Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Rübezahl - Deutsche Volksmärchen vom Berggeist und Herrn des Riesengebirges
(Rudolf Reichhardt)

Glaser Steffen und sein Weib Ilse

o sehr sich’s auch der Bauer Veit, dessen Erlebnis wir früher behandelten, hatte angelegen sein lassen, den wahren Ursprung seines Glückes zu verhehlen, um nicht ungestüme Bittsteller anzureizen, den Berggeist um ähnliche Spenden mit dreister Zudringlichkeit zu überlaufen, so wurde die Sache doch endlich ruchbar; denn wenn das Geheimnis des Mannes der Frau zwischen den Lippen schwebt, weht es das kleinste Lüftchen fort, wie eine Seifenblase vom Strohhalm. Veits Frau vertraut’s einer verschwiegenen Nachbarin, diese ihrer Gevatterin, diese ihrem Herrn Paten, dem Dorfbarbier, dieser allen seinen Bartkunden; so kam’s im Dorfe und hernach im ganzen Kirchspiele herum. Da spitzten die verdorbenen Hauswirte, die Lungerer und Müßiggänger das Ohr, zogen scharenweise ins Gebirge, reizten den Berggeist durch Zurufe und beschworen ihn, zu erscheinen. Zu ihnen gesellten sich Schatzgräber und Landstreicher, die das Gebirge durchkreuzten, allenthalben in die Erde gruben und den Schatz in der Braupfanne zu heben vermeinten. Rübezahl ließ sie eine Zeitlang ihr Wesen treiben, wie sie Lust hatten, achtete es der Mühe nicht wert, sich über die Kerle zu erzürnen, trieb nur seinen Spott mit ihnen, ließ zur Nachtzeit da und dort ein blaues Flämmchen auflodern und wenn die Laurer kamen, ihre Hüte und Mützen darauf warfen, ließ er sie manchen schweren Geldtopf ausgraben, den sie mit Freude heimtrugen, neun Tage lang stillschweigend verwahrten, und wenn sie nun hinkamen, den Schatz zu besehen, fanden sie Unrat im Topf oder Scherben und Steine. Gleichwohl ermüdeten sie nicht, das alte Spiel wieder anzufangen und neuen Unfug zu treiben. Darüber wurde der Geist endlich unwillig, stäupte das lose Gesindel durch einen kräftigen Steinhagel aus seinem Gebiete hinaus und wurde gegen alle Wanderer so barsch und ärgerlich, daß keiner ohne Furcht das Gebirge betrat, auch selten ohne Staupe entrann und der Name Rübezahl wurde nicht mehr gehört im Gebirge seit Menschengedenken.

Eines Tages sonnte sich der Berggeist an der Hecke seines Gartens; da kam ein Weib ihres Weges daher in großer Unbefangenheit, die durch ihren sonderbaren Aufzug seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie hatte ein Kind an der Brust liegen, eines trug sie auf dem Rücken, eines leitete sie an der Hand und ein etwas größerer Knabe trug einen leeren Korb nebst einem Rechen; denn sie wollte eine Last Laub fürs Vieh laden. Eine Mutter, dachte Rübezahl, ist doch wahrlich ein gutes Geschöpf, schleppt sich mit vier Kindern, wartet dabei ihres Berufs ohne Murren und wird sich noch mit der Bürde des Korbes belasten müssen.

Diese Betrachtung versetzte ihn in eine gutmütige Stimmung, die ihn geneigt machte, sich mit der Frau in Unterredung einzulassen. Sie setzte ihre Kinder auf den Rasen und streifte Laub von den Büschen; indes wurde den Kleinen die Zeit lang und sie fingen an, heftig zu schreien. Alsbald verließ die Mutter ihre Geschäfte, spielte und tändelte mit den Kindern, nahm sie auf, hüpfte mit ihnen singend und scherzend herum, wiegte sie in Schlaf und ging wieder an ihre Arbeit.

