Kinderbücher
Wunderbare Geschichten für Kinder zum Lesen & Vorlesen.

Hinzelmeier
(Theodor Storm, 1851)

Der Eingang zum Rosengarten

<p>Die Sonne stand schon hoch am Himmel&period; Hinzelmeier hatte einen Richtweg ueber ein Feld mit gruener Wintersaat eingeschlagen&comma; das sich unabsehbar vor ihm ausdehnte&period; Zu Ende desselben fuehrte der Steig durch eine Oeffnung des Walles auf einen geraeumigen Platz hinaus und Hinzelmeier stand vor den Gebaeuden eines grossen Bauernhofes&period; Es hatte zuvor geregnet&semi; nun dampften die Strohdaecher in der herben Fruehlingssonne&period; Er stiess seinen Wanderstab in den Boden und blickte zum First des Wohnhauses hinauf&comma; wo ein Volk von Sperlingen sein Wesen trieb&period; Ploetzlich sah er aus einem der beiden weissen Schornsteine eine glaenzende Scheibe in die Luft steigen&comma; sich langsam im Sonnenscheine wenden und darauf wieder in den Schornstein hinabfallen&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Hinzelmeier zog seine Taschenuhr hervor&period; "Es ist Mittag&excl;" sagte er&comma; "sie backen Eierkuchen&period;"—Ein lieblicher Duft verbreitete sich&semi; und wieder stieg ein Eierkuchen in den Sonnenschein hinauf und sank nach einer kurzen Weile in den Schornstein zurueck&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Der Hunger meldete sich&semi; Hinzelmeier trat ins Haus und gelangte ueber einen breiten Flur in eine hohe&comma; geraeumige Kueche&comma; wie solche in groesseren Gehoeften zu sein pflegen&period; Am Herde&comma; auf dem ein helles Reisigfeuer brannte&comma; stand eine staemmige Baeuerin und tat den Teig in die zischende Pfanne&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Krahirius&comma; der lautlos hintendrein geflogen war&comma; setzte sich auf den&nbsp&semi;Herdmantel&comma; waehrend Hinzelmeier fragte&comma; ob er fuer Geld und gute Worte eine&nbsp&semi;Mahlzeit hier bekommen koenne&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Hier ist kein Wirtshaus&excl;" sagte die Frau und schwang ihre Pfanne&comma; dass der Eierkuchen prasselnd in den schwarzen Schlot hinauffuhr und erst nach einer ganzen Weile mit der Oberseite in die Pfanne zurueckklatschte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Hinzelmeier griff nach seinem Stecken&comma; den er beim Eintritt an die Tuer gestellt hatte&semi; allein die Alte fuhr mit der Gabel in den Eierkuchen und stuelpte ihn rasch auf eine Schuessel&period; "Nun&comma; nun&excl;" sagte sie&comma; "so war es nicht gemeint&semi; setz Er sich nur&semi; hier ist just einer fertig&period;" Dann schob sie ihm einen hoelzernen Stuhl an den Kuechentisch und setzte den dampfenden Kuchen nebst Brot und einem Kruge jungen Landweins vor ihn hin&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das liess Hinzelmeier sich gefallen und hatte bald die derbe Speise und ein gut Teil des festen Roggenbrots verzehrt&period; Dann setzte er den Krug an den Mund und tat einen herzhaften Zug auf die Gesundheit der Alten und dann zu seiner eigenen Gesundheit noch manchen anderen hinterher&period; Das machte ihn so vergnuegt&comma; dass er ganz wie von selber zu singen anhub&period; "Er ist ja ein lustiger Mensch&excl;" rief die Alte von ihrem Herde hinueber&period; Hinzelmeier nickte&semi; ihm fielen auf einmal alle Lieder wieder ein&comma; die er vor Zeiten im elterlichen Hause von seiner schoenen Mutter gehoert hatte&period; Nun sang er sie&comma; eines nach dem andern&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">"Das macht&comma; es hat die Nachtigall<br&sol;>Die ganze Nacht gesungen&semi;<br&sol;>Da sind von ihrem suessen Schall&comma;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">Da sind von Hall und Widerhall<br&sol;>Die Rosen aufgesprungen&period;<br&sol;>Sie war doch sonst ein wildes Blut&comma;<br&sol;>Nun geht sie tief in Sinnen&semi;<br&sol;>Traegt in der Hand den Sommerhut<br&sol;>Und duldet still der Sonne Glut&comma;<br&sol;>Und weiss nicht&comma; was beginnen&period;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">Das macht&comma; es hat die Nachtigall<br&sol;>Die ganze Nacht gesungen&excl;"—<&sol;p>&NewLine;<p>Da wurde in der Wand&comma; dem Herde gegenueber&comma; unter den Reihen der blanken&nbsp&semi;Zinnteller&comma; ein Schiebefensterchen zurueckgezogen und ein schoenes blondes&nbsp&semi;Maedchen&comma; es mochte des Hauswirts Tochter sein&comma; steckte neugierig den Kopf&nbsp&semi;in die Kueche&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Hinzelmeier&comma; der das Klirren der Fensterscheiben vernommen hatte&comma; hoerte auf zu singen und liess seine Augen an den Waenden der Kueche umherwandern&semi; ueber das Butterfass und die blanken Kaesekessel und ueber den breiten Ruecken der Alten bis an das