Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Rübezahl - Deutsche Volksmärchen vom Berggeist und Herrn des Riesengebirges
(Rudolf Reichhardt)

Fischbach

<p>Unweit des Riesengebirges liegt ein schönes Tal&comma; auf dessen Höhenrändern sich zwei hohe Granitkegel erheben&period; Das Volk nennt sie Falkenberge und die geschwätzige Sage weiß zu erzählen&comma; daß dort vor alten Zeiten eine Burg stand&period; Dort hauste einst der gefürchtetste Raubritter des Landes&comma; Herr Wesso&comma; genannt „der Falk vom Berge&OpenCurlyDoubleQuote;&period; Nichts war vor seinen Falkenaugen verborgen&period; Wenn die Kaufleute mit ihren Wagen und Waren zu den Märkten zogen oder die Bauern ihr sauer erworbenes Getreide zur nächsten Stadt fuhren&comma; dann machte der Wächter von hoher Warte durch ein Sprachrohr seine Meldung&semi; im Nu waren Roß und Reisige zur Stelle und nun ging’s im sausenden Galopp zu Tal&period; Schnell vollzog sich die Plünderung der Wagen und beutebeladen kehrten die räuberischen Spießgesellen auf ihre Burg zurück&period; Die Beute wurde wieder verkauft und von dem Erlöse schmausten und zechten Ritter und Mannen und führten bei Gesang und Würfelspiel ein lustiges Leben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Eines Abends saß der Ritter wieder beim Gelage&period; Aber seine Stimmung schien sehr getrübt zu sein&period; Gesenkten Blickes saß er in seinem Lehnstuhle und achtete nicht auf die Fröhlichkeit seiner zechenden Genossen&period; Diese spotteten darüber&comma; aber er tat&comma; als höre er sie nicht&period; Auch den vollen Humpen&comma; den man ihm zum Trinken darreichte&comma; verschmähte er&period; Als sich wiederum ein höhnendes Gelächter erhob&comma; stand der Ritter auf und ein wilder Blick machte die Spötter stumm&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da trat eilig ein Knappe herein und meldete&comma; daß auf der Straße von Schmiedeberg her ein schwer beladener Wagen in Sicht sei&comma; der sicher eine wertvolle Ladung mit sich führe&period; Mit wildem Geschrei sprangen die Raubritter vom Gelage auf und griffen zu ihren Schwertern&period; Nur Wesso erhob sich nicht und sah wie teilnahmslos den dahinstürmenden&comma; rauhen Gesellen nach&period; Nun war es still in dem weiten Gemach&period; Wesso blickte traurig vor sich hin&period; Heute war der Todestag seiner Mutter&period; Das Andenken an sie hatte ihn ernst gestimmt&colon; darum kam heute kein Tropfen über seine Lippen&comma; darum hatte er nicht mit einstimmen können in die Zechlieder seiner Genossen&comma; darum hatte er nicht wie sie zu Schwert und Rüstung gegriffen&period; Das Bild seiner Mutter in ihrer Sanftmut und Milde trat vor seine Seele&semi; wie oft hatte sie ihm die goldenen Worte der Schrift an das Herz gelegt&colon; „Selig sind die Barmherzigen&comma; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen&comma; selig sind die Sanftmütigen&comma; die Friedfertigen&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Hatte er in seinem Leben sich an ihr Wort und ihren Wandel gehalten&quest; Oh&comma; wie oft war er über die Reisenden hergefallen&comma; hatte sie um Hab und Gut und Leben gebracht und unsägliches Herzeleid ihren Familien angetan&excl; War das Barmherzigkeit&comma; Sanftmut&comma; Friedfertigkeit&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Mit raschem Schritt verließ er den Saal&comma; befahl dem Knappen&comma; schnell sein Roß zu satteln und griff nach seinem Schwerte&period; In wenigen Minuten stürmte er den Berg hinab zu der Schar seiner Ritter und Reisigen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Gebt den Gefangenen frei&excl;&OpenCurlyDoubleQuote; rief er diesen laut entgegen&comma; als er einen Mann gebunden zwischen den Pferden sah&period; „Laßt ihn ziehen&comma; oder ihr sollt meinen Arm fühlen&excl;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Die Raubritter murrten&comma; aber Wesso stand in so hohem Ansehen bei ihnen&comma; daß sie nicht zu widersprechen wagten und die Bande des gefesselten Kaufmanns lösten&period; Bleich und zitternd sank dieser zu Boden&period; Eine tiefe Wunde war am Halse sichtbar und Blut bedeckte seinen Körper&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mitleidsvoll beugte sich Wesso über das Gesicht des Unglücklichen und es war ihm so&comma; als flüstere ihm eine sanfte Stimme in die Ohren&colon; „Selig sind die Barmherzigen&comma; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen&period;&OpenCurlyDoubleQuote; „Tragt den Mann auf euren Armen nach meiner Burg hinauf&semi; dort soll er gepflegt und gewartet werden&period; Auch den Wagen bringt hinauf&period; Wer es aber wagt&comma; Hand an sein Eigentum zu legen&comma; der soll es mit mir zu tun haben&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Grollend und finsteren Antlitzes folgten ihm die Ritter&period; „Der Falke mausert sich&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; höhnten einige&period; „Seit wann ist es denn Sitte geworden&comma; die Feinde in die Burg einzuladen und die edlen Ritter rauh und hochmütig zu zwingen&comma; daß sie ihren Gegnern Hilfe leisten&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Schweigend und ohne auf die übermütigen Worte der Raubritter zu achten&comma; ritt Wesso in die Burg ein&period; Nun wurde dafür gesorgt&comma; daß die Kisten mit den Waren des Kaufmanns sicher und wohl