Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Rübezahl - Deutsche Volksmärchen vom Berggeist und Herrn des Riesengebirges
(Rudolf Reichhardt)

Susi und der Kräutermann

<p>Der alte Köhler Christoph saß mit seinem Weibe Else an einem lauen Sommermorgen vor seinem Hüttchen&period; Vor ihnen führten Kinder ihren Ringelreigen auf&comma; aber die Alten achteten nicht auf das Kinderspiel&comma; sondern schienen einen schweren Kummer auf dem Herzen zu tragen&period; Vater Christophs Glieder waren seit Jahren gelähmt&comma; so daß es wenig Verdienst gab und Armut und Entbehrung waren die ständigen Gäste in der armen&comma; baufälligen Hütte&period; Oft konnte die Frau tagelang nicht arbeiten und für den Haushalt Geld schaffen&comma; weil sie sich der Pflege ihres Mannes widmen mußte&period; Auch ihre kleinen Einnahmen aus dem gesponnenen Garn waren ausgeblieben&comma; da Mutter Else bei ihrer Armut nicht imstande war&comma; Flachs zu kaufen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Vater Christoph stöhnte ob all des Kreuzes und Tränen rannen ihm über die Wangen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Vater&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; hob da Else an&comma; „laß deinen Mut und deine Freudigkeit nicht sinken&period; Kennst du nicht den herrlichen Liedervers aus dem Gesangbuche&comma; der mit den Worten beginnt&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>Denk nicht in deiner Drangsalshitze&comma;<br&sol;>Daß du von Gott verlassen seist&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Siehe&comma; der Dichter des Liedes&comma; aus welchem jener Vers stammt&colon; ‚Wer nur den lieben Gott läßt walten&OpenCurlyQuote;&comma; Georg Neumark&comma; war&comma; wie mir neulich unser lieber Herr Pfarrer&comma; der dich so oft in deiner Krankheit besucht und tröstet&comma; erzählte&comma; in so bittere Not geraten&comma; daß er seine liebe Geige versetzen mußte&period; Da fand er in seiner Herzensangst&comma; wie von Gott gesandt&comma; einen reichen Gönner&comma; der ihm half&period; Aus Freude darüber sang er sein Lied&colon; ‚Wer nur den lieben Gott läßt walten&OpenCurlyQuote;&period; Das hat seither schon manche Träne getrocknet und manchen Kreuzesträger gestärkt&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Vater Christoph wurde ruhig und in frommer Ergebung sprachen seine zitternden Lippen&colon;<&sol;p>&NewLine;<p>„Denn welcher seine Zuversicht<br&sol;>Auf Gott setzt&comma; den verläßt er nicht&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Da schritt auf der Landstraße ein hübsches Mädchen einher&comma; dem Dorfe zu&period; Es mußte einen weiten Weg zurückgelegt haben und schien ermüdet zu sein&period; Unter dem Arme trug die Kleine ein Bündel Kleider&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als sie sich der Hütte näherte&comma; rief sie den beiden Alten zu&colon; „Grüß Gott&excl; Könnt ihr mir wohl sagen&comma; wo in diesem Dorfe der alte Köhler Christoph wohnt&quest;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>„Der bin ich selbst&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; antwortete der Alte und im nächsten Augenblicke lag das Mädchen an seinem Halse und schluchzte&colon; „Ihr seid mein Oheim&period; Ich bin Eure Nichte&comma; die Mutter ist vor einer Woche gestorben&comma; ihr letzter Gruß galt Euch&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Da trat Mutter Else herbei&comma; streichelte dem Kinde die Wangen und sprach&colon; „Sei uns herzlich willkommen&comma; armes Kind&comma; du bleibst von nun an bei uns&period; Wir wollen dich hegen und pflegen und lieben als unser eigenes Kind&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Christoph