Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Rübezahl - Deutsche Volksmärchen vom Berggeist und Herrn des Riesengebirges
(Rudolf Reichhardt)

Gräfin Cäcilie

Nach allen diesen Geschichten ließ der Berggeist lange Zeit nichts wieder von sich hören. Zwar trug sich das Volk mit allerlei Wundergeschichten, welche die Einbildung der Hausmütter in geselligen Winterabenden so lang und fein ausspann als den Faden am Rocken; es war eitel Fabelei, zur Kurzweil ausgedacht. Der Gräfin Cäcilie war die letzte Begegnung mit dem Berggeiste vorbehalten, bevor er seine letzte Hinabfahrt in die Unterwelt antrat.

Diese Dame, mit allerlei Gicht und Gebrechen beladen, machte nebst zwei gesunden, blühenden Töchtern die Reise nach Karlsbad. Die Mutter verlangte so sehr nach der Badekur und die Fräuleins nach den Lustbarkeiten des Bades, daß sie sonder Rast Tag und Nacht reisten. Es traf sich, daß sie gerade mit Sonnenuntergang ins Riesengebirge gelangten. Es war ein wunderbar schöner, warmer Sommerabend, kein Lüftchen regte sich. Der nächtliche Himmel mit funkelnden Sternen besät, die goldene Mondsichel, deren milchfarbenes Licht die schwarzen Waldschatten der hohen Fichten milderte, und die beweglichen Funken unzähliger, leuchtender Johanniskäfer, die in den Gebüschen schwirrten, gaben die Beleuchtung zu einer der schönsten Naturbilder, wiewohl die Reisegesellschaft wenig davon wahrnahm; denn Mama war, da es gemächlich bergan ging, von der schaukelnden Bewegung des Wagens in sanften Schlummer gewiegt worden und die Töchter nebst der Zofe hatten sich jede in ein Eckchen gedrückt und schlummerten gleichfalls. Nur dem wachsamen Johann kam auf der hohen Warte des Kutscherbockes kein Schlaf in die Augen; alle Geschichten von Rübezahl, die er vor Zeiten so gespannt angehört hatte, kamen ihm jetzt auf dem Schauplatz dieser Abenteuer wieder in den Sinn und er hätte wohl gewünscht, nie etwas davon gehört zu haben. Ach, wie sehnte er sich nach dem sicheren Breslau zurück, wohin sich nicht leicht ein Gespenst wagte! Er sah schüchtern auf alle Seiten umher und durchlief mit den Augen oft alle zweiunddreißig Richtungen der Windrose in weniger als einer Minute, und wenn er etwas ansichtig wurde, das ihm bedenklich schien, so lief ihm ein kalter Schauer den Rücken herunter und die Haare stiegen ihm zu Berge. Zuweilen ließ er seine Besorgnisse den Schwager Postillion merken und forschte mit Fleiß von ihm, ob’s auch geheuer sei im Gebirge. Wiewohl ihm dieser nun die heile Haut durch einen kräftigen Fuhrmannsschwur versicherte, bangte ihm doch das Herz unablässig.

Nach einer langen Pause der Unterredung hielt der Postkutscher die Pferde an, murmelte etwas zwischen den Zähnen und fuhr weiter, hielt nochmals an und wechselte so verschiedentlich. Johann, der seine Augen fest geschlossen hatte, ahnte nichts Gutes, blickte schüchtern auf und sah mit Entsetzen in der Weite eines Steinwurfs vor dem Wagen eine pechrabenschwarze Gestalt daherwandeln von übermenschlicher Größe mit einem weißen spanischen Halskragen angetan, und das Bedenklichste bei der Sache war, daß der Schwarzmantel keinen Kopf hatte.

Hielt der Wagen, so stand der Wanderer still und regte Wipprecht die Pferde an, so ging er auch weiter. „Schwager, siehst du was!“ rief der zaghafte Tropf vom hohen Kutschbock herab mit berganstehendem Haar.

