Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Rübezahl - Deutsche Volksmärchen vom Berggeist und Herrn des Riesengebirges
(Rudolf Reichhardt)

Wünsche nicht zuviel

„Und hoffe auf ihn, er wird es wohl machen.“ Damit schlug sie ihre Bibel zu, die vielgeplagte Mutter Bärbel und reichte sie ihrem Sohne Hans, der auf einer Fußbank zu ihren Füßen saß. Dürftig, aber sauber sah es in der Stube der kleinen Hütte aus. In einer Ecke stand eine Spindel, an welcher die Mutter zu spinnen pflegte; das ging aber nur langsam und mühsam vonstatten. Mutter Bärbel hatte viel zu leiden, weil sie in den Beinen von der Gicht heimgesucht wurde. Sie konnte nicht gehen und stehen und auch das surrende Spinnrad mußte zuletzt in die Ecke gestellt werden, so daß sie nur noch die veraltete Spindel drehen konnte und dementsprechend das Gepinst nur gering ausfiel. Als einziges Kind war ihr der Hans übrig geblieben, ein starker, kräftiger Bursche. Eben war er zu seiner Freude aus der Schule entlassen worden, denn dort hatte er nie sein Licht leuchten lassen können und das Lernen war ihm blutsauer geworden. Die Fibel mit dem großen Gockelhahn auf dem Titelblatte und die fünf Hauptstücke hatte er zur Not bewältigt, aber darüber hinaus reichten seine Kenntnisse nicht. Aber willig und brav war Hans und er machte sich darüber Gedanken, wie er wohl am besten für seine Mutter Geld verdienen könne.

Eines Sonntags stand sein Entschluß fest. Er nahm Abschied von seiner Mutter und machte sich zum nächsten Dorfe auf. Im eigenen Orte wollte er nicht Stellung nehmen, weil man ihm hier unfreundlich begegnet war. Bei seinen Anfragen hatte er bald Glück, denn ein Bauer, welcher am Wege pflügte, nahm ihn sofort als Hütejungen für sein Vieh an. Er war froh, einen Fremden zu finden, weil einheimische Leute, Knechte und Mägde, das Haus des Bauern, der als Geizhals verschrien war, mieden, über den Lohn wurden sie bald einig: Hans sollte wöchentlich zwei Brote und einen Käse bekommen und zu Weihnachten einen abgelegten Anzug des Bauern. Von Geld war keine Rede.

Als am nächsten Sonntag Hans vergnügt bei seiner Mutter einkehrte, meinte diese, es sei doch solch ein Lohn gar zu niedrig und stehe in keinem Verhältnis zu der Arbeit.

„Von dem Bauer,“ sprach sie, „bei welchem du in den Dienst gegangen bist, habe ich schon öfters gehört. Er ist als geiziger Filz verschrien und der abgelegte Anzug wird wohl kaum noch zu flicken sein.“

„Laß mich, Mutter,“ erwiderte der Knabe, „ich fange erst an zu verdienen; wenn ich meine Arbeit gut verrichte, dann wird mir mein Herr auch einiges Geld zulegen.“

Hans mußte täglich die Kühe auf die Weide treiben. Hier war er den ganzen Tag über mit dem Hunde für sich allein. Dann sang und jubelte er nach Herzenslust und kein Mensch störte ihn in seiner fröhlichen Stimmung. Mit den Bergen und Wiesen, Felsen und Bächen wurde er so vertraut, daß er große Freude an seinem Berufe empfand. Jeden Sonnabend bekam er seine Brote und den Käse und Sonntags brachte er seiner Mutter die Hälfte.

So vergingen einige Jahre; die Leute im Dorfe wunderten sich, daß der Hütejunge noch immer um solch kärglichen Lohn bei dem Bauer diene, da er als Knecht anderwärts um einen guten Geldlohn sein Fortkommen finden könne. Hans aber dachte in seiner Harmlosigkeit gar nicht an einen Wechsel; draußen in den Bergen bei den Vögeln, die ihm ihre Lieder sangen, war sein Herz, was kümmerte ihn da Geld oder das Gerede der Leute!

