach zu ihm&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie lange ist es&comma; daß wir nichts mehr von Siegfried erfuhren&comma; wie lange&comma; daß ich meiner lieben Schwägerin Kriemhild sonniges Antlitz nicht mehr sah&period; Dafür&comma; daß Siegfried dein Lehnsmann ist&comma; weilt er reichliche Zeit fern von Worms und seinem Herrn und die süße Kriemhild fern von unserer Sehnsucht&period; Ich bitte dich herzlich&comma; laß Boten nach Xanten gehen&comma; die das ersehnte Paar nach Worms laden zur Feier des Sonnenwendfestes und in unsere Arme&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>So sprach die Trügerische&comma; und Gunther wagte nicht&comma; ihrem Wunsche entgegen zu sein&comma; aus Furcht&comma; sie könne erfahren&comma; daß er keine Lehnsmacht über Siegfried besitze und Brunhild ihn verachte&period; Darum hieß er die Boten reiten&comma; und sie ritten viele Tage den Rhein hinab und kamen nach Xanten und fanden Siegfried und Kriemhild in ihrem Glück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nibelungs Ring trug die schöne Königin am Finger&comma; und der Ring glitzerte tückisch auf&comma; als die Boten in den Thronsaal traten und in warmen Worten Gunthers und Brunhilds Einladung zu Gehör brachten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Großes Heimweh ergriff Kriemhilds weiche Seele&comma; als die Boten von Worms sprachen und von Frau Ute&comma; der harrenden Mutter&comma; von Gernot und Geiselher&comma; den lieben Brüdern&comma; von allen Gespielen und Plätzen der Kindheit&period; Eine Träne hängte sich schwer an ihre Wimper und fiel in ihren Schoß&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Siegfried sah es&comma; und schon hatte er sich entschieden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Saget&comma;« so rief er mit frohem Sinn&comma; »König Gunther und Königin Brunhild&comma; saget Frau Ute und Gernot und Geiselher und allen liebwerten Recken und Helden&comma; daß wir uns herzlich ihrer Gunstbezeigung freuen und mit Dank der Einladung folgen werden&period; Auf Wiedersehen&comma; ihr guten Boten&comma; zum Sonnenwendfest zu Worms am Rhein&period; Da wollen wir Freude trinken&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und er beschenkte die Boten zur Heimreise reich&comma; und Frau Kriemhild fiel ihm lachend um den Hals&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das war ein lustig Rüsten zur Sommerfahrt an den Rhein&period; In neuen Gewändern stolzierten die Ritter&comma; und die Rosse wieherten unter funkelndem Geschirr&period; Die Troßjungen pfiffen muntere Lieder&comma; und nur Mime&comma; der Schmied&comma; dem man die Botschaft in den Wald gesandt hatte&comma; kam in alter&comma; eiserner Rüstung und mit sorgenvollem Gesicht&period; Siegfried aber wollte nichts von Abraten wissen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Der Menschen Herzen läutern sich mit den Jahren&comma;« gab er Mime zur Antwort&period; »Wie darf ich Schlechtes von ihnen denken&comma; wenn mein Herz nicht selbst schlecht sein will&period; Und höre&comma; du Treuer&colon; Frau Kriemhild freut sich der Fahrt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Da ritt Mime in seinem alten Eisenharnisch an der Spitze der prunkvoll gekleideten Ritter&comma; dicht hinter Siegfried und Kriemhild&comma; und der alte König Siegmund blieb mit den Enkelkindern zurück und führte die Regierung des Landes&period; Siegfried aber sang an Kriemhilds Seite so hell wie in Jugendtagen&comma; und die Leute staunten dem schönen Helden nach&comma; und sein Bild machte aller Herzen fröhlich&period; Singend zog er durch die Lande&comma; als wäre er der Frühling&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So erreichten sie Worms&comma; die stolze Stadt&comma; und wurden von den Burgundenfürsten und Völkern mit Jubel empfangen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Brunhild aber dachte schon nach kurzem&comma; wie sie Kriemhild kränken