Bald darauf stachen die Mücken die kleinen Schläfer, sie fingen ihre Schreierei von neuem an; die Mutter wurde darüber nicht ungeduldig, sie lief ins Holz, pflückte Erdbeeren und Himbeeren und legte das kleinste Kind an die Brust. Diese mütterliche Behandlung gefiel Rübezahl ungemein wohl. Allein der Schreier, der vorher auf der Mutter Rücken ritt, wollte sich durch nichts beruhigen lassen, er war ein störrischer, eigensinniger Junge, der die Erdbeeren, die ihm die liebreiche Mutter darreichte, von sich warf und dazu schrie, als wenn er am Spieß stäke. Darüber riß ihr doch endlich die Geduld: „Rübezahl,“ rief sie, „komm’ und friß mir den Schreier!“

Sofort stand der Berggeist in der Gestalt eines Köhlers vor dem Weibe und sprach: „Hier bin ich, was ist dein Begehr?“ Die Frau geriet über diese Erscheinung in großen Schrecken; da sie aber ein frisches, herzhaftes Weib war, sammelte sie sich bald und faßte Mut. „Ich rief dich nur,“ sprach die Mutter Ilse, „meine Kinder schweigsam zu machen; nun sie ruhig sind, bedarf ich deiner nicht, sei bedankt für deinen guten Willen.“ „Weißt du auch,“ entgegnete der Geist, „daß man mich hier nicht ungestraft ruft? Ich halte dich beim Worte, gib mir deinen Schreier, daß ich ihn fresse; so ein leckerer Bissen ist mir lange nicht vorgekommen.“

Darauf streckte er die rußige Hand aus, den Knaben in Empfang zu nehmen.

Wie eine Gluckhenne, wenn der Hühnerhabicht hoch über dem Dache in den Lüften schwebt oder der schäkerhafte Spitz auf dem Hofe hetzt, mit ängstlichem Glucksen vorerst ihre Küchlein in den sichern Hühnerkorb lockt, dann ihr Gefieder emporsträubt, die Flügel ausbreitet und mit dem stärkeren Feinde einen ungleichen Kampf beginnt, so fiel das Weib dem schwarzen Köhler wütig in den Bart, ballte die kräftige Faust und rief: „Ungetüm, das Mutterherz mußt du mir erst aus dem Leibe reißen, eh’ du mir mein Kind raubst.“

Eines so mutvollen Angriffs hatte sich Rübezahl nicht versehen, er wich gleichsam schüchtern zurück; dergleichen handfeste Erfahrung in der Menschenkunde war ihm noch nie vorgekommen. Er lächelte das Weib freundlich an: „Entrüste dich nicht! Ich bin kein Menschenfresser, wie du wähntest, will dir und deinen Kindern auch kein Leides tun; aber laß mir den Knaben; der Schreier gefällt mir, ich will ihn halten wie einen Junker, will ihn in Samt und Seide kleiden und einen wackern Kerl aus ihm ziehen, der Vater und Brüder einst nähren soll. Fordere hundert Schreckenberger,*) ich zahle sie dir.“

*) Eine alte sächsische Silbermünze, nach heutigem Gelde etwa 25 Pfennige im Werte.

„Ha!“ lachte das rasche Weib, „gefällt Euch der Junge? Ja, das ist ein Junge wie’n Daus, der wäre mir nicht um aller Welt Schätze feil.“

„Törin!“ versetzte Rübezahl, „hast du nicht noch drei Kinder, die dir Last und Überdruß machen! Mußt sie kümmerlich nähren und dich mit ihnen plagen Tag und Nacht.“

„Wohl wahr, aber dafür bin ich Mutter und muß tun, was meines Berufes ist. Kinder machen Überlast, aber auch manche Freude.“

„Schöne Freude, sich mit den Bälgen tagtäglich zu schleppen, sie zu gängeln, zu säubern, ihre Unart und ihr Geschrei zu ertragen!“

„Wahrlich, Herr, Ihr kennt die Mutterfreuden wenig. Alle Arbeit und Mühe versüßt ein einziger freundlicher Anblick, das holde Lächeln und Lallen der kleinen unschuldigen Würmer. — Seht mir nur den Goldjungen da, wie er an mir hängt, der kleine Schmeichler! Nun ist er’s nicht gewesen, der geschrien hat. — Ach, hätte ich doch hundert Hände, die euch heben und tragen und für euch arbeiten könnten, ihr lieben Kleinen!“

„So! Hat denn dein Mann keine Hände, die arbeiten können?“

„O ja, die hat er! Er rührt sie auch, und ich fühl’s zuweilen.“

„Wie? Dein Mann erkühnt sich, die Hand gegen dich aufzuheben? Gegen solch ein Weib? Das Genick will ich ihm brechen, dem Mörder!“