Eines Sonntags aber sprach die Mutter zu ihm allen Ernstes: „Du bist nun, mein Sohn, ein großer, starker Bursche geworden und dienst noch immer als Hütejunge. Die Kleider, die dir dein Brotherr schenkte, wanderten bald in die Lumpen. Bisher habe ich dich von den Gegenständen, die dein verstorbener Vater hinterließ, gekleidet. Davon ist aber nichts mehr vorhanden, Geld verdienst du nicht, von dem wir neue Kleider anschaffen können. So bist du genötigt, den Bauer anzugehen, daß er dich als Knecht mietet und dir einen ordentlichen Lohn gibt, wie er Burschen deines Alters zukommt.“

Diese Worte gingen Hans zu Herzen und am nächsten Tage bat er den Bauer um einen besser bezahlten Dienst. Der aber wurde kirschrot vor Ärger, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und schrie ihn an: „Schämst du dich nicht, an mich ein solches Verlangen zu stellen? Du hast mich bald arm gegessen; ich habe dich durchgefüttert und deine Mutter dazu. So ist aber die heutige Welt: wenig Arbeit und viel Lohn. Das ist also dein Dank, du habgieriger Bursche?“

Hans meinte in seiner Gutmütigkeit, der Bauer sei in seinem Recht und er habe es doch eigentlich recht gut bei ihm. Verblüfft ging er wieder auf seinen Weideplatz zu seiner Herde. Aber um seine fröhliche Laune war es geschehen. Traurig saß er am Wiesenrain und grübelte und sann über sein Geschick nach. Da trat plötzlich ein alter Schäfer auf ihn zu und fragte ihn, warum er ein so trübseliges Gesicht mache. Ohne Scheu und Hinterhalt erzählte ihm Hans seine Geschichte, wie er sich besonders um seine arme gichtbrüchige Mutter sorge, deren Zustand immer bedenklicher würde. Da riet ihm der Alte, sein Heil einmal in der Stadt Hirschberg zu versuchen, dort brauche man stets kräftige und bescheidene Burschen und bezahle auch einen guten Lohn.

Halb träumend, halb staunend hörte Hans zu und ehe er dem Alten ein Wort erwidern konnte, war dieser bereits dem Tannendickicht zugeeilt. Merkwürdig war es, was für lange Schritte er machen konnte; bis an die Wegecke war es eine gute Viertelstunde, jener war in einem Augenblick dort verschwunden.

An demselben Abend trieb es ihn, seine Mutter aufzusuchen und ihr sein Erlebnis mitzuteilen.

„Der Alte hat dir einen guten Rat gegeben, Hans,“ meinte die Mutter, „tu, wie er dir anriet. Die Schäfer werden vielfach zu allerhand Wunderkuren allenthalben geholt und kennen Land und Leute. So mache dich sauber und ziehe deinen Weg. Gott geleite dich!“

Es war der erste Gang des Burschen in eine Stadt. Darum pochte ihm das Herz ein wenig. Er dachte an alle die Beschreibungen, welche man ihm von dem städtischen Leben und Treiben gemacht hatte, aber als die Sonne ihre ersten Strahlen herniedersandte, und Wiesen und Felder, Berge und Täler im Morgenglanze strahlten und die Vögel ihre ersten Lieder anstimmten, da wurde er wieder fröhlich und wohlgemut. Da fielen ihm wieder seine Hirtenlieder ein und jubelnd sang er den Vers:

Den lieben Gott laß ich nur walten,
Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
Und Erd’ und Himmel will erhalten,
Hat auch mein Sach’ aufs best’ bestellt.

Plötzlich erscholl neben ihm ein lautes Gelächter, er drehte sich um, sah aber niemand. Nachdenklich senkte er den Kopf und erblickte am Boden einen rotseidenen gefüllten Geldbeutel.

„Der Tausend,“ entfuhr es da seinen Lippen, „der Anfang war gut; da scheint einer noch früher aufgestanden zu sein als ich. Da sind ja lauter Dukaten drin. Na, vielleicht finde ich den Pechvogel, der den Beutel verloren hat.“

Er steckte die Börse ein und schritt fürbaß; da nahte auf einem Seitenwege ein vornehmer Herr, der seine Augen wie suchend auf den Boden heftete.

„Hat der Herr vielleicht etwas verloren?“ fragte Hans.