könnte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Strahlend saß Siegfrieds schöne Frau neben Gunthers Königin in geschmückter Turnierloge&period; Da ritten und rangen die Ritter und Herren um hohen Preis unter den Augen der Fürstinnen&period; Und als Siegfried immer wieder mit leichter Hand den Sieg errang&comma; fragte Brunhild die strahlende Schwägerin&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Wie kommt es&comma; liebe Schwester&comma; daß man gar so selten von euch hört&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und Kriemhild antwortete fröhlich&colon; »Wir wußten nicht&comma; ob wir euch willkommen waren&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Da sagte Brunhild und hob hochmütig den Kopf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nun&comma; wenn ihr nicht&comma; so doch der Lehnszins&comma; den ihr uns all die Jahre schuldet&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Ganz blaß wurde Kriemhild&comma; und ein Zittern lief ihr über den Leib&period; Denn sie fühlte&comma; daß ihres Bruders Frau sie absichtlich verletzen wollte&period; Und der Stolz ging ihr hoch&comma; daß auch sie den Kopf zurückwarf und mit größerer Schärfe sprach&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ihr irrt Euch&comma; edle Frau&comma; mein Herr Siegfried ist keinem zinsbar als in Liebe mir&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»So sollte&comma;« fragte Brunhild spottend&comma; »der starke Held Euch verschwiegen haben&comma; daß er meines Herrn Gunther Dienstmann ist&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Wohl atmete Kriemhild schwer&comma; aber sie beherrschte sich und sprach&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Man hat Euch ein Märlein aufgebunden&comma; edle Frau&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Da eiferte Brunhild&colon; »Ich weiß es von Gunther&comma; Eurem Bruder&period; Wollt Ihr den König Lügen strafen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und Kriemhild wiederholte mit bebenden Lippen&colon; »Man hat Euch trotzdem ein Märlein aufgebunden&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Brunhild aber erhob sich hochmütig von ihrem Platze&period; »Wir sprechen uns noch ein andermal&comma;« raunte sie heftig&comma; »und ich werde Euch Eure Stellung schon anweisen&comma; vielwerte Schwägerin&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Den Schleier wand Kriemhild um ihr Gesicht&comma; damit man nicht ihre zornigen Tränen gewahre&period; Aber Siegfried gewahrte sie doch&comma; als er am Abend in ihr Zimmer trat&comma; und sie sagte ihm alles&comma; was sich zugetragen hatte&period; Da lachte der Held belustigt&comma; denn er hatte schwerere Unbill erwartet&comma; und er untersagte seiner Frau&comma; sich mit Brunhild zu streiten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Es ist schlimm&comma; wenn der Gastgeber seine Pflichten verletzt&comma; schlimmer aber&comma; wenn der Gast zänkisch und undankbar erscheint&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>So sprach der erfahrene Mann&period; In seinem Herzen zwar begriff auch er nicht Gunthers Schweigen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Hell schimmerte der Morgen des Sonnwendtages über Worms empor&comma; und die Glocken riefen durch die Lüfte zum feierlichen Hochamt im Münster&period; In ihren festlichsten Gewändern zogen die Recken zur Kirche&comma; und gesondert von ihnen gingen die Frauen in prangenden Kleidern&period; Schon waren die Könige mit ihrem Gefolge in den Dom getreten&comma; als die Königinnen Brunhild und Kriemhild vor dem Portale zusammentrafen&period; In purpurne Seide war Gunthers Frau gekleidet&comma; die stand herrlich zu ihrem schwarzen Haar&period; Siegfrieds blonde Gattin aber sah aus wie der helle Morgen in ihrem lichtblauen Kleide&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als sie dicht nebeneinander die Treppe hinan zum Portale schritten&comma; sprang plötzlich die Königin Brunhild vor