„Da hättet Ihr traun viel Hälse zu brechen, wenn alle Männer mit dem Halse büßen sollten, die sich an der Frau vergreifen. Die Männer sind eine schlimme Nation; drum heißt’s: Eh’stand, Weh’stand; muß mich drein ergeben, warum hab’ ich gefreit.“

„Nun ja, wenn du wußtest, daß die Männer eine schlimme Nation sind, so war’s auch ein dummer Streich, daß du freitest.“

„Möglich! Aber Steffen war ein flinker Kerl, der guten Erwerb hatte und ich eine arme Dirne ohne Heiratsgut. Da kam er zu mir, begehrte mich zur Eh’, gab mir einen Wildemannstaler auf den Kauf und der Handel war gemacht. Nachher hat er mir den Taler wieder abgenommen, aber den wilden Mann hab’ ich noch.“

Der Geist lächelte: „Vielleicht hast du ihn wild gemacht durch deinen Starrsinn.“

„Oh, den hat er mir schon ausgetrieben! Aber Steffen ist ein Knauser; wenn ich ihm einen Groschen abfordere, so rasaunt er im Hause ärger als Ihr zu Zeiten im Gebirge, wirft mir meine Armut vor und da muß ich schweigen. Wenn ich ihm eine Aussteuer zugebracht hätte, wollt’ ich ihm schon den Daumen aufs Auge halten.“

„Was treibt dein Mann für ein Gewerbe?“

„Er ist Glashändler, muß sich seinen Erwerb auch lassen sauer werden; schleppt da der arme Tropf die schwere Bürde aus Böhmen herüber jahraus, jahrein; wenn ihm nun unterwegs ein Glas zerbricht, muß ich’s und die armen Kinder freilich entgelten; aber ich ertrag’s.“

„Du kannst den Mann noch lieben, der dir so übel mitspielt?“

„Warum nicht lieben? Ist er nicht der Vater meiner Kinder? Die werden alles gut machen und uns wohl lohnen, wenn sie groß sind.“

„Leidiger Trost! Die Kinder danken auch der Eltern Müh’ und Sorgen! Die Jungen werden dir noch den letzten Heller auspressen, wenn sie der Kaiser zum Heere schickt ins ferne Ungarland, daß die Türken sie erschlagen.“

„Ei nun, das kümmert mich auch nicht; werden sie erschlagen, so sterben sie für den Kaiser und fürs Vaterland in ihrem Beruf; können aber auch Beute machen und die armen Eltern pflegen.“

Hierauf erneuerte der Geist den Knabenhandel nochmals; doch das Weib würdigte ihn keiner Antwort, raffte das Laub in den Korb, band oben drauf den kleinen Schreier mit der Leibschnur fest und Rübezahl wandte sich, als wollte er weitergehen. Weil aber die Bürde zu schwer war, daß das Weib nicht aufkommen konnte, rief sie ihn zurück: „Ich hab’ Euch einmal gerufen,“ sprach sie, „helft mir nun auch auf, und wenn Ihr ein übriges tun wollt, so schenkt dem Knaben, der Euch gefallen hat, ein Gutfreitagsgröschel*) zu einem Paar Semmeln; morgen kommt der Vater heim, der wird uns Weißbrot aus Böhmen mitbringen.“ Der Geist antwortete: „Aufhelfen will ich dir wohl; aber gibst du mir den Knaben nicht, so soll er auch keine Spende haben.“ „Auch gut!“ versetzte die Frau und ging ihres Weges.

*) Eine schlesische Münze, einen Dreier an Wert, welche ehedem die Fürsten von Liegnitz prägen und auf den Karfreitag an die Armen zum Almosen verteilen ließen.

Je weiter sie ging, je schwerer wurde der Korb, daß sie unter der Last schier erlag und alle zehn Schritte verschnaufen mußte. Das schien ihr nicht mit rechten Dingen zuzugehen; sie wähnte, Rübezahl habe ihr einen Possen gespielt und eine Last Steine unter das Laub geschmuggelt; darum setzte sie den Korb ab auf dem nächsten Rande und stürzte ihn um. Doch es fielen eitel Laubblätter heraus und keine Steine. Also füllte sie ihn wieder zur Hälfte und raffte noch so viel Laub in die Schürze, als sie darein fassen konnte; aber bald war ihr die Last von neuem zu schwer und sie mußte nochmals ausleeren, welches die rüstige Frau groß wunder nahm; denn sie hatte gar oft hochgeschichtete Graslasten heimgetragen und solche Mattigkeit noch nie gefühlt. Demungeachtet beschickte sie bei ihrer Heimkunft den Haushalt, warf den Ziegen und den jungen Zicklein das Laub vor, gab den Kindern das Abendbrot, brachte sie in Schlaf, betete ihren Abendsegen und schlief flugs und fröhlich ein.