„Ja, freilich,“ war die Antwort, „meine rotseidene Börse mit Geld.“

„Hier ist sie,“ entgegnete Hans freundlich, „gut, daß ich sie gefunden habe.“

„Du bist ein ehrlicher Bursche. Hier hast du eine Belohnung für den Fund.“

Hans aber wehrte ab: „Das hat der Herr nicht nötig, ich habe die Börse ja kaum zehn Schritte getragen, dann konnte ich sie schon wieder abliefern.“

Der Fremde plauderte mit Hans noch eine Weile und fragte ihn zuletzt, was er sich wohl wünschen würde, wenn ihm seine Wünsche erfüllt werden sollten. Dem Burschen schwebte noch immer der Dukatenbeutel vor und so antwortete er hastig:

„I, so wollte ich, daß alles mein wäre, was mir heute auf dem Wege nach Hirschberg begegnete.“

Da brach der Herr in ein solch schallendes Gelächter aus, daß es die Berge im Widerhall zurückgaben, dann rief er:

„Sollst’s haben, Hans, sollst’s haben. Aber merke wohl: Wünsche nicht zu viel, sei genügsam!“

Hiermit war der Fremde verschwunden und nun stieg in Hans die Ahnung auf, mit wem er gesprochen hatte. Er wandte sich den Bergen zu, zog seinen Hut ab und rief:

„Danke schön, Herr Berggeist!“

Wieder erschallte von den Bergen her das Echo eines Gelächters. Hans setzte seinen Weg fort. Da fiel plötzlich etwas vor seinen Füßen nieder; er hob es auf — es war derselbe Beutel mit Dukaten, den er heute schon einmal gefunden hatte.

„Hurra,“ schrie Hans auf, „jetzt könnte ich eigentlich umkehren, für das viele Geld kann ich mir bequem ein kleines Ackergut kaufen.“

Auf einem Strauche saß ein Fink und sang sein Morgenlied nach der Melodie, welcher das Volk den Text unterlegt: „Reit zu Schitzkebier“; er setzte sich sogleich auf Hansens Schulter und blieb dort sitzen. Hans freute sich über den munteren Gesellen, denn er hatte alle Tiere lieb.

Aus einer Hecke kroch ein Kätzchen hervor, schmiegte sich schnurrend an seine Beine und ging ihm nach, während ein großer zottiger Hofhund ihn bellend umwedelte. Da kamen auf der Straße drei schwerbeladene Erntewagen herangefahren; auf der Höhe des letzten saßen die Schnitter und hielten auf einer Stange den Erntekranz, dessen bunte Bänder in der Luft flatterten.

„Juchhei,“ jubelte Hans, „nun bin ich ein reicher Mann, jetzt habe ich Geld zum Hauskauf, Hund und Katze und einen Vogel, der mir seine Lieder singt, und nun gar noch Pferde und Wagen und Getreide, das ich nicht einmal ausgesäet habe. Was wird die Mutter dazu sagen, wenn ich heimkomme!“

Er hatte gerade ausgeredet, da kam von einer andern Straße her ein Wagen, hochbepackt mit Hausgeräten aller Art, und folgte dem Zuge, der immer länger wurde. Da kamen Knechte und Mägde, den neuen Herrn grüßend, ein Hirt trieb eine stattliche Herde Rinder, ein Schäfer einen großen Stamm fetter Schafe einher. Außerdem folgten ihm alle Hühner, Enten, Gänse und Tauben, welche sich auf seinem Wege befanden, einige Pfauhühner marschierten vor ihm und ein Pfauhahn schlug ihm zu Ehren sein schillerndes, stolzes Rad.

Das war ein Blöken, Wiehern, Brüllen, Schnattern, Krähen, Singen, Zanken und Raufen, daß man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte.

Jetzt wurde Hirschberg sichtbar, Hans ließ seinen Besitz an sich vorüberziehen; als blutarmer Bursche war er ausgezogen und als Großbauer und reicher Mann kehrte er in seine Heimat zurück. Wie das aber so oft im Menschenleben vorkommt, so erging es auch Hans: die Mahnung: „Wünsche nicht zuviel“ war in seinen Ohren verklungen. Das gesättigte Herz begehrte den Überfluß. Nun wollte er erst vor den Toren Hirschbergs umkehren, um alles zu gewinnen, was ihm bis dahin begegnen würde.

Unterwegs fand er noch einen funkelnden, goldenen Ring. Er steckte ihn an den Finger und blieb ein Weilchen vor dem Stadttore stehen, um zu sehen, ob nicht noch etwas käme. Da kam ein Mädchen auf ihn zu, häßlich wie die Nacht, alt, zahnlos, verwachsen, mit geröteten Augen und rief hell auflachend:

„Juchhei, jetzt kommt mein langersehnter Bräutigam. Und den Trauring hast du auch schon am Finger. Beeile dich nur, der Herr Pfarrer erwartet uns schon zur Trauung in der Kirche.“ Hans sträubte sich und dachte bei sich: „Wie kannst du ein Weib deiner Mutter zuführen, welches älter ist als diese?“ — Sie aber hielt seine Hand in der ihren, an der ein ganz ähnlicher Ring saß.