gab dem Kinde treuherzig die Hand und sprach&colon; „Gott segne dich&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun mußte Susi — so war ihr Name — in die Hütte eintreten&comma; daß sie sich ausruhe und erfrische&period; Else bereitete ihr ein Lager von Heu und Blättern und auf ihrem ärmlichen Lager ruhte Suschen so süß wie auf weichem Flaum und liebliche Träume umgaukelten sie während der Nacht&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Seit Susis Ankunft war es im Hause lebhafter geworden&period; Frühmorgens schon sang sie mit silberheller Stimme ihre Lieder und begleitete sie am Abend mit der Zither&comma; fröhliche Geschichten erzählte sie dem Oheim&comma; so daß ihm zuweilen ein Lächeln ankam&semi; aber Mutter Else blieb still und gedrückt&period; Sie sann immer darüber nach&comma; wie sie dem Mädchen Kleidungsstücke und ein besseres Lager schaffen könnte&comma; zumal der Winter im Anzuge war&period; Doch das gute Mütterchen fand trotz allen Grübelns keinen Ausweg&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So war sie denn eines Morgens in den Wald gegangen&comma; um dürres Holz zum Feuermachen zu sammeln&comma; als sie plötzlich eine Männerstimme hinter sich vernahm&period; Es war ein Kräutersammler&comma; welcher einen Kasten mit Salben und Kräutern für Kranke auf der Schulter trug&period; Er grüßte Else und bot ihr seine Waren an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ach&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; erwiderte diese&comma; „das Kräutlein&comma; dessen ich bedarf&comma; habt Ihr gewiß nicht in Eurem Kasten&period; Mein Mann ist schon jahrelang von der Gicht geplagt&semi; ich würde für das Kraut&comma; das ihm helfen könnte&comma; mein liebstes Andenken&comma; eine große Silbermünze&comma; die mir mein Pate zur Einsegnung schenkte&comma; mit Freuden daran geben&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Fremde ging mit ihr zur Hütte&period; Dort hatte Susi schon fleißig gewirtschaftet&comma; das Bett des Kranken gemacht&comma; die Stube gefegt und die Fenster geöffnet&period; Der Kräutermann verwandte kein Auge von dem schmucken&comma; flinken Mädchen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Ist das Eure Tochter&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; fragte er Else&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Nein&comma; lieber Herr&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; antwortete diese&comma; „sie ist meiner Schwägerin Kind aus dem Böhmerlande&comma; eine Waise&comma; und erst seit kurzer Zeit bei uns&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun wandte sich der Kräutermann dem Kranken zu&comma; fragte nach der Art seines Leidens und nahm aus seiner Kräuterbüchse einen Büschel grünen&comma; stark riechenden Krautes&period; Das mußte Else kochen und mit dem Wasser die lahmen Glieder des Kranken waschen&period; Eine Bezahlung wies der freundliche Mann zurück und erklärte&comma; er wolle nur ein Stündchen in der Hütte ausruhen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Inzwischen war Susi mit ihren Morgenarbeiten fertig geworden und fragte die Base&comma; was sie nun schaffen solle&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Kannst du spinnen&comma; mein Kind&quest;&OpenCurlyDoubleQuote; erwiderte diese&period; Susi schüttelte den Kopf&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Nun&comma; so will ich es dich lehren&period; Siehe&comma; mit der einen Hand ziehe ich den Faden&comma; während die andere die Spindel dreht&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Fremde aber trat dazwischen und sprach&colon; „Ich habe ein neues Spinngerät zu