und wehrte der Königin Kriemhild mit ihr gemeinsam den Eingang&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Was maßt Ihr Euch an&quest;« schalt sie zornig&period; »Wißt Ihr nicht&comma; was höfische Sitte gebietet&comma; und daß die edlere Frau den Vortritt hat&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Wenn es danach ginge&comma;« sprach die Königin Kriemhild&comma; »so müßtet Ihr füglich zurückstehen&comma; denn meines Herrn Siegfried Name steht höher als der König Gunthers&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Er ist ein Mietling und bezahlter Knecht König Gunthers&excl;« rief die Königin Brunhild und stampfte mit dem Fuße&period; »Er hielt auf Island den Steigbügel seinem Herrn&excl; Zurück&comma; sage ich&comma; und begebt Euch nach Gebühr in die Reihe der dienenden Frauen&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Da wallte Kriemhilds Fürstenblut hoch auf&comma; und die schönen Arme schüttelnd&comma; rief sie außer sich über die Schmach&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ihr lügt&excl; Weil Euer Mann ein Schwächling war&comma; gebrauchte Siegfried die Kriegslist und stellte sich hinter den König&period; Aber auch im Kampfspiel mit Euch stand er hinter ihm&period; Wähnet Ihr wirklich&comma; Gunther habe Euch besiegt&quest; Siegfried war's&comma; mein Herr und Held Siegfried&excl; Ha&comma; wie Ihr erblaßt&excl; Unsichtbar unter der Tarnkappe bekämpfte Euch mein Herr&comma; und Gunther tat nur die Gebärden&comma; und im Weitsprung trug mein Herr Siegfried gar Euren König unterm Arm durch die Lüfte&excl; Was&quest; Schämt Ihr Euch nun Eurer Frechheit&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Verzerrten Gesichtes starrte die Königin Brunhild auf die Eifernde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Und Ihr lügt dennoch&excl;« kreischte sie&period; »Einen Stärkeren als Gunther trägt nicht die Erde&comma; denn ich habe mit ihm um mein Bett gekämpft und furchtbar seine Manneskraft verspürt&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Siegfrieds Manneskraft habt Ihr verspürt&excl;« jauchzte die Königin Kriemhild ihr ins Gesicht&period; »Siegfried warf Euch aufs Bette&comma; bis Ihr demütig wurdet und um Gnade betteltet&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Lügnerin&excl;« schrie die Königin Brunhild noch einmal&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da reckte die Königin Kriemhild ihr die Hand unter die Augen&comma; an der König Nibelungs Ring stak&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Kennt Ihr diesen Ring&quest;« frohlockte sie&period; »Siegfried nahm ihn Euch&comma; seinen Verlobungsreif holte er sich wieder in der Nacht&comma; da er Euch gebändigt an König Gunther abtrat wie ein altes Gewand&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Da brach die Königin Brunhild in ohnmächtiger Wut am Portale nieder&comma; und die Königin Kriemhild schritt triumphierend hindurch und schritt als erste in die Kirche&period; —<&sol;p>&NewLine;<p>Nach Hause war Brunhild gewankt und hatte in tobenden Racheplänen gesessen&comma; bis ihr Hagen von Tronje gemeldet wurde&comma; nach dem sie gesandt hatte&period; Schon wußte der grimme Mann von dem Streit der Frauen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Hier bin ich&comma;« sagte er&comma; und sein Einauge funkelte&period; »Sprecht es aus&comma; was geschehen soll&period; Meine Königin darf nirgendwo und nie die zweite sein&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»So vernahmt Ihr die Schmach&comma; die Kriemhild mir angetan&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich weiß nur&comma;« sprach der finstere Hagen&comma; »daß Kriemhild sterben muß&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Nein&excl;« rief Brunhild und erhob sich mit hassenden Augen&period; »Nein&comma; denn zu wenig wäre das&period; Eine Frau stirbt gern mit dem Stolz auf ihren Mann in der Brust&period; Schwereres&comma; viel Schwereres gilt