aufbewahrt wurden&comma; der Verwundete aber erhielt eine gute Pflege in einem der Gemächer des Ritters&period; Oft überzeugte sich dieser selbst von dem Zustande des Kranken und behandelte seine Wunde wie im Gleichnis der barmherzige Samariter tat an dem Reisenden&comma; der unter die Mörder gefallen war&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Wochen vergingen&comma; ehe der Kranke genas und seine Reise weiter fortsetzen konnte&period; Seine Waren ließ der Ritter auf einen Wagen laden und schenkte ihm obendrein noch zwei seiner kräftigsten Pferde&comma; damit er schneller vorwärts käme und sein Ziel früher erreichte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Aber die Spießgesellen des Ritterz grollten ihm wegen seiner Großmut&period; Ihm hatten sie es zu verdanken&comma; daß ihnen die reiche Beute entgangen war&period; Nun sannen sie auf Rache&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Einer der Hauptgegner Wessos war der Herzog Bolko&period; Zu dessen Heerbann gingen sie über und veranlaßten ihn&comma; die Falkenburg zu erstürmen und den Ritter gefangen zu nehmen&period; Das geschah&period; Eines Abends sah Wesso die Feinde&comma; welche einige Tage seine Burg belagert hatten&comma; die Mauer ersteigen und Feuerbrände in den Schloßhof werfen&period; Noch gab es einen Ausweg&comma; einen unterirdischen Gang&period; Diesen betrat der Ritter&comma; während die Flammen schon auf den Dächern der Schloßgebäude leuchteten&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Verlassen und verraten von seinen Freunden&comma; irrte der Flüchtige durch das Dunkel der Nacht&period; Da vernahm er Tritte&semi; schon wollte er sich&comma; in der Befürchtung auf seine Feinde zu stoßen&comma; hinter einen Busch verstecken&comma; als eine Stimme ihn anredete&period; Die Sprache kam ihm bekannt vor und bald erkannte er beim Scheine der Fackel&comma; welche der Sprecher trug&comma; den Kaufmann&comma; welcher in Fischertracht vor ihm stand&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Kommt mit mir in meine arme Hütte&comma; Herr Ritter&period;&OpenCurlyDoubleQuote; begann er zu reden&comma; „sie wird Euch sicher Schutz und Obdach gewähren&period; Seit jenem Tage&comma; da Ihr mich aus Eurer Burg geheilt entließet&comma; hat mich das Unglück verfolgt&period; Ich bin ein armer Mann geworden und lebe hier als Fischer&period; Kommt&comma; bei mir seid Ihr sicher vor Verfolgungen&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Mit Freuden nahm Wesso das Anerbieten an&period; Nach einer kurzen Wanderung lag die Hütte vor ihren Augen&period; Der Fischer bereitete seinem Gaste ein kräftiges Abendessen und unterhielt sich eine Weile mit ihm&comma; bis dem Ritter infolge der Aufregungen seiner Flucht die Augen zufielen&period; Auf ein weiches Lager gebettet&comma; fiel er in einen langen&comma; erquickenden Schlaf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als Wesso am andern Morgen erwachte&comma; war der Fischer verschwunden&period; Er suchte ihn in allen Winkeln und rief ihn bei seinem Namen&comma; aber nirgends war er zu finden&period; Da begann der Ritter&comma; um sich seinen Unterhalt zu verdienen&comma; sich des Fischfanges zu befleißigen&period; Die Mannen des Herzogs hatten seine Burg zerstört und waren abgezogen&period; Nun durfte er sich mehr aus seinem Versteck wagen&comma; um als Fischer seine Beute feilzubieten&period; Er konnte zeitweise bei der allgemeinen Nachfrage nicht genug Fische liefern&comma; obwohl jeder Fang eine große Menge Fische einbrachte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So lebte er eine Zeitlang friedlich dahin&comma; aber eine gewisse Sehnsucht nach seinem früheren Leben konnte er in seinem Herzen nie unterdrücken&period; Wie gern hätte er wieder sein streitbares Roß bestiegen&comma; wie gern die Angelrute mit dem Schwerte vertauscht&excl;<&sol;p>&NewLine;<p>Eben war wieder der Todestag seiner Mutter und schwere Gedanken bewegten Wessos Herz&period; Am Rande des Bächleins sitzend&comma; senkte er traurig seine Angelrute in das Wasser&period; Da zuckte es plötzlich am Haken und ein Fisch von ungewöhnlicher Länge hing daran&comma; den er nur mit der größten Kraftanstrengung ans Land zu ziehen vermochte&period; Er mußte tief in den Bach hineinwaten&comma; um den Fang herauszuholen&period; Aber was für ein wunderbarer Fisch hing an dem Haken&excl; Er war von gediegenem Golde und nun erst wurde es dem Ritter klar&comma; daß jener Kaufmann&comma; dem er einst das Leben gerettet hatte&comma; niemand anders&comma; als der Berggeist des Riesengebirges&comma; Rübezahl&comma; gewesen sei&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun war er wieder reich&period; Er verließ die kleine Fischerhütte und baute ein schönes Schloß an derselben Stelle&comma; wo sein Zufluchtsort&comma; die kleine Fischerhütte&comma; gestanden hatte&period; Mitten im Walde erhob sich bald die Burg des Ritters&semi; er gab ihr einen hohen Turm und mächtige Wälle und nannte sie zur Erinnerung an den goldenen Fisch&comma; den er im Bache gefangen hatte&comma; Fischbach&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Um die Burg bauten sich im Tale Ansiedler an und wer heute zur schönen Sommerszeit das Riesengebirge bereist&comma; wird niemals verfehlen&comma; auch das herrlich gelegene&comma; berühmt gewordene Fischbach aufzusuchen&period;<&sol;p>