Die frühe Morgenröte und der wache Säugling, der mit lauter Stimme sein Frühstück verlangte, weckten das geschäftige Weib zu ihrem Tagewerk aus dem gesunden Schlaf. Sie ging zuerst mit dem Melkeimer ihrer Gewohnheit nach zum Ziegenstalle. Welch schreckensvoller Anblick! Das gute, nahrhafte Haustier, die alte Ziege, lag da hart und steif, hatte alle viere von sich gestreckt und war verschieden; die Zicklein aber verdrehten die Augen gräßlich im Kopfe, steckten die Zunge von sich und gewaltsame Zuckungen verrieten, daß sie der Tod ebenfalls schüttele. So ein Unglücksfall war der guten Frau noch nicht begegnet, seitdem sie wirtschaftete; ganz betäubt von Schreck sank sie auf ein Bündlein Stroh hin, hielt die Schürze vor die Augen, denn sie konnte den Jammer der sterbenden Tiere nicht ansehen und seufzte tief: „Ich unglückliches Weib, was fang’ ich an! Und was wird mein harter Mann beginnen, wenn er nach Hause kommt? Ach, hin ist mein ganzer Gottessegen auf dieser Welt!“ —

Augenblicklich strafte sie das Herz dieses Gedankens wegen. „Wenn das liebe Vieh dein ganzer Gottessegen ist auf dieser Welt, was ist denn Steffen und was sind deine Kinder?“ Sie schämte sich ihrer Übereilung; laß fahren dahin aller Welt Reichtum, dachte sie, hast du doch noch deinen Mann und deine vier Kinder. Wenn’s auch einen Strauß mit Steffen setzt und er mich übel schlägt, was ist’s mehr als ein böses Stündlein? Habe ich doch nichts verwahrlost. Die Ernte steht bevor, da kann ich schneiden gehen und auf den Winter will ich spinnen bis in die tiefe Mitternacht; eine Ziege wird ja wohl wieder zu erwerben sein und habe ich die, so wird’s auch nicht an Zicklein fehlen.

Indem sie das bei sich dachte, ward sie wieder frohen Mutes, trocknete ihre Tränen ab und wie sie die Augen aufhob, lag da vor ihren Füßen ein Blättlein, das flitterte und blinkte so hell, so hochgelb wie gediegen Gold. Sie hob es auf, besah’s und es war schwer wie Gold. Rasch sprang sie auf, lief damit zu ihrer Nachbarin, der Trödlersfrau, zeigte ihr den Fund mit großer Freude und diese erkannte es für reines Gold, handelte es ihr ab und zählte ihr dafür zwei Dicktaler bar auf den Tisch. Vergessen war nun all ihr Herzeleid. Solchen Schatz an Barschaft hatte das arme Weib noch nie im Besitz gehabt. Sie lief zum Bäcker, kaufte Stietzel und Butterkringel und eine Hammelkeule für Steffen, die sie zurichten wollte, wenn er müde und hungrig auf den Abend von der Reise käme. Wie zappelten die Kleinen der fröhlichen Mutter entgegen, da sie hereintrat und ihnen ein so ungewohntes Frühstück austeilte! Sie überließ sich ganz der mütterlichen Freude, die hungrige Kinderschar satt zu machen und nun war ihre erste Sorge, das ihrer Meinung nach von einer Hexe verzauberte Vieh beiseite zu schaffen und dieses häusliche Unglück vor dem Manne so lange als möglich zu verheimlichen. Aber ihr Erstaunen ging über alles, als sie von ungefähr in den Futtertrog sah und einen ganzen Haufen goldener Blätter darin erblickte. Da schärfte sie geschwind das Küchenmesser, öffnete den Leib der Ziege und fand im Magen einen Klumpen Gold, so groß als ein großer Apfel und so auch nach Verhältnis in den Magen der Zicklein.