es&comma; das tausend Tode wiegt&period; Den geliebten Mann tot und von Waffen zerrissen vor sich liegen sehen&comma; nie mehr erreichbar dem Ruf der Liebe&comma; nie mehr erreichbar dem Ruf der Not&period; Und selber sich fortan fühlen als ein Spielball des Geschicks&comma; der Gnade der Menschen preisgegeben&period; Das Furchtbarste&comma; das eine Frau treffen kann&colon; Kriemhild soll es treffen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Da sprach der finstere Mann&colon; »Siegfried stirbt noch heute&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und sie saßen beieinander und besprachen den dunklen Plan&period; —<&sol;p>&NewLine;<p>Mit erregten Worten hatte Siegfried sein Weib zur Rede gestellt und sie hart angefahren&comma; daß sie wie eine schlecht erzogene Zänkerin erwiesene Gastfreundschaft lohne&period; »Man verläßt ein Haus&comma; in dem man beleidigt wird&comma; aber man beleidigt nicht wieder&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Deinetwegen tat ich es&comma;« schluchzte Kriemhild in Tränen&comma; »ich tat es um deiner Ehre willen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Der Herold Sindold klopfte an die Tür und bat den edlen Herrn Siegfried zu seinem Herrn Gunther&period; Und auf der Stelle folgte ihm der Held&period; Denn er wünschte sogleich den Streit zu schlichten&period; Bei König Gunther aber saß Hagen von Tronje&comma; und Hagen von Tronje hatte gesprochen&colon; »Heute noch muß Siegfried sterben&comma; oder Ihr seid der Liebe Eures Weibes und der Achtung Eures Volkes verlustig&period; Heute noch auf der Jagd&period; Es gibt keinen Ausweg&period;« Und König Gunther hatte ihm mit blassen Lippen zugestimmt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als Siegfried eintrat&comma; erhoben sich die Herren und stellten sich jeder Versöhnung geneigt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich weiß es wohl&comma;« sagte König Gunther&comma; »daß Ihr an den bösen Worten schuldlos seid&period; Wer urteilt richtig bei einem Zungenkampf von Frauen&period; Keine will den Zank begonnen&comma; eine jede aber recht zum Schlusse haben&period; Laßt uns kein Wort mehr darüber verlieren&comma; mein edler Siegfried&comma; und zum Zeichen&comma; daß zwischen uns Männern kein Zwist besteht&comma; allsogleich miteinander aufbrechen&comma; den Tag und Abend bei fröhlichem Weidwerk zu verbringen&period; Solch Tun wird jede üble Nachrede im Keim ersticken&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Beschämt von so königlicher Güte reichte Siegfried dem Schwager beide Hände&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Nehmt mein Versprechen&comma; daß mein Weib das Eure als erste um Verzeihung bitten soll&comma; sobald sie sich von ihren Tränen erholt hat&period; Denn ich habe sie hart gescholten&period;« Und er atmete befreit&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Hagen aber ging&comma; die Jäger zusammenblasen zu lassen und Speise und Trank zu bestellen für weidlichen Imbiß im Walde&period; Und er ging hastig weiter und trat vor Frau Kriemhild&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Vieledle Königin&comma;« rief er fröhlich&comma; »unsere Herren haben sich versöhnt und reiten zur Jagd über den Rhein in den Odenwald&period; Legt Eurem Herrn Siegfried eilends sein Jagdgewand zurecht&comma; denn gleich brechen wir auf&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und Kriemhild klagte&colon; »Er wird im Zorne von mir scheiden und darum ein schlechter Jäger sein&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Ich werde ihn wohl behüten&comma;« versprach Hagen von Tronje&period; »Auch ist ja seine Haut hörnern und gefeit gegen Waffen der Menschen und Tiere&period; Bis auf die kleine Stelle&comma; von der die Kunde spricht&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Aber Kriemhild klagte weiter&colon; »O Hagen&comma; teurer Oheim&comma; wie hat mich mein Herr gescholten&comma; und nun ist mir das Herz so schwer&comma; als