Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Rübezahl - Deutsche Volksmärchen vom Berggeist und Herrn des Riesengebirges
(Rudolf Reichhardt)

Das sonderbare Wirtshaus

Auf der Straße durch das Gebirge zogen drei muntere Studenten. Aus voller Kehle und frischer Brust ließen sie das alte Studentenlied erschallen:

Ich lobe mir das Burschenleben,
Ein jeder lobt sich seinen Stand,
Der Freiheit hab’ ich mich ergeben,
Sie bleibt mein bestes Unterpfand.
Studenten sind fidele Brüder,
Kein Unfall schlägt sie ganz danieder. —

„Was Unfall,“ meinte der eine, „was könnte uns wohl passieren; uns gehört die Welt und wenn der Beutel auch in unserer alten Musenstadt Prag ein wenig schmal geworden ist, was verschlägt’s? Sind wir erst über das Gebirge gelangt, dann lacht uns die Heimat entgegen und in den Ferien gibt’s wieder Geld in Vaters Haus.“

„Nun, so weit sind wir aber noch lange nicht,“ meinte der zweite, ein hochgewachsener, blonder Jüngling, „der Weg über das Gebirge wird uns sauer werden, zumal meines Wissens kein Wirtshaus uns zur Erholung und Einkehr einlädt, wie uns in der letzten Herberge versichert wurde.“

„Das hat,“ so nahm Philipp, der dritte der Studenten, welcher in Prag Rechtswissenschaft studierte, das Wort, „darin seinen Grund, daß der Herr des Gebirges, Rübezahl, die Errichtung eines Wirtshauses auf seinem Gebiet verbietet.“

„Tor,“ erwiderte Hans, der erste der drei, „glaubst wohl noch an Spuken. Das sind Kindermärchen, die man sich in den Spinnstuben erzählt. Geh zu den alten Großmüttern und erzähle ihnen das, aber uns verschone mit solchem albernen Geschwätz.“

„Gemach,“ warf Philipp ein, „lieber Freund. Weißt du nicht, daß vor vier Jahren, also im Jahre 1607, auf dem Markte unserer Stadt vom Büchermann ein Buch feilgeboten wurde, das von einem gelehrten Manne, namens Schwenckfeldt, verfaßt war und reißenden Absatz fand? Es führt den Titel ‚Hirschbergischen Warmen Bades in Schlesien unter dem Riesengebirge gelegenen kurtze und einfältige Beschreibung‘. Darin habe ich mancherlei vom Rübezahl gelesen —“

„Was nicht wahr ist“ — fiel ihm Georg, der blonde Jüngling, ins Wort — „denn Schwenckfeldt behauptet nirgends, daß er selbst den ‚Ribenzahl‘ oder ‚Ribinzagel‘, wie er ihn nennt, gesehen hat. Er gibt nur die Erzählungen des Volkes wieder.“

„Mir wär’s schon recht, daß es einen Rübezahl gäbe,“ brach Hans das Gespräch ab, „wenn nur der alte Knabe schnell für uns hier oben ein Wirtshaus baute, denn es ist ein wahres Elend, hier unter den Strahlen der glühendsten Sonnenhitze einherstapfen zu müssen, ohne einen Trank oder einen Imbiß zu finden. Mir ist unbegreiflich, daß sich hier kein Wirt anbaut; er würde bei dem lebhaften Wanderverkehr sicherlich sein Geschäft machen.“

„Weil,“ sagte Philipp, „wie ich bereits erwähnte, die Leute Furcht vor dem Herrn des Gebirges haben.“

„Nun höre mir aber endlich mit dem Popanz, dem Rübezahl, auf, lieber Freund,“ rief Hans ärgerlich.