„Freilich seh’ ich was,“ antwortete dieser ganz kleinlaut; „aber schweig’ nur, daß es nichts merkt.“

Johann waffnete sich mit allen Stoßgebetlein, die er wußte und schwitzte dabei vor Angst kalten Todesschweiß. Und wie ein Blitz, wenn’s in der Nacht wetterleuchtet und der Donner noch in der Ferne rollt, schon das ganze Haus rege macht, um sich durch die Gemeinschaft mit den Hausbewohnern vor der gefürchteten Gefahr zu sichern, so suchte aus dem nämlichen Trieb der verzagte Diener Trost und Schutz bei seiner schlummernden Herrschaft und klopfte hastig ans Fenster. Die erwachende Gräfin, unwillig, daß sie aus ihrem sanften Schlummer gestört wurde, fragte: „Was gibt’s?“

„Ihro Gnaden, schaun Sie einmal aus,“ rief Johann mit zagender Stimme, „dort geht ein Mann ohne Kopf.“

„Dummkopf, der du bist,“ antwortete die Gräfin, „was träumt deine Phantasie für Fratzen! Und wenn dem so wäre,“ fuhr sie scherzhaft fort, „so ist ja ein Mann ohne Kopf keine Seltenheit, es gibt deren in Breslau und außerhalb genug.“

Die Fräuleins konnten indessen den Witz der gnädigen Mama diesmal nicht schmackhaft finden, ihr Herz war beklommen vor Schrecken, sie schmiegten sich schüchtern an die Mutter an, bebten und jammerten: „Ach, das ist Rübezahl, der Bergmönch!“

Die Dame aber, die an keine Geister glaubte, strafte die Fräuleins dieser spießbürgerlichen Vorurteile halber, bewies, daß alle Gespenster- und Spukgeschichten Ausgeburten einer kranken Einbildungskraft wären, und erklärte die Geistererscheinungen samt und sonders aus natürlichen Ursachen.

Ihre Zunge war eben in vollem Gange, als der Schwarzmantel, der auf einige Augenblicke dem Gespensterspäher aus dem Auge geschwunden war, wieder aus dem Busch hervor auf den Weg trat. Da war nun deutlich wahrzunehmen, daß Johann falsch gesehen hatte; der Wandersmann hatte allerdings einen Kopf, nur daß er ihn nicht wie gewöhnlich zwischen den Schultern, sondern wie einen Schoßhund im Arme trug. Dieses Schreckbild in der Weite von drei Schritten erregte innerhalb und außerhalb des Wagens großes Entsetzen. Die holden Fräuleins und die Zofe, welche sonst nicht gewohnt war, mit einzureden, wenn ihre junge Herrschaft das Wort führte, taten aus einem Munde einen lauten Schrei, ließen den seidenen Vorhang herabrollen, um nichts zu sehen und verbargen ihr Angesicht wie der Vogel Strauß, wenn er dem Jäger nicht mehr entrinnen kann. Mama schlug mit stummem Schrecken die Hände zusammen. Johann, auf den der furchtbare Schwarzmantel es besonders abgesehen zu haben schien, erhob in der Angst des Herzens das gewöhnliche Feldgeschrei, womit die Gespenster begrüßt zu werden pflegen: „Alle guten Geister loben Gott den Herrn!“ Doch ehe er ausgeredet hatte, schleuderte ihm das Ungetüm den abgehauenen Kopf gegen die Stirn, daß er von seinem hohen Sitz herabstürzte; in dem nämlichen Augenblicke lag auch der Postkutscher durch einen kräftigen Keulenschlag zu Boden gestreckt und die Erscheinung keuchte aus hohler Brust in dumpfen Ton diese Worte aus: „Nimm das von Rübezahl, dem Herrn des Gebirges, daß du ihm ins Gehege fuhrst! Verfallen ist mir Schiff, Geschirr und Ladung.“ Hierauf schwang sich das Gespenst auf den Sattel, trieb die Pferde an und fuhr bergab, bergan, über Stock und Stein, daß vor dem Rasseln der Räder und dem Schnauben der Rosse von dem Angstgeschrei der Damen nichts hörbar war.