Jetzt wußte sie ihres Reichtums kein Ende; doch damit empfand sie auch die drückenden Sorgen desselben; sie wurde unruhig, scheu, fühlte Herzklopfen, wußte nicht, ob sie den Schatz in die Lade verschließen oder in die Erde vergraben sollte, fürchtete Diebe und Schatzgräber, wollte auch den Knauser Steffen nicht gleich alles wissen lassen aus gerechter Besorgnis, daß er, vom Wuchergeist angetrieben, den Mammon an sich nehmen und sie dennoch nebst den Kindern darben lassen möchte. Sie sann lange, wie sie’s klug damit anstellen könnte und fand keinen Rat.

Der Pfarrer im Dorfe nahm sich aller Bedrängten gern an und stand seinen Pfarrkindern mit Rat und Tat zur Seite. Ungerechtigkeiten duldete er nicht in der Gemeinde und auch den mürrischen Steffen hatte er schon wiederholt zur Rede gestellt. Zu ihm nahm das Weib ihre Zuflucht, berichtete ihm unverhohlen das Abenteuer mit Rübezahl, wie er ihr zu großem Reichtum verholfen und was sie dabei für Anliegen habe und bezeugte auch die Wahrheit der Sache mit dem ganzen Schatze, den sie bei sich trug. Der Pfarrer wunderte sich aufs höchste über die Begebenheit, freute sich aber zugleich über das Glück des armen Weibes und rückte darauf sein Käpplein hin und her, für sie guten Rat zu suchen, um ohne Spuk und Aufsehen sie im ruhigen Besitz ihres Reichtums zu erhalten und auch Mittel aufzufinden, daß der zähe Steffen sich desselben nicht bemächtigen könnte.

Nachdem er lange überlegt hatte, redete er also: „Hör’ an, meine Tochter, ich weiß guten Rat für alles. Wäge mir das Gold zu, daß ich dir’s treulich aufbewahre; dann will ich einen Brief schreiben in welscher Sprache, der soll dahin lauten: Dein Bruder, der vor Jahren in die Fremde ging, sei in der Venediger Dienst nach Indien geschifft und daselbst gestorben und habe all sein Gut dir im Testament vermacht, mit dem Beding, daß der Pfarrer des Kirchspiels dich bevormunde, damit es dir allein und keinem andern zunutze komme. Ich begehre weder Lohn noch Dank von dir; nur gedenke, daß du der heiligen Kirche einen Dank schuldig bist für den Segen, den dir der Himmel beschert hat, und gelobe ein reiches Meßgewand in die Sakristei.“ Dieser Rat behagte dem Weibe herrlich; sie gelobte dem Pfarrer das Meßgewand; er wog in ihrem Beisein das Gold gewissenhaft bis auf ein Quentchen aus, legte es in den Kirchenschatz und das Weib schied mit frohem und leichtem Herzen von ihm.

Rübezahl haßte das ganze Geschlecht um eines Mädchens willen, das ihn überlistet hatte, ob ihn gleich seine Laune zuweilen auf den milden Ton stimmten, ein einzelnes Weiblein in Schutz zu nehmen und ihr gefällig zu sein. So sehr die wackere Frau des Glasers mit ihren Gesinnungen und Benehmen seine Gewogenheit erworben hatte, so ungehalten war er auf den barschen Steffen und trug großes Verlangen, das biedere Weib an ihm zu rächen, ihm einen Possen zu spielen, daß ihm angst und weh dabei würde, und ihn dadurch so zahm zu machen, daß er der Frau untertan würde und sie ihm nach Wunsche den Daumen aufs Auge halten könne. Zu diesem Behufe sattelte er den raschen Morgenwind, saß auf und galoppierte über Berg und Tal, spionierte wie ein Kundschafter auf allen Landstraßen und Kreuzwegen von Böhmen umher und wo er einen Wanderer erblickte, der eine Bürde trug, war er hinter ihm her und forschte nach seiner Ladung. Zum Glück führte kein Wanderer, der diese Straße zog, Glaswaren, sonst hätte er für Schaden und Spott nicht sorgen dürfen, ohne einen Ersatz zu hoffen, wenn er auch gleich der Mann nicht gewesen wäre, den Rübezahl suchte.