„Na — wer sagt’s denn,“ jubelte da plötzlich Georg auf, „dort steht ja das ersehnte Wirtshaus!“

Die beiden andern Studenten trauten kaum ihren Augen, denn vor ihnen lag in der Tat ein stattliches Gebäude, aus dessen Schornstein der Rauch über die Tannen wirbelte. Vor dem Hause war ein Blumengarten angelegt, in welchem Rosen, Nelken, Rittersporn, Astern und Sonnenblumen blühten, und eine Kegelbahn lud zum Kegelspiel ein. Vor dem Hause stand der behäbige Wirt mit kurzem Rock, kurzen, schwarzen Samthosen, roten Strümpfen und glänzenden Schuhen. Ehrerbietig zog er sein Käppchen, verneigte sich vor den Studenten und erklärte ihnen, daß es ihm eine besondere Ehre sein würde, die Herrschaften in seinem bescheidenen Gasthof bewirten zu dürfen. Er würde alles aufbieten, um ihren Ansprüchen in jeder Weise gerecht zu werden.

„Nun, allzu lang wird Euer Speisezettel wohl nicht sein,“ meinte Hans, den die Anrede des Wirtes ein wenig übermütig gemacht hatte.

„Befehlt nur, ihr Herren,“ erwiderte der Wirt, „was Küche und Keller bieten, soll euch werden.“

„Wohlan,“ sagte Hans, „so bringt uns drei gebratene Feldhühner in Savoyerkohl, eine Schüssel schöngesottener Krebse und dazu eine Flasche des ältesten Landweins, je älter desto besser.“

Hierauf traten die Studenten ins Herrenstübchen ein, legten ihr Ränzel ab und machten sich’s bequem, während der Wirt in Küche und Keller eilte, das Bestellte zu besorgen.

Nach Verlauf einer Viertelstunde kehrte er zurück, deckte den Tisch mit einem kostbaren Tischtuch, legte silberne Bestecke auf und tat so, als ob er fürstliche Herrschaften zu bedienen habe. Während er alles ordnete, meinte er: „Es hält jetzt schwer, Feldhühner zu bekommen und auch von den Krebsen bringe ich heute die ersten auf den Tisch. Aber für gutes Geld wird alles geschafft.“ Er tat gar nicht, als ob er die Verlegenheit der jungen Herren bemerkte, sondern brachte außer dem Landwein noch eine Flasche Tokaier.

Philipp wurde es unheimlich; ihm stieg eine Ahnung auf, daß das Wirtshaus ein bezaubertes und der Wirt kein anderer sei als Rübezahl.

Als dieser auf einige Zeit das Zimmer verließ, teilte er seine Befürchtungen seinen Kommilitonen mit. Diese aber lachten ihn aus, der Wein machte ihre Zunge immer geläufiger und ihr Herz mutiger. Hans rief den Wirt und forderte ihn auf, für sich ein Glas mitzubringen, um mit ihnen anstoßen zu können. Das geschah und Georg erhob sein Glas und sprach: „Ich will eine Gesundheit ausbringen. Daß wir hier auf einsamer Höhe mit Speise und Trank so vortrefflich erquickt wurden, verdanken wir gewiß dem Herrn des Berges, er lebe hoch, hoch, hoch!“ Der Wirt stieß mit den Studenten an. Aber sofort saß Georg wieder der Schalk im Nacken und er rief noch einmal: „Ja, der alte, gute Rübezahl soll leben, hoch!“

Philipp stieß diesmal nicht mit seinen Gefährten an und auch der Wirt zog seine Stirne kraus, machte eine gar ernste Miene, stellte sein Glas auf den Tisch und sagte: „Wie Euer Genosse, so habe ich wohl auf die Gesundheit des Herrn vom Berge angestoßen, nicht aber in das Hoch auf Rübezahl eingestimmt, wie er auch tat, und zwar mit Recht. Ihr nennt ihn bei seinem Spottnamen, auf diesen stoße ich nicht an, denn ich weiß, daß er sich an denen rächt, die ihn damit an jene traurige Geschichte erinnern. Euer Genosse scheint auch darum zu wissen.“

Lautes Gelächter war die Antwort der beiden angeheiterten Studenten auf die Mahnung des Wirtes.