Urplötzlich vermehrte sich die Gesellschaft um eine Person; ein Reiter trabte ganz unbefangen neben dem Fuhrmann vorbei und schien es gar nicht zu bemerken, daß diesem der Kopf fehle; er ritt vor dem Wagen her, als wenn er dazu gedungen wäre. Dem Schwarzmantel schien diese Gesellschaft eben nicht zu behagen, er lenkte nach einer andern Richtung um, der Reiter tat dasselbe und so oft auch jener aus dem Weg bog, so konnte er den lästigen Geleitsmann nicht los werden, der wie zum Wagen gebannt war. Das nahm den Fuhrmann groß wunder, besonders da er deutlich wahrnahm, daß der Schimmel des Reiters einen Fuß zu wenig hatte, obgleich die dreibeinige Rosinante übrigens ganz schulgerecht trabte. Dabei wurde dem schwarzen Wagenlenker auf dem Sattelgaule nicht wohl zumute und er fürchtete, seine Rübezahlsrolle dürfte bald ausgespielt sein, da der wahre Rübezahl sich ins Spiel zu mischen schien. —

Nach Verlauf einiger Zeit drehte sich der Reiter um, so daß er dicht neben den Fuhrmann kam, und fragte ihn ganz traulich: „Landsmann ohne Kopf, wo geht die Reise hin?“

„Wo wird’s hingehen,“ antwortete das Kutschergespenst mit furchtsamem Trotz, „wie Ihr seht, der Nase nach.“

„Wohl!“ sprach der Reiter, „laß sehen, Gesell, wo du die Nase hast!“

Darauf fiel er den Pferden in die Zügel, packte den Schwarzmantel beim Leib und warf ihn so kräftig zur Erde, daß ihm alle Glieder dröhnten; denn das Gespenst hatte Fleisch und Bein, wie jeder Mensch. Behend war der Betrüger entkleidet; da kam ein wohlgeformter Krauskopf zum Vorschein, der gestaltet war wie ein gewöhnlicher Mensch. Weil sich nun der Schalk entdeckt sah und die schwere Hand seines Gegners fürchtete, auch nicht zweifelte, der Reiter sei der leibhaftige Rübezahl, den er nachzuäffen sich unterfangen hatte, ergab er sich auf Gnade und Ungnade und bat flehentlich um sein Leben.

„Gestrenger Gebirgsherr,“ sprach er, „habt Erbarmen mit einem Unglücklichen, der die Schläge des Schicksals von Jugend auf erfahren hat, der nie sein durfte, was er wollte, der jederzeit aus dem Stand mit Gewalt herausgestoßen wurde, in den er sich mit Mühe hineingearbeitet hatte, und nachdem sein Aufenthalt unter den Menschen vernichtet ist, auch nicht einmal Gespenst sein darf.“

Diese Anrede war ein Wort zu seiner Zeit. Der Berggeist war gegen seinen Doppelgänger so ergrimmt, daß er ihn erdrosselt haben würde, wenn nicht seine Neugierde rege gemacht worden wäre, die Schicksale des Abenteurers zu vernehmen.

„Sitz’ auf, Gesell,“ sprach er, „und tu, was dir geheißen wird.“ Darauf zog er vorerst dem Schimmel den vierten Fuß zwischen den Rippen hervor, trat an den Schlag, öffnete diesen und wollte die Reisegesellschaft freundlich begrüßen.

Aber drinnen war’s stille wie in einer Totengruft; der übermäßige Schrecken hatte die Insassen so gewaltsam erschüttert, daß alle, von der gnädigen Frau bis auf die Zofe, in ohnmächtigem Hinbrüten dalagen. Der Reiter wußte indessen bald Rat zu schaffen; er schöpfte aus dem vorüberrieselnden Bächlein einer frischen Bergquelle seinen Hut voll Wasser, sprengte den Damen davon ins Gesicht, hielt ihnen das Riechfläschchen vor, rieb ihnen mit der duftenden Flüssigkeit die Schläfe und brachte sie wieder ins Leben. Sie schlugen eine nach der andern die Augen auf und erblickten einen wohlgestalteten Mann von unverdächtigem Aussehen, der durch seine Dienstbeflissenheit sich bald Zutrauen erwarb.