Hause&period; Damit geht’s weit flinker und geschickter&comma; ich will es holen und wette&comma; daß Susi in kürzerer Zeit ihre Weife bezieht als Ihr&comma; Mutter Else&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Schon wenige Stunden später kam der Kräutermann mit einem Spinnrade zurück&comma; dessen Gebrauch den alten Köhlersleuten noch ganz unbekannt war&period; Es war ein zierlich gedrechseltes Gerät&comma; oben stak auf dem Wockenstock ein Bündel Flachs&comma; welches von einem Wockenbrief gehalten wurde&comma; auf welchem ein sinniger Spruch stand&period; Flink drehte der Fremde das Rädchen&comma; daß es summte und brummte&comma; und Susi sah aufmerksam zu&comma; wie er mit den Füßen trat&comma; den Faden zog&comma; befeuchtete&comma; bis sich die Spindel mit Garn füllte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>„Das Spinnrad schenke ich dir&comma; Susi&comma;&OpenCurlyDoubleQuote; sagte der Kräutermann&comma; „du wirst viel Freude daran haben und mancher Gewinn wird deine Arbeit lohnen&period; Auch werde ich dir einen Garnhändler zuschicken&comma; der dir deine Arbeit gut bezahlt&period;&OpenCurlyDoubleQuote;<&sol;p>&NewLine;<p>Nun spann das fröhliche Mädchen vom Morgen bis zum Abend&comma; sang lustige Liedchen dazu und drehte das Rädchen so flink&comma; daß Oheim und Base ihre helle Freude daran hatten&period; Der fremde Garnhändler kam jeden Sonnabend&comma; um das Gespinst zu kaufen&period; Er lobte die feine&comma; gleichmäßige Arbeit und zahlte reichlichen Lohn&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Auch mit dem kranken Christoph wurde es von Tag zu Tag besser&comma; bald wurden die Glieder wieder gesund und kräftig und im nächsten Frühjahr hatte er seine völlige Gesundheit wiedererlangt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da versuchte er es&comma; ein Spinnrad zu schnitzen&comma; wie es Susi in Gebrauch hatte und siehe da&excl; In wenigen Tagen war das Werk gelungen und Else konnte nun mit Susi um die Wette spinnen&period; Christophs Kunst wurde im Dorfe bekannt und in kurzer Zeit wollten die Frauen nur noch mit der „neuen Erfindung&OpenCurlyDoubleQuote;&comma; wie sie die Spinnräder nannten&comma; spinnen&period; Durch die Anfertigung der Räder verdiente Christoph so viel Geld&comma; daß schon ein gewisser Wohlstand in die arme kleine Hütte einkehrte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Gedanke&comma; daß ihr liebes Pflegekind noch immer auf Stroh und Heu schlafen müsse&comma; beunruhigte Mutter Else indessen so&comma; daß sie beschloß&comma; auf dem Jahrmarkt in der Stadt ein Federbett zu kaufen&period; Bald hatte sie eins gefunden&comma; das ihr gefiel&comma; aber die kleine Summe&comma; die sie dafür bestimmt hatte&comma; reichte nicht aus&comma; so daß sie von dem Kaufe Abstand nehmen mußte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Gar traurig ging sie von dannen&period; Plötzlich stand der gute Kräutermann vor ihr&comma; überrascht erfaßte sie seine Hand&comma; erzählte ihm&comma; daß ihr Mann gesund geworden sei und dankte ihm für seine Hilfe&period; Der Fremde aber antwortete nicht&comma; sondern drückte ihr ein Geldstück in die Hand&comma; welches so viel galt&comma; daß sie das Federbett als Eigentum erwerben konnte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Mit fröhlichem Herzen kaufte die gute Else noch mancherlei Gerätschaften und Bedürfnisse für den Haushalt ein und trug alle in ihre Herberge&comma; von welcher aus ein junger Bauer aus ihrem Dorfe sie und ihre Einkäufe auf seinem Wagen nach Hause fuhr&period; Am offenen Fenster saß Susi&comma; drehte ihr flinkes Rädchen und sang ein munteres Liedchen&comma; als der junge Bauer