Bei diesen Anstalten konnte ihm der schwer beladene Steffen allerdings nicht entgehen. Um die Vesperzeit kam ein rüstiger, frischer Mann angeschritten, mit einer großen Bürde auf dem Rücken. Unter seinem festen, sicheren Tritt ertönte jedesmal die Last, die er trug. Rübezahl freute sich, sobald er ihn von der Ferne witterte, daß ihm nun seine Beute gewiß war und rüstete sich, seinen Meisterstreich auszuführen. Der keuchende Steffen hatte beinahe das Gebirge erstiegen; nur die letzte Anhöhe war noch zu gewinnen, so ging es bergab nach der Heimat zu, darum sputete er sich, den Gipfel zu erklimmen; aber der Berg war steil und die Last war schwer. Er mußte mehr als einmal ruhen, stützte den knotigen Stab unter den Korb, um das drückende Gewicht zu mindern, und trocknete den Schweiß, der ihm in großen Tropfen vor der Stirn stand. Mit Anstrengung der letzten Kräfte erreichte er endlich die Zinne des Berges und ein schöner gerader Pfad führte zu dessen Abhang.

Mitten am Wege lag ein abgesägter Fichtenbaum und der Überrest des Stammes stand daneben, kerzengerade und aufrecht, oben geebnet wie ein Tischblatt. Ringsumher grünten in großen Mengen Gräser und Kräuter. Dieser Anblick war dem ermüdeten Lastträger so anlockend und zu einem Ruheplatz so bequem, daß er alsbald den schweren Korb auf den Klotz absetzte und sich gegenüber im Schatten auf das weiche Gras streckte. Hier übersann er, wieviel reinen Gewinn ihm seine Ware diesmal einbringen würde und fand nach genauem Überschlag, daß, wenn er keinen Groschen ins Haus verwendete und die fleißige Hand seines Weibes für Nahrung und Kleidung sorgen ließe, er gerade so viel lösen würde, um auf dem Markte zu Schmiedeberg sich einen Esel zu kaufen und zu befrachten. Der Gedanke, wie er in Zukunft dem Grauschimmel die Last aufbürden und gemächlich nebenher gehen würde, war ihm zu der Zeit, wo seine Schultern eben wund gedrückt waren, so herzerquickend, daß er ihm, wie es bei frohen Zukunftsbildern sehr natürlich ist, weiter nachging. Ist einmal der Esel da, dachte er, so soll mir bald ein Pferd draus werden, und hab’ ich nun den Rappen im Stalle, so wird sich auch ein Acker dazu finden, darauf sein Hafer wächst. Aus einem Acker werden dann leicht zwei, aus zweien vier, mit der Zeit eine Hufe und endlich ein Bauerngut und dann soll Ilse auch einen neuen Rock haben.

Er war mit seinen Plänen beinahe so weit fertig, da tummelte Rübezahl seinen Wirbelwind um den Holzklotz herum und stürzte mit einemmal den Glaskorb herunter, daß der zerbrechliche Kram in tausend Stücke zerfiel. Das war ein Donnerschlag in Steffens Herz; zugleich vernahm er in der Ferne ein lautes Gelächter, wenn’s anders nicht Täuschung war und das Echo den Laut der zerschellten Gläser nur wiedergab. Er nahm’s für Schadenfreude, und weil ihm der unmäßige Windstoß unnatürlich schien, auch, da er recht zusah, Klotz und Baum verschwunden waren, so riet er leicht auf den Unglücksstifter. „Oh!“ wehklagte er, „Rübezahl, du Schadenfroh, was habe ich dir getan, daß du mein Stückchen Brot mir nimmst, meinen sauren Schweiß und Blut! Ach, ich geschlagener Mann auf Lebenszeit!“ Hierauf geriet er in eine Art von Wut, stieß alle erdenklichen Schmähreden gegen den Berggeist aus, um ihn zum Zorn zu reizen. „Halunke,“ rief er, „komm und erwürge mich, nachdem du mir mein alles auf der Welt genommen hast!“ In der Tat war ihm auch das Leben in dem Augenblick nicht mehr wert als ein zerbrochen Glas; Rübezahl ließ indessen weiter nichts von sich sehen noch hören.

Rübezahl tummelte seinen Wirbelwind um den Holzstock herum und stürzte mit einem Male den Glaskorb herunter.