„Es tut mir leid, meine Damen,“ redete er sie an, „daß Sie in meinem Gerichtsbezirk von einem vermummten Bösewicht belästigt worden sind, der ohne Zweifel die Absicht hatte, Sie zu bestehlen; aber Sie sind in Sicherheit, ich bin der Oberst von Riesental. Erlauben Sie, daß ich Sie zu meiner Wohnung geleite, die nicht fern von hier ist.“

Diese Einladung kam der Gräfin sehr gelegen, sie nahm solche mit Freuden an; der Krauskopf bekam Befehl, fortzufahren und gehorchte mit zagender Bereitwilligkeit. Um den Damen Zeit zu lassen, sich von ihrem Schrecken zu erholen, gesellte sich der Oberst wieder zum Fuhrmann, hieß ihn bald rechts, bald links wenden und dieser bemerkte ganz deutlich, daß der Ritter zuweilen eine von den herumschwirrenden Fledermäusen zu sich berief und ihr geheime Befehle erteilte, was sein Grausen noch vermehrte.

In Zeit von einer Stunde blinkte in der Ferne ein Lichtlein, daraus wurden zwei und endlich vier; es kamen vier Jäger herangesprengt mit brennenden Fackeln, die ihren Herrn, wie sie sagten, ängstlich gesucht hatten und erfreut schienen, ihn zu finden. Die Gräfin war nun wieder in vollem Gleichmute und da sie sich außer Gefahr sah, dachte sie an den ehrlichen Johann und war um sein Schicksal bekümmert. Sie eröffnete ihrem Schutzherrn dieses Anliegen, der alsbald zwei von den Jägern fortschickte, die beiden Unglückskameraden aufzusuchen und ihnen benötigten Beistand zu leisten. Bald darauf rollte der Wagen durchs düstere Burgtor in einen geräumigen Vorhof hinein und hielt vor einem herrlichen Palast, der ganz erleuchtet war. Der Oberst bot der Gräfin den Arm und führte sie in die Prachtgemächer seines Hauses in eine große Gesellschaft ein, die daselbst versammelt war. Die Fräuleins befanden sich in keiner geringen Verlegenheit, daß sie in Reisekleidern in eine so glänzende Gesellschaft traten, ohne vorher die Kleider gewechselt zu haben.

Nach den ersten Höflichkeitsbezeigungen gruppierte sich die Gesellschaft wieder in verschiedene kleine Kreise. Einige setzten sich zum Spiel, andere unterhielten sich durch Gespräche. Das Abenteuer wurde viel beredet und, wie es bei Erzählung überstandener Gefahren gewöhnlich der Fall ist, zu einem kleinen Heldengedicht ausgebildet, in welchem Mama sich gern die Rolle der Heldin zugeteilt hätte, wenn sich das Riechfläschchen des hilfreichen Ritters hätte beseitigen lassen. Bald darauf führte der aufmerksame Wirt einen Mann ein, der recht wie gerufen kam; es war ein Arzt, der nach dem Gesundheitszustande der Gräfin und ihrer schönen Töchter forschte, den Puls prüfte und mit bedeutender Miene mancherlei bedenkliche Anzeichen ahnte. Obwohl sich die Dame so wohl als möglich befand, so machte ihr doch die angedrohte Gefahr für das Leben bange; denn aller Leibesbeschwerden ungeachtet, war ihr der gebrechliche Körper noch so lieb wie ein langgewohntes Kleid, das man nicht gern entbehrt, ob es gleich abgetragen ist. Auf Verordnung des Arztes verschluckte sie Pulver und Tropfen, und die gesunden Töchter mußten wider Willen dem Beispiel der besorgten Mutter folgen.