stünde ein Unglück in der Luft&comma; dicht über meinem Herrn&period; Oh&comma; wenn ihn ein Eber mit seinen Hörnern packte oder ein wilder Stier mit seinem Gehörn&excl; Die Stelle könnte er treffen&comma; an der Siegfried einzig verwundbar ist&comma; und da mein Herr mir zürnt&comma; werden seine Gedanken nicht beim Weidwerk sein&comma; wie die Gefahr es heischt&period; O Gott&comma; wie sollte ich die Schuld überleben&comma; wenn ihn etwas träfe&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>So klagte die Königin und ihr Herz war ahnungsschwer&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da sprach Hagen zu ihr&colon; »Ich fühle Euch nach&comma; daß Ihr besorgt seid an solchem Tage&period; Aber ich will Euch Eure Sorgen abnehmen und auf der Jagd nicht von Eurem Herrn weichen&period; Nehmt ein rotes Fädlein und näht es auf sein Jagdwams&comma; dorthin&comma; wo sich des Helden verwundbare Stelle befindet&comma; und ich will sie getreu mit meinem Schilde hüten&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Mit vielen Dankesworten befolgte die weinende Frau den Rat und nähte ein rotes Kreuzlein auf den Rücken des Wamses&period; Hagen aber ging&comma; da er Siegfried kommen hörte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>In der Mittagsglut fuhren die Jäger über den Rhein&comma; bestiegen ihre Rosse und jagten in den kühlenden Schatten des Waldes hinein&period; Hussa&comma; wie da Siegfried hinter der Meute stürmte&excl; Hussa&comma; wie sein schallender Weidmannsruf das Wild aufschreckte aus Höhlen und Gestrüpp&excl; Einen riesigen Wisent warf er mit der Lanze um&comma; daß das Ungetüm tot zusammenbrach&period; Einen Wolf&comma; der ihn ansprang&comma; durchschoß er mit dem Pfeil&period; Und einen Eber&comma; der schnaufend angerannt kam&comma; schlug er mit Balmung&comma; seinem Schwert&comma; so furchtbar ins Genick&comma; daß der Kopf des Ungeheuers sich vom Rumpfe trennte und augenrollend im Sumpfe lag&period; Hirsch und Rehwild zu erlegen&comma; überließ er den anderen&period; Immer weiter jagte er in den dichten Forst&comma; die Jäger hinter ihm&period; Da hob sich ein Bär von nie gesehener Größe aus seinem Lager auf den Hinterpranken&comma; und die Jäger stoben schreiend von dannen&period; Siegfried aber sprang vom Pferde&comma; warf sich mit weitgeöffneten Armen auf das Untier&comma; rang es nieder&comma; schnürte ihm die Beine zusammen und schleppte es lebendig auf den Lagerplatz&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Und es war ein Rühmen und Jauchzen unter allen Jagdgenossen&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Sie saßen um die Lagerfeuer und griffen nach den schmorenden Braten&period; Da rief Siegfried&colon; »Wo bleibt der Schenk&quest; Die Zunge klebt mir im Munde&comma; so durstig hat mich die wilde Jagd gemacht und der heiße Tag&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und Hagen wandte sich zu ihm und sprach&colon; »Verzeihet mir&comma; sehr edler Herr Siegfried&period; Ich trage die Schuld&comma; daß wir dursten müssen&comma; denn ich sandte den Wein versehentlich an eine andere Stelle&comma; die leider weit von dieser liegt&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Das machte den Helden unfroh&comma; und er rief im Unmut&colon; »So wollt Ihr mich denn wirklich verdursten lassen&comma; nachdem ich Euch den Wald gesäubert habe&quest; Das deucht mir schlechter Lohn&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>»Tut's für einen Weidmann nicht auch einmal das Wasser&quest;« fragte Hagen begütigend&period; »Ich weiß hier einen Born&comma; edler Herr&comma; den das köstlichste Quellwasser speist&period; Befehlet nur&comma; daß ich ihn Euch zeige&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Lachend sprang Siegfried auf&comma; und aller Unmut war verflogen&period; »Vorwärts&comma; vorwärts&comma;« rief er&comma; »weist ihn nur her&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Da wies ihm Hagen den Brunnen in