vor dem Häuschen hielt&period; Verwundert hörte er dem Gesange der fleißigen Spinnerin zu&period; Als sie die Base bemerkte&comma; sprang sie fröhlich aus dem Hause und schickte sich an&comma; das Bett in das Haus zu tragen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Da ging dem jungen Landmann der Gedanke auf&comma; wie glücklich er sein würde&comma; wenn einmal das liebevolle&comma; muntere und fleißige Mädchen sein Weib würde&period; Dem Gedanken folgte die Tat&period; Eines Sonntags kehrte er im Feiertagsgewand in der Hütte des alten Christoph ein und bat ihn und sein Weib um die Hand Susis&period; Er war ein guter&comma; ordentlicher Bursche und darum erhielt er ihre freudige Zustimmung&period; Susi knüpfte an ihr Jawort nur die eine Bedingung&comma; daß ihre lieben Pflegeeltern mit ihr zogen&comma; um in ihrem neuen Heim einen sorgenfreien Lebensabend zu verbringen&period; Darin willigte der junge Bauer mit Freuden und die Hochzeit ward auf das Osterfest festgesetzt&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Nur ein Gedanke trübte Susis Freude über ihr Glück&semi; sie brachte keinen Heller Geld&comma; kein Heiratsgut&comma; ja nicht einmal eine Webe Leinwand in die neue Wirtschaft ein&period; Alles&comma; was sie durch Spinnen verdient hatte&comma; war für die leibliche Pflege der alten Leute aufgewandt worden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So saß sie eines Tages in Nachdenken versunken am Fenster&comma; als es leise an die Scheiben pochte und draußen der Garnhändler stand&comma; welcher ihr freundlich zunickte&period; Eben wollte sie ihn einladen&comma; einzutreten und mit ihr die künftige Wirtschaft im Dorfe zu besichtigen&comma; da war er verschwunden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Draußen aber im Hausflur lagen sechs Ballen feiner Leinwand und obenauf ein Zettel&comma; worauf geschrieben stand&colon; „Der fleißigen Susi zum Brautschatz&period;&OpenCurlyDoubleQuote; Unter Lachen und Weinen zugleich zeigte Susi den Pflegeeltern das reiche Hochzeitsgeschenk des Garnhändlers&period; Vor Freude fiel sie ihnen um den Hals und jubelte wie ein Kind&period;<&sol;p>&NewLine;<p>So war der Hochzeitstag herangekommen&period; Es war ein lieblicher&comma; sonniger Ostertag&period; Wie die Erde draußen im sonnigen&comma; jungfräulichen Frühlingskleide prangte&comma; so anmutig und überraschend lieblich war die Erscheinung der jugendlichen Braut&period; Auf ihrem kunstvoll geflochtenen Haar lag ein blühender Myrtenkranz&comma; zur Seite ging der stattliche Bräutigam und ein stilles Wohlgefallen ging über seine Züge&comma; wenn er auf seine liebliche Braut herabsah&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Als die Trauung vorüber war und das Paar seinen Weg rückwärts nahm&comma; da stand plötzlich der alte gute Kräutermann vor ihnen und reichte Susi einen frischen&comma; blühenden Strauß&comma; indem er sprach&colon; „Die schönsten Tugenden eines Weibes sind Fleiß&comma; Gottvertrauen und Demut&period; Sie sind köstlicher und wertvoller als alle Schätze der Welt&period; Sie bilden die beste Aussteuer&comma; die du deinem Mann in dein neues Heim einbringen kannst&period; So lange du dir die Beobachtung dieser Tugenden angelegen sein lässest&comma; wird dieser Strauß nie welken und dein Glück wird stets vollkommen sein&period;&OpenCurlyDoubleQuote; —<&sol;p>&NewLine;<p>Nach diesen Worten zerfloß die Gestalt des Kräutermannes in Luft und „Rübezahl&OpenCurlyDoubleQuote; erscholl es durch die Reihen der Hochzeitsleute&period; Denn der Berggeist war es gewesen&comma; der in wechselnden Gestalten Kummer und Sorgen armer Menschen in Glück und Freude verwandelt hatte&period;<&sol;p>