Allzu nachgiebige Patienten machen strenge Ärzte; die ärztlichen Verordnungen waren kaum befolgt, so begab man sich zur Tafel in den Speisesaal, wo ein königliches Mahl aufgetischt wurde. Die Schenktische waren mit Silberwerk aufgeputzt; es prangten da goldene und übergoldete Pokale und riesige Willkommen nebst den dazugehörigen Schalen von getriebener Arbeit. Eine herrliche Musik tönte aus den Nebenzimmern und flötete den leckerhaften Schmaus und die feinen Weine den Gästen lieblich hinunter. Nach Entfernung der Schüsseln ordnete der Speisemeister den bunten Nachtisch, der aus Bergen und Felsen von gefärbtem Zucker bestand. Das ganze Abenteuer der Gräfin war in niedlichen Figuren, wie sie auf den Tafeln der Großen zu prangen pflegen, abgebildet. Die Gräfin unterließ nicht, das alles in der Stille bei sich bewundernd zu beherzigen. Sie wendete sich an ihren Stuhlnachbar, seiner Angabe nach einen böhmischen Grafen, fragte neugierig, was für ein Festtag hier gefeiert werde, und erhielt zur Antwort, daß nichts Außerordentliches vorgehe, es sei nur eine freundschaftliche Begegnung von guten Bekannten, die hier zufälligerweise zusammenträfen. Es nahm sie wunder, von dem wohlhabenden, gastfreien Obersten von Riesental weder in noch außerhalb Breslau je ein Wort gehört zu haben, und so emsig sie auch die Namen durchlief, wovon ihr Gedächtnis einen reichen Vorrat aufbewahrte, konnte sie doch diesen Namen darunter nicht ausfindig machen. Sie gedachte das von dem Wirt selbst zu erforschen und begehrte von ihm Aufschluß und Belehrung; aber dieser wußte ihr so geschickt auszuweichen, daß sie nie mit ihm zum Zwecke kam. Geflissentlich riß er diesen Faden ab und zog die Unterredung in die lustigen Räume des Geisterreiches hinüber.

Einer der Gäste wußte viel wundersame Geschichten von Rübezahl zu erzählen; man stritt für und wider die Wahrheit derselben; die Gräfin zog gegen das Dasein des Geistes sehr zu Felde.

„Meine eigene Geschichte,“ so sprach sie, „ist ein augenscheinlicher Beweis, daß alles, was man von dem erwähnten Berggeiste sagt, leere Träume sind. Wenn er hier im Gebirge sein Wesen hätte und die edlen Eigenschaften besäße, die ihm Fabler und müßige Köpfe zueignen, so würde er einem Schurken nicht gestattet haben, solchen Unfug auf seine Rechnung mit uns zu treiben. Aber das armselige Unding von Geist konnte seine Ehre nicht retten und ohne den edelmütigen Beistand des Herrn von Riesental hätte der freche Bube sein Spiel so weit mit uns treiben können, als er Lust hatte.“

Der Herr vom Hause hatte an diesen Gesprächen bisher wenig Anteil genommen; jetzt aber mischte er sich ins Gespräch und nahm das Wort:

„Sie haben, gnädige Frau, mit vielem Geschick versucht, das Nichtvorhandensein des Berggeistes mit mancherlei Gründen zu beweisen. Dennoch dünkt mich, ließen sich gegen Ihren letzten Beweis noch einige Einwürfe machen. Wie, wenn der fabelhafte Gebirgsgeist bei Ihrer Befreiung aus der Hand des entlarvten Räubers dennoch mit im Spiel gewesen wäre? Wie, wenn es ihm gefallen hätte, meine Gestalt anzunehmen, um Sie unter dieser unverdächtigen Maske in Sicherheit zu bringen, und wenn ich Ihnen sagte, daß ich von dieser Gesellschaft, als Wirt vom Hause, mich nicht einen Fuß breit entfernt habe, daß Sie durch einen Unbekannten in meine Wohnung eingeführt worden sind, der nicht mehr vorhanden ist? Sonach wär’s doch möglich, daß der Berggeist seine Ehre gerettet hätte, und daraus würde folgen, daß er nicht ganz das Unding wäre, wofür Sie ihn halten.“

