Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Rübezahl - Deutsche Volksmärchen vom Berggeist und Herrn des Riesengebirges
(Rudolf Reichhardt)

Der arme Weberlieb

<p>Der Winter schien in diesem Jahre kein Ende zu nehmen&period; Wochenlang lag eine dichte Schneedecke auf der Erde und zwischen den Dörfern des Riesengebirges hörte jeglicher Verkehr auf&period; Da ging für die Weberfamilien eine große Not an und Entbehrung und Armut waren die beständigen Gäste des Hauses&period; Diese Notlage der Weber benutzten gewissenlose Kaufleute in den Städten&comma; indem sie ihnen für die gelieferte Leinwand geringeren Lohn boten&period; Sie wußten genau&comma; daß die armen Leute unter allen Umständen Geld brauchten und brachten so die Waren für einen Spottpreis an sich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„’s fast zum Verzweifeln&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; so sprach eines Abends der Webergottfried zu seinem Weibe&comma; „erst muß man in Schnee und Kälte den jetzt so gefahrvollen Weg zur Stadt machen und dann erhält man einen Hungerlohn&comma; der kaum uns beide sättigen kann&comma; während doch noch acht Kinder wie die Orgelpfeifen um den Tisch stehen und sehnsüchtig nach der spärlichen Mahlzeit ausschauen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Das wird ein trauriges Weihnachtsfest werden&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; versetzte seufzend die Frau&comma; „Gott gebe nur&comma; daß die Krankheit&comma; welche in einigen Häusern eingekehrt ist&comma; nicht ansteckend ist und über alle Familien kommt&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Keinem gingen die Sorgen der Eltern mehr zu Herzen als dem ältesten Sohn&comma; dem Gottlieb&comma; oder wie er im Dorfe von andern Trägern seines Namens unterschieden wurde&comma; dem Weberlieb&period; Das war ein braver&comma; munterer Junge mit einem Herzen voll Mitleid&comma; der sein Stückchen Brot mit dem armen Manne teilte&comma; der hungrig und elend sich durchs Dorf schlich&period; Den Eltern ging er unermüdlich zur Hand&period; Im Sommer suchte er im Walde Beeren und Pilze&comma; im Winter trug er trockenes Holz für den Ofen aus dem Walde herzu oder verdiente sich ein paar Pfennige durch kleine Botenwege&period; Aber wie sollte er nun bei diesem strengen&comma; eiskalten Winter Arbeit sich verschaffen&quest;<&sol;p>&NewLine;<p>Weihnachten stand vor der Tür&comma; aber im Dorfe sah es nicht weihnachtlich aus&comma; denn wo die Armut wohnt&comma; muß die Festfreude weichen&period; Dazu kam&comma; daß die Krankheit sich als die rote Ruhr entwickelt hatte&comma; wohl als Folge des Genusses von unnatürlicher Nahrung&period; Da standen die Webstühle still und fast in jedem Hause lag ein Kranker&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Auch den Weberfriedel hatte die Krankheit aufs Lager geworfen und eine entsetzliche Not herrschte im Hause&period; Hungernd und frierend saßen die Kinder um den Ofen herum&period; Das jammerte unsern Gottlieb so sehr&comma; daß er vor seine Mutter trat und sprach&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>„Hat nicht der Vater noch fertige Leinwand übrig&comma; Mutter&comma; welche wir verkaufen könnten&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Freilich&comma; Lieb&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; entgegnete diese&comma; „dann hätten wir wohl auf einige Zeit Brot&comma; aber wer will denn die schwere Webe vier Stunden weit über das verschneite Gebirge in die Stadt tragen&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Gottlieb war sogleich bereit&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Das geht nicht an&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; antwortete die Mutter&comma; „du bist schwach und ausgehungert&comma; Zehrung kann ich dir nicht auf den Weg geben und in deinem dünnen Röckchen pfeift dir der kalte Wind bis auf die bloße Haut&comma; daß du zitterst und bebst&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Aber es wird uns allen geholfen&comma; liebe Mutter&comma; laß mich in Gottes Namen ziehen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Gottlieb band sich ein Tuch über Kopf und Leib&comma; legte den Reisesack mit der Leinwand auf die Schulter und sagte seiner Mutter herzlich Lebewohl&period; Hinaus ging’s durch den schneidenden Nordwind&semi; oft hatte der Schnee eine Bank über den Weg geweht und der Knabe mußte sie Schritt für Schritt durchqueren&comma; oft