der Ferne&comma; faßte aber des Helden Gewand und bat um eine Gunst&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Zum Zeichen&comma; daß Ihr mir nicht zürnt&comma; lauft mit mir um die Wette hin&period; Nie sah ich Euch zu Fuß über die Heide jagen&period; In dieser Kunst möchte ich mich wohl mit Euch messen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und ritterlich antwortete Siegfried&colon; »Ich übte sie oft&comma; und kein Hirsch ist mir zu schnell&comma; daß ich ihn nicht mit den Händen im Laufe griffe&period; So will ich denn Schild und Schwert und Speer im Wettlauf mit mir tragen&comma; während Ihr ohne Lasten laufen sollt&period; Auf solche Art mag es sich ausgleichen&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Da stellten sich die Helden nebeneinander hin&comma; und auf Gunthers Zeichen rannten sie dahin wie der Wind&comma; und um eines Speerschusses Länge gelangte Siegfried vor Hagen ans Ziel&period; Die Waffen warf er zur Seite&comma; und tief beugte er sich über den Brunnen&comma; seinen heißen Durst zu löschen&period; Nun aber war Hagen herangekommen&period; Hastig trug er Siegfrieds Waffen ins bergende Dickicht&comma; bis auf den Speer&period; Den packte er mit eisernen Fäusten und hob ihn hoch&period; Sein funkelndes Einauge ersah das rote Kreuz&comma; das Kriemhilds sorgende Liebe auf ihres Herrn Wams geheftet hatte&comma; dicht unter den Schulterblättern&period; Und mit furchtbarer Wucht stieß Hagen von Tronje zu und durchstieß des Helden Rücken und Brust&comma; daß die Schärfe des Speeres aus der Brust und der Schaft aus dem Rücken hervorsah und das Blut zu beiden Seiten hervorschäumte wie reißende Wildbäche&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Einen Schrei stieß Siegfried aus&comma; daß Himmel und Erde erbebten&comma; daß selbst der Mörder mit gelähmten Händen stand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Feiger Verräter&excl; Meuchelmörder&excl;« klang es durch den Wald&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Und blutüberströmt warf sich der sterbende Held mit letzter Kraft auf Hagen von Tronje&comma; riß den Erstarrten hoch vom Boden auf und schleuderte ihn in die Steine&comma; daß Hagens ganzer Leib erkrachte und es ihm schwarz vor den Augen wurde&period;<&sol;p>&NewLine;<p>In den Blumen am Quell sank Siegfried nieder&comma; und sein teures Blut entströmte unaufhaltsam&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»Kriemhild&comma;« flüsterte er&comma; »süße Frau&comma; ich liebe dich&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Mit blassem Gesicht stürmte Gunther herbei und seine Ritter&period; »Was geht hier vor&quest;« rief er noch aus der Ferne&period; »Was ist geschehen&quest;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und Siegfried schlug die Augen auf und sprach&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Die furchtbarste Untat ist geschehen&comma; die je die Sonne sah&period; Den treuesten Freund habt Ihr erschlagen lassen&comma; der Euch nur Gutes erwies&period; Ich aber prophezeie Euch&colon; Mein Tod wird über euch kommen und euch alle verderben&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und er schloß die Augen&comma; tat noch einen Seufzer&comma; der wie »Kriemhild« klang&comma; und verschied in den Blumen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Siegfried&comma; der Held&comma; war tot&period; — —<&sol;p>&NewLine;<p>Und jäh sank die Sonne unter&comma; und es ward finstere Nacht&period; Ein eisiger Hauch ging durch den Wald&comma; daß Menschen und Tiere fröstelten&comma; als wäre der Frühling für immer entflohen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da legten sie Siegfrieds Leiche auf seinen Schild&comma; den sie im Dickicht fanden&comma; und Hagen nahm heimlich Siegfrieds Schwert Balmung an sich&comma; und alle gelobten sie Stillschweigen über die Tat&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aus dem Walde gingen sie und fuhren in der Nacht über den