Diese Rede brachte die Gräfin einigermaßen aus der Fassung und die schönen Fräuleins legten vor Erstaunen die Gabel aus der Hand und sahen dem Hausherrn starr ins Angesicht, um ihm aus den Augen zu lesen, ob das im Scherz oder im Ernst gesagt sei. Die weitere Erörterung unterbrach die Ankunft des wieder aufgefundenen Bedienten und des Postkutschers. Der letztere war ebenso beglückt beim Anblick seiner vier Rappen im Stalle, wie der erstere, als er frohlockend ins Tafelgemach eintrat und daselbst seine Herrschaft vergnügt und wohlbehalten antraf. Triumphierend trug er das ungeheure Riesenhaupt des Schwarzmantels einher, durch welches er wie von einer Bombe zu Boden geschmettert worden war. Das Haupt wurde dem Arzte übergeben, um es zu begutachten. Doch erkannte er es bald für einen ausgehöhlten Kürbis, der mit Sand und Steinen angefüllt und durch den Zusatz einer hölzernen Nase und eines langen Flachsbartes zu einem abschreckenden Menschenantlitz aufgestutzt war.

Nach aufgehobener Tafel ging die Gesellschaft auseinander, da der Morgen bereits herandämmerte. Die Damen fanden ein köstlich zubereitetes Nachtlager in seidenen Prunkbetten, wo sie der Schlaf so geschwind überraschte, daß die Einbildungskraft nicht Zeit hatte, ihnen die Schreckbilder der Gespenstergeschichte wieder vorzugaukeln und ängstliche Träume anzuspinnen. Es war hoch am Tage, als Mama erwachte, der Zofe klingelte und die Fräuleins weckte, die gern noch einen Versuch gemacht hätten, in den weichen Federn auch auf dem andern Ohr zu schlafen. Allein die Gräfin verlangte so sehr, die Heilkräfte des Bades aufs baldigste zu versuchen, daß sie durch keine Einladung des gastfreien Hauswirtes zu bewegen war, einen Tag zu verweilen, so gern auch die Fräuleins dem Ball beigewohnt hätten, den er ihnen zu geben verhieß. Sobald das Frühstück eingenommen war, schickten sich die Damen zur Abreise an. Gerührt durch die freundschaftliche Aufnahme, die sie in dem Schlosse des Herrn von Riesental genossen hatten, der auf die höflichste Art bis an die Grenzen seines Gebietes ihnen das Geleite gab, beurlaubten sie sich mit der Verheißung, auf der Rückkehr wieder einzusprechen.

Kaum war Rübezahl in seiner Burg angelangt, so wurde der Krauskopf ins Verhör geführt, der unter Furcht und Erwartung der Dinge, die da kommen würden, die Nacht in einem unterirdischen Keller zugebracht hatte.

„Elender Erdenwurm,“ redete ihn der Geist an, „was hält mich ab, daß ich dich nicht zertrete für die in meinem Eigentum mir zu Spott und Hohn verübte Gaukelei? Büßen sollst du mir mit Haut und Haar für diese Frechheit.“

Der Krauskopf hielt eine lange Rede und suchte sein Verhalten mit seinen unglücklichen Lebensschicksalen zu beschönigen. Das stimmte den Berggeist milder und er sprach:

„Geh, Schurke, so weit dich deine Füße tragen und ersteig den Gipfel deines Glücks am Galgen!“ Hierauf verabschiedete er seinen Gefangenen mit einem kräftigen Fußtritte, und dieser war froh, daß er mit einer so gelinden Strafe abkam und pries seine Beredsamkeit, die seiner Meinung nach ihn diesmal aus einer sehr mißlichen Lage gezogen hatte. Er beeilte sich, dem gestrengen Gebirgsherrn aus den Augen zu kommen.

Die Gräfin Cäcilie war indessen mit ihrer Begleitung glücklich und wohlbehalten in Karlsbad angelangt. Das erste, was sie tat, war, den Badearzt zu sich zu berufen und ihn, wie gewöhnlich, über ihren Gesundheitszustand und die Einrichtung der Kur zu befragen. Da trat herein der weiland hochberühmte Arzt Doktor Springsfeld aus Merseburg, für welchen das Bad eine Goldquelle war.