„Lieber Hans,“ sprach sie, „es ist gar nicht hübsch von dir, daß du so lange zögerst. Bin ich auch nicht hübsch, so bin ich doch eine tüchtige Wirtin. Du bist in den Besitz eines großen Hausrates gekommen und verstehst von der Bauernwirtschaft gar wenig. Deine kranke Mutter will ich hegen und pflegen und schaffen, daß unser Hausstand sich mehre.“

Hans stand eine Weile stumm da. Durch seinen Kopf ging die warnende Mahnung Rübezahls: „Wünsche nicht zuviel!“ Er hatte sie überhört und nun gab es kein Zurück mehr.

Er kratzte sich hinter dem Ohr, machte gute Miene zum bösen Spiel, gab seiner Zukünftigen die Hand und sprach:

„Wenn’s denn durchaus sein muß, so wollen wir den Pfarrer nicht länger warten lassen.“

Da sah sie ihn freundlich an und sprach: „Danke, lieber Hans, du sollst es nicht zu bereuen haben.“

So wurden sie in der Kirche getraut und unter dem Jubel des Gesindes zogen sie mit ihren Wagen und Gerätschaften nach einem Dorfe, welches Hans noch unbekannt war. Dort kauften sie sich einen Bauernhof und brachten die mitgebrachte Habe unter der umsichtigen Leitung der Hausfrau in kurzer Zeit in Ordnung.

Hans gewann sein Weib schon am ersten Tage lieb und an jedem andern noch lieber. Sie fuhren nun zu Hansens Mutter, um sie abzuholen. Diese wollte sich jedoch gar nicht daran gewöhnen, daß ihr schmucker Junge eine so alte, häßliche Frau bekommen hatte. Sie konnte daher der Schwiegertochter kein freundliches Gesicht machen. Diese nahm das nicht übel, da sie wußte, von Hans geliebt zu werden. Als Mutter Bärbel aber sah, daß ihre Schwiegertochter Liese fleißig und unermüdlich im Haushalte tätig war und ihr selbst in ihrer Krankheit mit Handreichungen zur Seite stand, so fand sie sich zuletzt darein.

Ein Jahr später lag in der großen Holzwiege, deren Bretter mit allerhand Blumenverzierungen bemalt waren, ein prächtiger Junge, der aus Leibeskräften schrie. Mit ihm war die Freude im Hause vollkommen geworden und Bärbel schaukelte oft unter dem Gesange eines Schlummerliedchens die Wiege hin und her, um den kleinen schreienden Enkelsohn zu beruhigen und in süßen Schlummer zu wiegen.

So war der Jahrestag der Hochzeit gekommen. Fröhlich saßen die drei beieinander, als Liese zu sprechen begann:

„Ja, heut’ vor einem Jahre habe ich etwas Seltsames erlebt, aber ich darf es nicht sagen, ehe es mir erlaubt wird.“

Hans wurde neugierig und auch Bärbel wollte das Geheimnis wissen, aber Liese blieb fest.

Da klopfte es plötzlich ans Fenster und draußen stand — der fremde Herr vom vorigen Jahr und sprach:

„Nun, Hans, siehst du nun, wie töricht es von dir war, zuviel zu wünschen? Hättest du meinen Worten Gehör geliehen, dann wärest du nicht zu einem solch häßlichen Weibe gekommen. Aber willst du sie nicht mehr, dann will ich dich von der Plage sogleich befreien.“

„Um keinen Preis,“ schrie Hans entsetzt, „wie bin ich froh, daß Ihr sie mir gabt. Sie hat uns erst das Glück und die rechte Zufriedenheit ins Haus gebracht. Und dann seht einmal unsern Prachtbuben an, bei dem müßt Ihr Pate stehen, ich bitte Euch recht sehr darum.“

„Na, ihr Leutchen,“ war die Antwort, „nun habe ich euch genug geneckt. Die Patenschaft nehme ich an. Du, Liese, kannst deine Geschichte vom vorigen Jahr erzählen.“

Damit entschwand er. Dann schloß Hans das Fenster und drehte sich um, um mit seiner Frau zu sprechen, doch er prallte zurück. War die blitzsaubere Frau mit den rosigen Wangen und den treublickenden Augen, die den zappelnden Buben auf ihren Armen hielt, Liese? Als sie anfing zu sprechen, da war es ihre Stimme und nun erzählte sie ihre Geschichte.