glitt er am Rande mit Schnee bedeckter Gräben aus und sank tief ein&comma; oft mußte er sich ermüdet auf einen Stein setzen&comma; um Atem zu schöpfen&period; Endlich nach unsäglicher Mühe und Anstrengung schleppte er sich an sein Ziel und kam in das Haus des Kaufmanns&period; Der kam ihm eben mit einem Reisepelz entgegen und wies ihn aus seinem Hause&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Hat man nicht einmal am Heiligabend Ruhe vor dem Webergesindel&period; Marsch&comma; daß du hinauskommst&comma; ich kann dir deine Leinwand nicht abnehmen&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; so klang’s aus dem Munde des harten Mannes und dem armen Weberlieb liefen die Tränen über die Backen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ach&comma; Herr&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; flehte der arme Junge&comma; „erbarmt Euch diesmal meines armen Vaters&comma; er liegt an der Ruhr krank danieder&period; Nehmt mir die Leinwand&comma; ich muß wieder heim&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Was&comma; ansteckende Krankheiten bringt mir die Brut noch ins Haus&comma; hinaus&comma; auf der Stelle&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; schrie aufs höchste erregt der gefühllose Mann und befahl dem Diener&comma; den Jungen hinauszuführen&period; Dann warf er sich in seinen Reisewagen und fuhr fort&period; Der Diener empfand Mitleid mit dem abgehärmten&comma; erschöpften Kinde und reichte ihm ein Stück Brot und ein wenig Wein&period; Dann gab er ihm zwei Groschen&comma; damit er auch für den Vater etwas Brot kaufen könne&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Wein hatte den Knaben gestärkt und so unternahm er es&comma; die schwere Last wieder auf den Rücken zu laden und den mühseligen Rückweg wieder anzutreten&period; Am Abend nahm die Kälte zu&comma; kleine scharfe Eisnadeln trug der Wind über den Schnee&semi; sie stachen dem kleinen Gottlieb in die Augen&comma; daß er kaum zu sehen vermochte&period; Da wurden seine Füße matter&comma; seine Kraft erlahmte&comma; und stöhnend warf er sich auf einen beschneiten Baumstamm&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Hier werde ich sterben müssen&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; murmelten seine Lippen&period; Da kam ihm plötzlich der Gedanke an die vielen wunderbaren Geschichten&comma; die man sich von Rübezahls Freundlichkeit gegen die Kinder erzählte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mag er mich umbringen oder mir helfen&comma; ich wage es&colon; „Rübezahl&comma; Rübezahl&excl; Hilf du mir&comma; die Menschen haben mich verlassen&period;&OpenCurlyDoubleQuote; So rief er laut mit Aufbietung aller Kräfte hinein in die beschneiten Bäume&comma; Berge und Täler und schaurig gab das Echo seinen Ruf zurück&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Im nächsten Augenblick erhob sich ein starker Schneesturm&comma; dem der Knabe nicht standhalten konnte&comma; er ward zurückgeworfen und vom Schnee überschüttet&period; Da ward er von einer behaglichen Wärme durchströmt und süße Träume gingen durch seine Gedanken&period; Es war Christabend&period; In der Dorfkirche hielt man Christvesper&period; Die Kirche war hell erleuchtet&comma; aus den Augen der Kinder strahlte lichte Weihnachtsfreude&period; Der Pfarrer verkündigte der atemlos lauschenden Menge die alte liebliche Geschichte von der Geburt des Christkindleins auf Bethlehems Flur&period; Die Gemeinde sang&colon; „Dies ist die Nacht&comma; da mir erschienen des großen Gottes Freundlichkeit&OpenCurlyDoubleQuote; und nun war Gottlieb an der Reihe&comma; mit seinem hellen Stimmchen allein vor der Gemeinde zu singen&period; So nahm er das lange Wachslicht in die Hand&comma; trat vor das Lesepult auf der Orgelbrüstung und begann erst leise&comma; dann kräftiger und mutiger&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>O du fröhliche&comma; o du selige&comma;<br&sol;>Gnadenbringende Weihnachtszeit&period;<br&sol;>Welt ging verloren&comma;<br&sol;>Christ ist geboren&comma;<br&sol;>Freue dich&comma; o Christenheit&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>In demselben Augenblicke trat aus den Bäumen ein wohlgekleideter&comma; freundlich blickender Herr hervor&comma; hüllte den armen Knaben liebevoll in seinen Pelz&comma; nahm auch die Webe Leinwand auf und trug ihn eine kurze Wegstrecke zu seinem Schlitten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>In einem