„Seien Sie uns willkommen, lieber Doktor,“ riefen Mama und die holden Fräuleins ihm traulich und freundlich entgegen.

„Sie sind uns zuvorgekommen,“ fügte erstere hinzu, „wir vermuteten Sie noch bei dem Herrn von Riesental; aber loser Mann, warum haben Sie uns dort verschwiegen, daß Sie der Badearzt sind?“

Der Arzt stutzte, sann lange hin und her und erinnerte sich nicht, die Damen irgendwo gesehen zu haben.

„Ihro Gnaden verwechseln ohne Zweifel mich mit einem andern,“ sprach er, „ich habe vorher nicht die Ehre gehabt, Ihnen persönlich bekannt zu sein; der Herr von Riesental gehört auch nicht zu meiner Bekanntschaft, und während der Kurzeit pflege ich mich nie von hier zu entfernen.“

Die Gräfin konnte keinen anderen Grund von dieser Verstellung, welche der Arzt so ernsthaft behauptete, sich geben, als daß er für die geleistete Dienste nicht wollte belohnt sein. Sie erwiderte lächelnd: „Ich verstehe Sie, lieber Doktor; Ihr Zartgefühl geht aber zu weit; es soll mich nicht abhalten, mich für Ihre Schuldnerin zu bekennen und für Ihren guten Beistand dankbar zu sein.“

Sie nötigte ihm darauf eine goldene Dose mit Gewalt auf, die der Arzt jedoch nur als Vorausbezahlung annahm und, um die Dame als eine gute Kundschaft nicht unwillig zu machen, widersprach er ihr nicht weiter. Er erklärte sich übrigens das Rätsel ganz leicht durch die Annahme, daß die ganze gräfliche Familie von einer Art Kribbelkrankheit befallen sei, wobei seltsame und unbegreifliche Wirkungen der Einbildungskraft nichts Ungewöhnliches sind, und verordnete allerlei Mittel.

Doktor Springsfeld suchte sich seinen Patienten lieb und angenehm zu machen; er wußte seine Kunden mit artigen Geschichtchen, Stadtneuigkeiten und kleinen Anekdoten wohl zu unterhalten und ihre Lebensgeister dadurch aufzumuntern. Da er vom Besuch der Gräfin seine Ronde ging, gab er die sonderbare Begegnung mit der neuen Kundschaft in jedem Krankenzimmer zum besten, ließ bei der oftmaligen Wiederholung die Sache unvermerkt wachsen und kündigte die Dame bald als eine Kranke, bald als Seherin an. Man war begierig, eine so außerordentliche Bekanntschaft zu machen, und die Gräfin Cäcilie wurde in Karlsbad das Märchen des Tages. Alles drängte sich zu ihr, da sie mit ihren schönen Töchtern zum erstenmal erschien. Es war ihr und den Fräuleins ein höchst überraschender Anblick, die ganze Gesellschaft hier anzutreffen, in welche sie vor einigen Tagen in dem Schlosse des Herrn von Riesental eingeführt worden waren. Der böhmische Graf fiel ihnen zuerst in die Augen. Sie waren der steifen Formen überhoben, gegen Unbekannte sich zu beknicksen; es war für sie kein fremdes Gesicht im Saale. Mit freimütiger Unbefangenheit wendete sich die gesprächige Dame bald zu dem, bald zu jenem von der Gesellschaft, nannte jeden bei seinem Namen und Titel, sprach viel vom Herrn von Riesental, bezog sich auf die bei diesem gastfreien Manne mit ihnen allerseits gepflogenen Unterredungen und wußte sich nicht zu erklären, was das fremde und kalte Betragen aller der Herren und Damen bedeuten sollte, die vor kurzem so viel Freundschaft und Vertraulichkeit gegen sie geäußert hatten. Natürlich geriet sie auf den Wahn, das sei eine abgeredete Sache, und der Herr von Riesental würde der Schäkerei dadurch ein Ende machen, daß er unvermutet selbst zum Vorschein käme.