Der verarmte Steffen mußte sich entschließen, wenn er nicht den leeren Korb nach Hause tragen wollte, die Bruchstücke zusammenzulesen, um auf der Glashütte wenigstens ein paar Spitzgläser zum Anfang eines neuen Gewerbes dafür einzutauschen. Tiefsinnig wie ein Schiffsherr, dessen Schiff der gefräßige Ozean mit Mann und Maus verschlungen hat, ging er das Gebirge hinab, schlug sich mit tausend schwermütigen Gedanken, machte zwischendrein dennoch auch allerlei Pläne, wie er den Schaden ersetzen und seinem Handel wieder aufhelfen könne. Da fielen ihm die Ziegen ein, die seine Frau im Stalle hatte; doch sie liebte sie schier wie ihre Kinder und im Guten, wußte er, waren sie ihr nicht abzugewinnen. Darum erdachte er diesen Kniff, sich seinen Verlust zu Hause gar nicht merken zu lassen, auch nicht bei Tage in seine Wohnung zurückzukehren, sondern um Mitternacht sich ins Haus zu schleichen, die Ziegen nach Schmiedeberg auf den Markt zu treiben und das daraus gelöste Geld zum Ankauf neuer Ware zu verwenden, bei seiner Zurückkunft aber mit dem Weibe zu hadern und sich ungebärdig zu stellen, als habe sie durch Unachtsamkeit das Vieh in seiner Abwesenheit stehlen lassen.

Mit diesem wohlersonnenen Vorhaben schlich der unglückliche Scherbensammler nahe beim Dorfe in einen Busch und wartete mit sehnlichem Verlangen die Mitternachtsstunde, um sich selbst zu bestehlen. Mit dem Schlag zwölf machte er sich auf den Diebsweg, kletterte über die niedrige Hoftür, öffnete sie von innen und schlich mit Herzpochen zum Ziegenstalle; er hatte doch Scheu und Furcht, vor seinem Weibe, auf einer unrechten Tat sich ertappen zu lassen. Wider Gewohnheit war der Stall unverschlossen, was ihn wunder nahm, ob’s ihn gleich freute; denn er fand in dieser Fahrlässigkeit einen Schein Rechtens, sein Vornehmen damit zu beschönigen. Aber im Stalle fand er alles öde und wüste; da war nichts, was Leben und Odem hatte, weder Ziege noch Böcklein. Im ersten Schrecken vermeinte er, es habe ihm bereits ein Diebesgesell vorgegriffen, dem das Stehlen geläufiger sei als ihm; denn ein Unglück kommt selten allein. Bestürzt sank er auf die Streu und überließ sich, da ihm auch der letzte Versuch, seinen Handel wieder in Gang zu bringen, mißlungen war, einer dumpfen Traurigkeit.

Seitdem die geschäftige Ilse vom Pfarrer wieder zurück war, hatte sie mit frohem Mute alles fleißig zugeschickt, ihren Mann mit einer guten Mahlzeit zu empfangen, wozu sie den Pfarrer auch eingeladen hatte, welcher verhieß, ein Kännlein Speisewein mitzubringen, um beim fröhlichen Gelag dem aufgemunterten Steffen von der reichen Erbschaft des Weibes Bericht zu geben und unter welcherlei Bedingungen er daran Genuß und Anteil haben solle. Sie sah gegen Abend fleißig zum Fenster hinaus, ob Steffen käme, lief aus Ungeduld hinaus vors Dorf, blickte mit ihren schwarzen Augen gegen die Landstraße hin, war bekümmert, warum er so lange weile, und da die Nacht hereinbrach, folgten ihr bange Sorgen und Ahnungen in die Schlafkammer, ohne daß sie ans Abendbrot dachte. Lange kam ihr kein Schlaf in die ausgeweinten Augen, bis sie gegen Morgen in einen unruhigen, matten Schlummer fiel.