„Nun, Philipp,“ meinte Hans, „da hast du ja einen Gesinnungsgenossen gefunden, zu glauben, jenen Ammenmärchen von einem neckenden Kobold, der auf dem Riesengebirge sein Unwesen treiben soll. Ich wünschte nichts sehnlicher, als ihm in höchsteigener Person zu begegnen. Das wird aber nie der Fall sein, weil es eben keinen Rübezahl gibt. Wir, mein lieber Herr Wirt, von der hohen Schule atmen eine freie Luft und belächeln jene Torheiten, die sich nur im Aberglauben des Volkes finden.“

Der Wirt wollte antworten, aber es kam ihm ein besserer Gedanke in den Kopf und er trat vor die Studenten mit der freundlichen Aufforderung: „Wollen die Herren nicht vielleicht sich ein wenig im Freien Bewegung machen und einen Stamm kegeln? Den Kegeljungen will ich selbst machen.“

Der Vorschlag fand freudige Zustimmung. Hans und Georg begannen zu schieben, aber merkwürdig: entweder kam ein „Sandhase“ heraus, d. h. die Kugel ging an den Kegeln vorbei, oder sie trafen eine „Methode“, d. h. die zwei Gassenkegel. Besseren Erfolg hatte Philipp. Er warf dreimal hintereinander acht um den König, was für den besten Wurf galt. Ärgerlich brachen Hans und Georg das Spiel ab.

Nun kam aber das Schlimmste, das Zahlen. Verlegen fragte Hans nach der Schuld. Der Wirt rechnete nach, dann sprach er zu Philipp:

„Von Euch, junger Herr, nehme ich nichts. Ihr habt Euch frei gekegelt, da Ihr dreimal den König allein habt stehen lassen. Die Zeche der anderen Herren beträgt vier Taler, zwei Taler auf jeden.“

Da wurde die Barschaft noch einmal überrechnet und die beiden Studenten brachten gerade noch die geforderte Summe zusammen.

Als es zum Abschied ging, überreichte der höfliche Wirt Georg und Hans ein Päckchen und meinte: „Bis zum nächsten Gasthause ist’s noch weit, darum habe ich den Herren einen kleinen Imbiß für den Weg eingewickelt. Euch aber, junger Herr, schenke ich, da Ihr so vortrefflich gekegelt habt, den Kegelkönig.“

Dankend steckte Philipp den Kegel in die Tasche und die drei Burschen zogen weiter ihres Wegs. Unterwegs mußte Philipp noch manchen Spott seiner Kameraden hinnehmen, daß der Wirt ihm einen Kegel zur Zehrung auf den Weg gegeben habe.

„Laßt’s gut sein,“ meinte er, „ich habe so meine Gedanken über das Geschenk und will es tragen als Andenken an unser Abenteuer im Gebirge.“

„Der hat den Rübezahl immer noch im Kopf,“ höhnte Hans. „Wir wollen uns lieber in das Gras setzen und unser Vesperbrot verzehren. Du, Philipp, magst ein Stück vom Kopfe deines Kegelkönigs abbeißen.“ Als sie aber ihre Päckchen öffnen wollten, sprang aus dem einen ein Frosch, aus dem andern eine Eidechse heraus, so daß sie entsetzt zurückfuhren. So zogen sie hungrig weiter und jeglicher Spott und Zweifel an dem Dasein des Berggeistes verstummte. Philipps Kegel wurde immer schwerer und schwerer, er zog ihn aus seiner Tasche, sieh! da leuchtete er wunderbar im Mondschein. Er sah ihn näher an — der Kegel war lauteres Gold, darum war er auch so schwer. Philipp verkaufte den Kegel, konnte nun ohne Not seine Studien vollenden und ist ein gelehrter Mann geworden.