„Schau, Hans, vor einem Jahre sah ich gerade so aus, wie du mich jetzt siehst. Ich war ein eitles Ding, das sich auf seine Schönheit viel einbildete und alle Leute über die Schulter ansah. Meine Eltern waren mir zeitig gestorben, ich war wohlhabend und besaß dieses schöne Gut. An dem Sonntagmorgen, heute vor einem Jahre, ging ich auf die Wiese, um mir ein Sträußchen Wiesenblumen zum Vorstecken zu pflücken, denn die anderen Mädchen trugen Gartenblumen zu ihrem Kirchenstaat und ich mußte doch etwas Besonderes haben. Ich steckte mein Sträußchen ans Mieder, lief zu einem kleinen Teiche, welchen der Wiesenbach bildete, und betrachtete mich sehr wohlgefällig. Mein Bild gefiel mir über die Maßen, ich drehte und wandte mich nach allen Seiten und konnte mich gar nicht genug wundern über die Schönheit meiner Gestalt. Auf einmal erscholl hinter mir ein lautes Gelächter. Ich drehte mich um und erblickte einen Fremden und machte ihm ein gar böses Gesicht.

‚Na, na, Jungfer,‘ rief er spöttisch, ‚entstelle sie doch ihr Lärvchen nicht so. Vorher sah die Narrheit in den Teich hinein, jetzt schaut die Bosheit aus dem Gesicht heraus.‘

Auf solche Grobheiten stemmte ich die Arme in die Seiten und schrie:

‚Was fällt Euch ein, Ihr einfältiger Tropf? Was geht’s Euch an, wenn ich mich im Wasser beschaue? Ich weiß, daß ich weit und breit im Gebirge als die ‚schöne Liese‘ bekannt bin. Was habt Ihr Euch um mich zu kümmern?‘

Plötzlich reckte sich vor mir eine riesengroße Gestalt auf mit langem, wehendem Haar und Bart und eine Donnerstimme ertönte:

‚Du hoffärtiges Ding, nun wirst du wohl merken, mit wem du es zu tun hast. Von heute ab sollst du die Gestalt annehmen, welche deine Hoffart straft. Statt der ‚schönsten‘ sollst du als ‚die häßlichste Liese weit und breit im Gebirge bekannt‘ sein. Gehe hin an das Tor von Hirschberg. Wenn du dort einen Burschen deiner wartend findest, so soll er sofort dein Mann werden. Sagst du aber einem Menschen je ein Wörtchen von dem, was hier geschehen ist, dann erhältst du nie deine frühere Gestalt wieder. Bringst du es aber durch Demut, Fleiß und Geduld dahin, daß dich dein Mann behalten will trotz deiner Häßlichkeit, dann sollst du deine Schönheit wiedererlangen. Gelingt dir das nicht, so mag dich dein Mann fortschicken und ich werde dich mitnehmen.‘

Damit verschwand er. Ich war entsetzt bei dem Gedanken an mein Schicksal. Laut jammernd warf ich mich in das Gras, aber ich mußte gehorchen. Am Tore zu Hirschberg wartete ich auf dich. Was habe ich dich bedauert, Hans, daß du ein solches Schreckbild zur Frau nehmen solltest. Nun hat sich alles zum Besten gekehrt.“

Niemand war froher über Liesens Verwandlung als ihre Schwiegermutter. Als Hans und Liese miteinander auf der Straße gingen, da riefen die Leute: „Die schöne Liese ist wieder da!“ —

Als nun der kleine Sohn getauft werden sollte, blieb der Taufpate Rübezahl aus. Hans öffnete das Fenster, um nach ihm zu sehen, denn nur wenige Minuten fehlten noch an der festgesetzten Zeit. Da erhob sich ein Wirbelwind und wehte ein Päckchen in die Stube, darauf stand: „Der Herr vom Berge sendet seinem lieben Patchen dies Taufgeschenk zum freundlichen Gedenken.“ Den Inhalt bildeten lauter neue Dukaten.

Hans und Liese haben Rübezahl nicht wiedergesehen, wohl aber der kleine Johannes. Ihm hat der Berggeist viel Gutes erwiesen sein Leben lang.