offene Schiebefensterchen&comma; wo sie an zwei anderen jungen Augen haengen blieben&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das Maedchen wurde ganz rot&period;—"Er singt schoen&excl;" sagte sie endlich&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Es kam mir nur so"&comma; erwiderte Hinzelmeier&period; "Ich singe sonst gar nicht&period;"<&sol;p>&NewLine;<p>Dann schwiegen beide eine Weile und man hoerte nur das Zischen der Pfanne und das Prasseln der Eierkuchen&period; "Caspar singt auch schoen&excl;" hub das Maedchen wieder an&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Freilich wohl&excl;" meinte Hinzelmeier&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Ja"&comma; sagte das Maedchen&comma; "aber so schoen wie Er macht er's doch nicht&period; Wo hat Er denn das schoene Lied her&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Hinzelmeier antwortete nicht darauf&comma; sondern trat auf einen umgestuerzten&nbsp&semi;Zuber&comma; der unter dem Schiebefenster stand und sah an dem Maedchen vorbei in&nbsp&semi;die Kammer&period; Drinnen war voller Sonnenschein&period; Auf den roten Fliesen der&nbsp&semi;Diele lagen die Schatten von Nelken- und Rosenstoecken&comma; welche seitwaerts&nbsp&semi;vor einem Fenster stehen mochten&period; Ploetzlich wurde im Hintergrund der&nbsp&semi;Kammer eine Tuer aufgerissen&period; Der Fruehlingswind brauste herein und riss dem&nbsp&semi;Maedchen ein blauseidenes Band von der Riegelhaube&semi; dann fahr er durchs&nbsp&semi;Schiebefenster und trieb seine Beute kreiselnd in der Kueche umher&period;&nbsp&semi;Hinzelmeier aber warf seinen Hut danach und fing es wie einen Sommervogel&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Das Fenster war ein wenig hoch&period; Er wollte es dem Maedchen hinauflangen&comma; sie bueckte sich zu ihm heraus&semi; da fahren beide mit den Koepfen aneinander&comma; dass es krachte&period; Das Maedchen schrie&semi; die Zinnteller klirrten&comma; Hinzelmeier wurde ganz konfus&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Er hat einen gar wackeren Kopf&excl;" sagte das Maedchen und wischte sich mit ihrer Hand die Traenen von den Wangen&period; Als aber Hinzelmeier sich das Haar aus der Stirn strich und ihr herzhaft ins Gesicht schaute&comma; da schlug sie die Augen nieder und fragte&colon; "Er hat sich doch kein Leid's getan&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Hinzelmeier lachte&period; "Nein&comma; Jungfer&excl;" rief er—er wusste selbst nicht&comma; wie es ihm auf einmal einfallen musste—"nehm Sie mir's nicht uebel&comma; aber Sie hat gewiss schon einen Schatz&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Sie setzte die Faust unters Kinn und wollte ihn trotzig ansehen&comma; aber ihre&nbsp&semi;Augen blieben an den seinen haengen&period; "Er faselt wohl"&comma; sagte sie leise&period;<&sol;p>&NewLine;<p>Hinzelmeier schuettelte den Kopf&semi; es wurde ganz still zwischen den Beiden&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Jungfer&excl;" sagte nach einer Weile Hinzelmeier&comma; "ich moechte Ihr das Band in die Kammer bringen&excl;"<&sol;p>&NewLine;<p>Das Maedchen nickte&period;<&sol;p>&NewLine;<p>"Wo geht denn aber der Weg&quest;"<&sol;p>&NewLine;<p>Es klang ihm in den Ohren&colon; "Mitunter auch durchs Fenster&excl;"—Das war die Stimme seiner Mutter&period; Er sah sie an seinem Bette sitzen&semi; er sah sie laecheln&semi; es war ihm ploetzlich&comma; als stehe er in einem rosenroten Nebel&comma; der aus dem offenen Schiebefenster in die Kueche hereinzog&period; Er trat wieder auf den Zuber und legte seine Haende um den Nacken des Maedchens&period; Da sah er durch die offene Kammertuer in einen Garten&comma; darinnen standen die bluehenden Rosenbuesche wie ein rotes Meer und in der Ferne sangen kristallne Maedchenstimmen&colon;<&sol;p>&NewLine;<p style&equals;"margin-left&colon; 30px&semi;">"Rinke&comma; ranke&comma; Rosenschein&comma;<br&sol;>Tu dich auf und schliess uns ein&excl;"—<&sol;p>&NewLine;<p>Hinzelmeier draengte das Maedchen sanft in die Kammer zurueck und stemmte die Haende auf das Fensterbrett&comma; um sich mit einem Satz hineinzuschwingen&semi; da hOerte er es&colon; "krahira&comma; krahira&excl;" ueber seinem Kopfe schwirren&semi; und ehe er sich's versah&comma; liess der Rabe die gruene Brille aus der Luft und gerade auf seine Nase fallen&period; Nur wie im Traume sah er noch das Maedchen die Arme nach ihm ausstrecken&semi; dann war auf einmal alles vor seinen Augen verschwunden&semi; aber in weiter Ferne sah er durch die gruenen Glaeser eine dunkle Gestalt in einem tiefen Felsenkessel sitzen&comma; welche mit einem Stemmeisen eifrig in den Grund zu bohren schien&period;<&sol;p>

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