Alle diese Reden bewiesen nach der Meinung der Badegesellschaft so sehr eine überspannte Einbildung, daß sie samt und sonders die Gräfin bemitleideten, die nach dem Urteil aller Anwesenden eine sehr vernünftige Frau zu sein schien und in ihren Reden und dem Gange der Gedanken nichts Ausschweifendes verriet, wenn ihre Einbildung nicht den Weg über das Riesengebirge nahm. Die Gräfin ihrerseits erriet aus den bedeutsamen Gesichtszügen, Winken und Blicken der um sie her versammelten Herrschaften, daß man sie schief beurteilte und daß man wähnte, ihre Krankheit habe sich aus den Gliedern ins Hirn versetzt. Sie glaubte, die beste Wiederlegung dieses kränkenden Vorurteils sei die aufrichtige Erzählung ihres Abenteuers auf der schlesischen Grenze. Man hörte sie mit der Aufmerksamkeit, mit der man ein Märchen anhört, das auf einige Augenblicke angenehm unterhält, davon man aber kein Wort glaubt.

„Wunderbar!“ riefen alle Zuhörer aus einem Munde und sahen bedeutsam den Doktor Springsfeld an, der verstohlen die Achsel zuckte und sich gelobte, die Patientin nicht eher aus seiner Pflege zu entlassen, bis das heilende Wasser des Bades das abenteuerliche Riesengebirge aus ihrer Einbildung rein weggespült haben würde. Das Bad leistete indessen alles, was der Arzt und die Kranke davon erwartet hatten. Da die Gräfin sah, daß ihre Geschichte wenig Glauben fand und sogar ihren gesunden Menschenverstand verdächtig machte, so redete sie nicht mehr davon und Doktor Springsfeld unterließ nicht, dieses Schweigen den Heilkräften des Bades zuzuschreiben, das doch auf eine ganz andere Art gewirkt und die Gräfin aller Gichten und Gliederreißen entledigt hatte.

Nachdem die Badekur beendigt war, die schönen Fräuleins sich genug hatten bewundern lassen, den lieblichen Weihrauch der Schmeichelei reichlich eingeatmet und sich satt und müde getanzt hatten, kehrten Mutter und Töchter nach Breslau zurück. Sie nahmen mit gutem Vorbedacht den Weg wieder durchs Riesengebirge, um dem gastfreien Obersten Wort zu halten und bei der Rückreise bei ihm vorzusprechen; denn von ihm hoffte die Gräfin Auflösung des ihr unbegreiflichen Rätsels, wie sie zur Bekanntschaft der Badegesellschaft gelangt sei, die sich so wildfremd gegen sie gebärdete. Aber niemand wußte den Weg nach dem Schlosse des Herrn von Riesental nachzuweisen, noch war der Besitzer zu erfragen, dessen Name sogar weder diesseits noch jenseits des Gebirges bekannt war. Dadurch wurde die verwunderte Dame endlich überzeugt, daß der Unbekannte, der sie in Schutz genommen und beherbergt hatte, kein anderer gewesen sei als Rübezahl, der Berggeist. Sie gestand, daß er das Gastrecht auf eine edelmütige Art an ihr ausgeübt hätte, verzieh ihm seine Neckerei mit der Badegesellschaft und glaubte nun von ganzem Herzen an das Dasein des Geistes, obgleich sie um der Spötter willen Bedenken trug, ihren Glauben vor der Welt offenbar werden zu lassen.

Seit dieser Begegnung mit der Gräfin Cäcilie hat Rübezahl nichts mehr von sich hören lassen. Er kehrte in seine unterirdischen Staaten zurück, und da bald nach dieser Begebenheit der große Erdbrand ausbrach, der Lissabon und nachher Guatemala zerstörte, so fanden die Erdgeister so viel Arbeit in der Tiefe, den Fortgang der Feuerströme zu hemmen, daß sich seitdem keiner mehr auf der Oberfläche der Erde hat blicken lassen.