hellerleuchteten Schloß angelangt&comma; rief er seine Diener&period; Diese nahmen ihm die Last ab&comma; trugen den Knaben auf seinen Befehl in ein Bett und legten ihn auf weiche&comma; behaglich erwärmte Kissen nieder&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mittlerweile hatte der Herr die Webe Leinwand genommen und war damit auf die Straße zurückgeeilt&period; In diesem Augenblicke kam der vierspännige Reisewagen des hartherzigen Kaufmanns herangerollt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Plötzlich scheuten die vier Rosse&comma; ein Ballen Leinwand wurde von oben unter sie geworfen und ein markerschütterndes&comma; entsetzliches Hohngelächter erschallte&period; Wohl versuchte der Kutscher&comma; die erschreckten Tiere im Zaume zu halten&comma; aber er selbst wurde mit einem Ruck von seinem Sitze in die Höhe gehoben&period; Er flog ein Stück durch die Luft und wurde dann sanft vor einem Gasthause niedergesetzt&period; Vor seinen Füßen aber lag ein Beutel mit Goldstücken&comma; auf welchem geschrieben stand&colon; „Für die Angst&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; Seine Pferde hatten mittlerweile den Leinwandballen auseinandergeworfen und um den ganzen Wagen gewickelt&period; Dadurch fielen sie zu Boden und der Wagen mit&period; Da rief aus aller Angst der Kaufmann um Hilfe&comma; denn die Tür der Kutsche war so zugewickelt&comma; daß ein Entweichen unmöglich war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Sofort tauchte eine furchtbare&comma; riesengroße Gestalt vor seinen Augen auf&comma; welche ihm zornig mit der Faust drohte und schrie&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ha&comma; verwünschter Geizhals&comma; wenn du nicht sofort zu sühnen versprichst&comma; was du mit deiner unmenschlichen Härte verschuldet hast&comma; so mußt du sterben&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Da schlotterten dem Kaufmann die Knie und zitternd rief er aus&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ich will alles geben und tun&comma; wenn ich das Leben behalte&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Erbärmlicher Erdenwurm&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; entgegnete der Berggeist&comma; „werde barmherzig und mild&period; Wenn jetzt der Tod in den armen Weberdörfern so viele Opfer grausam fordert und Wehklagen aus vielen Häusern erschallen&comma; so sollten dir diese Jammertöne in deine hartherzige Seele dringen&period; Du trägst die Schuld auf deinem Gewissen&comma; das sich kein Bedenken daraus macht&comma; wenn jene armen&comma; ehrlichen Menschen Hungers sterben&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Da gelobte der Kaufmann in seiner fürchterlichen Angst Besserung und gab dem Berggeiste — denn dieser war es — alles Geld&comma; das er bei sich hatte&comma; zur Verteilung unter die Darbenden&period; Da nahm Rübezahl ihn beim Genick und setzte ihn unsanft vor seinem Hause nieder&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Verwundert öffnete Gottlieb die Augen und wußte nicht&comma; wie er an diesen Ort gekommen war&period; Die Diener brachten ihm Speise und Trank&comma; aber er rührte nichts an&period; Da trat ein freundlicher Herr ein und redete ihm zu&comma; er solle nur essen&semi; er wolle ihn dann mit dem Schlitten nach Hause fahren&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ich werde auch deinen Eltern und Geschwistern eine Labung bringen und — was dir sicherlich am meisten gefallen wird — der Kaufmann ist anderes Sinnes geworden&comma; er hat dir und allen Webern in eurem Dorfe die Leinwand zu gutem Preise abgekauft&period; Das Geld habe ich bereits in meiner Tasche&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Wer war da froher als unser Weberlieb&excl; Vor Freude küßte er die Hände des guten Herrn&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun ging’s unter Peitschenknall und Schellengeläut zu Gottliebs Heimatsdorf zurück&period; Das war ein seliger Christabend im ärmlichen Weberhäuschen&excl; Der Herr hatte Brot und Wein&comma; Fleisch und Reis mitgebracht&comma; außerdem Geld und für die Kranken des Dorfes eine Flasche voll Arznei&comma; welche augenblicklich half&period; So war das Christfest in dem Weberdorfe zum Freudenfest geworden und alle Kümmernis hatte ein Ende&period; Da wurde es allen klar&comma; daß hier kein anderer als Helfer in der Not erschienen war als Rübezahl&comma; der mächtige Berggeist des Riesengebirges&period;<&sol;p>