Rhein&period; Stumm schritten sie mit ihrer Last in die Königsburg hinein&comma; und wie zum Hohne ließ Hagen des Helden blutigen Leib auf die Schwelle von Kriemhilds Kemenate legen&comma; als Gruß der Königin Brunhild&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Vor Morgengrauen schon erhob sich Kriemhild aus schreckhaften Träumen&period; Hastig kleidete sie sich an&period; Ihr war gewesen&comma; als hätte Siegfried sie gerufen in heißer Not&period; Zum Münster wollte sie eilen&comma; um zu beten&period; Und als sie die Tür ihrer Kemenate öffnete&comma; stolperte sie über den Leichnam ihres Herrn und fiel aufschreiend in Ohnmacht über ihn&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Den Schrei hatte Mime gehört&comma; der treue Schmied&period; In seiner Eisenrüstung eilte er herbei und fand Kriemhild am Halse ihres toten Gemahls mit irren Augen&period; Sie war erwacht und doch nicht in der Welt&period; Furchtbar gellten ihre Schreie durch das Haus und über die schlummernde Stadt Worms&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Erschüttert stand Mime und klagte nassen Auges lange um seinen Zögling&period; Dann trug er mit Kriemhild die Leiche Siegfrieds ins Gemach hinein&comma; und sie wuschen den Leib und hüllten ihn in weißes Linnen&period; Auf dem Gange aber sammelten sich mit verstörten Gesichtern die Ritter und Frauen&comma; und König Gunther kam mit seinem ganzen Hof&comma; und auch Hagen von Tronje trat mit ihm ins Zimmer&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Und König Gunther sprach&colon; »Es ist ein Unglück geschehen&comma; liebe Schwester&comma; und keinen trifft die Schuld&period;«<&sol;p>&NewLine;<p>Da richtete sich Kriemhild an der Leiche auf und spähte in allen Gesichtern&period;<&sol;p>&NewLine;<p>»So ihr die Wahrheit redet und euch nicht fürchtet&comma;« rief sie herrisch&comma; »tretet heran an die Leiche&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und sie traten alle heran&period; Doch als Hagen von Tronje an die Reihe kam&comma; brachen des Leichnams Wunden auf&comma; und das Blut strömte anklagend aufs neue&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da schrie die Königin Kriemhild&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>»Er ist es&excl; Er ist der Mörder&excl; Auf ihn&comma; Mime&comma; rächt unsern Herrn&excl;«<&sol;p>&NewLine;<p>Und wie ein Tiger sprang Mime den Tronjer an und schlug ihm tiefe Wunden&period; Aber Hagen führte Siegfrieds Schwert an der Seite und riß es aus der Scheide&comma; und der Stahl Balmung schnitt sausend durch Mimes Eisenkleid und nahm des treuen Mannes Leben&period; Da lächelte Mime&comma; der Schmied&comma; noch im Tode&comma; weil er eine so gute Waffe geschmiedet hatte&comma; und lag ausgestreckt zu seines lieben Siegfrieds Füßen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Drei Tage klagte Kriemhild laut in der Totenwacht um ihren Herrn&period; Dann schritt sie schweigend hinter dem Sarge zum Münster&period; Ein Bild war ihr gekommen&comma; das stand wie eine Weissagung vor ihren Augen&period; Als Königin sah sie sich eines mächtigen Herrschers in fernem Lande&comma; und die Burgunden sah sie aus der Heimat reiten&comma; sie zu besuchen&comma; und eine weite Halle sah sie voll Männerkampf und Rauch und Flammen&comma; und den würgenden Tod sah sie&comma; dem keiner von allen entkam&comma; den Tod sah sie als Siegfrieds Rächer&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Priester beteten&comma; die Glocken läuteten&comma; Siegfrieds Gruft schloß sich vor den Augen der Menschen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Kriemhild aber stand hochaufgerichtet mit ausgestreckter Hand und blickte starr auf den schillernden Nibelungenring an ihrem Finger und stärkte seinen Fluch mit ihrem Fluche&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"text-align&colon; center&semi;">»Rache für Siegfried&comma; den Helden&excl;«<&sol;p>

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