Den armen Steffen quälten Verdruß und Langeweile im Ziegenstall nicht minder; er war niedergedrückt und kleinlaut, daß er sich nicht getraute, an die Tür zu klopfen. Endlich kam er doch hervor, pochte ganz verzagt an und rief mit wehmütiger Stimme: „Liebes Weib, erwache und tu auf deinem Manne!“ Sobald Ilse seine Stimme vernahm, sprang sie flink vom Lager wie ein munteres Reh, lief an die Tür und umhalste ihren Mann mit Freuden; er aber erwiderte diese herzigen Liebkosungen gar kalt und frostig, setzte seinen Korb ab und warf sich mißmutig auf die Ofenbank. Wie das fröhliche Weib das Jammerbild sah, ging’s ihr ans Herz. „Was fehlt dir, lieber Mann,“ sprach sie bestürzt, „was hast du?“ Er antwortete nur durch Stöhnen und Seufzen; dennoch fragte sie ihm bald die Ursache des Kummers ab und weil ihm das Herz zu voll war, konnte er sein erlittenes Unglück dem trauten Weibe nicht länger verhehlen. Da sie vernahm, daß Rübezahl den Schabernack verübt hatte, erriet sie leicht die wohltätige Absicht des Geistes und konnte sich des Lachens nicht erwehren, welches Steffen bei erregterer Gemütsverfassung ihr übel würde gelohnt haben. Jetzt rügte er den scheinbaren Leichtsinn nicht weiter und fragte nur ängstlich nach dem Ziegenvieh. Das reizte noch mehr des Weibes Lachen, da sie bemerkte, daß der Hausvogt schon allenthalben umherspioniert hatte. „Was kümmert dich mein Vieh?“ sprach sie, „hast du doch noch nicht nach den Kindern gefragt; das Vieh ist wohl aufgehoben draußen auf der Weide. Laß dich auch den Tück von Rübezahl nicht anfechten und gräme dich nicht; wer weiß, wo er oder ein anderer uns reichen Ersatz dafür gibt.“ „Da kannst du lange warten,“ sprach der Hoffnungslose. „Ei nun,“ versetzte das Weib, „unverhofft kommt oft. Sei unverzagt, Steffen! Hast du gleich keine Gläser und ich keine Ziegen mehr, so haben wir doch vier gesunde Kinder und vier gesunde Arme, sie und uns zu ernähren; das ist unser ganzer Reichtum.“ „Ach, daß es Gott erbarme!“ rief der bedrängte Mann, „sind die Ziegen fort, so trage die vier Bälge nur gleich ins Wasser, nähren kann ich sie nicht.“ „Nun, so kann ich’s,“ sprach Ilse.

Bei diesen Worten trat der freundliche Pfarrer herein, hatte vor der Tür schon die ganze Unterredung abgelauscht, nahm das Wort, hielt Steffen eine lange Predigt über den Text, daß der Geiz eine Wurzel alles Übels sei; und nachdem er ihm das Gesetz genugsam geschärft hatte, verkündigte er ihm nun auch die frohe Botschaft von der reichen Erbschaft des Weibes, zog den welschen Brief heraus und übersetzte ihm darauf, daß der zeitige Pfarrherr in Kirsdorf zum Vollstrecker des Testaments bestellt sei und die Hinterlassenschaft des abgeschiedenen Schwagers zu sicherer Hand bereits empfangen habe.

Steffen stand, da wie ein stummer Ölgötz, konnte nichts als sich dann und wann verneigen, wenn bei Erwähnung der durchlauchten Republik Venedig der Pfarrer ehrerbietig ans Käpplein griff. Nachdem er wieder ein wenig zur Besinnung gelangt war, fiel er dem trauten Weibe herzig in die Arme und versprach ihr, von jetzt ab sie nicht mehr rauh zu behandeln, sondern sie in Ehre und Liebe zu halten. Steffen wurde der geschmeidigste, gefälligste Ehemann, ein liebevoller Vater seiner Kinder und dabei ein fleißiger, ordentlicher Wirt; denn Müßiggang war nicht seine Sache.

Der redliche Pfarrer verwandelte nach und nach das Gold in klingende Münze und kaufte davon ein großes Bauerngut, worauf Steffen und Ilse wirtschafteten ihr Leben lang. Den Überschuß lieh er auf Zins und verwaltete das Kapital so gewissenhaft wie den Kirchenschatz und nahm keinen andern Lohn dafür als ein Meßgewand, das Ilse so prächtig machen ließ, daß kein Erzbischof sich desselben hätte schämen dürfen.

Die zärtliche, treue Mutter erlebte noch im Alter große Freude an ihren Kindern und Rübezahls Günstling wurde gar ein wackerer Mann, diente im Heer des Kaisers lange Zeit unter Wallenstein im Dreißigjährigen Kriege.